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"Eine letzte Etappe"

© 2007 Michael W.

„Ich bin der festen Überzeugung, dass alles von den Gefühlen des Einzelnen abhängt. Und das es manchmal schon ein Lächeln ist, was die Welt zum bluten bringen kann.“

 

 

Wie spät ist es? Kurz vor 10 Uhr am Morgen. Und wo bin ich? Auf einer Straße. Die Menschen hasten vorbei, manche auf den Weg zur Arbeit, andere unterwegs um tägliche Erledigungen zu tätigen. Aber alle hasten, um den Regen zu entkommen. Nur der eine nicht. Für ihn hatte der Regen immer etwas Reinigendes gehabt. Die Luft ist danach immer so klar und frisch, und wenn der Wind Dir ins Gesicht schlägt und den Regen mit sich treibt, dann gibt es einen das Gefühl von Freiheit. Überhaupt liebte er die Launen der Natur. In den Zeiten, in denen er seine Zukunft in Trümmerwelten sah, da war es stets das Wetter, der Duft der Bäume oder die Geräusche des Wassers gewesen, was ihn freimachte. Und nun wünschte er sich, dass der Regen, der über seiner Stadt fiel, die Straßen reinigen würde und alles Schlechte wegspritze. Es hatte wenig Hoffnung, doch der Wunsch blieb. Unter seinen Arm hatte er sich eine Tageszeitung geklemmt. Er wollte sie bei einem Kaffee oder sonst was lesen. Erfahren was es in der Welt so neues gab. In einer Welt, die langsam vor die Hunde ging.

 

Lethargisch lag er auf seinem Bett und sehnte sich nach der Dunkelheit. Denn dann ist es Zeit, sich fallen zu lassen. Er brauchte nie lange um einzuschlafen. Aber die letzten Minuten, des Tages, die sollten am besten Stunden dauern. Denn er wusste, dass jeder träumen darf, was immer man träumen will. Ein ganzer Song besang diese Idee. Und die Träume waren immer die gleichen. Der erste Augenaufschlag, der zeigt, dass die Welt voller Schönheit steckt. Die Wahrheit war ihm so verhasst, wie kaum etwas anderes. Denn wenn er die Augen nach dem Schlaf aufschlug, (gleich ob Früh oder am Nachmittag wenn ihn die Müdigkeit übermannte) musste er erkennen, das die Welt eben nicht schön war. Und das blieb dann noch eine ganze Weile. An diesen einen Gedanken hielt er sich, als er allein frühstückte, sich wusch, sich anzog und auf Arbeit ging. Dort war er abgelenkt. Aber nicht lange. Denn bald träumte er auch mittags. Er hielt dann einfach inne, um seinen Kopf kreisen zu lassen. Und die Wüsche, die in diesen lagen.

 

Irgendwann setzte der lepröse Zerfall seiner Zuversicht ein. Das bekannteste, was er hatte, das war dieser graue Schleier, der sich nach den Träumen über ihn legte. Keine Luft zum atmen, keine Luft zum glücklich sein, keine Luft um sich zu freuen. Zum Beispiel darauf, das er bald zu einen Konzert ging, worauf er sich eigentlich freute. Er mochte die Musik. Wenn es laut war, und der Magen vibrierte, dann war Scheiße eben Scheiße. Er war zwischen Menschen, die verstanden, was er an der Musik so liebte. Weil sie genauso dachten. Und das Beste: die meisten davon hatte er noch nie in seinen Leben gesehen. Aber das lag nun alles in weiter Ferne. Er lag in seinen Bett, der Kopf war schwer und schrie nach Luft, und trotz der lähmenden Ruhe in seinen Gliedern und trotz dem Nichts in ihn, war da diese Rastlosigkeit, diese Unruhe, die sich auf ein Feld stürzte, was früher einst blühte und jetzt schon fast abgeerntet war.

 

Einer seiner Vorlieben war das heucheln. In dem Moment, wo er anderen versicherte, dass das Leben das größte Geschenk, was uns Gott gemacht hat, ist, da fühlt er diese Todessehnsucht. Und die fühlte er irgendwann jeden Tag in jeder Minute. Seit dem der graue Schleier dichter wurde und auch die letzten Früchte verdarben.

Diese Sehsucht spürte er auch jetzt, wo er durch den Regen ging. Er hielt kurz an um sich umzusehen. So viele Menschen, und für alle war er verdorben worden. Und es machte ihn nichts aus. Sie kannten ihn gar nicht. Niemand von denen, die um ihn herumwuselten und ins Handy sprachen oder über die dunklen Wolken fluchten. Ihnen war es recht egal, wie es den einen am anderen Ende ging. Für ihn waren sie alle nur Gesichtslose Schatten, gleich wer oder was sie waren. Und er war es auch. Das wusste er. Er wusste auch, dass es einmal anders war. Früher. Früher saß er stundenlang in einer Bar, trank einen Absinth, am besten mit einem guten Freund, und sah sich die Menschen an. Er war dieser typische Beobachter. Der Zuschauer eines Filmes und er hielt sich immer die Option offen selbst eine kleine Rolle einzunehmen. Und das genoss er. Aber irgendwann, da war ihm dieser Film zu langweilig. Er hatte ihn schon zu oft gesehen, als das er sich freuen konnte, ihn wieder zu durchleben. Er brauchte Abwechslung. Er sehnte sich danach. Und er erkannte, was diese Abwechslung haben musste. Als er sie weder fand, noch durch Zufall an sich reißen konnte, da schmiss er den Film weg und verbrannte ihn.

 

Siehst du das Mädchen, gleich neben Dir? Vielleicht sieht sie gerade so traurig aus, weil ihr Freund sie verlassen hat. Oder dieser Junge Heer. Warum macht er so ein trübes Gesicht? Vielleicht, weil er nicht glaubt sein Abitur zu schaffen und so durch nicht weiß, was nächstes Jahr aus ihm werden wird. Oder diese zwei kleinen Mädchen da drüben. Möglicherweise sind sie gerade so sauer, weil sie von den Eltern kein Geld bekommen haben, um sich die neue CD ihrer Lieblingsgruppe kaufen zu können. Und vielleicht haben sie vor den giftigen Zungen ihrer Klassenkameraden Angst. „Was? Du hast sie immer noch nicht? Wir haben sie schon seit letzter Woche und können alle Texte.“ Darunter könnten die Hausarbeiten leiden. Er konnte fühlen, dass jeder irgendetwas hatte, was dem Regen gleich kam. Man muss nicht studiert haben, um zu merken, dass in der Hinsicht jeder Mensch gleich ist.

 

China verschärft die Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit. Nordkorea baut die Atombombe und testet sie und der „Stars `n` Stripes Versager“ zieht aus Angst die Konsequenzen und greift nicht ein. Warum? Hatte der Irak nicht in etwa das gleiche? Nein! Die hatten Öl. Und die Nähe zu Teheran. Er fragte sich, ob schon das Wort „Babylon“ in Verbindung mit den Nahen und Mittleren Osten irgendwo gefallen war. Es würde passen. Und während er einen Kaffee trank, dachte er über Atombomben nach. Und ob es nicht vielleicht eine Bombe wäre, die uns alle retten würde. Manchmal sah er den Krieg ziemlich philosophisch. Die weltweite Übertragung eines Testes mit einer Bombe, die eine Fläche von vielleicht Los Angeles und New York zusammen zu Staub zerfallen lassen würde. Verbunden mit den Hinweis, das diese Bombe jede Stadt der Welt finden und treffen könnte. Wer würde da noch einen Krieg provozieren wollen. Für ihn war das die Lösung. Einschüchterung in der letzten Konsequenz. Und dann dachte er daran, dass Übersee vielleicht diese Bombe bauen könnte. Er erschrak. Doch von dem Thema kam er nie ganz los. Weil schon längst eine Schlacht in seinen Blut tobte. Verdammt. Wenn man weiß, wie ein Kampf ausgeht, dann ist das schade und langweilig. Wenn er nicht gut für einen selbst ausgeht, dann ist das das Ende der Welt.

 

Er hatte einmal eine kleine Geschichte geschrieben. Er war der festen Überzeugung, dass selbst der moderne Horror nichts mehr zu sagen hatte. Man müsse den Weg zurück zum Surrealismus finden um etwas wirklich Neues zu machen. Er dachte auch darüber nach, wie es wäre, wenn man es vielleicht irgendwann einmal verfilmen würde. In seinen Kopf stand die Besetzung der Rollen, die Macher, alles war schon geplant. Ein Traum der Wirklichkeit werden würde. Zu schön, um wahr zu sein. Der Protagonist hatte seine Niederschrift immer dabei. Auf einen USB-Stick gespeichert und bereit zum aufrufen. Doch an seinen Computer ging er schon lange nicht mehr. Dort wartete das Grauen. Millionen von Bildern, Unzählige Worte und der Untergang. In Gestalt von denen, was zum sterben verleitet.

 

Der Kaffee wurde ausgetrunken, die Tasse zur Seite gestellt und so getan als ob es heute gar nicht so schlimm war. Es regnete. Na und? Irgendwo fällt gerade Schnee und irgendwo brennen gerade Wälder. Da ist der Regen nichts Schlimmes mehr. Aber ein krummer Gedanke kam angeschlichen. Gerade als er sich aufmachten wollte um irgendwie durch den Tag zu kommen. Da kam diese Bestie. Manchmal spielte er mit den Geschlechtern und presste seine Gefühle und Gedanken entweder in Brüste oder Penise. Dieser krumme Gedanke war für ihn weiblich. Die Heroine des Grauens.

 

Mit der Zeit wurden seine Wunschträume und das Verlangen nach dessen erhabener Wirklichkeit immer heftiger. Er begann sich mit sich selbst zu unterhalten. Er nahm die Stimme einer schönen Welt an und redete stundenlang mit ihr. Es war zu der Zeit, als er im Rausch seine Freunde zum Teufel jagte und seine Familie verstieß. Er war nicht lange allein, denn irgendwann fingen die Gespräche an und dann war er in der Gesellschaft die er brauchte. Die er wollte. Und trotzdem blieb sein Körper der einzige in seinem Zimmer. Das erkannte er zwar, hatte er doch diese Stimme ins einen Kopf, die ihn unterhielt und mit der er plauschen konnte.

Und dann war da wieder dieser Schleier.

 

Eine Stimme aus dem Hintergrund. Ein Junger Mann, der angehastet kam und sich noch einmal unterhalten wollte. Aber er fand keinen Anklang. Denn ein Witz wurde im Kopf des Protagonisten gerissen und das Lachen überschallte die dummen Versuche eines alten Weggefährten, alles wie früher werden zu lassen. Er wies ihn ab, meinte er habe noch etwas Wichtiges vor. Er müsse noch etwas für ein Treffen unter Freunden vorbereiten. Die Wahrheit war, dass er heute nicht zur Arbeit gehen wollte, sondern nach Hause. Um sich wieder stundenlang über alles zu unterhalten. Andere würden nur stören. Er ging seines Weges. Ließ all die schönen Erinnerungen sterben und blickte lustlos die Straßen entlang. Er hoffte, dass es bald etwas zu sehen gab. Aber Wissen ist etwas anderes. Und er wusste, dass alles gleich bleiben würde.

 

Er ging in die Badewanne, kam nach einer Stunde wieder heraus, rasierte sich und zog sich an. Er ging dann noch einmal in die Stadt um sich zwei Flasche Wein zu kaufen und kam kurz nach Mittag wieder zuhause an. Zwischendurch hatte er bei seinen Arbeitsplatz angerufen und sich für den Rest der Woche krank gemeldet. Obwohl er als etwas gestört galt, schätze zumindest die Chefetage seine aufrichtige und gründliche Arbeit (auch wenn er begann die Geduld seines Arbeitgebers zu strapazieren) und so war das Fehlen für drei Tage kein Problem.

 

Am Anfang war es gar nicht mal so einfach eine Unterhaltung zu führen. Irgendwie schweiften seine Gedanken immer wieder ab, verirrten sich und starben. Eine schnelle Neugeburt wurde herangezüchtet um den Faden weiterzuspinnen, aber auch sie versagte. Doch irgendwann fand er dann die richtigen Worte und so vergingen die Stunden in der Art, wie er es sich gewünscht hatte. Hin und wieder schlief er ein, erwachte etwas später und stellte fest, dass sich sein Gesprächspartner langweilte. Er versuchte alles, um seinen Gegenüber bei Laune zu halten und obwohl es ihn nicht immer gelang, war sie nie wirklich wütend und wartete beharrlich bis es weiterging. So wurde es dunkel, so verging die Nacht und der Tag danach war zum Vormittag hin heiter und nicht mehr so kalt, wie die Tage zuvor.

Was ihn am besten gefiel, war, das er endlich jemanden alles erzählen konnte, was ihm auf den Herzen lag. Er hatte endlich jemanden gefunden, den er von den Schlägen und Beleidigungen in der Schule erzählen konnte, von den Schikanen seiner „Freunde“ und der Hetze all derer, die ihn für einen Phsycho und Krüppel hielten. Er konnte sich endlich mal die Wut über seinen Vater von der Seele reden, der sich lustig machte, als er nach einen Unfall im Krankenhaus lag und danach die Haltung seines Körpers nicht richtig hinbekam, oder die Prügel, die er bekam, wenn sein alter Herr betrunken ins Haus kam. Wollte er dann wegrennen schnappte der Vater ihn und schrie in ins Gesicht, das das Feigheit vor dem Feind wäre. Und so etwas musste mit dem Gürtel bestraft werden. Er bekam zwar kein Mitleid, doch das wollte er auch nicht. Für ihn war das Reden allein so wichtig, das es auf was anderes gar nicht ankam. So auch, als er erzählte, das er gerne einmal einen Stern geschenkt bekommen möchte. Im Inneren hoffte er, das das gleich passieren würde, doch es geschah nicht. Und auch das war egal. Was nicht egal war, war der Moment, wo das Gespräch sein Ende fand und er allein gelassen wurde. Dann musste er weinen. Und manchmal fügte er seinen Körper dann Wunden bei. Danach ging es ihn immer etwas besser. Doch dadurch wurden die Tränen auch nicht süßer.

 

Mit der Zeit hatte er gelernt, für seinen Hass, den er unterschwellig von Sonnenaufgang über Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang empfand, ein gewisses Feeling zu bekommen. Er hatte schon als Kind versucht, es zu kontrollieren, aber es gab Momente, in denen er sich nicht zusammenreißen konnte. Er musste sich schon so oft anhören, wie einer seiner alten Freunde meinte, er würde regelrecht explodieren, wenn man ihn reizte. Als der Protagonist dann einer solchen Situation beiwohnen durfte, sah er lediglich ein verzogenes Kind, das zusammenhanglos stotterte, zitterte und seinen Gegner vor sich her trieb. Solange, bis dieser genug hatte und einfach ging. Am Ende blieb natürlich trotzdem ein unkontrollierbarer, aggressiver Typ zurück. Natürlich. Eher ein dummes Gör, was unzufrieden mit sich selber war und versuchte, sich mit seiner Kraft wichtig zu machen. An diese Momente wurden dann aber nicht gedacht, als die Fäuste in mitten einer Klassenarbeit unter Schreien hochgezogen wurden und gegen einen Kopf schlugen, bis das Blut lief. Er mochte solche Momente nicht. Zum einen, weil es zu viele Augen gab, die belustig und lästernd zusahen, zum anderen, weil er sich dadurch unnötig die Haare waschen musste. Das Blut würde sonst verkrusten, und das sah nicht gut aus. Aber wie gesagt. Er bekam sich in den Griff, und wenn wieder solche Momente waren, dann fraß er es in sich hinein um dann ungestört in seiner kleinen Wohnung das Glas zu fragen, was zu tun sei. Den Zorn auf die anderen Menschen verpackte er immer in bissige Kommentare. Manchmal freute er sich, wenn er sah, dass man ihn nicht verstand. Dann konnte man weitermachen. Aber manchmal, da war er so sauer, weil er sich fragen musste, wie dumm die Menschen eigentlich sind, um das jetzt nicht verstehen zu können. Aber er sagte nichts. Er wollte nicht, dass er dann beim nächsten Mal seinen Wein ausspucken muss, weil er mit heftiger Kritik überrascht wurde. Und so ging alles seinen Gang.

 

Er riss die Augen auf, fuhr hoch, sah apathisch in die Dunkelheit und erst ganz langsam realisierte er, das er nicht vor den anderen wegrannte und keine Steine in den Rücken geworfen bekam. Er schwitzte. Nachdem sein Besuch gegangen war, da saß er noch eine ganze Zeit lang alleine, trank etwas Wein und hörte Musik. Mit der Zeit wurde er schläfrig und begann zu dösen. Die altbekannten Bilder flimmerten an seinem geistigen Auge vorbei und er war froh darüber und irgendwann ist er dann mit dem Wunsch nach den einen, den perfekten, Traum eingeschlafen. Es hatte nicht sollen sein. Denn während er in seinen Bett stöhnte und in Angst um Gnade flehte, rannten sie hinter ihn hinterher, um ihn zu verprügeln. Weil er es gewagt hatte „Arschloch“ zu rufen, als er „scheiss Psycho“ genannt wurde. Und gerade als sie ihn hatten und er die erste Faust auf sich niederfallen sah, da wachte er auf. Das Bettlaken war nass. Von Schweiß und Urin. Er wechselte es schnell, legte sich wieder hin und wollte eigentlich nicht mehr schlafen. Aus angst vor der Gefahr, das dieser Traum wieder anfangen könnte. Der Wecker klingelte ein paar Stunden später und er brauchte eine zeitlang um die Augen aufzumachen und ihn auszustellen.

 

Manchmal gibt es Dinge, die machen einen traurig, obwohl sie das einzige sind, was noch Sinn hat und allen einen letzten Sinn gibt. Zumindest wenn man nichts mehr kommen sieht.

Zum Frühstück sah er sich einen Splatter an. Er wollte ihn nicht unbedingt alleine sehen, doch dann war es nun einmal so. Und als er die Bilder sah, da wurde er nachdenklich. Der erste Horrorfilm, den er je gesehen hatte, das war „Tanz der Teufel“ und er hatte solche Panik danach gehabt, dass er nach dem Abspann noch ewig aufgekratzt war. Im Nachhinein waren das die besten Stunden seines Lebens gewesen, denn er spürte, wie er von einem Virus gefangen genommen wurde, der nichts Böses wollte. Und so sah er sich alles an, was er in die Finger bekam. Aber mit jedem Film wurde das Kribbeln immer lascher und am Ende verschwand es. Die schönen Alpträume über die Monster, die er gerade eben noch gesehen hatte, wichen nach und nach trivialen Bildern, die er vergaß, als er aufwachte. Den Wunsch nach dem perfekten Traum, der wurde ihn nur äußerst selten erfüllt. Er wurde für das Empfinden von cineastischer Brutalität und Gewalt abgehärtet. Und der Zauber verflog. Er sollte niemals wiederkommen. Das wusste er. Auch das hatte ihn verlassen. 

 

Du küsst jemanden. Gleich ob dasselbe Geschlecht oder nicht. Gleich ob Liebe zwischen Paaren oder die Liebe der Familie. Und dann legst du deinen Gegenüber eine Waffe an den Kopf. Du weißt dass dein Herz nichts mehr wert ist und hast dich dem hingegeben. Du weißt, dass es kein Problem ist abzudrücken weil nichts mehr von Wichtigkeit ist. Und doch tust du es nicht. Die Waffe verkommt zu einem sinnlosen Mittel um die Szene dramatischer zu gestalten und doch fühlst du die Macht die von ihr ausgeht. Denn du hast die Macht ein Leben zu beenden. Du besitzt die Möglichkeit über eine ganze Existenz zu richten. Und doch tust du es nicht. Und warum? Weil jeder einmal erkennt, das alles was man liebt, das Leben für einen selbst bedeutet.

 

Nach dem Essen verließ er noch einmal seine Wohnung und ging erneut durch die Straßen. An einem Filmplakat blieb er hängen, auf dem zu erfahren war, das eine neue Filmproduktion  große Weltpremiere feierte und das alle eingeladen seien, den cineastischen Helden einer falschen Welt zuzujubeln.

Es ist nicht einfach, des Protagonisten Gedanken und Gefühle über ein solches Szenario deutlich zu machen. Für ihn war es immer diese Absperrung gewesen, die wie eine Mauer zwischen zwei Universen funktionierte. Auf der einen Seite, da siehst Du all das jubelnde Kleinbürgertum, das Belanglose und das Herdenverhalten. Es muss nur ein Name fallen und ein Kollektiv aus irgendwelchen Menschen wird sich versammeln und schreien. Man selbst geht unter und der Höhepunkt ist im besten Fall eine halbwegs interessante Diskussion mit irgendjemand über etwas, was man selbst niemals erreichen wird. Dem gegenüber steht eine andere Welt, eine andere Zeit und eine andere Atmosphäre. Dort geht es um ein Lächeln, um eine perfekte Ausstrahlung und die Verbreitung eines Traumes. Es ist wie das göttliche Prinzip. Zum einen hat man die Macher von Emotionen oder gar ganze Leben. Auf der anderen die, die damit gefüttert werden. Er kannte solch Situationen genau. Sieht man sich einen guten Film an, dann ist man erregt, man pulsiert und hat eine gute Zeit. Man verlässt das Kino als glücklicher Mensch. Glück ist z. B. etwas, was man jeden zum Geburtstag wünscht. Sieht man sich Scheisse an, dann ist man wütend, frustriert und schlecht gelaunt. Ganze Kriege haben mit solch Emotionen angefangen. Er wusste es, weil er in der Zeitung von Ländern wie Israel oder den Kongo las. Er fand solche Dinge extrem faszinierend und dachte daran hinzugehen. Er würde es auch machen. Irgendwas zwang ihn regelrecht dazu.

 

Am Nachmittag schlief er noch etwas. Als er kurz vor Sonnenuntergang aufwachte, tat ihm schrecklich das Herz weh. Es waren Stiche wie von giftigen Nadeln, die sich lachend und schreiend ins Fleisch bohrten und jeden Impuls stromartiger Schmerzensschläge, den sie hervorriefen, bejubelten. Eine Zeitlang konnte er sich weder bewegen noch klar denken. Er sank in sich zusammen und wünschte sich, dass es gleich wieder besser werden würde. Bis dahin hatte er noch einen langen Weg. Denn noch am Abend sollte das Herz unter der Last von Spitzen Zacken zusammenbrechen. Zwei sollten es sein.

 

Zwar quälte er sich regelrecht ins Badezimmer, aber das hielt ihn nicht davon ab, seine Abendplanung durchzuführen. Und so stieg er noch einmal schnell unter die Dusche und wusch sie behutsam. Die Narben hatten irgendwie wieder angefangen weh zu tun. Sie brannten auf seiner Haut und verschlangen die Wärme des Wassers und die Kälte des Duschgels. Doch auch das musste er zu Ende bringen. Schließlich wollte er nicht stinken oder ungepflegt aussehen. Das dachte er sich auch, als er die Kleiderwahl traf. Es sollte etwas schlichtes sein. Eine dunkle Jeanshose, ein schwarzes langärmliges Hemd mit Nadelstreifen, eine schwere Weste, eine weiße Krawatte und einen grauen Schal, den er sich komplett um den Hals wickelte und die Enden unter dem Hemd verschwinden ließ. Noch etwas Make-up um eine vornehme Blässe zu erzeugen und fertig war er. Er sah sich im Spiegel an und dort musste er sehen, dass sein Gesicht immer zusammenzuckte wenn es wieder stach. Scheisse dachte er und ging ins Wohnzimmer um noch etwas fernzusehen.

 

Mit der Zeit verlor er sich abermals ins träumen. Er träumte von Diamanten, die er in seinen Händen heranzüchtete um sie dann zwischen seinen Fingern wieder zerfallen zu lassen. Er modellierte ganze Welten mit seinen zittrigen Fingern, spielte damit herum und warf sie weg. Er spielte Krieg und Frieden, sehnte sich nach Glück, nur um es danach wieder verteufeln zu können, weil es vor ihm haltmachte. Er durchlebte Himmel und Hölle, sah Gott und lachte, sah den Teufel und weinte. Und seine Hände formten immer und immer wieder andere Realitäten mit Feldern in denen es nach frischen Obst oder blühenden Blumen roch, nur um sie wieder abbrennen zu lassen und bittere Tränen in der Asche ganzer Generationen zu vergießen. Und so vermochte er es irgendwann nicht mehr die Stiche zu spüren. Das waren die Momente in denen er weit weg war. Bis ein falscher Ton in der schönsten Melodie gespielt wurde und er zurückkam. Und mit ihn das Zucken seines Gesichtes.

 

Er machte sich bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg. Er setzte sich die Kopfhörer auf, drückte die Play-Taste und lief bis zum nächsten Supermarkt. Dort kaufte er sich beim Fleischer ein paar Würste und später eine Flasche Tonic. Es war nicht viel. Doch dem Hunger entsprechend würde es reichen.

 

Mit der Zeit wurde es recht kalt. Er stand in der Menge und musste sich dumm dreiste Kommentare über Gott und die Welt anhören. Meist belangloses Zeug, also das, was er erwartet hatte, was ihn nicht interessierte, aber trotzdem über sich ergehen ließ. In den richtigen Momenten nickte er, meist lachte er auch dann, als es angebracht war. Aber seine Augen waren immer woanders. Sie suchten das Gelände ab und als sie sich verirrten und nichts fanden kamen sie wieder auf die Personen zurück, die ihn fragten, ob er schon einmal auf einer Premierenfeier war. Er antwortete immer das gleiche. „Hin und wieder, wenn es sich lohnt. Ich glaube zwar, das ich hier für nichts stehe, aber ich hatte auch keine bessere Idee für den heutigen Abend.“ Natürlich war das eine Lüge. Ihn fielen hunderte Möglichkeiten ein, etwas Besseres und Schöneres zu tun. Und da merkte er, dass er aus einem ganz einfachen Grund hier war. Er wollte nicht alleine sein.

 

Als der Trott losging, fühlte er sich ganz in Ordnung. Das Stechen hatte nachgelassen, das Brennen war auch weniger geworden und die Kälte wich einer angenehmen Temperaturempfindung. Und doch war da irgendetwas, was er weder deuten noch beschreiben konnte. Es fühlte sich wie Sehnsucht an. Dabei war doch alles in Ordnung. Er dachte so lange drüber nach bis sein Kopf anfing weh zu tun.

 

Er sah Könige vorbeilaufen. Nicht für ihn (nein für ihn waren es nur Menschen die eine Rolle spielten und jetzt dafür den Lohn bekamen) aber für viele andere. Manche um ihn herum, andere vor dem Fernseher oder schon im Bett liegende. Er konnte sich nicht erfreuen, das alles zu sehen, aber dennoch stand er in der ersten Reihe und so sah er in Augen, die ihn zwar auch kurz ansahen, dann aber abdrehten und weitergingen. Die einzigen Momente, und der Genuss ist weitaus weniger, als es viele versuchen einen einzureden. Und so stand er da, sah sich das bunte Treiben aus Fotographie, Lachen und Posen an, war mal belustigt, dann wieder wütend und zwischenzeitlich sogar ein bisschen neidisch. Und nach der Wut über sein bedeutungsloses Leben, was er jeden Tag tragen musste, da kam der Tod. Mit einer Wucht, die ihn mit solcher Macht traf, das er glaubte Gott wolle ihn bestrafen.

 

Sie gingen an ihn vorbei und die Welt, die zerbrach, lag nun nicht mehr in seinen Händen, sondern war die, in der er versuchte zu leben. Sein Herz schmerzte nun nicht mehr, es zerriss. Er konnte das Blut spüren, das austrat und alles zum ersaufen brachte. Alles, was er sich erträumt, erhofft und vorgestellt hatte, zerfiel und stürzte auf den Boden, wo es sich mit dem Dreck paarte. In diesem Moment konnte er die Einsamkeit spüren, die lachte und sich freute, nun für immer zu ihm zu gehören, gleich ob er es wollte oder nicht. Alle Kraft die er glaubte zu haben, zerfloss und zurück blieb dunkles Loch ohne Boden. Ein träumender Niemand, geschändet in einer stillen Minute, in der alle schrieen und feierten.

 

Er lief nach Hause. Die Schritte halten durch die Straßen, verstummten und wurden durch neue ersetzt. Die Wolken zogen sich zusammen und verschlangen das Licht der Sterne und des Mondes. Gerade der Mond, so dachte er. Es waren die letzten Gedanken, die er fassen konnte und die man noch als normal sehen konnte.

 

Er schloss sich ein, setzte sich auf seinen Sessel und hielt inne. Es war eigentlich nicht seine Art zu weinen (von ein paar Ausnahmen abgesehen) und das tat er auch jetzt nicht. Seine Augen starrten in die Dunkelheit, so wie er es immer hatte, wenn er aus schlechten Träumen erwachte. Nur diesmal war da ein Gefühl welches sonst nicht war. Sonst schrak er hoch und alles war, wie es einmal war. Das Gefühl was er jetzt hatte, das sagte ihn, das ihn dieses „Glück“ jetzt nicht zu Teil wurde. Du bist in Deinen eigenen Traum gefangen. Den Traum den jemand anderes träumt und er scheint gerade wach zu werden. Sein Atem lief schwerer. Er bekam kaum noch Luft, die Lunge drückte und sein Kopf schien zu explodieren. Wenn alles vorbei ist, dann wird die Bühne abgebaut, die Zuschauer gehen nach hause und die Akteure sitzen zusammen und freuen sich im besten Fall über einen gelungenen Abend. Doch wenn das Spiel ein Leben ist, dann gibt es keine Zuschauer die nach hause gehen, keine abgebaute Bühne und keine Akteure. Dann gibt es nur noch ein nacktes, ein karges Geäst aus zerbrochenen Träumen, getretenen Gefühlen und verlorenen Illusionen. Das Jetzt, welches schon lange nicht mehr da war, schnürt den letzten Kontakt ab und das Blut, welches durch deine Adern fließt bedeutet nicht Leben, da es für alles steht was in kurzen Momenten zerstört wurde. Ohne böse Absicht, ohne Wissen. Und trotzdem ist jeder Tropfen ein Fluch, den Du jetzt stärker empfindest als jemals zuvor. Diesen Fluch wollt er jetzt nicht mehr haben. Nicht mehr fühlen. Wenn du lachst, dann lacht die Welt mit dir. Wenn du weinst, dann weinst du allein. Und er wollte nicht mehr alleine sein. Niemals. Das alles sollte jetzt ein Ende haben.

 

Ein Beben von ungeahnten Ausmaßen durchfuhr seinen schmerzenden Körper. Die Schmach, die Verzweiflung, all das, was sich in sein Gehirn gebrannt hatte, das flutete jetzt seinen Körper. All der Schmerz, den er spürte war nicht mehr nur beängstigend, sondern verkam zu einer schezoiden Symphonie aus körperlichen Gebrechen, gepaart mit der besagten Todessehnsucht, die nun auch en letzten Funken Optimismus verschlang und gierig und mit der letzten Konsequenz nach seinen Leben trachtete. Er spürte das. Fühlte, das das kämpfen keinen Sinn mehr machte. Dazu fehlten ihn der Wille und die Kraft. Und so gab er sich einen letzten Tanz hin, der ihn wegtragen sollte. Dahin, wo alles zu einem wird. Dahin, wo man ewig währt und warten kann. Bis alles ein Ende hat.

 

Nach den Schuss verfiel die Wohnung in absolute Stille. Nie wieder sollten sich hier Gespräche über die Welt, Hassliebe und Verzweiflung abtragen. Kein Lachen sollte mehr erhallen, keine Träne mehr vergossen werden. Während ein paar Straßen weiter die Schreie und Liebesbekundungen immer lauter wurden, schlug ein lebloser Körper auf den Boden auf, den man erst zwei Wochen später entdeckte, weil der Geruch immer absurdere Form annahm. Der Protagonist hatte seine letzte Reise angetreten. Wir werden alleine geboren, wir sterben alleine. Und allein muss man auch den Weg danach gehen. Weil alles hoffen auf eine innige Zweisamkeit dann zu Ende ist, wenn alles Leben kalt geworden ist. Für die Leiche war dieser Weg nichts Neues. Was jetzt kam, war lediglich die letzte Etappe einer Reise, die er bald beenden sollte.

 

 

Ende.
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