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Der Goethe-Häusler

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Eigentlich hatte er das Goethe-Haus eher zufällig entdeckt und rein spontan beschlossen, es näher zu besichtigen. Als angehender Abiturient mit dem Leistungsfach Deutsch wusste er bereits, alles über den Meister zu wissen. Sein Referat allerdings bereitete ihm seit Wochen Depressionen. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er belegen wollte, dass Goethe dann am stärksten war, wenn er übernatürliche Dinge schilderte, dass er also ein Horror-Autor in des Wortes eigentlichem Sinn war – oder ob er eben was Belletristisches versuchen sollte, das in die Richtung ging, aus Goethes Gruselballaden moderne Versionen zu schnitzen.

Dieser Plan krankte an dem Punkt, dass sich seine Gedanken eher darauf konzentrierten, dem Leser die Überraschung zu präsentieren, welches Gedicht Goethes er gerade moder-nisierte. Dies ging zu Lasten des zu erzeugenden Schauders.

Einzelne Versuche in beiden Richtungen hatte er angefangen und wieder aufgegeben. Vielleicht könnte ihm das Goethe-Haus Inspiration schenken, verbrachte der Meister doch seine Kindheit und Jugend hier. Vom Preis war er entsetzt, vom recht schlappen Museum enttäuscht. Beinahe hätte er übersehen, dass ihn einer der Uniformierten in den Garten winkte, wo die Privatgemächer des Meisters Zugang gewährten.

In einer Werbung hatte er mal gelesen, im Goethe-Haus würden Wünsche in Erfüllung gehen. Im Grunde wünschte er sich nichts anderes als tödlich gute Inspiration.

Goethes Poeme wie "Der Zauberlehrling, "Der Erlkönig", "Die Braut von Corinth" oder "Der Gott und die Bajadere" gingen für ihn ganz klar in Richtung Horror. Aber die Sprache wirkte natürlich nicht mehr, nur die Handlung konnte ihn noch faszinieren. Mit "Faust" oder "Werther" dagegen konnte er wenig bis gar nichts anfangen. Und die frühen Gedichte Goethes handelten eigentlich ausschließlich von einer durch Schwangerschaft zerstörten Liebe, und am Ende bringt wahlweise der Bräutigam die Braut oder sich oder beides oder umgekehrt um.

Das Goethe-Haus gefiel ihm schon besser als das schnarchige Museum, und er bewunderte den Luxus, den selbst der junge Goethe genossen hatte. Fast überall stand einer dieser nervigen Uniformierten und beobachtete speziell ihn. Massenführungen langweilten ihn, er hatte zunächst versucht, sich einer anzuschließen, hielt aber nicht Schritt. Wenngleich er kein Kunstfreund war, beeindruckten ihn doch die Bilder, die zwar nur Episoden zeigten, aber an-einandergereiht eine Geschichte zu erzählen schienen. Das Spielzimmer wirkte etwas primitiv, die Bücherschränke in einem der oberen Geschosse gaben ihm mehr. Bücher, die so alt schienen, als würden sie gleich zusammenschmelzen. Natürlich war es verboten, sie in die Hand zu nehmen, und sicheres Glas schützte vor neugierigen Fingern.

Die Atmosphäre war in Ordnung und der Neuaufbau so geschickt auf alt getrimmt, dass die Illusion perfekt schien, als hätte es nie einen zerstörerischen zweiten Weltkrieg gegeben.

Eine bedrückende Stille beherrschte trotz des allgegen-wärtigen Quakens der Touristen die Räumlichkeiten. Fast ergriff ihn eine Art Ehrfurcht. Reichlich inspiriert verließ er das Goethe-Haus und begann zu schreiben.

Am nächsten Tag kam er wieder. Die Eindrücke, die er gesammelt hatte, wollte er vertiefen, sich einprägen, welche Sehenswürdigkeiten an welchem Standort standen.

Als er sich zu dem Bücherschrank beugte, fiel ihm auf, dass einige Bücher, deren Titel er sich aufgrund ihrer Un-gewöhnlichkeit gemerkt hatte, den Platz gewechselt zu haben schienen. Ihn ergriff der Verdacht, dass einige Besucher möglicherweise Sondererlaubnis hatten, zu den Büchern greifen zu dürfen. Andererseits war er am Vortag nur ein paar Minuten vor der Schließung gegangen, und er konnte sich auch kaum vorstellen, dass die Wachen sich zum Feierabend ein paar verstaubte Schmöker vornehmen wür-den. Da er soeben den Öffnungszeitpunkt genau abgepasst hatte und einer der ersten Besucher im Studierzimmer war, konnte es auch nicht gut möglich sein, dass jemand vor Minuten die Bücher vertauscht hatte. Ergo musste es in der Nacht passiert sein.

Auch bei den Bildern hatte ein Tausch stattgefunden. Das Bild, das mit der Geschichte des Josef begonnen hatte, hing jetzt zwei Plätze weiter auf der linken Seite. Vermutlich hatten einfache Reinigungsarbeiten stattgefunden, und man hatte es nicht für nötig gehalten, die genauen Plätze ein-zuhalten. Er ging die Geschichte des Träumers Josef durch. Gestern kam es ihm so vor, als wäre die Reihenfolge der Bilder korrekt gewählt, jetzt grüßte Josef mal als Pharao, dann wieder im Brunnen, von seinen Brüdern umzingelt.

Wenn er sich noch einen Tick genauer umsah, musste er feststellen, dass auch der Spieleschrank nicht mehr an dem Standort vor sich hin stand, an dem er gestanden hatte. Das Geschrei der Touristen nervte ihn, und er beschloss, nicht mehr zu den regulären Öffnungszeiten aufzukreuzen. Ver-bindungen zur Unterwelt halfen ihm dabei weiter, und auch wenn er sicher war, dass nichts so gesichert war wie Goethes Allerheiligstes, wusste er, dass es ihm gelingen würde, des Nachts in das Haus zu kommen – und zwar ohne den Alarm auszulösen. Alles was er brauchte, war ein brauchbarer Dietrich. Die Unterwelt hatte ihn, wie er dachte, und sie hatte ihn wirklich, wie er kurz darauf wusste. Seine Familie war reich, also war die Bezahlung kein Problem.

Irgendwas rauschte im Garten, als er diesen durchstrich. Sicherheitshalber blieb er ganz regulär auf dem Gehweg. Wem sollte es auffallen? Eine besonders hässliche Erle weckte kurz seine Aufmerksamkeit, als deren Zweige ihm über die Stirn strichen.

Im Haus hörte das Rauschen nicht auf, und obwohl er nicht besonders gut hörte, glaubte er eine Mischung aus sanfter Musik und Naturgeräuschen, ja sogar Vogelstimmen zu hören, und das mitten in der Nacht.

Er hörte etwas, als er bemerkte, dass der Schachtisch inzwischen mit dem Rücken zum Besucher stand, während er sich einredete, dass es doch möglich sei, dass die Wachen ihren Grund dazu haben mussten. Er hörte etwas.

"Ich liebe dich..."

Die Stimme war leise, fast ein Flüstern, der Satz wirkte unvollständig. Er hatte nicht das Gefühl, dass er gemeint war, und konnte auch kaum feststellen, woher das Flüstern kam, vermutlich vom oberen Geschoss. Er bewunderte seine launischen Ohren dafür, dass sie dieses Geräusch überhaupt registriert hatten, allerdings bestand die Möglichkeit, sich einfach getäuscht zu haben.

"Ich liebe dich..."

Er war sich jetzt ziemlich sicher, dass die Stimme einer Frau gehörte. Er glaubte, ein Zweigeknacken zu hören (im Haus?), und insgesamt wirkte die Stille lauter als das Gegacker der Touristen zuvor. Er fühlte nicht das Verlangen, nachzuprüfen, was genau mit dieser Art Liebe gemeint war, sondern hielt es jetzt doch langsam für ratsam, das Weite zu suchen.

"Du liebes Kind..."

Die Stimme klang immer noch fraulich, aber etwas persönlicher und lauter. Er fühlte Leidenschaft in diesem Satz, aber wieder wirkte es abgehakt und unvollständig. Sollte der alte Goethe in seinem eigenen Haus vor sich hinspuken und sich einen Spaß daraus machen, seine eigenen Sachen durcheinander zu bringen?

"Du liebes Kind..."

Die Illusion, zu halluzinieren, gab er auf. Der Wind, der im Hause wehte, klang lauter, dabei zeigte sich keine Be-wegung. Jetzt hörte er mehr als Leidenschaft aus der Stimme, sie kam eindeutig aus dem obersten Stockwerk. Es klang nach der Qual eines Gefangenen. Er fühlte sich nicht genügend bedroht, den Gedanken aufzugeben, nun doch ins oberste Stockwerk vorzudringen und vielleicht einem betagten Hausmeister dabei zuzusehen, wie er "Du liebes Kind" oder "Ich liebe dich" vor sich hinbrummelte, während er das Mobiliar verstellte, um Besucher zu irritieren.

Der Wind schwieg nie, die Zweige knackten immer noch, die Nacht blieb dunkel. Er grübelte über den Sinn der geflüsterten Worte nach. Ihr ursprünglicher Sinn hatte doch eine gewisse Schutzfunktion, etwas Tröstliches, hier wirkte es mehr verlockend als beängstigend. Außerdem erinnerte es ihn an etwas. Als er Schlag Mitternacht die Treppen erklommen hatte und als ihm einfiel, welchem Gedicht diese Worte "Ich liebe dich" und "Du liebes Kind", wenn auch nicht in dieser Reihenfolge, entstammten und dass diese Worte Strophenanfänge bildeten und mit "Komm, geh mit mir" und "Mich reizt deine schöne Gestalt" weiter gingen, als ihm alles das plötzlich klar wurde, fasste ihn etwas an, es schien ein Nebelstreif zu sein, zu seiner Linken sah er auf der Treppe eine Erle stehen, und er spürte, fühlte, sah und hörte etwas.

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehen...?"

 

 

 
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