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Matthias und Gülsüm
Ein ganz normales Liebespaar

© 2000-2001 Tim Riewe

Bielefeld, Ende der 1990ger Jahre......der schüchterne Zivildienstleistende Matthias verliebt sich unsterblich in die schöne Krankenschwester Gülsüm, die einen türkischen Migrationshintergrund hat. So glaubt Matthias im Leben nicht daran tatsächlich mit Gülsüm zusammen zu kommen. Aber Gülsüm, nicht so ganz in anatolischer Tradition erzogen, ist doch viel offener, wie Matthias gedacht hat. So stünde ihrer Liebe eigentlich nichts im Wege. Aber manchmal, ja manchmal gibt es hier und dort doch einige Hindernisse, die aber beide zu meistern verstehen. Leider währt die junge Liebe nicht für immer, denn ein schreckliches Unglück beendet eine erfolgreiche Liebesgeschichte zwischen einem Deutschen und einer jungen Türkin. Eine Geschichte, die gegen die Klischees ankämpft und trotzdem kein Blatt vor dem Mund nimmt !

Das Totengebet

Ich war am Boden zerstört: Tief traurig blickte ich auf das offene Grab und konnte den Schmerz einfach nicht begreifen. Der Dede (alevitischer Geistlicher) sprach das Totengebet ganz nach alevitischer Tradition und alle Verwandten von Gülsüm und auch meine Eltern und Geschwister hatten sich nun um das offene Grab versammelt. Nur meine kleine Yasemin war nicht dabei gewesen, Birgit, eine alte Schulkameradin und Freundin von mir hütete sie. "Gülsüm, wieso hattest du uns und mich verlassen,"....immer wieder stellte ich mir die gleiche Frage und bekam dann doch keine Antwort. Es war der härteste Tag meines Lebens....was war passiert: Nun Gülsüm hatte sich auch ausgerechnet an diesem naßkalten Novembermorgen mit ihrer Harley-Davidson auf die Straße begeben. Draußen war es noch überall stockdunkel, aber irgendwie musste sie ja nun zur Arbeit kommen, über die alte hucklige Landstraße. Dabei wollte ich sie nun mit dem Auto hinfahren....jetzt bei dem gefährlichen Aqua-Planing. Doch sie wollte einfach nicht hören. "Todesmutig" schwang sie sich auf die Harley und düste in die Dunkelheit. 1 Stunde später klingelte plötzlich bei mir das Telefon. Mit einem komischen Gefühl im Bauch näherte ich mich langsam dem Telefon, das nun unaufhaltsam klingelte. Irgendwie machte es mir Angst - dieses Klingeln wollte gar nicht aufhören zu klingen....es wollte mir unbedingt diese traurige Nachricht überreichen, die schlagartig mein Leben ändern würde. Schlagartig würde das zerstört werden, wofür ich monatelang gekämpft hatte....für eine Liebe, eine ganz besondere Liebe....einer Liebesbeziehung zwischen einem Christen und einer Muslimin. Einer Liebesbeziehung zwischen 2 Kulturkreisen, die von Anfang an nicht von jedem gern gesehen worden war.
Nun nahm ich doch das Telefon ab....ich musste mich der Wahrheit stellen.
Am anderen Ende meldete sich eine etwas monotone Stimme mit den Worten:
"Herr Matthias Heinrichs. Das sind Sie doch oder nicht? Sind Sie nicht der
Ehemann von einer Frau Gülsüm Heinrichs geborene Yildirim?"
Wie in Trance erwiderte ich mit einem monotonen Ja.
" Ich muss Ihnen eine traurige Nachricht mitteilen," nun hob sich seine Stimme ein wenig und er fuhr fort: " Ihre Frau ist vorhin hier schwer verletzt ins St. Anna-Hospital eingeliefert worden. Doch wir konnten nichts mehr tun.
Sie ist vor 5 Minuten an den schweren inneren und äußeren Verletzungen verstorben. Wir haben Sie draußen auf der Emser Landstraße vor einem Baum aufgegabelt. Sie muss mit Vollkaracho vor einen Baum geschleudert worden sein. Es tut mir sehr leid Ihnen dieses mitteilen zu müssen." Dieser Augenblick sollte mein Leben prägen...alles war nun verloren, wofür ich die letzten 2 Jahre gekämpft hatte. Mein Leben machte keinen Sinn mehr und nun wieder kehrten meine Gedanken zurück an das Grab, wo Gülsüms Leichnam, in einem Sarg in die Erde gelassen wurde - der Dede sprach dazu immer noch das Totengebet aus dem Koran auf Türkisch.
Es waren insgesamt ca. 40 Leute, die sich um das Grab versammelt hatten.
Erkan Yildirim, mein Schwiegervater, war ein alter Mann geworden und seine Frau Nuray stand dabei. Er hatte auf einen Schlag seinen ganzen Stolz verloren, seine kleine Gülsüm. Er hatte sie als einziges Mädchen immer verwöhnt und hatte ihr immer genauso viele Rechte eingeräumt, wie deutsche Mädchen sie auch hatten, auch wenn er damit manchmal bei streng gläubigen Arbeitskollegen aneckte. Er wollte, das Gülsüm es besser haben sollte als er damals. Er, der vor 30 Jahren seine Heimat verließ, raus aus dem strengen Elternhaus ins liberale Deutschland. Hier hatte er Nuray kennengelernt und hatte sie erst gegen den Willen seines strengen Vaters geheiratet. Sein Vater hatte eigentlich vorgesehen, das er als Vater seinem Sohn die passende Braut aussucht. Irgendwann dann hatten die Eltern es dann doch akzeptiert das ihr Sohn, die aus liberalem Elternhause stammende Istanbulerin Nuray heiratete.
Erkan wollte das seine eigene Tochter glücklich würde, mit dem Mann den sie wirklich liebte, egal ob dieser nun Kurde, Türke, Aramäer oder Deutscher war.
Erkan arbeitete auf einem Schlachthof mit vielen Nationalitäten zusammen, vor allen Dingen natürlich mit Türken. Viele von ihnen waren in Punkto Glauben sehr religiös und streng gläubig und hatten ganz andere Ansichten in Bezug auf Frauen, Erziehung und Glauben als Erkan. Erkan war alevitisch-gläubiger Türke, der die Gebote des Koran in großen Teilen nicht ausübte wie z.B. das 5malige Beten am Tag oder das Fasten im Fastenmonat Ramaddan. Lediglich einmal pro Woche ging er zusammen mit seiner Frau in das Versammlungshaus des alevitischen Kulturverein, wo er im Kreise der Aleviten betete und mit ihnen Gottesdienst abhielt.

Die Krankenschwester mit den schwarzen Locken

Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern: Es war an einem Frühlingstag vor über 2 Jahren gewesen, und ich musste wie etwa jeder zweite deutsche Mann meinen Zivildienst ableisten.
Nun, meine Verweigerung hatte ich gut hinter mich gebracht und wurde schließlich einen Monat vor dem Antreten meiner Zivildienststelle als "Kriegsdienstverweigerer" anerkannt.
Zwar hatte ich an jenem Aprilmorgen nicht auf dem Kasernenhof zu erscheinen, aber wenn ich daran dachte im Sankt-Anna-Hospital anfangen zu müssen, um den Urinkellner zu spielen, war mir gar nicht nach Aufstehen zu Mute. 13 lange Monate Urinkellner und AOK-Schopper-Fahrer zu spielen, darin würden meine Aufgaben bestehen. Naja, mit etwas miesepetrigen Gesicht ging ich also dem Tag entgegen. Das Sankt-Anna-Hospital wirkte von außen etwas unfreundlich und wenig einladend. Nein, die großen Fenster und die nicht gestrichene Außenfassade machte dieses Krankenhaus zu einen unbeseelten und kalten Ort, wo man seine Krankheiten nicht in Ruhe auskurieren konnte, sondern froh war dieses Krankenhaus hinter sich zu lassen, ob nun tot oder lebendig. Als ich das Gebäude betrat, wurde ich allerdings eines Besseren belehrt.
Nicht, das ich noch nie in diesem großen, häßlichen Kasten gewesen war, doch klar, schließlich hatte ich mich hier beworben, allerdings ohne auf die Optik des Krankenhauses zu achten. Ich musste ja schließlich innerhalb einer Frist von 6 Wochen eine Zivildienststelle suchen, nun ja und ich war bei der Auswahl nicht gerade sehr erfinderisch und nahm das an, was sich anbot.
Nachdem ich mich bei der Pflegedienstleitung vorgestellt hatte, führte man mich auf die Station 9, einer Station für Krebskranke. Hier sollte ich anfangen.
Diese Station wirkte auch gar nicht so abweisend und die Kranken, die hier lagen merkte es man nicht an, das sie vielleicht in ein paar Tagen ein paar Etagen tiefer lagen.
Man stellte mir das Team auf dieser Station vor: Da waren in der Frühschicht gerade Anke, Stefan, Marlene, Henrike und die junge Stationsärztin Dr. Bielefeld.
Ich kam mir ein wenig schüchtern vor und es fiel mir plötzlich schwer ein Wort rauszubringen. Aber so war ich manchmal, ein wenig zurückhaltend. Es war auch das neue Unbekannte, wo ich nicht wußte, was mich hier erwartete.
Vielleicht würde ich auch schönes erleben, ja aber mit Sicherheit würde ich Schönes erleben. Plötzlich dachte ich mir, wäre es ja doch nicht so schlecht hier meinen Zivildienst anzufangen, denn wie schon erwähnt machte die Station, aber auch das Personal einen freundlichen einladenden Eindruck auf mich, ganz anders als die Optik des Krankenhauses.
Marlene und Henrike waren schon so um die 40 - Frauen, die schon lange eine Familie gegründet hatten und deren Kinder nun dabei waren die Grundschule zu verlassen.
Marlene war etwas forscher und hatte auch kein Problem damit unverschämten Krankenhausbesuchern die Meinung zu geigen, aber nicht nur das auch die Pflegedienstleitung hatte doch recht viel Respekt vor ihr - sie war halt eine Frau, die sich nicht von der Pflegedienstleitung und anderen des Hauses herum kommandieren ließ.
Henrike dagegen war eher die Liebe, die oft die Arbeit für die Anderen tat, ohne sich dabei ausgenutzt zu fühlen. Anke und Stefan waren ein paar Jahre älter als ich und hatten vor nicht allzu langer Zeit ihr Exam hinter sich gebracht. Anke und Stefan waren eigentlich Personen, die man nicht groß beschreiben konnte.....sie hatten beide nichts markantes in ihrer Art, was sie von anderen auszeichnete. Aber mit allen verstand ich mich wirklich gut, so war das mein Gefühl. Vielleicht, so dachte ich mir, könnte ich mich auch ein wenig mit Anke und Stefan privat anfreunden, auch wenn sie vielleicht auf den ersten Blick etwas langweilig und schon zu "normal" waren. Aber je länger ich mit ihnen meine Arbeitszeit verbrachte, desto interessanter wurden sie, auch wenn immer noch keine markanten Charaktereigenschaften zum Ausdruck kamen......es waren eben keine extremen Menschen und das war ja auch etwas, was man durchaus schätzen konnte.
Nun neigte sich mein erster Arbeitstag dem Ende zu und man hatte mir fast alles schon gezeigt, was ich wissen sollte, aber natürlich doch wieder sofort vergaß (in der Beziehung hatte ich halt ein Gedächtnis von 12 bis mittags).
Nun sollte wohl die Spätschicht kommen, auf die ich auch schon sehr gespannt war, denn ich würde auch mit den Leuten, die an diesem Tag die Spätschicht hatten, Dienst haben.
Es war 13.27 Uhr und der Schichtwechsel kam immer näher, wer mochten wohl die Leute sein, die jetzt Spätschicht hatten. Und dann um genau 13.28 Uhr und 22 Sekunden kam die 3 Schwestern, die heute Spätschicht hatten, hereingeschneit und fast alle auf einmal: Schwester Ursula, Schwester Hedwig - mir stockte fast der Atem - und ein Mädchen, kaum älter als ich mit schwarzen Locken, einem süßen Gesicht und einer Bombe von Figur. Sie machte einen sehr südländischen Eindruck.....doch wie mochte sie heißen....sie hatte ihr Namensschild noch nicht an den weißen Kittel befestigt.
Doch dann holte sie ihr Namensschild aus der Tasche des Kittels und machte es an ihrer Brust fest: GÜLSÜM YILDIRIM. Sie guckte mich ganz erstaunt mit ihren wunderschönen braunen Rehaugen an und schien wie ich auch sprachlos zu sein. Und wußte nicht was ich hervorbringen sollte außer ein schüchternes Hallo und ohne groß nachzudenken, flüchtete ich auch aus dem Raum Richtung Umkleide. Das Herz fing an wie wild zu pochen......Oh mein Gott, ich war verliebt. Wieso ausgerechnet jetzt??

Eine hoffnungslose Liebe???

Ich mußte jetzt erst einmal ganz ruhig werden, um meine Gedanken klar
ordnen zu können. Es hatte mich nun wirklich erwischt und nun wo ich nach
Hause fuhr, begann meine Sehnsucht diese Gülsüm wiederzusehen.
Ich dachte mir, das war doch eigentlich alles kein Problem. Vielleicht wäre es
sogar möglich mit dieser Gülsüm eine Beziehung anzufangen. Aber ich glaube
da dachte ich an jener Stelle schon zu weit.
Erst einmal mußte ich mir folgender Situation klar werden: Gülsüm, das war
ein türkischer Name, da gab es gar keinen Zweifel.......eine Türkin, oha !!!!!!
Nein, ich war wirklich der Letzte der ausländerfeindlich war, ich kam wirklich
mit Italienern, Polen und Spaniern gut zu recht, aber der Umgang mit Türken
war schwierig....schon wegen ihrer Religion.
Ich erinnerte mich nämlich an die Schulzeit zurück....da war auch eine Türkin
namens Fatma in meiner Klasse, wir waren damals vielleicht 16, 17.....Es war
nach den Sommerferien gewesen: Fatma war ein irgendwie immer
aufgeschlossenes und aufgewecktes Mädchen, aber jeder von uns wußte, daß
sie zu Hause sehr kurz gehalten wurde. Außerhalb der Schule hatte kaum
einer mit ihr Kontakt und auf Klassenfahrten und Parties durfte sie nur im
Ausnahmefall.
Sie kam an diesen Morgen nach den Schulferien weinend in die Klasse. Als sie
dann mit ihren Sorgen in der Schulpause herausrückte hieß es, sie sei in
diesem Sommer in der Türkei verheiratet worden. Nun würde ihr Angetrauter
bald nachkommen. Da stockte mir der Atem.
Obwohl ich natürlich auch wusste, das es den meisten türkischen Mädchen
nicht so ergehen würde wie Fatma, so war mir doch klar, dass es auch heute
nicht überall selbstverständlich ist, dass sich türkische Mädchen ihren
Ehemann selber suchen.
Ich kam nach Hause, wo schon meine Mutter mit dem Essen wartete. Ja meine
Mutter wartete mit dem Essen. Das tat sie immer, so nach alter Herrensitte,
wie sie es die vergangenen 20 Jahre auch immer getan hatte. Irgendwie hatte
ich mich immer etwas unterdrückt gefühlt - schon, dass sie auf mich wartete,
damit ich und sie gemeinsam Essen konnten, war für mich ein Art Gräuel.
Andere in meinem Alter hatten schon eine eigene Wohnung und eine feste
Freundin...ich dagegen hatte gerade mal mit Ach und Krach meinen
Führerschein bestanden und Flirts waren die einzige Erfahrung, die ich bis
jetzt mit Mädchen hatte.
Aber das meine Mutter mit dem Essen auf mich wartete hatte auch einen
guten Grund, denn meine Mutter konnte schlecht alleine sein, war seit 7
Jahren geschieden und hatte sonst keinen außer mir, der mit ihr
zusammenlebte.
Meine beiden großen Schwester Sabrina und Merle waren seit 4 Jahren aus
dem Haus. Merle, die Älteste von uns, hatte den Beruf der Lebenskünstlerin
gewählt - erst sich hier und dort durchgebissen und sich anschließend mit
einem Tattoo-Shop selbstständig gemacht.
Sabrina dagegen hatte eine richtige Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert
und war deswegen auch einige Jahre im Ausland, hatte sogar mal 2 Jahre als
Stewardess gearbeitet.
Mam war eigentlich nicht so spießig und hatte Sabrina, wie Merle gewähren
lassen, doch seitdem mein Vater bei uns ausgezogen war, hatte sie in
manchen Dingen etwas komische Ansichten. Auch bei mir, denn während
meine Schwestern vor 4 Jahren ausgezogen waren, klammerte sie sich nun
besonders an mich. Ich musste ihr oft zuhören, viel mit im Haushalt helfen, so
daß nicht viel Zeit für mein Privatleben blieb. Da sie mich oft von ihren
Sorgen erzählte, wollte sie auch gerne immer alles von mir erfahren, so wie
an diesem Mittag auch mal wieder.
"Na Matthias, wie war es denn so im Krankenhaus heute?? Hast du dort nette
Kollegen?" wollte sie wissen. Mit einem "Ja doch, es war nicht so schlimm, wie
ich es mir vorgestellt hatte," versuchte ich das Gespräch mit ihr möglichst
kurz zu halten. Naja so ganz einfach war das natürlich nicht, aber irgendwie
schaffte ich es durch eine gewisse Einsilbigkeit mich auf das Nötigste zu
beschränken.
Auf gar keinen Fall wollte ich ihr von Gülsüm erzählen, aber wie sollte ich
auch, außer einem netten Lächeln, hatte ich mit ihr ja noch nicht
kommuniziert.
Dann fiel mir etwas auf....da lag die Zeitschrift Stern auf dem Küchentisch,
aufgeschlagen. Was war den das für ein Artikel? fragte ich mich. Er handelte
über Ausländer in Deutschland - über so genannte Vorzeigetürken, wie es in
der Überschrift hieß.
Meine Augen flohen flüchtig über die Zeilen, wo was von Cem Özdemir,
Fikriye Selen oder auch Mehmet Scholl die Rede war. Der Artikel handelte
über Ausländer, die sich in Deutschland integriert und was erreicht hatten.
Meine Mutter las solche Artikel? fragte ich mich, oder hatte sie nur zufällig
diese Seiten aufgeschlagen. Naja, wie auch immer, jedenfalls handelte der
Artikel von Personen, bei denen die Integration wunderbar geklappt hatte.
Aber wie sah es mit der Liebe aus, würden diese integrierten Menschen mal
einen Deutschen oder eine Deutsche heiraten oder blieben sie unter sich,
wenn es um die Partnerwahl ging?
Gedanken um Gedanken kamen mir auf, aber was sollte das? Ich müßte
Gülsüm erst einmal kennenlernen und vielleicht würde sich dann bald
automatisch was ergeben.
Ich grübelte noch den ganzen restlichen Abend über Gülsüm und lief
eigentlich den gesamten Nachmittag und Abend nur nervös in der Wohnung
hin und her, griff mal zu Fernbedienung des Fernsehers, zappte durch die
Programme und blätterte gedankenlos in irgendwelchen Frauen-und
Astrozeitschriften meiner Mutter. Auch in der Nacht konnte ich schlecht
schlafen, denn erst gegen Morgen, wo es Zeit wurde aufzustehen, schlief ich
tief und fest.
Das ging so die ganze restliche Woche, mehr oder weniger und auch meine
Mutter fragte sich natürlich, was mir so durch den Kopf spukte.
Doch dann passierte etwas, was mich endlich ein wenig näher an Gülsüm ran
bringen sollte.

Die Kette mit dem Schwert

Es passierte am Freitag Mittag und wir waren gerade dabei die Schicht zu
wechseln, d.h. ich hörte gerade mit meiner Schicht auf und Gülsüm fing nun
mit ihrer Schicht an. Man sagte sich Hallo und war dann auch schon fast
verschwunden.
Dann war ich auf dem Weg zur Umkleide, die im Keller lag, wobei sich die
Frauenumkleide neben der Männerumkleide befand. Ich mußte erst an der
Frauenumkleide vorbeigehen, ehe ich die Tür der Männerumkleide erreichte,
doch was entdeckten dort meine Augen vor mir auf dem Fußboden liegen: Es
war eine Kette. Jemand hatte eine Kette verloren, doch das war noch nicht
alles, denn an dieser Kette war ein Krummschwert befestigt, das von kleinen
Sternen umrandet war. Ich hob die Kette auf und betrachtete sie nun im Licht
der Neonröhre. Dann betrachtete ich nochmal dieses Krummschwert, was als
Symbol an der Kette hing und so, daß dort der Name Gülsüm eingraviert war.
Einige Gedanken schossen mir durch den Kopf.
War das etwa Gülsüms Kette? Was hatte diese Kette für eine Bedeutung,
fragte ich mich, denn ich hatte nie zuvor jemanden gesehen, der eine Kette
mit einem Krummschwert dran trug. Vielleicht war ja dieses Krummschwert
ein islamisches Symbol, dachte ich mir. War etwa Gülsüm streng religiös??
Nachdem ich mich also umgezogen hatte, ging ich also nochmals zur Station 9
herauf zu Gülsüm.
Ich betrat nochmals das Stationszimmer und siehe da, Gülsüm war gerade
damit beschäftigt die Medikamente für die Patienten herzurichten und zu
dosieren.
Sie war momentan die einzigste Person, die sich in dem Stationszimmer
befand.
Erstaunt blickte sie auf, als ich das Zimmer betrat.
Stockend und ein wenig rot entgegnete ich ihr fragend: "Ähhh, ist das zufällig
Deine Kette?" "Ja," reagierte sie ein wenig verwundert. "Danke, habe ich die
doch tatsächlich irgendwo auf dem Weg zur Umkleide verloren. Ich hatte sie
mir noch nicht umgehängt. Aber woher wußtest Du denn, daß sie mir gehört?"
sah sie mich weiter fragend an.
"Nun," nun wurde ich noch roter und begann ein wenig zu stottern. " Dein,
dein Name. Der war auf der Rückseite eingraviert. Gülsüm, so heißt du doch?"
"Ja, klar. Ich heiße Gülsüm. Donnerwetter, das Du jetzt schon meinen Namen
kennst, wo ich mich noch gar nicht vorgestellt habe." "Ja," erwiderte ich nun
mit neuen Selbstbewußtsein und schon einer gewissen Vertrautheit. " Schöne
Damen vergesse ich nicht so schnell. Schließlich hattest Du dir am ersten Tag,
wo ich gekommen war gerade Dein Namensschild angeheftet." " Ja,
tatsächlich?" fragte sie erstaunt und dachte nach.
Anschließend meinte sie doch, ich könnte mich doch noch einen Moment zu
ihr gesellen, denn während sie nun in Ruhe die Medikamente vorbereitete,
waren ihre beiden Kollegen unterwegs die Patienten aufs Klo zu bringen oder
ähnliche Tätigkeiten auszuführen.
"Weißt Du diese Kette, die Du vor der Umkleide gefunden hattest, hat für
mich halt symbolischen Charakter und symbolisiert meine Religion nach
außen," versuchte sie mir zu erklären. "Ich bin Muslime, aber dieses Symbol
ist gerade für mich besonders wichtig, nicht das ich jetzt sonderlich gläubig
wäre oder so, aber die Gruppe Moslems, der ich angehöre, unterscheidet sich
doch sehr in dem Praktizieren des Glaubens gegenüber anderen
moslemischen Gruppen. Vielleicht weißt du, dass die meisten Moslems der
Gruppe der Sunniten angehören. In der Türkei jedenfalls ist das so, daneben
allerdings gibt es noch eine Gruppe, die sich allerdings in der Öffentlichkeit
nicht so stark nach außen repräsentiert: Das ist die Gruppe der Aleviten, der
in der Türkei vielleicht 1/4 der Bevölkerung angehört. Ich bin auch eine
Alevitin und diese Kette ist Symbol meiner Religion. Hier in Deutschland soll
dieses aber auch symbolisieren, dass wir Aleviten uns klar von den
Vorstellungen radikaler Moslems trennen. Es ist das Zülfikar, das Schwert
Alis, der Schwiegersohn des Propheten Mohammeds, der einen Märtyrertod
gestorben war..."
Interessiert lauschte ich ihren Erklärungen und sie schien darüber sehr
erfreut zu sein. Anschließend fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte mit heute
Abend zur Flirtparty ins SATURDAY NIGHT zu kommen, denn bisher hatte sie
noch keinen gefunden, der mit wollte. Da konnte ich natürlich nicht
widerstehen und wollte natürlich mit. Wir hatten beide am morgigen Tag
Spätschicht und auch am Sonntag. Ich fand es nur Schade, dass ich in der
kommenden Woche erst einmal 3 Wochen auf einen Zivilehrgang musste.

(FRIDAY) SATURDAY NIGHT

Es war ein stürmischer und regnerischer Abend, denn nun zeigte sich der
April noch mal von seiner launischen Seite. Es war Freitag gewesen, der
Freitag nachdem ich meinen Zivildienst angefangen hatte und auch der
Freitag, wo ich mich mit Gülsüm zusammen ins Saturday Night verabredet
hatte.
Ich und Gülsüm hatten verabredet, dass wir beide einzeln kamen. Ich wusste
nicht genau weswegen sie auf die Idee kam sich mit mir zusammen auf einer
Flirtparty zu treffen. Wahrscheinlich hatte sie wohl keinen Kollegen gefunden,
der mit ihr dort zusammen hin wollte, denn von unserer Station mussten die
Jüngeren die Frühschicht übernehmen oder waren schon fest liiert.
Was aber war mit Gülsüm, hatte sie keinen Freund, oder durfte sie keinen
haben, diese Frage hatte sie mir noch nicht beantwortet, statt dessen hatte sie
mir das Symbol ihrer Kette erklärt, merkwürdig, wie ich fand.
Ich war zwar noch nicht im Saturday Night gewesen, aber das Saturday Night
war nicht gerade dafür bekannt, dass hier viele Türken hin kamen. Na ja aber
wieso sollte sich Gülsüm nicht ins Saturday Night wagen.
An jenem Abend fuhr ich mit meinem klapprigen Golf, den ich erst ein halbes
Jahr vorher erworben hatte zum Saturday Night, welche Disco etwa 15 km
von mir entfernt lag.
Einsam und verlassen lag das Saturday Night an jenem stürmischen Freitag
Abend vor mir, denn ich war nun einer der Ersten, die sich an diesem Abend
hier hin wagten. Im Saturday Night wurde viel House und Dance-Floor
gespielt, Musik, die ich mir nur ab und zu anhören konnte.
Aber na ja viele Discos gab es ja nicht in der Umgebung, obwohl Bielefeld eine
Großstadt war, so nahm ich dieses dann auch in Kauf.
Es war 21.15 als ich die Pforten des Saturday Nights betrat, ein Partygirl,
halb als Engel, halb als Glücksfee und halb als Gott Amor verkleidet, kam mir
entgegen und heftete mir ein funkelndes Herz an meine Brust, dazu gab es,
wie es bei solchen Flirtpartys ja immer so Sitte ist, einen Sektempfang.
Oh-Gott, dachte ich, wo bin ich denn nur hier gelandet. Ist das nach Gülsüms
Geschmack, fragte ich mich ?
Wenig später dann, als ich mich im Saturday Night ein wenig umgesehen
hatte, kam mit einer Lederjacke bekleidet jemand bekanntes auf mich zu...es
war Gülsüm.
Sie zog ihre Lederjacke aus, gab sie an der Garderobe ab und kam auf mich
zu.
„Na, dann hast du Dich hier also hin gewagt ?!“ stellte sie fest.
„Normalerweise sind Techno oder Flirtparties nichts für mich, aber es fand
heute Abend nichts anderes statt, so dass ich hier mal vorbei schauen wollte.
Ich bin sehr froh, dass du auch hierher gekommen bist.
Wie du vor ein paar Tagen mich so angelächelt hattest, da dachte ich mir, du
bist sicherlich sehr sympathisch.“
Wir saßen uns erst einmal ruhig an einen Tisch und mein Herz klopfte
natürlich ein wenig vor Aufregung. Irgendwann dann, wollte ich die Frage, die
mir am meisten auf den Nägeln brannte doch stellen:
„Sorry, wenn ich Dich, daß frage, aber Du bist doch Türkin und ähmm, Du
scheinst ja recht liberal erzogen worden zu sein.....kommst hier alleine um
diese Zeit hin, verabredest Dich mit mir. Ich finde Dich wirklich sehr
sympathisch und Du hattest gleich eine magische Auswirkung auf mich, wenn
ich das mal so sagen darf. Könntest Du dir eigentlich mal vorstellen, daß mehr
aus uns werden könnte ?“
Erstaunt guckte sie mich an: „ He, Moment mal. Wir kennen uns gerade mal
von Ansehen und Du fragst gleich, ob mehr aus uns werden könnte ? Ich
wollte Dich erst einmal in Ruhe kennen lernen. Ich fand Dich wie gesagt, auf
den ersten Blick auch recht sympathisch, aber weißt Du Frauen mögen es
nicht unbedingt, wenn man mit der Tür gleich ins Haus fällt.
Ich weiß wohl, wie du es meinst. Ich habe, denke ich eine gute
Menschenkenntnis, aber so kommst du nicht unbedingt bei den Frauen an.
Und um die erste Frage zu beantworten....ja natürlich bin ich Türkin...na ja
was heißt Türkin. Inzwischen habe ich den deutschen Pass, na ja und meine
Eltern haben mich schon ziemlich liberal erzogen, so dass es für mich wirklich
kein Problem ist einen Freund zu haben oder abends auszugehen.“
Dann fuhr sie fort:
„Ich habe Dir doch heute Mittag erzählt, daß ich Alevitin bin, d.h. eigentlich
kann man sagen, dass Aleviten meistens liberaler eingestellt sind als andere
Muslime. Bei uns ist zum Beispiel der Umgang der Geschlechter miteinander
meistens lockerer und Frauen tragen meistens kein Kopftuch.
Aber auch bei Sunniten gibt es liberale Menschen. Es kommt dann auch
immer noch auf die Frage der Tradition an...wie traditionell sind die
Menschen aufgewachsen. Kommen sie eher aus Istanbul, Izmir oder Ankara
oder aus einem kleinen Dorf irgendwo in Anatolien. Die türkische Gesellschaft
hat heute sehr unterschiedliche Fassetten, von sehr konservativ, ja radikal bis
sehr liberal, westlich orientiert. Ich bin auch sehr westlich orientiert
aufgewachsen, aber meine Eltern haben mich immer erinnert, dass meine
Wurzeln auch in der Türkei liegen. So verbinde ich das Beste jeder Kultur
miteinander....das tolle Zusammenhaltsgefühl in der Familie genauso wie,
dass ich auch mal Abends weg gehen darf und auch schon vor der Ehe Sex
habe. Wenn man es nicht so übertreibt mit Jungens und Ausgehen, dann ist
das für meine Eltern schon in Ordnung.“
Den Rest des Abends dann redeten wir über was anderes, über das
Krankenhaus, unsere Kollegen und mokierten uns über die Partygirls, die auf
solch einer Flirtparty natürlich nicht fehlen durften: Sie suchten natürlich
auch nach Mr. Perfect und waren gegen sogenannte Anmache gut gefeit mit
einem „Verpiß Dich“. Wir aber ließen uns nicht stören
von den Leuten um uns herum.
Ab und zu versuchte zwar jemand Gülsüm anzubaggern, aber derjenige wurde
dann freundlich von ihr abgeblockt mit einem „Tut mir leid, ich unterhalte
mich
gerade. Ich wünsche Dir aber noch viel Erfolg für den Abend“. Gülsüm hatte
es
nicht nötig sich mit einem schroffen „Verpiß Dich“ von den Herren zu
verabschieden.
Insgesamt allerdings lief der Abend wohl darauf hinaus, das sich Gülsüm und
ich wie gute platonische Freunde unterhielten, was Gülsüm viel wichtiger
schien, als über Beziehung, Gefühle oder wohl möglich über Sex zu reden.
Insgesamt merkte ich aber doch, daß wir beide ähnliche Vorstellungen vom
Leben hatten, auch viele Interessen, obwohl wie charakterlich vermutlich so
unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, wobei ich vermutlich für den Tag
stand und sie für die Nacht.

Spätschicht mit faden Beigeschmack

Auf den nächsten Tag freute ich mich besonders, denn es war der erste Tag,
den ich mit Gülsüm Spätschicht hatte. Zwar fand ich es schade, daß am
Freitag Abend nicht mehr passiert war, als ich mir innerlich erhofft hatte,
aber jetzt war erst einmal Geduld angesagt, denn immerhin wußte ich ja, daß
Gülsüm mich sehr sympathisch fand.
So hatten wir zusammen Dienst mit Hedwig und Ursula. Aber der Dienst
wurde doch sehr stressig, so daß es in der Zwischenzeit nur wenig Zeit gab,
sich zu unterhalten, fast alle Gespräche liefen auf beruflicher Basis ab.
Ich war von dieser Samstagnachmittagschicht etwas enttäuscht, auch wenn
mich natürlich Gülsüms Gegenwart enorm anspornte und das Arbeitsklima,
trotz des Stresses sehr erträglich machte.
Hedwig und Ursula wunderten sich natürlich schon über meinen Arbeitseifer
und Gülsüm erwiderte nichts dazu. Hedwig meinte doch glatt bei dem
Verteilen des Abendbrotes zu mir, das ich doch ein Hansdampf in allen Gassen
wäre, was nun ja absolut nicht zu traf.....naja, die hatte halt keine gute
Menschenkenntnis.
Zu einer kollektiven Pause fehlte uns auch die Zeit und so ging jeder von uns
gerade 20 Minuten hoch in die Kantine, nacheinander. Ich um 17.15, dann
Gülsüm um 17.35, Hedwig um 17.55 und Ursula um 18.15.
21.00 Uhr war dann Dienstschluß und dann passierte das Unerwartete, was
mir Gülsüm doch noch vorenthalten hatte: Nachdem wir uns umgezogen
hatten und uns wieder vor der Umkleide trafen, bat mich doch Gülsüm sie
zum Auto zu geleiten. Natürlich war ich froh darüber sie zum Auto zu
geleiten, denn schließlich war ja nun Gülsüm doch heute recht zurückhaltend
mir gegenüber gewesen, gegenüber gestern Abend.
Ich war mit dem Fahrrad von zu Hause gekommen, holte das Fahrrad aus dem
Fahrradständer heraus und geleitete sie zum etwas im dunkel gelegenem
Parkplatz. Es herrschte mal wieder die trübe Stimmung eines kalten
Apriltages, an dem man doch gerne zu Hause geblieben wäre.
Wir schritten schweigsam nebeneinander zum Parkplatz, da hörten wir
Schritte hinter uns, die näher kamen. Gülsüm drehte sich um, schien
überrascht zu sein, denn mit dieser Person hatte sie nicht gerechnet: Ihr Ex-
Freund Süleyman wollte sie hier wohl vor dem Krankenhaus abfangen und zur
Rede stellen, wie ich später erfuhr. Böse guckte er sie an, Süleyman, ein
kräftiggebauter junger Türke mit glänzendem schwarzen Haar und nicht
gerade sympathisch auf den ersten Blick. Er schrie sie auf Türkisch an und
sogleich antwortete sie ihm nicht weniger temperamentvoll mit einem
türkischen Redeschwall.
Darauf schrie er sie wieder an und verschwand drohend Richtung
Krankenhaus.
Dann sah ich schockiert Gülsüm an, wie sie weinte. "Gülsüm," versuchte ich
sie behutsam zu beruhigen. "Was war los?" Dann legte sie ihren Kopf in meine
Arme und weinte. Es war das erste Mal, das sie sich mir so Nahe kam wie
jetzt.
Jetzt war sie nicht die temperamentvolle Gülsüm, sondern das verletzte kleine
Mädchen und keine Überfrau, wie ich vielleicht gedacht hatte.
Wir beschlossen an diesem Abend uns noch in Ruhe in eine Kneipe zu setzen,
um über dieses Ereignis zu sprechen. Wir hielten es für das Beste uns in das
Bistro "Youth-Point" zu setzen, einer alternativen Kneipe für junge Leute. Im
Hintergrund lief dezent Musik von Alanis Morissette und dazu ein etwas
schummriges Licht sorgte für die richtige Stimmung unseres Seelenlebens.
"Weiß Du," fing Gülsüm an zu erzählen. "Das vorhin war Süleyman, mein Ex-
Freund, mit dem ich vor 2 Wochen Schluß gemacht hatte....halt ein richtiger
Macho, obwohl er doch manchmal so lieb sein konnte. Aber das ist vorbei. Ich
will ihn aber nicht hassen, denn irgendwo kann ich sein Macho-Gehabe, wie er
hier heute Abend aufgetreten ist verstehen: Er muß schließlich nächste
Woche ein Mädchen namens Söngül heiraten. Seine Eltern sind sehr streng
und haben ihm seine Partnerin ausgesucht. Er wollte mich unbedingt heiraten
und mit mir durchbrennen, unsere Beziehung mußte vor seinen Eltern
geheimgehalten werden, so wegen der Ehre und so. Aber meine Familie ist
wirklich nicht so, das kannst Du mir glauben. Ich brauchte nie bei meinen
Eltern ein Geheimnis aus dieser Beziehung machen, obwohl meinem Vater
nicht sonderlich gefiel, wie Süleyman manchmal mit mir umsprang. Süleyman
war manchmal unberechen- bar, mal total lieb und ein anderes Mal der total
aggressive Macho, der mir auch schon mal gedroht hatte....ich hatte ihn
eigentlich schon geliebt - eigentlich ja, auch wenn es oft eine Art Haßliebe
war. Naja Gott-sei-Dank sind nicht alle Türken Machos, meine Brüder Murat
und Mehmet würden ihre Freundinnen nie so behandeln, aber die hatten
natürlich auch nie so den Druck von zu Hause gekriegt wie Süleyman.
Süleyman und ich sind einfach auch von unseren Ansichten zu
unterschiedlich. Ich denke, ich fühle mich heute viel näher der deutschen als
der türkischen Mentalität."
Anschließend erzählte ich noch ein wenig von mir, meinen Schwestern und
meinen Eltern, die ja geschieden war und Gülsüm hörte interessiert zu. Als
wir beide merkten, dass es inzwischen schon weit nach Mitternacht war,
wurde es nun auch langsam Zeit aufzubrechen.
Da sah mir Gülsüm plötzlich tief in die Augen, sagte nichts weiter und küsste
mich ohne Worte auf meine Lippen. Ich war total perplex und wusste nicht
was ich sagen sollte. Das alles kam mir vor wie ein Lippenbekenntnis, dass wir
2 nun zusammengehörten. Dann brach sie auf, ging zum Ausgang und war in
der Dunkelheit verschwunden.

Meine Ma und Gülsüm

Es war inzwischen eine Woche vergangen und ich war in der Zwischenzeit auf
einem Zivilehrgang in Holzminden bei Höxter gewesen. Vielleicht wird sich
der ein oder andere Zivi an jenen finsteren Schulungsort, der die meiste Zeit
des Jahres im Nebel liegt, erinnern: Das Schulungsheim, wo ich untergebracht
war, hieß "Auf dem Ith", besitzt zwar alles was das Herz begehrt - vom
Fitneßstudio bis zur Bibliothek; allerdings ist es weit von der nächsten
Zivilisation entfernt. Und eines konnte es mir nicht bieten: Gülsüm.
Gülsüm sah mich nun eine Woche nicht - meist war ich während dieser Zeit in
Gedanken und dachte an Gülsüm. Ich glaubte doch mit Sicherheit zu wissen,
das ich und Gülsüm nun seit letztem Samstag ein Paar waren, seitdem wir nun
im "Youth Point" unsere Sorgen ausgetauscht hatten.
So freute ich mich also auf den folgenden Samstag, wo der Lehrgang endete
und auf das freie Wochenende, welches ich mit Gülsüm verbringen wollte.
Ich war mit dem Zug zum Ith gefahren und kam auch wieder mit dem Zug
zurück - Gülsüm wartete nun an diesem Samstagmorgen schon auf mich am
Bahngleis 5 ( ich hatte ihr gesagt, dass der Zug auf Gleis 5 um 10.53
ankommen würde ) und auch meine Mutter wartete dort - sie war mit dem
Auto gekommen.
Ich stieg also aus dem Zug, lief den beiden Frauen entgegen, die ja zu diesem
Zeitpunkt noch nichts voneinander wussten.
Ich drückte erst demonstrativ Gülsüm und meine Mutter schien ihren Augen
nicht zu trauen. Ihr Sohn hatte nun plötzlich eine Freundin, nachdem sich die
Mädchen jahrelang nicht gerade um ihn geschlagen haben.
Dann guckte meine Mutter Gülsüm etwas misstrauisch an, denn Gülsüm sah ja
nun sehr südländisch aus, um nicht zu sagen türkisch, wenn es so was wie
türkisch aussehen überhaupt gibt.
Nein, ich glaubte in diesem Moment nun nicht, das meine Mutter
ausländerfeindlich ist, aber ich glaube es wäre ihr in diesem Moment lieber
gewesen, wenn ihr einziger und jüngster Sohn vielleicht eine deutsche
Freundin gehabt hätte.
Ich sah sie schon vor mir eine Moralpredigt haltend, das es doch nur Ärger
geben würde, wenn mich die Familie von Gülsüm mit deren Tochter
zusammen erwischen würde. Die Ehre der Familie Yildirim würde auf dem
Spiel stehen. Ihr Vater würde dann schon mal ein Messer hervor holen und
sich an mir rächen - mir die Eier abschneiden im harmlosesten Fall. Und
Gülsüm, nun Gülsüm würde in die Türkei verschleppt und müsste einen
anatolischen Ziegenhüter heiraten. Das alles sah ich bereits vor meinem
Geiste.
Dann kehrten meine Gedanken zurück - ich befand mich noch immer in den
Armen von Gülsüm.
Damit meine Mutter nun aber nicht weiter diesen argwöhnischen Blick
äußerte, drückte ich sie ebenfalls kurz, wobei ich sonst meine Mutter nur
recht selten drückte, jetzt wo ich erwachsen war.
Wortlos schritten wir 3 die Stufen zur Bahnhofshalle herab und dann stoppte
ich kurz, küsste Gülsüm nochmal auf die Wange und meinte zu ihr: "Wir
können uns ja heute Abend wieder sehen, dann erzähle ich Dir alles, o.k.?"
"Ok," lächelte mich Gülsüm und dieses O.k. klang sehr enthusiastisch. Weiter
schlug sie vor, dass ich doch mal heute Abend zu ihr kommen könnte, denn
ich bräuchte keine Angst vor ihren Eltern haben, die sie ja doch "sehr liberal"
erzogen hatten. Ja, in diesem Moment kam es mir sogar vor, dass meine
Mutter in dieser Beziehung engstirniger sein würde als Gülsüms Familie.
Dann erklärte sie mir noch, wo sie wohne und das wir uns dort um 18.00 Uhr
doch treffen könnten.
Dann fuhren wir nach Hause und meine Mutter blieb während der ganzen
Fahrt doch recht wortkarg, sie schien es immer noch nicht zu fassen mit
diesem türkischen Mädel.
"Matthias," meinte sie dann erst zu Hause vorwurfsvoll. "Sag jetzt bloß, dass
Du jetzt eine Freundin hast?! Aber wieso muss es denn ausgerechnet eine
Türkin sein?! Du weißt, ich will Dir nicht vorschreiben mit wem Du ausgehst,
aber Du weißt doch wie das bei den Türken ist. Du bringst doch nur sie und
Dich in Teufels Küche...... Ich habe schon oft genug von einem tragischen
Ausgang bei so einer Liebe gehört unter dem Motto......junger Deutscher
entjungfert Türkin, ihr Vater sieht seine Ehre verletzt und sticht den Jungen
ab. Das ist doch wie die Liebe zwischen Romeo und Julia. Weißt Du denn
nicht, dass Türken Moslems sind und Moslems haben strikte Vorstellungen
von Sexualität, die noch zum Teil wie im Mittelalter ist."
Dann versuchte ich zu kontern: "Aber, aber....Gülsüms Familie ist sehr liberal
eingestellt. Heute Abend wollen wir uns sogar bei ihr treffen. Die Eltern
hätten überhaupt nichts gegen einen deutschen Freund...."
Dann sah sie mich an, fasste mich warnend an die Stirn: " Paß bloß auf Dich
auf. Solche Fälle sind die absolute Ausnahme."

Murats Hochzeit

Es war bereits fast 18.00 Uhr und ich machte mich auf den Weg zu Gülsüm,
die mit ihren Eltern und ihrem einen älteren Bruder Mehmet in einem
Haushalt lebte. Dann gab es da noch ihren Bruder Murat, der in
Süddeutschland studierte, außerdem würde er nun in den nächsten Wochen
heiraten, wie Gülsüm mir erzählt hatte. Ihre Eltern wären schon ganz
aufgeregt und am machen und planen.
Ich war mit meinem Fahrrad unterwegs und bog in den Spatzenweg ein - hier
wohnte Gülsüm. Überall waren die Vögel am Singen und die Häuser, die hier
standen waren zwar so um die gleiche Zeit entstanden, doch allerdings
individuell total unterschiedlich - nicht nach dem Einheitsprinzip gebaut.
Es war ein neues verklinkertes Haus und Ende der achtziger Jahre
entstanden.
Aus dem Haus dudelte türkische Folklore, so dass ich mich doch dem Haus ein
wenig mit Angst näherte. Dann klingelte ich und Gülsüm machte auf. Sie hatte
gerade ihr Haar gewaschen und sich geschminkt, so als wolle sie mit mir
heute Abend noch weg.
"Komm rein," forderte sie mich auf, "und fühle Dich wie zu Hause."
Ich betrat den Flur und da kam aus der Küche eine grauhaarige Frau heraus,
so etwas über 50 mochte sie sein - sie hatte die gleichen Locken wie Gülsüm,
allerdings in Form einer Dauerwelle.
"Du bist Matthias?" fragte sie mich vorsichtig mit türkischem Akzent. "Gülsüm
hat viel erzählt von Dir." Es war Nuray Yildirim, Gülsüms Mutter. Sie wirkte
zwar zurückhaltend auf mich aber freundlich.
Nun stieß auch Gülsüms Vater dazu aus dem Wohnzimmer, ein größerer
Mann, auch etwas über 50 und mit einem schwarzen Schnurrbart. Er wirkte
zwar sehr Respekt einflößend, keineswegs aber wie ein türkischer Macho.
Ich war überrascht, als ich in Yildirims Wohnzimmer kam, denn dort hatte
Gülsüms Vater Erkan und Mutter Nuray den Tisch reichlich gedeckt, für mich,
für Gülsüm und für die Beiden. Ich hätte fast vergessen, dass ich mich in
einem türkischen Haushalt befand, mal abgesehen von der türkischen
Folklore, die aus den Lautsprecherboxen drang und dem Essen, was ganz klar
türkische Küche war.
Gülsüms Vater sprach doch erstaunlich flüssig deutsch, während ihre Mutter
schlechter deutsch sprach und sich lieber am Essenstisch in Türkisch
unterhielt.
Wir sprachen über alles mögliche, über das Krankenhaus, die Familie, die
Türkei, türkische und deutsche Mentalität usw.
Ich merkte jedenfalls schnell, daß Erkan kaum die Ansichten vertrat, die viele
türkische Männer in seinem Alter pflegten. Er ärgerte sich über Milli Görüs,
einer konservativ-islamischen Organisation hier in Deutschland und auch die
übertriebene Ehre mancher türkischer Männer verurteilte er sehr scharf.
Natürlich hatte er nicht ganz die gleichen Ansichten, wie deutsche Männer es
vielleicht haben, aber trotzdem war er sehr liberal, zum Beispiel auch in
Beziehung zu seiner Tochter. Er würde sie nie fallen lassen, was auch immer
sie tun würde. Er vertraute seiner Tochter, da brauchte er sich nicht als der
über alles vergötterte Patriarch aufspielen. Klar, er hatte schon mehr das
Sagen als seine Frau, aber die war z.T. auch kräftig am dementieren.
Anschließend kamen wir zu dem wichtigsten Thema des Tages, zu Murats
Hochzeit, welche ja nun in ein paar Wochen stattfinden würde. Murat hatte
sich natürlich seine Zukünftige selbst aussuchen können - sie hieß Canan und
war Jura-Studentin. Er hatte sie auf der Uni Stuttgart kennen gelernt, wo er
jetzt kurz vor seinem Examen stand. Das war vor 2 Jahren gewesen. Canans
Eltern waren zwar gläubige sunnitische Muslime, aber ihre Tochter hatten sie
auch fast genauso liberal erzogen wie Gülsüm von ihren Eltern erzogen war.
Die Hochzeit sollte aber wenigstens ein wenig nach türkischer Tradition
gefeiert werden, auch wenn Männer und Frauen zusammen feiern würden.
Es war schon ein großer Saal für fast 200 Leute gemietet worden. Erkan und
Canans Vater Ramazan übernahmen jeweils die Hälfte der Mietkosten für die
Halle. Für das Festessen und die Dekoration sorgten sich jeweils die Frauen
Nuray, Gülsüm und Canans Mutter Selma.

Misstöne

Es waren nun 2 Wochen vergangen und wir beiden, Gülsüm und ich waren
nun ein Paar. Wir konnten über alles reden und jede freie Minute, die ich
zusammen mit Gülsüm verbringen durfte war wie der Frühling, der nun mit
viel Wärme kam. Überall sah man wie sich die Zugvögel aus Süden ein Nest
suchten, wie überall die Menschen sich aufmachten aus dem Wintermuff raus
in den Frühling, um Neues zu beginnen.
Wir waren uns nun nach einigen Wochen zwar schon sehr vertraut, ließen uns
aber noch mit dem intimsten Geheimnis der Liebe Zeit: Ich wollte das alles
ganz romantisch erfahren, auch wenn mir klar war, das Gülsüm dieses
Geheimnis schon mit 2 Freunden vor mir geteilt hatte.
Heute war Samstag, der 1. Mai und es war nicht nur irgendein Tag, sondern
Murat und Canan würden sich heute das Jawort geben. Ich war zu dieser
Hochzeit eingeladen, wohl auch fast als einziger Deutscher, denn in erster
Linie wurde natürlich erst einmal die ganze Verwandtschaft der Familien
Yildirim und Aktürk eingeladen, hinzu würden wohl noch ein paar Freunde der
Beiden kommen, die aber auch zum größten Teil türkisch stämmig waren.
Es war ein lauer Abend an diesem 1. Mai - während andere nun schon nach
kurzen Radtouren und ein paar Bierchen für den Rest des Tages lahm gelegt
waren, traf ich mich mit Gülsüm an der Reiterhalle, die zur Festhalle
umgebaut worden war.
Es waren tatsächlich um die 200 Personen, die nun langsam die Reiterhalle
füllten, viele junge Türken, das mir auch ein wenig mulmig zu Mute war.
Murat und Mehmet waren wirklich in Ordnung und auch Gülsüms Eltern
hatten mich sofort in ihr Herz geschlossen, wie aber würden wohl an diesem
Abend andere auf dem Fest reagieren, wenn sie wüssten, dass ich und Gülsüm
zusammen sind?
"Naja, die meisten," meinte Gülsüm zu mir, "werden wohl nichts sagen und
unsere Beziehung akzeptieren. Die Verwandten von mir sind wirklich auch
recht aufgeschlossen."
Und tatsächlich, von den meisten wurde ich freundlich begrüßt und
tatsächlich saßen in den hintersten Reihen doch noch einige deutsche
Studenten, Kollegen von Murat, sie allerdings saßen für sich, während ich
mich neben Gülsüm und Vater Erkan setzte.
Die Frauen hatten sich schick gemacht - die Jüngeren trugen alle kein
Kopftuch, nur einige von den älteren - nicht aber Gülsüms Mutter Nuray, die
als Alevitin sowieso nie ihren Kopf bedeckt hatte. Canans Mutter Kopf
dagegen war mit einem Kopftuch bedeckt, wo auch nicht ansatzweise Haare
herausragten und sie hatte ein langes besticktes Kleid an.
Auch Canan trug ein besticktes Kleid, nur war dieses ganz in Weiß, ihre
Hände waren mit Henna bemalt, welches so in türkischer Tradition üblich
war. Ihr Gesicht war durch einen Brautschleier bedeckt und man wollte halt
nach türkischer Tradition, die Braut und den Bräutigam heute Abend so
zusammen führen, als wären sie sich vorher noch nie begegnet und müssten
erst einmal einander beschnuppern ( in Wirklichkeit kannten sie sich ja nun
schon 2 Jahre von der Uni ).
Es war einfach traumhaft mit anzusehen, wie die beiden jeweiligen Eltern
Braut und Bräutigam zueinander hin führten. Sie kamen sich immer näher
Schritt für Schritt. Erkan und Nuray hielten Murat an der Hand und auf der
anderen Seite führten Canans Eltern die Braut an der Hand. Dann wurde der
Schleier der Braut vorsichtig geöffnet und Canan durfte Murat in ihre Arme
schließen.
Im Laufe des Abends gab es türkische Folklore, denn ein begnadeter
türkischer Sänger war für die Hochzeit organisiert wurden und spielte auf
einem türkischen Saiteninstrument, dessen Name Saz oder so ähnlich hieß.
Im Laufe des Abends wurde getanzt und gesungen, die Männer stellten sich
auf der einen Seite in einer Reihe auf, gaben sich die Hand und fingen an zu
tanzen und das Gleiche machten auf der gegenüberliegenden Seite die
Frauen. Das alles wirkte ein wenig wie kurdischer Volkstanz, wenn ich dies
hier so erwähnen darf.
Der Abend hatte wirklich gut angefangen, bis dann doch einige Cousins aus
Canans Familie zu mir hinüber sahen und sich über mich unterhielten. Sie
waren mir doch ein wenig unangenehm, denn sie wirkten ein wenig
proletenhaft, ganz im Gegensatz zu Murat.
Dann kamen zwei von ihnen auf mich zu mit ernster Miene, denn sie schienen
wohl irgendetwas zu klären wollen. Gülsüm und Erkan guckten mich fragend
an. Dann wand sich einer der Beiden an Erkan und fragte ihn etwas auf
türkisch. Erkan erwiderte etwas und die Beiden wandten sich grimmig von
uns ab.
Jetzt erkannte ich die Beiden wieder - natürlich das waren Nuri und Özkan,
mit denen ich zu Realschulzeiten recht unangenehme Erfahrungen machen
musste. Die Beiden waren damals auf der neben liegenden Hauptschule und
kamen oft in der Pause auf den Realschulpausenhof um ein wenig Ärger zu
machen, um es ein wenig diplomatisch auszudrücken. Naja und einmal hatte
ich mich zusammen mit meinen Kumpels über sie mokiert, da hätten sie mich
beinahe zusammengeschlagen aus Dankbarkeit versteht sich.
Schade, dass es immer wieder solche Leute wie Nuri und Özkan gibt, die
immer Ärger machen wollen, dachte ich in diesem Augenblick. Aber was
würde ich auch mit den Beiden zu tun haben, sie waren ja schließlich nur
Canans Cousins. Canans Eltern und ihre Schwester Aylin dagegen waren
wirklich sehr nett, auch wenn ihre Eltern nicht so gut Deutsch sprechen
konnten. Ramazan, Canans Vater sprach auch einige Worte mit mir und fand
es sehr beeindruckend, daß ich als Deutscher Gülsüms Freund war, der es
wirklich Ernst mit ihr meinte. Und ich war froh darüber, dass ich Leute wie
die Aktürks kennengelernt hatte, die sich zwar sehr wohl an die
Glaubensregeln des Korans hielten, doch aber gegenüber anders Denkenden
sehr aufgeschlossen war.

Liebe wie in tausend und eine Nacht

Wieder waren nun einige Wochen vergangen und wir beide waren nun schon
seit über einem Monat fest zusammen. Auch wenn unsere Eltern davon
wussten, war unsere Beziehung auf der Station 9 eigentlich kein Thema, auch
wenn die Schwestern und Pfleger es insgeheim wussten, dass wir ein Paar
waren.
Nun kam auch der Abend, der irgendwann einmal kommen musste und auch
sollte. Wenn man bedenkt, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen
ungefähr im Durchschnitt mit 16 Jahren dieses Erlebnis zum ersten Mal
genießen können, war ich mit meinen 20 Jahren schon recht spät dran.
Aber es sollte total romantisch werden, für mich und für Gülsüm, eigentlich
ein wenig wie in Tausend und eine Nacht.
Es sollte nicht spontan passieren, sondern abgesprochen, denn ich wollte
natürlich Gülsüm nicht dazu nötigen.
Heute Abend ging meine Mutter mit ihrem neuen Freund "Willi" aus, von dem
sie mir schon vor schwärmte, dass er die zweite große Liebe ihres Lebens
wäre. Ja eigentlich sogar die erste große Liebe, denn auch wenn sie es nicht
zugeben wollte, meinte sie manchmal immer noch, dass die Sache mit Papa
eine vom Gefühl her falsche Sache war, auch wenn sie denn mit ihm
zusammen fast 20 Jahre ihres Lebens verbracht hatte.
So war ich also an diesem Abend alleine zu Hause und konnte schalten und
wallten wie ich wollte. Gülsüm würde kommen und da ein Teil ihres Namens
Rose bedeutete, dachte ich an den Song von Bon Jovi "Bed of roses", der mich
auf eine Idee brachte. Dazu pflügte ich einige Rosenblüten von den
Rosenstöcken aus unserem Garten und damit das nicht so auffiel, mußte ich
mir doch noch 3 Dutzend Rosen kaufen, die ich dann zerpflügte. Sie alle legte
ich auf das gemachte Bett. Dann hing ich rote gebatikte Tücher an die Wände
und malte mit einem Edding ein blaues Herz in die Mitte. Gülsüm hatte
versprochen heute Abend orientalische Düfte mit zubringen, die sie von einem
Bazar aus Istanbul mitgebracht hatte. Sie selber hatte sich Canans
Hochzeitskleid mitgebracht.
Es war inzwischen nach 21.00 Uhr gewesen, als sie in Motorradklamotten und
dem Hochzeitskleid vor der Tür stand, denn sie und ich wollten uns nun auch
wirklich vergewissern, dass meine Mutter uns nicht stören würde.
Es ging an diesem Abend fast alles ohne Worte...Gülsüm zog sich zurück in
unser Bad, um sich umzuziehen - ich selber hatte mich schon vorher in einen
Pyjama geworfen und hatte darunter eine sexy Stringtanga an, die ich mir mit
hochrotem Kopf im Sexshop auf der anderen Seite der Straße ausgesucht
hatte.
Dort hatte ich auch einige Noppenkondome mit Erdbeergeschmack besorgt,
wusste allerdings nicht so genau, wie man sich den nun ein Kondom
überstülpt.
Dann kam Gülsüm ganz in weiß und mit einem Gesichtsschleier aus dem Bad
geschritten. Ich machte nun romantische Musik an und dann kam sie immer
näher geschritten, nahm mich bei der Hand.
Dann packte ich sie an ihrem seidenen, weißen Kleid und trug sie
sprichwörtlich in meinen Armen auf das mit Rosen bedeckte Bett. Ich trug sie
wie ein Bräutigam eine Braut trägt.
Wir hatten vorher über alles gesprochen, außer über die Verhütung. Und so
fragte ich sie ein wenig unromantisch als wir uns auf das Bett gelegt hatten:
"Du Gülsüm, wie ist das eigentlich mit der Verhütung? Sorry, daß ich jetzt so
unromtisch bin, aber darüber sollten wir uns an dem heutigen Abend ernste
Gedanken machen." Dann legte sie ruhig ihren Finger auf meinen Mund und
flüsterte mir ins Ohr: "Ich nehme die Pille, denn ich hatte sie, nachdem ich mit
Süleyman Schluß gemacht hatte, noch nicht abgesetzt. Aber keine Sorge ich
streif Dir schon gleich das Kondom über."
Und dann versank mein Kopf in einer lockigen Haarpracht, denn den
Brautschleier hatte sie inzwischen abgelegt. Wir zogen uns gegenseitig immer
weiter aus, bis ich nur noch meine Stringtanga und sie einen Slip und eine
Seidenbluse trug.
Ich führte ihren Kopf langsam an der Brust und meinem nackten Bauch runter
- ich bebte vor Erregung. Es würde wohl für mich ein einprägsames Erlebnis
werden, daß wusste ich. Nun mit 20 Jahren wäre ich nicht mehr so unreif, wie
manch 15, 16jähriger.
Mir gingen in diesem Moment doch einige Ängste durch den Kopf, denn ich
hatte auch Angst zu versagen. Ich ließ mich natürlich führen, denn wie man
als Liebhaber mit einem Mädchen richtig umgeht, kannte ich nur theoretisch
aus der Bravo ( die hatte ich allerdings das letzte Mal vor über 3 Jahren
gelesen ), naja und aus unseriöseren Quellen wie Praline oder Coupé, wo von
scharfem Lümmellecken und Bärenkraulen gesprochen wurde.
Sie führte mich sanft in die Liebe ein, streifte mir das Noppenkondom über, so
dass eigentlich nichts schiefgehen konnte. Dann legte sie langsam ihr Becken
auf mich und naja den Rest konnte man sich denken....
Wir fühlten uns nun wie eins und meine Angst zu verkrampfen oder zu
versagen war wie weggeblasen.
Was mich natürlich in der Situation interessierte war, wie es denn so mit
Gülsüms bisherigem Liebesleben war. Ich versuchte nachdem wir uns wieder
angezogen hatten ein wenig nach zu bohren. Sie aber reagiert auf dieses
Thema ein wenig gereizt: "Weißt Du, wichtig ist doch was wir füreinander
empfinden, nicht was sich bei meinen vorherigen Freunden abspielte. Ich
hatte Dir ja erzählt, dass ich schon 2 feste Freunde hatte mit denen ich auch
geschlafen hatte. Beides waren ja Türken und naja mein letzter Freund
Süleyman hielt mich erst auch für ein Flittchen, weil ich ja nun keine Jungfrau
mehr sei. Naja und mein Freund davor war noch etwas unreif, ließ mich
wegen einer anderen blonden Deutschen sitzen. Das ist aber auch schon fast 4
Jahre her. Ich möchte jetzt keinem mit dem Anderen vergleichen, denn wir
sind doch nun ein Paar. Wir haben die Zukunft vor uns, wer kann uns schon
aufhalten."
Ja in der Beziehung hatte sie wohl recht, wer könnte uns jetzt noch aufhalten,
denn nun teilten wir ein inniges Geheimnis, das uns zu Partnern, Kumpels und
Blutsbrüdern machen sollte.

Ein schöner Ausflug in die Freiheit

Gülsüms ganzer Stolz war ihre Harley-Davidson, auf der sie die Freiheit
genoss, aber auf der sie auch leider ihr tragisches Ende finden würde.
Sie war es damals, die mich dazu ermutigte selber einen
Motorradführerschein zu machen. Wir beiden, so war ihre und meine
Vorstellung, würden zusammen gen Himmel oder zumindest auf der Route 66
bis zum Horizont fahren. Niemand könnte uns, die Heinrichs-Yildirim-Gang
aufhalten. Gülsüm war der Mensch, der mich in den letzten Jahren am meisten
motivierte, der mir neue Kraft und neues Selbstbewusstsein gab.
Zu dieser Zeit hatte ich kein besonderes Verhältnis zu meinem Vater und ihr
Vorschlag war, ihn einfach mal besuchen zu fahren, mit der Harley-Davidson
versteht sich natürlich. Er wohnte nicht bei uns im regnerischen Bielefeld,
sondern arbeitete nun als Ingenieur in Berlin. Ja, er war es auch, der mit half
die Baupläne für die neuen Regierungsgebäude zu planen, die damals noch
nicht ganz fertig gestellt waren.
Ich hatte irgendwie unheimlichen Bammel hinten auf der Maschine und dann
mit über 100 Sachen über die Autobahn. Da war ich dann Gülsüm alleine
ausgesetzt. Sie aber versicherte mir vorsichtig zu fahren.
Dann ging es los und immer auf der A 2 Richtung Hannover, dann nach
Magdeburg, bis nach Berlin. Mein Vater wusste nichts von unserer Ankunft,
für ihn sollte es eine Überraschung werden.
Gülsüm fuhr mir zu Liebe nicht ganz so schnell, denn auch bei 120
Stundenkilometer begannen wir fast nur noch so über die Autobahn wie ein
Sturm hinweg zu fegen. Die Autos kamen uns manchmal bedrohlich nahe,
aber wir trotzen der Gefahr. Wäre Gülsüm nur an jenem regnerischen
Novembertag 2 Jahre später ähnlich vorsichtig gefahren, aber das alles
konnte ich ja damals noch nicht vorausahnen.
Als wir dann über die ehemalige Zonengrenze hinaus waren, überholte uns
eine Motorradgang und mir war so, als hatten uns da welche von der Gruppe
den Stinkefinger gezeigt. Die bretterten mit 180 hinfort und wir genossen die
unbegrenzte Freiheit schon bei 120.
Irgendwann konnte ich Gülsüm nicht mehr an ihrem Nierengurt weiter
festhalten und wir beschlossen, ehe ich losließ, doch zur Rast ein zu kehren.
Wir waren bereits fast bei Magdeburg und da konnten wir uns gemütlich in
einer McDonalds-Filiale einen dicken BigMac und ein paar Fritten mit Plastikmayonnaise
reinziehen.
So gemütlich allerdings wurde es dort nun auch nicht, denn an unserem
Nachbartisch hatten sich einige Glatzen gesetzt, die wohl zu einer
Naziveranstaltung in Potsdam wollten, jedenfalls unterhielten sie sich
darüber. Argwöhnisch guckten sie zu uns rüber, dann betrachteten sie
Gülsüm. Hier in Ostdeutschland waren sie es halt nicht gewöhnt so oft ein
türkisches Mädchen zu sehen. Wir allerdings ließen uns nicht beunruhigen,
sondern aßen in Ruhe weiter. Gülsüm fühlte sich hier nicht so sehr wohl,
obwohl uns nur die Glatzen am Nachbarstisch beobachteten, andere
beachteten uns fast gar nicht.
Schließlich gingen wir raus Richtung Motorrad und die Glatzen schienen uns
zu folgen. Mir war nun auch ein wenig mulmig zu Mute. Dann begannen sie
plötzlich mitten auf dem Parkplatz das Horst-Wessel-Lied zu singen, was uns
nicht störte, doch dann kam eine Beleidigung, die übler nicht sein konnte. Sie
fingen an ein alten Onkelz-Lied zu grölen, als die Band noch braun war.
"Türken-F.... kahl rasiert" sangen sie laut im Refrain. Das war auch für
Gülsüm zu fiel. Sie sah sich sehr in ihrer Ehre verletzt, das obwohl ihr Ehre
nicht so viel bedeutete. Sie wollte auf die 3 lospreschen - ich allerdings konnte
sie noch gerade so zurückhalten und sie Richtung Motorrad bewegen, denn
nun war es wohl das Beste schleunigst zu verschwinden.
Armes Deutschland, dachte ich in diesem Moment nur. So fuhren wir beide zu
tiefst gekränkt und gedemütigt Richtung Berlin. Am Abend dann bei meinem
Vater angekommen, wurden wir dann doppelt belohnt.
Gülsüm war inzwischen wieder in bester Laune und hatte auch ihre verletzte
Ehre ganz schnell vergessen. Gott-sei-Dank waren uns die Rechtsradikalen
dann nicht weiter gefolgt.
Wir klingelten bei meinem Vater an, den ich nun schon seit Weihnachten nicht
mehr gesehen hatte. Erstaunt blickte er erst mich und dann Gülsüm an, er der
mal zu Zeit der 68´ger Revolution bei jeder größeren Studentenrevolte dabei
war. Er dachte in manchen Dingen liberaler und nicht so verbissen wie meine
Mutter. Was freute er sich doch mich zu sehen, mich der eigentlich der
Einzigste war aus der Familie, der sich mal bei seinem Vater meldete. Würde
mein Vater, meine Schwestern nicht ab und zu anrufen, wäre zu ihnen der
Kontakt völlig abgebrochen.
Ich glaube, zu der Zeit konnte ich meinen Vater schon besser verstehen,
weswegen er nach fast 20 Jahren Ehe damals vor 8 Jahren meine Mutter
verließ. Es ging damals halt nicht mehr anders.
Er begrüßte auch Gülsüm herzlich und freute sich für mich, das ich nach all
den Jahren des Suchens nun endlich eine feste Freundin hatte. Das sie Türkin
war, störte ihn nun wirklich nicht, denn er wusste selber, das die türkische
Gesellschaft hier in Deutschland recht unterschiedlich in ihren Denkweisen
war.

In Berlin-Kreuzberg

Wir wollten nicht nur diesem Samstag in Berlin verbringen, sondern auch das
gesamte Wochenende. So blieb uns also genügend Zeit um die Stadt unsicher
zu machen.
Das berühmteste und gleichzeitig wohl auch gefürchtetste Viertel in Berlin ist
wohl Kreuzberg, wo Orient und Okzident zusammen kommen, aber auch
völlige moralische Gegensätze wie strenggläubige Moslems und
Transvestiten.
Hier wohnte auch ein Cousin von Gülsüm, der für einen türkischen
Fernsehkanal hier in Berlin arbeitete. Er war Junggeselle und hatte hier an
der Uni Berlin Soziologie studiert. Nebenbei war er auch in einer
Theatergruppe, speziell für türkische Intellektuelle, aber auch für das
deutsche Publikum.
In einem Berliner Hinterhof hatte er seine Bude, nicht groß aber besser als es
sich jetzt anhört. Ich kam mit zu ihrem Cousin Ergün.
Ergün war ein wenig überrascht mich zu erblicken, war aber doch sehr
erfreut darüber, das ich mich tatsächlich in dieses Viertel gewagt hatte.
Heute Abend war es wieder so weit, da wollte Ergün das Stück "Yusuf und
sein deutscher Schäferhund" aufführen, was eine bissige Satire auf deutsche,
wie auch auf türkische Vorurteile war. Es ging um Klaus, einen deutschen
Feierabendnazi, der gegen alles meckerte, ins besonders gegen Ausländer. Er
wurde in Art eines modernen Alfred das Ekel dargestellt.
Und dann war da noch Yusuf, ein sehr national gesinnter Türke, der gegen
alles wetterte, was nicht türkisch war. Irgendwie lernten sich dann Yusuf und
dieser Klaus kennen. Naja und über jenen deutschen Schäferhund dann, der ja
nun ebenfalls das Stück betitelte, wurden sie noch zu Freunden.
Das Publikum schien nicht sonderlich groß zu sein, bestand aber doch sehr
wohl aus einigen Deutschen, die sich auch das Stück anguckten.
Nach der Show schüttelte Ergün den Kopf, er, der dieses Stück nun auch
geschrieben hatte, denn was er uns bisher verschwiegen hatte, war ein
Drohbrief einer rechtsradikalen türkischen Gruppe, den er vor einigen Tagen
erhalten hatte. Das machte ihn schon ein wenig traurig und er überlegte
tatsächlich dieses Stück, was er geschrieben hatte, abzusetzen.
Ergün war jemand der sowohl die spießige deutsche, wie aber auch türkische
Gesellschaft aufs Korn nahm, was ihm natürlich nicht sehr viele Freunde
bereitete, aber er meinte, das alles müsste offen ausgesprochen und nicht
ständig unter den Teppich gekehrt werden.
Ergün versuchte Tabus zu brechen, die vielleicht für viele Deutsche kein Tabu
mehr sind, wohl aber für Türken. Z.B. hatte er neulich über homosexuelle
Türken aus Kreuzberg berichtet, ein sehr heikles Thema war das gewesen.
Aber nur so, meinte er, würde dieses vielleicht auch langsam bei
konservativeren Türken akzeptiert.
Unsere Beziehung brachte ihn auf eine Idee, denn er wollte doch mal schauen,
wie die Leute in der Fußgängerzone reagierten, wenn ich mir ein großen
Kreuz um den Hals hängen würde, um zusammen mit Gülsüm Arm in Arm, sie
in einen schwarzen Tschador (islamischer Ganzkörperschleier) gehüllt, durch
die Stadt gehen würde.
Diese ganze Szene würde er dann am Sonntag Morgen filmen wollen, um
dann eine Umfrage unter der Bevölkerung zu starten.
Gesagt getan, so gingen wir also ins Stadtzentrum von Berlin, wo wir diese
Szene in der Fußgängerzone filmten, es war nun schon fast Mittag, so daß
man die ein oder andere Person in der Stadt schon antreffen konnte.
Viele Leute guckten uns argwöhnisch an und wußten nicht recht, was sie
davon halten sollten. Auch türkische Leute drehten sich argwöhnisch und
befremdlich nach uns um.
Als Ergün dann anschließend das Mikrophon zücken wollte, um die Leute
nach ihrer Reaktion zu interviewen, verweigerten sich allerdings die Meisten.
Andere schüttelten nur verständnislos den Kopf und meinten: "Was soll das.
Wieso läuft diese Frau mit so einem schwarzen Umhang rum, ist die denn so
entstellt, das sie nicht einmal ihr Gesicht der Öffentlichkeit zeigen kann."
Oder auch "Ist das ein katholischer Pater, der einer Iranerin über die Straße
hilft?"
Aber die eigentlichen Reaktionen, die Ergün eigentlich erwartete, blieben aus.
"Tja," meinte er. "Die sind wohl allesamt von einem anderen Planeten oder
so !"
Ein wenig enttäuscht, aber auch ein wenig stolz auf diese ungewöhnliche
Aktion fuhren wir dann anschließend nach Hause.

Ein Sommer voller Überraschungen

Es wurde ein wunderschöner Sommer in jenem Jahr und auch ich machte mir
nun einige Gedanken, wo und mit wem ich denn meinen Urlaub verbringen
sollte, der allerdings erst für den Spätsommer oder Frühherbst angesetzt war.
Es war sehr schade, aber mit Gülsüm könnte ich nicht zusammen in den
Urlaub fahren, denn organisatorisch ging es nicht anders, daß sie schon 3
Wochen im Juli Urlaub bekam, ich allerdings erst Ende September. Da half
kein Biegen und Drehen, dachte ich zu jener Zeit.
Gülsüm trat ihren Urlaub an und fuhr zusammen mit ihrem Bruder Murat und
ihrer Schwägerin Canan in die Türkei nach Antalya und anschließend nach
Istanbul auf Verwandtenbesuch. Dort würden sie auch auf Erkan und Nuray,
Gülsüms Eltern stoßen, die dort dann im Kreise der Verwandtschaft in jenem
Jahr das Opferfest (islamische Feier, wo an Abraham gedacht wird, wie er
anstatt seines Sohnes, einen Hammel für Gott opferte).
Gülsüm fiel im Sommer nichts anderes ein, als in die Türkei, die Heimat ihrer
Eltern zu fliegen, so tat sie das auch, um nicht zu Hause die 2 Wochen
abgammeln zu müssen, denn ich war zu dieser Zeit auch oft mit anderen
Dingen beschäftigt, machte unter anderem meinen Motorradführerschein
nach (dieses machte ich auch Gülsüm zu Liebe).
Als Gülsüm dann ein wenig genervt von den vielen Verwandten aus der Türkei
zurück kam, kam sie mit einer Überraschung an mit der ich nicht gerechnet
hatte.
So stand sie also an jenem Abend Anfang August vor meiner Haustür. Ich
hatte nun eigentlich damit gerechnet, daß sie erst einen Tag später aus der
Türkei zurückkommen würde, aber sie stand halt vor meiner Tür.
Überglücklich öffnete ich die Tür, denn da ich in der letzten Zeit doch viel zu
tun hatte, war ich kaum in der Lage unsere Beziehung zu pflegen.
Trotz des warmen Wetters, war sie ganz und ganz in ihre lederne
Motorradkluft gehüllt, auch Handschuhe hatte sie bis jetzt noch an.
"Hallo mein Liebster," begrüßte sie mich mit einem dicken Schmatzer auf die
Wange. Ich bin ein bisschen eher aus dem Urlaub zurückgekommen, als ich
geplant hatte. Naja ganz ehrlich gesagt bin ich heute schon planmäßig zurück,
aber ich hatte Dir halt gesagt, daß ich erst einen Tag später aus dem Urlaub
kommen würde, denn ab Morgen werde ich wieder arbeiten, statt am
Mittwoch mit der Arbeit anzufangen. Das alles hat nämlich auch einen
bestimmten Grund, denn ich habe jetzt doch noch einige Tage im September
frei, genau wenn Du auch Deinen Urlaub hast. Ich bin da halt ein wenig
trickreich und versuche andere so positiv zu überraschen."
"Nichts würde ich lieber tun, als mit Dir wegzufahren," entgegnete ich ihr.
"Ja und weißt Du was?" fuhr sie fort. "Ich habe mir auch schon was ganz
besonderes einfallen lassen, wohin denn die Reise gehen könnte. Wie ich
weiß, machst Du ja gerade Deinen Motorradführerschein nach und Du bist ja
ungefähr im September damit fertig. Und weißt Du was, ich habe Dir noch gar
nicht erzählt, das mein zweitältester Bruder Mehmet auch eine Harley besitzt.
Irgendwie ist ihm das Motorrad fahren vor einigen Monaten zu gefährlich,
aber auch zu teuer geworden. Und jetzt möchte er sein Motorrad gerne
loswerden. Dir würde er es supergünstig verkaufen, denn ich hatte mit ihm
gesprochen. Würde er es anders verkaufen, so würde er 1.000,-- DM mehr
nehmen."
Mehmet war momentan ein wenig knapp bei Kasse, denn erst hatte er eine
Ausbildung als Kfz-Mechaniker hingelegt und leistete nun seinen Wehrdienst
bei der Bundeswehr (er hatte auch wie Gülsüm seit 2 Jahren die deutsche
Staatsangehörigkeit) ab, wo er einen noch knapperen Sold als ich erhielt.
So besuchten wir am kommenden Wochenende Mehmet, der Wochendienst
hatte und zusammen fuhren ich, Gülsüm und Mehmet am Truppenübungsgelände
vorbei immer weiter und weiter.
Mehmet war anders als Murat, denn Murat war ein wenig melancholisch und
vielleicht auch ein wenig depressiv und nachdenklich, während Mehmet eher
wie seine Schwester auch der Partytyp war, wobei gesagt werden muss, dass
er durchaus vernünftig handelte und seine Grenzen kannte.
So kaufte ich an diesem Wochenende Mehmet das Motorrad für 3.500,-- DM
ab, wobei er mir die Maschine bis zu mir auf den Hof fuhr.
Da war sich doch meine Mutter schwer am wundern, als plötzlich ein junger
Türke mit seinem Motorrad auf die Hofeinfahrt ihres Hauses fuhr, denn sie
hatte diese Situation mitgekriegt, war dann aber beruhigt, als ich und Gülsüm
ein paar Minuten später auch bei mir zu Hause eintrafen.

Ferien mit Gülsüm

Es war schon fast Oktober, als ich so mit Ach und Krach doch noch meinen
Motorradführerschein bestand, denn dieser Schein war mir auch sehr wichtig
- ohne ihn könnte ich mit Gülsüm nicht in die Ferien düsen.
Wir wussten nun nicht so genau, wohin die Reise gehen sollte, denn leider
hatte sie nur eine Woche frei bekommen und so waren wir natürlich auch ein
wenig eingeschränkt von der Wahl unseres Zieles.
Wir waren uns dann doch einig, mal einen Motorradausflug nach England und
Wales zu unternehmen, denn weder ich noch Gülsüm waren hier gewesen.
Meine Mutter hatte mal wieder ein wenig Angst um mich, ich der ich ja nun
gerade erst meinen Motorradführerschein bestanden hatte, doch als ich ihr
versicherte, daß Gülsüm und ich doch sehr gemäßigt fahren würden, ließ sie
ihre Sorge um mich doch ein wenig los.
Aber ganz so vorsichtig bretterten wir dann doch nicht über die Autobahnen,
nur wenn uns Staus zur Tempoeinhalt geboten (wobei man da ja mit dem
Motorrad bequem überholen kann). Jetzt war Frühherbst und die milde
Altweibersommer- sonne schien ihre letzten warmen Strahlen für dieses Jahr.
Wir fuhren an Wälder, Wiesen und Städten vorbei, an Köln, an Brüssel, an
Ostende bis wir in Calais ankamen. Dort wartete auch uns die Fähre nach
Großbritannien. Sehnsüchtig schauten wir über das Meer, suchten allerdings
vergebens die Felsen von Dover, denn so weit reichten unsere Blicke auch
nicht.
Auf der Fähre dann blickten wir die ganze Zeit sehnsüchtig rüber und dann
kamen die Felsen des Vereinigten Königreiches immer näher. So erreichten
wir nach über einer Stunde das britische Festland und die ärmliche
Kanalstadt Dover mit ihren Krimskramsläden.
Weder ich noch Gülsüm waren bisher in England gewesen und mußten uns
denn veränderten Straßengegebenheit mühsam anpassen, aber auch das
bekamen wir hin.
Heute Abend wollten wir in der Megametropole London verbringen, wussten
allerdings noch nicht in welcher Nobelherberge oder auch in welchem
abgefuckten Hotel wir die Nacht verbringen würden.
In London angekommen herrschte mal wieder das Verkehrschaos, vor allen
Dingen auf dem Autobahnring, der sich beleuchtet um London herumzog, aber
nur so voller Baustellen gespickt war.
Mühsam quälten wir uns nun durch die Straßen zur Rush-hour. Wir fanden,
daß es doch wohl, das Beste wäre in einer Jugendherberge unterzukommen.
Und so fanden wir tatsächlich eine Herberge nicht weit von dem berühmtberüchtigten
Viertel Soho. Diese Herberge hatte eine großen Empfangshalle
fast wie bei einem Hotel.
Das Zimmer, das man uns zeigte, ließ uns dann allerdings doch wieder die
Realität erkennen, daß wir uns nicht unbedingt in einem Hotel befanden.
Zwar hatten wir keine Stockbetten, aber außer einem Doppelbett war das
Zimmer recht spartanisch gehalten. Aber wir hatten einen herrlichen Blick auf
die nun in die Dämmerung fahrenden Autos, die jetzt immer noch Auto an
Auto vorbei rauschten, wie auf einer großen Chaussee.
Nun wo der Abend gekommen war, wollten wir uns in das Nachtleben dieses
ominösen Viertels begeben. Da es nun schon bald Anfang Oktober war, wurde
es ja nun schon recht früh dunkel und trotzdem war es noch recht früh am
Abend.
Wir schritten die großen Geschäfte lang, die inzwischen geschlossen hatten.
Uns begegneten sogenannte Rosenverkäufer, deren Rosen allerdings schon an
der nächsten Ecke verwelkt waren, Jongleure, Rotlichtmiezen und sogenannte
indische Sikhs, die mit ihren Turbanen auf dem Kopf überhaupt nicht wie
Fremdkörper in diesem Straßenbild wirkten.
Und so fanden wir uns schließlich in einem richtig englischen Pub wieder, wo
es Guiness und andere englische Biersorten in Hülle und Fülle gab. Ich, der
ich sonst eigentlich sonst nicht so viel trank, ließ mich von bierbäuchigen
Engländern dazu überreden, mich unter den Tisch saufen zu lassen. Die Jungs
schienen wirklich in Ordnung, nur waren wohl um so einiges trinkfestiger als
ich. Gülsüm als Frau hielt sich doch eher zurück, denn obwohl sie auch des
öfteren mal Alkohol trank, ließ sie es lieber bei einem Glas Bier gut sein.
Mir wurde immer schummriger und schummriger zu Mute, ja ich war
regelrecht betrunken und nur Gülsüm war noch vollen Sinnes. Und da
passierte etwas, wo mit keiner von uns so recht gerechnet hatte.
Ich konnte mich nur noch so ganz eben erinnern, das 2 Kerle wie Schränke in
den Pub kamen. Keith, der eine Engländer, den wir an diesem Abend
kennnengelernt hatten schien die Beiden zu kennen. Doch dann schien es zu
Auseinandersetzung zu kommen zwischen den Beiden und Keith. Die beiden
Schränke waren allerdings auch schon so stramm, daß sie kaum noch gerade
gehen konnten.
Ich hörte nur Worte wie "Fucking bitch" und dann faßten die Beiden Gülsüm
an die Brust. Meine Müdigkeit begann nun in Wut umzuschlagen. Ab da hatte
ich dann einen Filmriß. Als ich aufwachte befand ich mich im Police-Office.
Oh, was war nur weiter passiert, fragte ich mich in diesem Moment mit
dickem Kopf.

Mit einem Bein im Gefängnis

Da saß ich nun im Police-Office und Gülsüm stand dabei. Gülsüm konnte
hervorragend Englisch sprechen, überhaupt schien Gülsüm recht
sprachbegabt zu sein, aber nun sie war ja auch 2sprachig aufgewachsen.
Außer Englisch, Deutsch und Türkisch, beherrschte sie noch ein bißchen
Französisch und Spanisch. Ich dagegen hatte auf der Realschule nur leidlich
Englisch gelernt, was ich am Besten betrunken sprechen konnte, wie es sich
an diesem Abend herausstellte. Ach ja das Jahr Französisch nicht zu
vergessen, aber ich glaube inzwischen hatte mir Gülsüm schon mehr Türkisch
beigebracht, als ich je an Französisch sprechen konnte, das nur so nebenbei
erwähnt.
Auch wenn ich mich gedanklich nun versuchte weg zu beamen, befand ich
mich immer noch im Police-Office und Gülsüm stand Gott-sei-Dank noch
neben mir.
Ich war viel zu müde, um noch richtige Antworten geben zu können und dann
noch auf Englisch. Schließlich notierte sich der Sergeant etwas auf seinem
Notizzettel, warf einen Blick auf den Computer, schaute dann auf unsere
deutsche Ausweise, nickte dann zufrieden und ließ uns dann frei.
Man zeigte uns den Weg zur Tür nach draußen und brummte irgend etwas
wie ein "Be careful" hinter uns her.
Ich war nun halbwegs wieder nüchtern, nur fühlte ich mich sehr, sehr müde.
Gülsüm faßte sich ans Herz und meinte zu mir: "Was für ein Alptraum heute
Nacht....Weißt Du, daß wir beide mit einem Fuß im Gefängnis standen?? Nur
weil es zu einer Schlägerei gekommen ist, als mich die Kerle, die in den Pub
kamen belästigen wollten. Und diesen Keith hatten sie ja auch angegriffen.
Anschließend hatten sie dann noch die gesamte Einrichtung des Pubs
bearbeitet.
Aber ich konnte sie dann doch noch mit dem Wirt zusammen in die Flucht
schlagen, schließlich war ich ja noch einigermaßen nüchtern." Da begann ich
doch ein wenig zu schmunzeln: "Du, die starke Gülsüm?" "Ja, allerdings stark
ist übertrieben. In manchen Momenten bin ich vielleicht mutig, aber gewiss
nicht stark. Ich war wohl früher mal im Karate -und Judoverein, aber da war
ich so 13, 14, 15."
Nun schaute ich Gülsüm müde, aber glücklich in die Augen. Dann meinte
Gülsüm zu mir: "Wie Du die Kerle vorhin angegangen bist, war aber auch
nicht schlecht. Naja und das wir auf der Polizeiwache deswegen waren, hat
sich ja nun Gott-sei-Dank auch erledigt. Du kannst auch ganz schön gefährlich
werden, nicht so offensichtlich, aber Du hattest vorhin auch eine ganze Menge
Mut."
"Mut," seufzte ich. "Was ist Mut, nennst Du das vielleicht Mut, daß weil ich
betrunken war plötzlich recht angriffslustig wurde??" Nein, das war es
natürlich nicht was Gülsüm meinte. Aber das war ja auch jetzt egal. Jetzt hieß
es erst einmal den Weg zu dieser verflixten Herberge finden.
Es war nun inzwischen kalt und ungemütlich geworden, denn jetzt in den
Nächten konnte es zu dieser Jahreszeit schon bitterkalt werden.
Orientierungslos begaben wir uns durch die Straßen dieser großen Stadt und
kamen uns vor wie in einem riesigen Labyrinth. Schließlich kamen wir noch
auf die Idee in einem U-Bahnschacht zu nächtigen.
Aber es half alles nichts, wir mussten unser Hotel wieder finden. Schließlich
sahen wir, wie ein Penner in einer Mülltonne nach etwas zu essen wühlte, in
Deutschland wäre so eine Situation undenkbar. Und da wir nun keinen
anderen fragen konnten außer den Penner, wo es denn wohl zu unserem Hotel
ginge, fragten wir ihn, die wir nur wussten, das unser Hotel "Palace-
Youthhotel" hieß.
Und tatsächlich, je schäbig und dreckig der Penner auch sein mochte, er gab
uns freundlich Antwort und zeigte uns den Weg wie ein Gentleman. Ja er
bestand sogar darauf und erzählte uns nebenbei so seine halbe
Lebensgeschichte.
Ich wußte nicht genau, ob uns der Penner über Umwege zum "Palace-Youthhotel"
brachte, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe wir da waren.
Jack, wie der Penner hieß, war früher einmal ein Banker, der im Spekulationsgeschäft
bei der Londoner Börse beschäftigt gewesen war. Doch da das
Pflaster in jenem Milieu bekanntlich hart und unerbittlich ist, gingen seine
Geschäfte auch bald den Bach runter. Alkohol und andere Sorgen erledigten
dann den Rest und ließen ihn zum obdachlosen Sozialfall werden.
Doch eine Bitte hatte er dann doch, ob er nicht auch mit in unserem Zimmer
übernachten könne, wozu wir uns dann auch gern überreden ließen.
Allerdings verdonnerten Gülsüm und ich Jack dazu am nächsten Morgen unter
die Dusche zu robben.
Jack verabschiedete sich dann beim Frühstückstisch von uns, zog sein Kappi
auf und verschwand dorthin, wo er herkam, auf die Straße. Gülsüm und ich
hatten uns noch am Frühstückstisch einige Gedanken um Jack gemacht.
Einerseits war es sicherlich ein wenig romantisch durch die Straßen dieser
großen Stadt zu ziehen und jede Ecke von ihr zu kennen. Jack hatte bei
seinem Abschied noch gemeint, dass es eigentlich keinen besseren
Stadtführer gäbe als ihn, der einem London zeigen könnte. Aber dann war da
natürlich noch die andere Seite der Medaille, auf der Straße übernachten zu
müssen oder in Zimmern der Heilsarmee.
Wir hatten allerdings in diesen beiden Tagen schon soviel erlebt, das wir es
für das Beste hielten London so schnell wie möglich hinter uns zu lassen.
An den folgenden Tagen guckten wir uns noch ein bißchen in der Gegend von
Südengland und Wales rum. Doch als das Wetter immer bescheidener wurde,
sahen wir uns doch gezwungen wieder nach good old Germany zurück zu
düsen.

Özlem und die Liebe

Es war inzwischen Winter geworden. Sehnsüchtig dachten ich und Gülsüm
noch an die Zeit zurück mit London zurück. Doch nun kam der Winter, der
zwar nicht so hart wurde und nur wenige Frosttage mit Temperaturen unter 0
hatte, aber es wurde halt doch zu kalt und ungemütlich zum Motorrad fahren.
So fanden unsere gemeinsamen Aktivitäten halt mehr im Haus statt.
Eines Tages waren wir gerade mal wieder bei Gülsüm, das neue Jahr hatte
schon begonnen und die Muslime feierten jetzt noch 28 Tagen Ramaddan, das
Fest des Fastenbrechens, welches auch die Yildirims feierten, obwohl sie als
Aleviten sich nicht ans Fasten hielten. Wir waren im Kreise der Familie, sprich
Gülsüm, Nuray, Erkan, Murat, Canan, Mehmet, Mehmets Freundin Silke (er
hatte auch eine deutsche Freundin !!!) und meine Wenigkeit, da klingelte es
an der Tür.
Gülsüm öffnete und wer stand da vor der Tür: Es war Gülsüms beste Freundin
Özlem. Özlem kam heulend zu uns ins Wohnzimmer und ihr Problem wurde
uns nun auch ganz schnell klar, als wir auf ihren Bauch blickten. Özlem war
schwanger, welches ja an sich ein freudiges Ereignis war, wäre Özlem schon
verheiratet, aber wie sich herausstellte, war Özlem bei einem One-Night-
Stand schwanger geworden.
Özlem war zu Hause zwar nicht so streng erzogen worden und konnte sich
auch ihren späteren Ehemann selber aussuchen, aber eine Schwangerschaft
bei einem One-Night-Stand entstanden, das war auch für Özlems Vater zufiel
und so warf er sie zu Hause raus.
Nun wußte Özlem als Verstoßene nicht, wo sie bleiben konnte. Erkan blickte
sie kopfschüttelnd an und meinte: "Hättet ihr wenigstens verhütet, dann wäre
die Sache sicherlich nicht so schlimm, aber ich kenne Deinen Vater, denn daß
seine Tochter ein uneheliches Kind zur Welt bringen wird, geht über seinen
Verstand. Aber vielleicht könnte ich ja mal versuchen mit ihm von Mann zu
Mann zu reden. Mit Ismahan kann man doch eigentlich reden." "Nein," heulte
Özlem los, zu meiner Familie kann ich nie wieder zurück. Ich habe schließlich
meiner Familie Schande gemacht. Unter anderen Umständen würde mein
Vater vielleicht anders denken, aber meine Onkel und Tanten reden nun mal
anders und wie würde da mein Vater da stehen. Für eine Abtreibung war es
auch zu spät, außerdem wollte ich nicht abtreiben." "Mutig, mutig," meinte
ich vielleicht in diesem Moment ein wenig taktlos.
Bei den Yildirims konnte sie im Moment nicht bleiben, daß wußte ich. Ich
glaube, wenn Gülsüm bei einem One-Night-Stand schwanger geworden wäre,
dann wären Nuray und Erkan auch nicht gerade begeistert gewesen, denn
schließlich sollte ja doch eine gewisse Moral gewahrt bleiben, wobei es zwar
ein Donnerwetter gegeben hätte, aber Gülsüm wäre ganz sicher nicht
verstoßen worden. Schließlich heißt es auch bei den Aleviten: "Hüte Deine
Zunge, Deine Hände und Deine Lenden..."
Dann kam mir ein Einfall, ja Özlem könne ja erst einmal bei uns zu Hause
unterkommen, da sich meine Mutter mit ihrem neuen Freund nach langer Zeit
mal wieder im Urlaub befand.
Gesagt, getan und so quartierte sich Özlem für ein paar Tage bei uns ein. In
einer ruhigen Minute saß ich zusammen mit Özlem und Gülsüm zu Hause an
einem Tisch. Özlem hatte die letzten Tage noch oft bitterlich geweint und
seufzte, daß bei ihr zu Hause doch alles strenger ist, als bei Gülsüm, auch
wenn ich mich erinnern konnte, daß Özlem schon mal mit uns zusammen
abends loszog. An diesem Abend als wir nun zu dritt beisammen saßen, hatten
wir einen Einfall. Es müßte ja ein Junge da sein, der um Özlems Hand
anhalten wollte und der das Kind, das Özlem nun in 2 Monaten zur Welt
bringen würde, als Seins ansehen könnte. Dann wäre ja auch die Ehre von
Özlems Vater Ismahan wieder hergestellt. Und tatsächlich, Özlem rückte
damit heraus, daß sie seit längerer Zeit einen Verehrer hätte, den sie übrigens
bei Murats und Canans Hochzeit kennengelernt hatte. Als sie seinen Namen
verriet, wurde mir zwar fast speiübel bei dem Gedanken, denn es war, Özkan
Canans Cousin, der mir zu Realschulzeiten doch ein wenig Ärger bereitet
hatte. In dem Moment konnte ich dann nur sagen: "Wo die Liebe hinfällt....."
So vergingen wieder einige Tage und meine Mutter kam nach Hause,
natürlich Nichtwissens das Özlem sich erst einmal eine Zeit bei uns
einquartiert hatte. Das war nun halt mal so, wo Mehmet wieder bei den
Yildirims zu Hause wohnte, weil er seine Bundeswehrzeit nun rum hatte.
Sie kam also zur Haustür herein und wollte mich freudig begrüßen. Da kam
sie aber nun ins Wohnzimmer, wo sich Özlem auf dem Wohnzimmersofa ihren
Schlafplatz geschaffen hatte. Da es schon recht spät war, wollte Özlem
schlafen gehen, denn vor morgen früh hatte ich eigentlich nicht mit der
Ankunft meiner Ma gerechnet. Ein wenig verlegen begrüßte Özlem meine
Mutter mit einem Hallo. Meine Mutter war sprachlos und wußte nicht genau,
was sie sagen sollte. Sie hatte ja die Beziehung zu Gülsüm doch akzeptiert,
weil sie wußte, daß auch Gülsüms Eltern nichts gegen mich hatten, aber was
war das?? Da wollte sich eine Freundin von Gülsüm in ihrem heiligen
Wohnzimmer schlafen legen?!
Wortlos ging sie in die Küche, wo ich sie erwartete.
"Wer ist denn dieses hochschwangere Mädchen auf dem Sofa?" fragte sie
mich vorwurfsvoll. "Psst," wollte ich sie beruhigen. "Das ist Özlem, Gülsüms
beste Freundin. Sie bleibt hier nur für ein paar Nächte, weil sie zu Hause
ziemlichen Stress hat. Weswegen kannst Du dir ja sicherlich denken. Aber
Erkan und Gülsüm wollen nochmal mit ihrem Vater reden." "Na hoffentlich
reden die bald mit ihrem Vater, denn ich habe keine Lust noch deswegen mit
einer türkischen Sippe Ärger zu kriegen," entgegnete sie.
Schließlich einigten wir uns darauf, dass Özlem noch eine Woche sich bei uns
aufhalten konnte. Und tatsächlich in den Folgetagen kam es zu einer
überraschenden Wende, wie sie positiver nicht sein konnte. Ja vorsichtig
optimistisch würde ich an dieser Stelle sogar von einem Happy-End reden
wollen.
Erkan, der Ismahan schon lange kannte, redete also noch einmal von Mann zu
Mann mit ihm. Erst gab sich Ismahan hart, denn schließlich hatte seine
Tochter seine Ehre sehr verletzt. Es war nicht so, daß Ismahan es nicht
akzeptiert hätte, wenn seine Tochter einen festen Freund gehabt hätte, aber
eine ungewollte Schwangerschaft durch einen One-Night-Stand, daß war
zuviel für Ismahan. Wie würde er denn dastehen vor seiner Verwandtschaft,
bekräftigte er nochmal den Verstoß seiner Tochter. Dann aber gab Erkan
Ismahan freudig zu verstehen, daß Ismahans Tochter ihm nun keine Schande
mehr machen wolle, denn sie hätte sich in Özkan verliebt und Özkan sei sogar
bereit ihr Baby, als das Seinige zu akzeptieren.
Schließlich winkte Ismahan doch ein. Ja, wenn dieser Özkan tatsächlich dazu
stehen würde, dann könnte er doch noch einen Teil der Familienehre retten.
So kam es und Özkan gab tatsächlich wenige Wochen später Özlem das
Eheversprechen. Ich hatte diesen Özkan immer für einen Störenfried
gehalten, der früher jedenfalls nur andere provozieren wollte und als äußerst
aggressiv galt. Jetzt aber, nachdem er wohl auch beruflich und privat vorher
einige Niederlagen einstecken mußte, wurde aus dem Saulus der Paulus.
Wenige Wochen später kam dann auch Özlems Kind zur Welt.

Yasemin

Nun waren wir schon über ein Jahr ein Paar, das natürlich auch mal Streit
hatte und Krisen meistern musste, aber für mich steht heute fest, dass ich
wohl nie wieder eine Frau so lieben würde wie Gülsüm.
Es war Mai 1999 und ich war nun schon seit über einem Jahr mit Gülsüm
liiert. Das war auch der Monat, in dem ich mich vom Krankenhaus
verabschieden musste. Nun würde ich wieder in meinen alten Beruf als
Schauwerbegestalter arbeiten. Da galt es nun wieder Schaufensterpuppen in
einem großen Kaufhaus zu dekorieren und die Schaufenster herzurichten. Das
alles machte mir schon Spaß, so war es ja nicht, denn in diesem Beruf hatte
ich, ein notorischer Einzelgänger nicht so viel mit Leuten zu tun und konnte
trotzdem zeigen, was ich konnte. Nur die Arbeitszeiten waren natürlich nicht
so günstig, da mein Arbeitstag oft erst um 19.00 Uhr endete.
Ich wusste, dass ich die Leute von der Station 9 vermissen würde, denn nicht
nur mit Gülsüm hatte ich privat Kontakt geschlossen, sondern auch mit Stefan
und Anke, 2 jüngeren Pflegekräften.
Aber eigentlich war es besser so, daß ich und Gülsüm nicht mehr zusammen
auf einer Station arbeiteten, denn das hatte u.a. auch schon mal zu
Spannungen gesorgt. Jetzt aber im Mai, wo wir uns nicht mehr jeden Tag am
Arbeitsplatz sahen, konnte unsere Liebe ihre Blüten voll entfalten.
Gern dachten wir zurück an die Höhepunkte unserer gemeinsamen Liebe,
Murats Hochzeit, der Londonfahrt und vielem mehr.
Nach einigen weiteren Wochen nun, es war schon Mitte Juni - ich hatte das
Krankenhaus nun schon einen Monat hinter mich gelassen, da wollte mir
Gülsüm ein kleines Geheimnis anvertrauen. So kam sie an diesem Juniabend
zu mir und sah mich Geheimnis um wittert an: "Weißt Du noch die Sache vor
einem halben Jahr mit Özlem...," freute sie sich mir mitteilen zu können. "Jetzt
hat es mich selber erwischt."
Tief entgeistert blieb ich stehen, obwohl ich innerlich mit dieser Situation
schon lange gerechnet hatte, denn insgeheim verspürte auch ich den Wunsch
nach einem Kind. Naja ein bißchen jung kam ich mir schon vor mit meinen 21,
aber bei Gülsüm als Mutter war das natürlich keine Frage.
Doch dann fiel ich ihr überglücklich in die Arme. Wir verdienten beide Geld
und würden nun wohl auch bald heiraten, denn die Pläne dafür schmiedeten
wir schon seit der Sache mit Özlem, also seit etwa einem halben Jahr.
Nun überlegten wir uns aber auch an diesem Abend, wie das Kind denn wohl
heißen würde. Viele Variationen waren da natürlich möglich von deutschen
über türkischen Vornamen bis hin zu Namen, die nur knapp zugelassen
würden.
Wenn es ein Mädchen würde, so überlegten wir, würden wir ihr entweder den
Namen Yasmin oder Nina geben, wenn es aber ein Junge würde, sollte er
entweder Felix oder Ahmed heißen. Vielleicht könnte ja auch ein Vorname
türkisch und einer deutsch sein, so als Doppelname halt, denn ich hieß ja auch
schließlich nicht nur Matthias, sondern Matthias-Benjamin, wobei mein
Zweitname nicht einmal bis jetzt Gülsüm bekannt war.
Innerlich aber war mir klar, dass Gülsüm eine Tochter zur Welt bringen würde
und diese wunderschöne Tochter, die zwar Gülsüms schwarze Lockenpracht
besitzen würde, aber meine hellblauen Augen, würde unser Glück vervollständigen.
Ja und tief in meinem Herzen trug dieses Mädchen schon den
Namen Yasemin mit Y versteht sich, so wie dieser Mädchenname in der Türkei
und im vorderen Orient vor kam.
In ging mit meinen Gedanken in mich und stellte mir nun vor, wie diese
Tochter Yasmin selbst schon erwachsen wurde und sich die Männer hinter ihr
herschauten.
Später als Gülsüm nach Hause gegangen war, verkündigte ich meiner Mutter
von der frohen Botschaft, dass sie nun doch schon mit etwas über 50 bald zur
Großmutter gemacht würde - ja und das wir nun auch bald heiraten würden.
Meine Mutter reagierte aber komischerweise sehr gelassen, denn sie hatte
sowas in der Art schon erahnt. Ja sie freute sich mit mir, dass ich schon jetzt
die Partnerin meines Lebens gefunden hatte, obwohl sie es besser gefunden
hätte, ich hätte mich noch ein wenig umgeschaut.
Sie war nun auch toleranter geworden, da sie Gülsüm nun gut kannte und sich
innerlich gar keine andere Schwiegertochter mehr wünschte, auch wenn
deren Eltern aus der Türkei stammten.

Vorbereitungen für das große Fest

Es war in den vergangenen 1 1/2 Jahren so viel passiert, dass ich Ende des
Jahres 99 mir nicht sicher war, das ich das alles in der kurzen Zeit erlebt
hatte. Es daran bestand nun Gott-sei-Dank kein Zweifel.
Was war nicht alles in der Zwischenzeit passiert. Nun, wenn das neue
Jahrtausend kommen würde, so dachten wir uns, dann wollten auch wir einen
Neubeginn mit der Hochzeit starten. Wir wollten aber zum Standesamt noch
im alten Jahr genau gesagt am 31.12.99 hätten wir vormittags im Standesamt
zu erscheinen.
Es wäre auch noch schön gewesen, wenn wir vielleicht kirchlich geheiratet
hätten, aber wär sicherlich recht ungewöhnlich gewesen, denn schließlich war
Gülsüm nun keine Christin. So hatte ich mich kurz vor der geplanten Hochzeit
mal zu meinem alten Pfarrer aufgemacht, der mich konfirmiert hatte....es war
kurz vor Weihnachten gewesen. Pastor Levi freute sich natürlich sehr, daß ich
nach all den Jahren wieder den Mut besaß zu ihm zu kommen. Er stand jetzt
nun kurz vor der Pensionierung, denn Anfang des kommenden Jahres würde
er dann in den wohlverdienten Ruhestand eintreten.
Ich schilderte ihm meine Situation, in der ich mich nun befand und wollte nun
natürlich wissen, ob es trotzdem eine kirchliche Trauung geben könnte,
obwohl Gülsüm eine Alevitin war. Auf jede andere Situation wäre der Pastor
gefaßt gewesen, auch auf jede andere Frage, nur nicht auf diese.
Ich hatte mich selber schon einmal mit diesem Thema vorher auseinander
gesetzt und erinnerte mich an eine Sendung im ZDF, wo es um Islam in
Deutschland ging: Da wurde tatsächlich diese Situation geschildert, in der ein
junger deutscher Katholik eine türkische Muslimin kirchlich heiraten wollte
und das ging tatsächlich. Da kam also der Iman dazu und so gab es eine
christlich-islamische Trauung. Im Fall einer Scheidung hätte wohl der Vater
von diesem jungen Mann dem Iman 1000 Goldstücke zahlen müssen oder so
(schließlich ist ja in islamischen Ländern eine Heirat zwischen einem Christen
und einer Muslimin nicht möglich). Allerdings ging ich wohl davon aus, dass
dieses Mädchen dann wohl keine Alevitin sondern eine sunnitische Muslima
war.
Levi hörte erstaunt zu, als ich ihm von diesem Fall berichtete. Kopfschüttelnd
sah er mich an und meinte: "Ich finde es toll, dass ihr heiraten wollt und jeder
seine Religion behält, aber die alevitischen Sitten sind mir fremd. Es mag
solche Hochzeiten geben, aber ich schätze mal das generell diese alevitischen
Geistlichen etwas dagegen hätten den Segen für eine solche Hochzeit zu
geben. Auch wenn es bei Gülsüms Familie keine Rolle spielt, welcher Religion
du angehörst, bei den Geistlichen glaube ich schon. Na und würden wir einen
Iman holen, dann wäre das wohl kein alevitischer Geistlicher sondern ein
sunnitischer Geistlicher. Ich kann mich ja mal genau erkundigen, aber ich
glaube, daß geht nicht. Davon abgesehen ist so ein komischer Vertrag, wo der
Vater im Fall einer Scheidung dem Iman 1000 Goldstück zahlen muss sowieso
ungültig hier in Deutschland."
Pastor Levi sah mich noch einmal an und meinte: "Ich finde es sehr löblich,
daß Du kirchlich heiraten willst. Wir können ja mal gucken, was zu dem
Thema in meinem "Lexikon der Religionen" steht."
Dann gingen wir zusammen in sein Arbeitszimmer, wo sich in mehreren
Wandregalen eine große Ansammlung von allen wichtigen religiösen und
theologischen Schriften befand.
Er schaute in das "Lexikon der Religionen" unter dem Stichwort Islam, wo er
sehr viel fand. Mitunter wurden auch einzelne Koran-Suren zitiert und waren
aufgeführt. Über das Thema Aleviten fand er allerdings nicht all zu viel.
Da stand u.a. das das Alevitentum, als eine der einzigen islamischen
Konfessionen die christliche Offenbarung von der Dreifaltigkeit Gottes
anerkennt. Eine Beziehung zwischen einem Aleviten und einem Nicht-Aleviten
käme allerdings nicht in Frage, so stand es im Lexikon.
"Naja, das sind Gesetze, die gelten für arabische Länder und für das Leben
von streng gläubigen Aleviten," meinte Pastor Levi. "Es müßte sich nur ein Pir
oder Dede oder Houdscha - wie auch immer die alevitischen Geistlichen
heißen mögen, finden und Euch zusammen mit mir gemeinsam trauen. Dieses
wäre für mich natürlich auch eine Herausforderung, aber ich wäre wohl dazu
bereit." "Gülsüm, sagte mir das allgemein bei den Aleviten die Religion zwar
nicht ganz egal wäre, aber viele wären wesentlich eher bereit so eine
multireligiöse Beziehung zu akzeptieren, als bei den Sunniten. Aber wie das
im Einzelnen ist, das wußte sie auch nicht," entgegnete ich ihm.
"Ach, weiß Du was," schlug er vor. "Ich werde auf jeden Fall zu Eurer
Hochzeit kommen, das verspreche ich Euch - vorausgesetzt natürlich ihr wollt
mich dabei haben." "Aber klar," meinte ich, bedankte mich bei dem Pastoren
und ging.
Die nächsten Tage wurden ziemlich hektisch und vor all Dingen teuer, denn so
eine türkische Hochzeit verschlang ziemlich Geld, außerdem wollten wir ja
Sylvester feiern und uns was ganz besonderes dafür einfallen lassen.
Es würde auch wohl die halbe Verwandtschaft von Gülsüm kommen, die ja
nun mehrheitlich mit unserer Beziehung einverstanden wäre, außer
vermutlich Gülsüms Großeltern väterlicherseits, die noch in der Türkei mit
Gülsüms Großcousins und Großcousinen lebten. Sie waren schon nicht zu
Murats Hoch- zeit gekommen, wie aber würden sie denn wohl reagieren,
wenn sie wüßten, das Gülsüm einen Christen heiratete?? So alte Leute
würden ohnehin nicht viel von dem verstehen, was die heutige Jugend bewegt.
Sie selber hatten nie in Deutschland gelebt, sondern ihre Kinder waren dort
hingezogen, weil es in der Gegend von Antalya, aus der Erkan kam, nicht
genügend Arbeit gab. Erkans ältester Bruder Cem war es, der als erster nach
Deutschland gezogen war, Erkan war ihm dann gefolgt. Klar waren Erkans
Eltern schon mal in Deutschland gewesen, aber das war alles für sie eine
fremde Welt, denn seine Eltern waren relativ konservativ eingestellt. Cem war
übrigens der Vater von Ergün, Gülsüms Cousin, den wir mal in Berlin besucht
hatten.

Auf dem Weg in ein neues Jahrtausend

Es sollte eine ganz tolle Hochzeit werden, an jenem letzten Tag des Jahres.
Mit einiger Aufregung waren wir am Vormittag noch zum Standesamt
geschritten, wo wir um 10.00 Uhr einen Termin hatten.
Merklich nervös waren wir schon, auch wenn es leider keine kirchliche
Trauung geben würde. Draußen würden all unsere Kollegen aus dem
Krankenhaus warten, aber Gülsüms Vater Erkan ließ es sich nicht nehmen
unser Trauzeuge zu sein. Natürlich waren auch meine Eltern, die sich nun das
erste Mal an diesem letzten Tag des Jahres, nach vielen Jahren wieder sahen
und meine Schwestern dabei, die nichts von dem romantischen Kitsch des
Heiratens hielten.
Auch Erkans Frau und Gülsüms 2 Bruder waren dabei und der Standesbeamte
war doch äußerst erstaunt über dieses Multikulti-Aufgebot. Das hatte er in all
den Jahren nur selten erlebt.
So laß er dann also vor:

Matthias-Benjamin Heinrichs geb. am 14. Februar 1978 in Bielefeld Sohn von
Marie und Klaus Heinrichs
Ehelicht heute
Gülsüm Yildirim geb. am 16. März 1976 in Bielefeld Tochter von Erkan und
Nuray Yildirim

Auch wenn es nur eine standesamtliche Hochzeit war, war es für mich der
schönste Tag in meinem bisherigen Leben. Ja und der Abend, der folgte sollte
noch viel schöner werden.
Meine Eltern und die von Gülsüm hatten sich darauf verständigt die Hochzeit
zu organisieren. Es sollte ein sogenannter Hochzeitsbus gechartert werden
und die Hochzeit sollte an einem uns nicht bekannten Ort stattfinden. Wir und
die Hochzeitsgesellschaft, die auch zur Hochzeit eingeladen war (Gülsüms
Großeltern waren allerdings doch nicht dabei, denn sie waren schon zu alt,
um noch einmal nach Deutschland zu kommen). Unsere ganzen Kollegen und
viele Freunde waren auch dabei und natürlich vor allen Dingen die
Verwandten aus meiner und aus Gülsüms großer Familie (die, die halt schon
bei Murats Hochzeit dabei waren). Der Busfahrer, den wir angeheuert hatten,
staunte nicht schlecht. Erst einmal sollte der Bus mit unterschiedlichen
Flaagen ausstaffiert werden: Sie sollten unsere multikulturelle Beziehung
symbolisieren. Außerdem verdeckten die Flaggen das Fenster, denn niemand
außer unseren Eltern sollte wissen, wo sich die geheimnisvolle Feier abspielen
sollte. In den hinteren Reihen des Busses wurde eine sogenannte Teebar
aufgebaut, wo türkischer Tee und kleinen Tassen serviert wurde. Hatten wir
noch einen Grill im Bus aufgebaut, dann hätte wohl der Busfahrer rebelliert.
Es war gut gewesen, daß wir nicht alle Leute eingeladen hatten, die kommen
wollten, denn viele von ihnen sahen unserer Beziehung und Hochzeit
mißtrauisch entgegen, so z.B. auch viele von Erkans türkischen
Arbeitskollegen.
Auch einige von meinen Bekannten wollten nicht zu meiner Hochzeit kommen,
weil sie keinen Bock Streß mit irgendwelchen Türken zu kriegen. Natürlich
sollte so eine Hochzeit, wie es die türkische Tradition gebot, ein großes Fest
werden und davon abgesehen war der Bus auch proppenvoll.
Diese Busfahrt sollte etwas symbolisieren, nämlich die Fahrt in den Hafen der
Ehe.
Es war schon tief am Abend, als wir los fuhren. Das 20. Jahrhundert würde
nun noch 3 Stunden dauern. Und es wurde auch eine Fahrt ins Ungewisse und
ins Mysteriöse. Wir fuhren und fuhren und auf der Fahrt hörten wir türkische
Volksmusik und türkische Popmusik à la Tarkan. Zwischendurch kamen aber
auch mal Stücke wie "Weine nicht, wenn der Regen fällt, dam, dam....", ganz
getreu zu einer deutschen Hochzeitsfeier. Im Bus entstand ein Sprachgewirr
und es war eine wirklich tolle Stimmung.
Schließlich kamen wir an einem alten Bauernhof an, auf dem wohl unsere
Hochzeit standfinden sollte. Trotz des Versteckspiels wußte ich nun, das wir
uns im Teutoburger Wald befanden. Tief draußen vor den Toren Bielefelds,
nur die roten Lichter des Funkturmes, der sich auf einem Berg vor der großen
Stadt befand, konnte man sehen.
Die Hochzeitsgesellschaft wurde von einem Mann begrüßt, der sich als Sultan
verkleidet hatte. In seinem Gürtel steckte doch tatsächlich ein
Krummschwert. Erst nahm er Gülsüm bei der Hand, entführte sie in das
Wohnhaus des alten Bauernhofes und kam nach einigen Minuten mit einer
verschleierten Frau wieder heraus: Diese verschleierte Schönheit war Gülsüm
gewesen. Dann bat er mich doch in das Wohnhaus einzutreten, um mich
umzuziehen. Ich kriegte eine Pluderhose an und einen komischen arabischen
Hut auf den Kopf gesetzt.
Danach wurde erst die Hochzeitsgesellschaft in die Scheune, in der die Feier
stattfinden sollte, gebeten und dann wir. Es sollte ein noch tolleres Fest
werden, vor allen Dingen aber ein noch originelleres Fest als das
Hochzeitsfest von Murat und Canan.
Drinnen erinnerte dann die Stimmung nicht unbedingt an eine türkische
Hochzeit, sondern an ein arabisches Fest aus tausend und eine Nacht. Überall
brannte grünliches Licht und Gülsüm flüsterte mir ins Ohr: "So sieht des
Nachts die Welt in der Türkei zu Ramaddan aus. Überall erstrahlen die
Minarette der Moscheen in grünem Licht. Alles wirkt dann wie der Zauber
einer vergangenen Epoche."
So wurde der Abend unvergessen und fast hätten wir es nicht bemerkt, das
das neue Jahrhundert nun starten würde. All das hatte sich meine Mutter,
mein Vater und Gülsüms Eltern ausgedacht. Ich sah sogar zu meiner Freude,
das sich wohl gerade meine Mutter mit Nuray sehr gut verstand.
Es wurde gegessen, getanzt bis zum Morgengrauen, als die Morgenröte
langsam den Horizont überzog. Nun kündigte sich ein neues Jahrtausend an
und es war inzwischen schon fast 8 Uhr in der Früh.
Ein paar Wochen später danach kam unsere gemeinsame Tochter zur Welt, in
dem Krankenhaus, in der alles mit uns begann, in dem aber auch alles mit uns
enden sollte: Es war Yasemin, ein Mädchen wie ich es mir immer vorgestellt
hatte. Die tiefblauen Augen waren von mir, aber die leichten Locken, die den
kleinen Babykopf überzogen, waren die, die auch Gülsüm nach ihrer Geburt
trug.
Ich erinnere mich noch gut an die erste Zeit unserer Ehe, an unsere erste
gemeinsame Wohnung, in die wir kurz nach Yasemins Geburt zogen, aber ich
erinnerte mich auch an die ersten schlaflosen Nächte, die wir aufstehen
mußten, weil Yasemin, unser kleiner Engel, so temperamentvoll und bitterlich
weinte.
Viele bewunderten uns als ein Paar, das in fast vollkommener Eintracht, sich
so gut verstand und trotzdem aus 2 verschiedenen Kulturen kam (dabei waren
die Unterschiede natürlich nicht mehr so erheblich, weil Gülsüm ja schließlich
aus einem sehr aufgeschlossenem Elternhaus kam. Gülsüms Eltern hatten
ihren Kindern zwar die Geheimnisse des Alevitentums beigebracht, aber sie
auch die deutsche Kultur gelehrt).
Wir hatten aber auch viele Neider, u.a. Gülsüms Exfreund Süleyman, der
eines Tages einmal bei uns an der Tür klingelte und fast auf mich losgegangen
wär. Ich, der an dem ganzen Desaster schuld war, dass nicht er mit Gülsüm
durch- brennen konnte. Gülsüm aber kam in jenem Moment an die Tür, wo er
mich schon am Schlafittchen packte und knallte ihm einfach eine. Ihm, der sie
auch 2 Jahre nach ihrer Trennung wohl noch so unendlich liebte. Dann drohte
er ihr noch mal, aber verschwand dann für immer. Bis heute hatte ich
Süleyman dann nie wieder zu Gesicht bekommen.
In kommenden Sommer allerdings durchlebten wir eine wunderschöne Zeit.
Unsere Hochzeitsreise wollten wir allerdings auf den Winter verschieben, wo
die kleine Yasemin schon ihre ersten Gehversuche wagen würde. Aber die
Touren auf dem Motorrad ließen wir uns nicht nehmen. Wir beide fuhren und
fuhren, über Autobahnen, Landstraßen.... Einmal meinten wir sogar, hätten
wir des Weges einen Vagabunden gesehen, der uns zu winkte. Ich weiß nicht
genau, ob er es wirklich war, aber meine und auch Gülsüms Augen meinten es
wäre Jack gewesen: Jack der Vagabund, der sonst doch eigentlich nur durch
die Straßen Londons zog, hier auf den Straßen Westdeutschlands.

Eine Liebesgeschichte ohne Happy End

Nun war es wieder November, tiefster November und Gülsüms Beerdigung
war vor einigen Tagen gewesen. Immer wieder kehrte bei mir die Erinnerung
ein, wie sie alle um das Grab sich versammelten, um Gülsüm die letzte Ehre
zu erweisen. Nun war ich allein gelassen mit einem Kleinkind, das seine
Mutter noch vom Foto her kennen würde.
Immer wieder auch hielt ich mir das Bild vor Augen, als ich und Gülsüms
Eltern ins Krankenhaus gerufen wurden. Gülsüms Eltern in ihrer tiefen
Verzweiflung wollten ihre Tochter, wie es die islamische Religion gebietet,
noch ein letztes Mal reinwaschen.
Ich konnte mich noch an den Zivi erinnern, wie er uns, mich, Nuray und Erkan
langsam Richtung Leichenkeller führte. Mein Herz begann zu rasen. Im
Patologenraum wollte Nuray als Gülsüms Mutter die letzte Waschung an ihrer
Tochter vornehmen. Der Zivi schloß die Tür zum Leichenkeller auf. Ich
erinnerte mich daran, daß ich mehrere Male mit Gülsüm hier gewesen war.
Wir hatten des öfteren einen toten Krebspatienten auf den Weg in den
Leichenkeller zu geleiten. Nun aber würde ich nicht mit Gülsüm zusammen
durch die Tür zum Leichenkeller schreiten, denn nun wußte ich das Gülsüm
selber in einer der Schubladen bei 4° C kühlte.
Selbst mit Tränen in den Augen, öffnete der Zivi die Schublade, in der Gülsüm
lag. Er hatte selber Gülsüm gekannt und auch schon zusammen mit ihr
gearbeitet, wie er uns leise erzählte. Hier im Krankenhaus war Gülsüms und
meine Hochzeit auch bis zu ihm durchgedrungen. Ein Märchen wie aus
Tausend und eine Nacht, war in nur wenigen Augenblicken in tausend
Scherben zersprungen.
Gülsüms Leiche war mit einem Papiertuch zugedeckt, aber ihre Konturen
konnte man trotzdem ganz klar erkennen.
Der Zivi hievte Gülsüms Leiche vorsichtig auf einen Hubwagen und fuhr die
Leiche rüber in den Patologenraum, der sich neben der Leichenkammer
befand.
Dann setzten Erkan und Nuray Gülsüms Leiche auf den Tisch, der aus Metall
bestand. Und dann, ich werde nie diesen Anblick vergessen, zogen sie das
Papiertuch weg. Dort lag Gülsüm mit offenen Augen an die Decke starrend.
Sie sah nun so blaß aus, war aber wunderschön.
Ich stellte mir vor, daß sie nur schlafen würde. Ja und als ich sie näher
anblickte, merkte ich das ihr Blick etwas beruhigendes in sich hatte. Etwas
was mir sagen wollte, aber nicht mehr konnte: "Matthias, ich werde immer an
Dir und Yasemins Seite stehen. Ich lebe ja weiter, nur meinen Körper mußte
ich hier leblos zurücklassen."
Mit traurigen Augen, aber ruhigem Herzen begann Nuray die heiligen
Waschungen an Gülsüm vorzunehmen. Nuray versuchte mich zu beruhigen
und meinte: "Gülsüm wird in unserem Herzen immer Gülsüm bleiben. Und
wenn jemand so jung sterben mußte, dann wird er in seinem nächsten Leben
sich an die schönen Momente dieses vergangenen Lebens erinnern."
Das meinte sie ganz fest in ihrem Herzen, denn viele Aleviten glauben an die
Seelenwanderung und nicht an den Tag des letzten Gerichtes an dem Allah
richten wird über die Lebenden und die Toten.
Wieder führten mich meine Gedanken zurück in die Gegenwart. Die Vorgänge
des 2. Novembers 2000 waren nun halt nicht mehr rückgängig zu machen, das
wußte ich.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch an der Tür, die sich aber nicht öffnete -
vorsichtig sah ich nun nach Yasemin, die aber ganz ruhig in ihrem kleinen
Gitterbettchen schlief. Dann bewegte sich plötzlich ein Schatten auf mich zu.
Die Konturen wurden deutlicher. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht.
Ich kriegte einen Schreck, denn da stand ein Mädchen vor mir in schwarzer
Motorradkluft. Doch dieses Mädchen bestand aus keiner festen Materie,
sondern schien nur aus durchsichtigem Nebel geformt zu sein. Dieses nahm
den Helm ab und eine schwarze Lockenpracht kam zum Vorschein. Und dann
sah in ein frisch gewaschenes Gesicht. Es war Gülsüms Gesicht, das ich sah.
Ich fing an zu weinen - es war Gülsüms Geist gewesen. Ruhig legte sie ihren
Finger auf meinen Mund. "Sei bitte nicht traurig. Ich muß gehen. Der Tod ist
nur eine Schwelle in ein anderes Dasein, das nur Glück, Licht und Frieden
kennt. Allahs Barmherzigkeit ist einfach so groß, wie ich es mir nie vorstellen
konnte. Ich will Dir Lebewohl sagen. Bitte habe keine Angst und trauere nicht
zu viel um mich. In Deinem Herzen werde ich immer wohnen."
Dann löste sich ihre Kontur wieder in Rauch auf und war verschwunden.
 

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