Meine kleine Pflanze
Auf einmal war sie da. Ich habe keinen Samen ausgesät, ich habe keine Erde ausgestreut, ich habe sie nicht gegossen - nicht wirklich. Und trotzdem war sie da.
Erst war sie ganz klein und ich sah sie kaum, dann wuchs sie und wuchs und wurde immer größer.
Ich weiss nicht, woher sie kommt und wie sie heisst, aber sie beschützt mich und sie ist wie ein Freund für mich. Ihre Blätter sind weich und kühl, zart wie Seide. Seit sie da ist fühle ich mich freier und stärker.
Vielleicht hat sie mir der Himmel gesandt, weil ich mich nach einem Freund gesehnt habe.
Vielleicht hat sie selbst mein Flehen gehört und kam zu mir.
Ich habe wirklich keine Ahnung, aber ich bin froh, dass sie da ist und dass sie gut für mich ist.
Pflanzen sind keine Tiere, sie reden nicht, sie bewegen sich nicht, aber meine Pflanze ist etwas besonderes. Sie wächst noch immer und ich pflege sie gut, damit sie niemals krank wird. Ich brauche sie doch.
Ich muss nur aufpassen, dass niemand sie entdeckt. Ich habe Angst, man könnte sie mir wegnehmen. Ich will aber nicht mehr ohne sie leben. Also verstecke ich sie.
Im Winter ist das nicht schwer, aber im Sommer muss ich achtgeben, dass sie im Verborgenen bleibt. Je gößer sie wird, desto schwieriger wird das für mich.
Heute trug ich einen Pullover, obwohl es so warm draussen war. Aber ich habe Angst um meine kleine Pflanze. Ich hielt die Hand schützend auf sie.
Niemand darf sie entdecken.
Niemand darf mich fragen, woher sie kommt.
Warum sie gewachsen ist.
Warum sie in meinem Bauchnabel lebt.
Ich halte die Hand auf meinen Bauch. Ich fühle ihre Blätter unter dem dicken Stoff. Sie ist schon wieder größer geworden.
Niemand darf sie mir wegnehmen.