Peng!
© 2004 Zippolo
Holen Sie die Farbe!
Ich sah auf meinen Zettel und klopfte an der Tür. Es öffnete ein großer, schwarzhaariger Mann mit kurzem Oberlippenbart, der mir irgendwie bekannt vorkam.
" Ja?", fragte er.
Ich hatte mein Gedächtnis verloren. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Obwohl.. doch. Meinen Namen. Ich wusste meinen Namen. ( komischerweise; im Normalfall erinnert man sich an gar nichts mehr ) John. Ich lag in einem Hafen, vor der Tür eines Hangars. Es war mitten in der Nacht und mir dröhnte der Schädel. Ich lag am Boden, völlig in schwarz gekleidet. Ich sah mich verwundert um und stöhnte leicht auf. Mein Kopf fühlte sich wie ein Tennisball an. Ich drehte meinen Kopf behutsam zum Hangar. Oben, über dem Tor, stand etwas geschrieben, ich konnte es aber nicht erkennen. Unter starken Schmerzen stand ich auf und ging aufs Tor zu und klopfte. Drinnen hörte ich leise Stimmen. Ich schlug stärker, so stark ich konnte, aber das machte mich nur noch kraftloser und ich fiel vornüber aufs Gesicht.
Es dämmerte schon, als ich erwachte. Ich fasste mir auf die Stirn und ein tiefer und langer Schmerz durchzuckte mich. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu schreien. Als ich mich aufstützte bemerkte ich Blut auf der Hand. Es war noch nicht getrocknet. Mir wurde übel. Ich wollte aufstehen, doch ich rutschte auf dem Blut aus und fiel fast auf den Kopf. Ich stand schwerlich auf und taumelte den kalten Steinweg entlang. Es war kein Mensch zu sehen, es war vielleicht 6, keinesfalls mehr als 7 Uhr. Ich sah, dass ich unregelmäßige, blutige Fußabdrücke hinterließ und drehte mich um. An der Stelle, an der ich gelegen hatte, sah ich eine große Blutlache. So viel Blut. Hatte ich soviel verloren? Hätte ich soviel verlieren können? Es tropfte vereinzelt welches von meiner Stirn. Ich fiel auf die Knie und kroch weiter zum Ufer des Hafens. Dort beugte mich über die Wasseroberfläche. Ich sah mein Gesicht, verzerrt, aber ich erinnerte mich, ich kannte es. Über meinen Augen klaffte offenbar eine große Wunde, dort fielen die Tropfen hinab und färbten für eine kurze Zeit das Wasser rot. Ich war schwarzhaarig und.. oh ja, gutaussehend. Ich lächelte schwach und wölbte die Hände zu einer Schüssel. Das Wasser war schmutzig, es war dreckig. Ich war durstig, sehr durstig, aber ich wollte, ich konnte das Wasser nicht trinken. Sosehr sich meine Kehle danach sehnte, mein Bauch und mein Gehirn lehnten es ab. Und ich hörte auf meinen Bauch.
Ich schüttete mir das Wasser über das Gesicht. Die Wunde schmerzte nicht, was mich heute nicht wundert. Die Erfrischung tat gut. Ich wusch mir die blutdurchtränkten Hände ab. Ich fühlte mich etwas wohler. Trotzdem richtete ich mich langsam auf. Richtig wohl war mir nicht und ich wollte nicht riskieren, ins Wasser zu fallen, das wohl als Müllkippe dieser Stadt diente. Stadt, dachte ich langsam. Wo ich wohl war? Ich kehrte dem Wasser den Rücken zu und torkelte wie ein Betrunkener auf die Straße. Ich sah mir noch mal die Lache an. Bestimmt ein Liter oder mehr. Ich dachte nach. Ein Mensch konnte einen halben Liter Blut verschlucken, ohne ohnmächtig zu werden. Aber wie viel konnte er verlieren, ohne zu.. na ja, ich war nicht tot und vielleicht gar nicht weit davon entfernt, wenn man meinen Kopfschmerzen glauben konnte. Die Lache gabelte in vielen Rinnsälen in viele Richtungen und eines davon, das längste, führte schlängelnd zu einem Gully, auf dem ich etwas weißes, von dem roten abhebend, sah.
Ich fürchtete schon, es wäre Gehirnmasse, aber es war nur ein kleines Stück Papier. Mir grauste, mich zu bücken, aber vielleicht könnte es meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Und nichts wünschte ich mir sehnlicher. Ich kniete mich nieder und nahm das Blatt in die Hand. Ich wischte das Blut von der Schrift und las:
Jerome Keens
Maraltstreet 7
Er sah das Verbandszeug auf meiner Stirn und schlug die Tür zu. Er dachte wohl, ich wäre einer Klapse entflohen, glaubte ich. Ich hämmerte gegen die Tür. Und schrie. Nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür wieder, diesmal nur einige Zentimeter weit und mit einer Kette gesichert.
" Was wollen Sie?", fragte Eddie. Er sah meine Hände nach einer Waffe ab. Ich fragte ihn, ob er Jerome Keens wäre und er bejahte zögernd.
" Ich habe mein Gedächtnis verloren. Ich brauche Hilfe.", sagte ich schwach. Eddie schien nicht überzeugt. Er wollte den Mund aufmachen, dann zeigte ich ihm den Zettel." Das ist alles, was ich noch habe." Die Tür ging zu und öffnete sich nach kurzer Zeit wieder. Ganz. Ohne Kette. Er bat mich, hereinzukommen. Ich ging durch die Tür und fand mich in einem schön eingerichteten Haus wieder. Er führte mich in ein großes Zimmer, Wohnzimmer, und ich setzte mich auf die Couch. Im Schrank konnte ich ein leises Huschen hören.
" Woher haben Sie das Teil da oben?", fragte er mich, als er meine Augen auf den Schrank gerichtet sah, und setzte sich nieder." Und was mich mehr interessiert: Woher haben Sie diesen Zettel?" Ich erzählte ihm von dem Hafen, dem Blut und dem Zettel. Aber nicht von dem Weg zu seinem Haus.
Ich ging wankend den Hafen entlang. Es waren schon einige Passanten da, und manche schienen ernsthaft entsetzt, sie wussten von dem ganzen wohl nichts. Intelligente Leute, denke ich.
Mein Kopf fühlte sich jetzt wie ein erfahrener Baseball an, der schon Hunderte Homeruns verbuchen konnte. Es wurde nicht besser, auch nach einigen Minuten nicht.
Die Leute starrten mich an. Wo ich auch hinging, ich schleifte eine Blutspur mit mir. Jemanden nach einem Taschentuch fragen konnte ich nicht, die Menschen hielten sich von mir fern, was ich ihnen nicht verübeln konnte. Ich würde es auch nicht anders tun. Aber ich musste doch jemanden nach der Maraltstreet fragen, sonst käme ich nicht weiter. Ich beschloss zuallererst einen Arzt aufzusuchen, doch wie sollte ich einen finden? Ich kannte die Stadt nicht, obwohl sie mir bekannt vorkam. Die Straßen, die Gebäude, ich erinnerte mich flüchtig, aber ich konnte nichts mit ihnen verbinden. Es kam mir alles wie ein weit zurückliegender Traum vor, von dem man aber weiß, dass er mal war. Ich weiß nicht, ob es jemandem mit Gedächtnisverlust auch so ergeht. Ich zweifelte nicht daran.
Nach einiger Zeit sah ich mich um. Ich war schon lange aus dem Hafen raus. Ich stand in einem kleinen Platz. Viele Schaulustige und viele Autos. Es wunderte mich, wie viele Leute im kleinen Platz waren, denn es war eine kleine Stadt, fiel mir ein. Ich sah einen weißen Van, der irgendwie mein Interesse weckte. Ich wollte auf ihn losgehen, als ich den Brunnen in der Mitte des Platzes sah. Ich fuhr mir kurz mit der Zunge über die Lippen. Hallein. Ja, so hieß die Stadt. Ich lächelte. Offenbar war ich doch kein hoffnungsloser Fall.
Ich lief, wenn man das Laufen nennen kann, zum Brunnen.
Ich war durstig und es war mir egal, ob das Wasser rein war. Scheißegal. Aber ich wusste es. Irgendwie. Es schmeckte nicht unbedingt grandios, aber mir war alles recht. Und es war eine Wohltat für meine Kehle, zumal die anderen Körperteile nicht protestierten. Der Schmerz ließ nach. Aber nur ein wenig. Er war immer noch unerträglich.
Das Blut tropfte nicht mehr. Es war getrocknet. Das Wasser blieb rein. Ich richtete mich auf und sah mich um. Der Brunnen war genau in der Mitte des Platzes und man hatte einen guten Überblick. Aber ich sah nichts bekanntes, bekanntes eigentlich schon, aber nichts, was mir helfen konnte.
Nachdem ich genug hatte, ging ich weiter. Nun in die entgegengesetzte Richtung. Ich kam zu einer Eisdiele, die mir bekannt vorkam. Nein, sie kam mir nicht bekannt vor, ich kannte sie. Ich erinnerte mich an Sommertage, an Freunde und an Frauen. Hier war ich gern, hier war ich froh. Die Diele war zwar leer, aber ich ging hinein, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Ja, ich war hier oft gewesen, aber es half mir nicht weiter. Sinkender Zuversicht ging ich raus. Ich ging wirklich, schlurfte nicht mehr. Zwar war ich noch nicht ganz aufgerichtet, aber mein Gang stabilisierte sich mit jedem Schritt. Das Wasser hatte mir neue Kraft gegeben. Etwa 5 Meter weit war ich gekommen, als mir im Augenwinkel das goldene Schild auffiel.
" Und woher kommt der Verband?" Er durchmusterte mich von unten bis oben, er schien mir nicht ganz zu glauben. Ich erzählte ihm nicht alles und ich hatte auch guten Grund dazu. Ein Arzt hätte ihn mir gemacht, sagte ich flüchtig. Was auch stimmte. Es war Dr. Olsbock, mein Hausarzt. Ich erinnerte mich an ihn, als ich das Schild sah. Er war geschockt, als ich blutverschmiert in sein Zimmer kam und ich erzählte ihm alles. Was ich noch wusste, wo ich gewesen war und etc. Er gab mir eine Karte von Hallein und markierte, wo wir waren und wo ich hin sollte." Und haben Sie inzwischen was herausgefunden?", fragte Eddie. Sollte ich es ihm sagen? Es wäre sehr unklug, denn er hätte mich bestimmt aus dem Haus geschmissen. Dachte ich jedenfalls. Also behielt ich es vorerst für mich und sagte nein.
Der Doktor hat mir außerdem noch eine Art Schmerzmittel gegeben, das recht wirksam war und das zudem auch noch eine andere Wirkung hatte. Das Haus von Jerome Keens war nur ein paar Hundert Meter entfernt, sagte mir die Karte. Bevor ich aufbrach, genehmigte ich mir noch einen Schluck aus dem Brunnen, der, wie es mir der Doktor noch versichert hatte, rein war. Die Menschen sahen mich nicht mehr an, jedenfalls nicht alle, und der Weg war ziemlich ruhig und ohne Zwischenfälle. Er war ruhig, bis..
Hey John, wie läuft’s mit dem Job?
..jemand mit lauter Stimme diese Worte schrie. Ich ging weiter und beachtet den Ruf nicht. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach, ob ich mich je vollständig erinnern könne, ob ich Frau und Familie hatte, ob.. Ich drehte mich schnell um, doch die Type war schon verschwunden. An der Stelle, an der ich ihn vermutete, stand der Van. Und bevor ich über eine Verfolgung nachdenken konnte, war er schon weg. Erst jetzt hatte ich bemerkt, wen der meinte. Die Stimme kam mir nicht bekannt vor. Komisch, sagte ich mir. Sehr komisch. Doch plötzlich.. als hätten die Worte in mir einen Knoten platzen lassen, veränderte sich etwas plötzlich in mir, in meinem Kopf. Ich hielt mich am Geländer fest. Ich hörte Stimmen, vereinzelte Bruchstücke, Fetzen, die sich zusammenfügten.
John, ich habe einen Auftrag für Sie.
Ich wusste noch nicht alles, aber ein dicker, fetter, dichtbräuiger Kerl, den ich direkt vor mir sah, hatte mich mit etwas beauftragt. Und es hatte etwas mit Jerome Keens zu tun. Und ich habe genickt, als wüsste ich Bescheid. Und ich hörte ihn sprechen, nicht nur ihn.
Jerome Keens hat sein Versprechen nicht gehalten.
Mir war nicht gut zumute und ich bat Eddie, mir den Weg zum Badezimmer zu zeigen.
Er hat seine Schulden nicht beglichen.
Ich trank ein wenig Wasser und bemerkte das Jucken an einer Wade. Es juckte mich schon den ganzen Weg, aber ich hatte es ignoriert. Doch nun kniete ich mich nieder und zog die Socke runter. Ich entdeckte den Halfter. Und als ich den Hosenboden weiter aufschob sah ich die Kanone.
Bringen Sie ihn um, John.
Ich ging ins Wohnzimmer und richtete die Waffe einige Zentimeter vor meine Schläfe. Ich sah Eddie und er sah mich. Er sprang auf, sein Gesicht schien bestürzt.
Folgen Sie dem Licht.
Aber seine Augen verrieten etwas anderes.
Schließen Sie die Augen, John.
Er schien sich nicht zu wundern, er.. lächelte unmerklich, was ich aber erst später bemerkte.
Bald werden Sie
Ich schluckte.
tief
Ich schloss die Augen.
schlafen.
Ich drückte ab.
Ich glaube er ist weg.
Ein kurzer, oberflächlicher Schmerz traf mich auf der Schläfe. Ich öffnete die Augen.
Und wenn Sie aufwachen
Ich war nicht tot. Ich sah Eddie, wie er mich jetzt deutlich angrinste. Er hielt etwas langes, schwarzes in seiner rechten Hand.
werden Sie sich
Aus dem Schrank schoss plötzlich etwas hervor, ein Mann mit etwas großem, undeutlichen, davor. Ein rotes Licht blinkte darauf.
an
Der dicke fette Mann kam durch eine Tür herein.
nichts
Ich sah mir die Kanone an.
mehr
Ein kurzes, weißes Fähnchen ragte daraus hervor.
erinnern,
Darauf stand:
John.
PENG!