© 2003 Birger Berbüsse
Es fing alles mit einem blöden Streich an. Nein, genauer gesagt, es fing alles mit Willy an. Willy war zehn Jahre alt und ein Angsthase, wie er im Buche steht.
Eigentlich war er ein ganz normaler Viertklässler: In der Schule war er ganz ordentlich, und im Sommer spielte er mit seinen Freunden Fußball auf dem Sportplatz. Er stand extrem auf Computerspiele, besonders solche mit schnellen Autos und Schiessereien. Aus Mädchen machte er sich natürlich noch nichts (wer tut das schon in dem Alter?), dafür verpasste er aber keine Folge der Simpsons. Und er hatte Angst im Dunkeln, so dass er nur bei offener Tür schlief, damit Licht in sein Zimmer fiel. Besonders hatte er Angst vor dem Keller des Hauses, den er, wenn überhaupt, nur am Tage betrat. So schnell wie möglich rein, und am besten noch schneller wieder raus.
Außerdem war er der jüngere Bruder von Frank, zukünftiger Abiturient, blond, schlaksig, Basketball-Crack. Nachbar und Kumpel von Paul, groß, kahlrasiert, seines Zeichens ebenfalls Basketball-Ass und Frauenheld.
Die beiden saßen in der Schule in ihren gemeinsamen Fächern immer nebeneinander, was schon so manchen Lehrer (und auch einige ihrer Mitschüler) zur Verzweiflung gebracht hatte. Denn sie waren zwar ziemlich gute Schüler, nahmen den ganzen Schulkram allerdings nicht so ernst. "Passt schon!" pflegten sie zu sagen. Und plapperten im Unterricht munter drauf los. In den Pausen standen sie mit den anderen Jungs aus dem Jahrgang zusammen auf dem Raucherdeck, wo sie schon zig Schachteln weggequalmt hatten. Nachmittags hingen sie auch meistens zusammen rum, zogen sich Filme rein, spielten ein bisschen Ball- und hin und wieder kifften sie auch schon mal, meistens jedoch am Wochenende vor ner Fete. Frank beschränkte sich hier mehr aufs Feiern, während Paul beinahe auf jeder Fete ein anderes Mädchen abschleppte, was ihm einen fast schon legendären Ruf an der Schule eingebracht hatte.
Ja, die beiden waren ganz normale Sunny-Boys, meistens im Team anzutreffen und ziemlich beliebt. Allerdings hatte Frank die eklige Angewohnheit, seinen Bruder Willy des Öfteren zu drangsalieren. Er schubste ihn herum, durchwühlte sein Zimmer, beleidigte ihn und gab ihm jederzeit zu verstehen: "Ich hasse dich!"
Willy war nämlich nicht Franks richtiger Bruder. Er war der Sohn von Rolf, dem Freund seiner Mutter. Und seit dieser vor zwei Jahren mit Willy eingezogen war (sein Vater war gestorben, als Frank erst sechs war), gab Frank dem Kleinen zu verstehen, dass er ihn nicht im Haus haben wollte. Doch Willy ertrug diese Marter. Denn erstens war meistens einer der beiden Erwachsenen zu Hause, so dass Frank sich nichts traute. Und zweitens tickte Frank nur gelegentlich aus, wenn ihm mal wieder irgendwas nicht in den Kram passte. Das ganze war also gerade noch so im Bereich des Erträglichen.
Aber eines Tages war Frank zu weit gegangen.
Es war ein trister Mittwochnachmittag, und er und Paul saßen in seinem Zimmer. Langweilten sich. Frank zockte zum zigsten Mal NBA auf der Playstation, während Paul in der CINEMA des Vormonats herumblätterte. Da es draußen so stark regnete, wie seit Wochen nicht mehr, konnten die beiden ihrer Lieblingsbeschäftigung Basketball nicht nachgehen. Dazu kam noch, dass sie in letzter Zeit quasi einen Film nach dem anderen in Pauls DVD-Player geschmissen hatten. Sie hatten sich schlichtweg sattgesehen. Was also tun? Frank spielte bereits das dritte Match, und Paul las gerade zum zweiten Mal den "Matrix"-Artikel, als Frank einfiel, dass seine Mutter und ihr Freund Einkaufen waren. Willy war zu Hause.
"Jo, jetzt weiß ich, was wir machen können!" meinte Frank.
"Ach ja, und was, bitte schön?" antwortete Paul.
"Willy ist da. Erschrecken wir ihn doch mal ne Runde!"
Paul, der ja nicht wusste, dass Willy öfter mal unter Frank leiden musste, war sofort einverstanden. "Also, was machen wir?"
Zur gleichen Zeit lag Willy in seinem Zimmer am anderen Ende des Flures und las Tolkiens "Der Herr der Ringe". Da sein Vater es ihm nicht erlaubte, sich die "Herr der Ringe"-Kinofilme anzusehen ("Die sind ab 16, und damit Basta!"), hatte Willy beschlossen, erst einmal mit den Büchern vorlieb zu nehmen. Bis jetzt war er schwer begeistert von dem Mammut-Werk. Besonders Aragorn hatte es ihm angetan, der Waldläufer, der keine Angst kannte und-
Die Tür wurde so heftig aufgerissen, dass ihm fast das Buch aus der Hand gefallen wäre. In der Tür stand – wer auch sonst – Frank. Mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht.
"Kannst du nicht anklopfen? Was ist?" fuhr Willy ihn an.
"Rolf hat eben angerufen", antwortete Frank. "Er und Mama sind auf dem Rückweg. Du sollst für die beiden schon mal ne Pizza aus dem Keller holen."
Bei dem Gedanken daran wich Willy buchstäblich jede Farbe aus dem Gesicht. "Kannst du das nicht bitte für machen, Frank? Ich will da nicht runter!"
Franks Lächeln wuchs zu einem fiesen Grinsen. "Nö, hab zu tun. Paul und ich spielen NBA."
Als er wieder alleine war, legte Willy das Buch zur Seite. Er hatte jetzt schon Schiss, wenn er an den dunklen Keller mit seinem langen Flur und den nicht einsehbaren Nischen und Ecken dachte. Das war so verflucht unheimlich. Aber es blieb ihm ja wohl keine andere Wahl, als zu gehen. Mit einem Seufzer stand er auf und wünschte sich, zumindest ein kleines bisschen so viel Mut zu haben wie Aragorn.
Wie ein großes schwarzes Tuch lag die Dunkelheit vor ihm und schien Willy verschlingen zu wollen. Ängstlich tastete er nach dem Lichtschalter und drückte ihn. Nach zwei endlos langen Sekunden, in denen es nur flackerte, wurde der Keller plötzlich in schwaches Licht getaucht. Willy schluckte noch einmal und stieg die Treppe hinunter. Er musste den ganzen Flur entlang gehen, an dessen Ende eine Tür in den Raum führte, wo die Getränke aufbewahrt wurden und die Tiefkühltruhe stand. Doch schon nach zwei Schritten, war ihm, als würde da jemand hinter ihm stehen. Darauf lauernd, ihn anzufallen und ihm sonst was anzutun. Willy´s Kopf wirbelte herum.
Hinter ihm nur eine kahle Betonwand, von der schon der Putz abbröckelte. Ein Spinnennetz in der Ecke. Kein Angreifer. Niemand, der ihn töten wollte.
Aufatmend wandte er sich wieder dem anderen Ende des Flures zu, als ihm plötzlich jemand mit lautem Gebrüll in den Weg sprang.
"Woooaaaah!" rief die Gestalt.
Willy sprang fast einen Meter zurück und färbte seine Unterhose gelb ein. Er wollte gerade die Treppe hinauf flüchten, als er erkannte, wer da vor ihm stand: Frank. Wer sonst?
Und der lachte sich tot, klopfte sich auf die Schenkel und schüttelte sich wiehernd.
"Du Arschloch", fauchte Willy seinen So-gut-wie-Stiefbruder an. Da legte sich ihm eine Hand auf die Schulter. Er entließ den Rest Urin, den er noch in sich behalten hatte, in seine Hose.
Hinter ihm hörte er Paul lachen: "Mensch, Willy, du bist der größte Angsthase, den es gibt! Unglaublich!"
Immer noch zu Tode erschrocken, gedemütigt, mit vollgepissten Hosen, drohte Willy ihnen: "Irgendwann kriegt ihr das zurück! Aber richtig! Das versprech ich euch!"
Frank und Paul waren schon wieder auf dem Weg nach oben, als er das sagte, und hörten gar nicht richtig hin. Und außerdem: Warum sollten sie den kleinen Hosenscheißer auch ernst nehmen?
Zwei Wochen vergingen, ohne dass die beiden auch nur noch ein einziges Mal an den fiesen Streich dachten, den sie dem Kleinen gespielt hatten. Genau genommen hatten sie ihn schon vergessen, als sie den Keller verließen. Denn nach diesem kurzen Kick, den ihnen das Ganze verschafft hatte, war der Nachmittag doch wieder genauso langweilig wie zuvor. Sie verbrachten ihn damit, dass Frank vier weitere Spiele auf der Playstation gewann und Paul in alten Zeitschriften blätterte.
Dann aber klingelte eines Tages Pauls Telefon. Seine Eltern waren verreist und Paul und Frank wollten sich ordentlich einen geben (eine Kiste Bier und Martini standen auf Abruf bereit im Keller). Er war gerade damit beschäftigt, einen Film auszusuchen, den er und Frank an diesem Abend gucken wollten. Nach bald fünfzehn Minuten hatte er den Favoritenkreis auf "Stirb langsam" und "Lethal Weapon" eingeschränkt, als ihn das Klingeln des Telefons unterbrach.
Er fand sein Handy unter der Bild-Zeitung neben dem Kopfende seines Bettes. Paul ging ran.
"Ja, hallo?" sagte er.
Vom anderen Ende der Leitung war nur Rauschen zu hören.
"Hallo? Wer ist da?"
Nichts. Nur Rauschen.
"OK, ich lege jetzt auf!"
Dann war endlich eine Stimme zu hören. Sie klang irgendwie verzerrt, weit weg, ganz und gar nicht natürlich: "Ihr werdet heute Nacht sterben!"
Klick. Der Anrufer hatte aufgelegt.
Für einen Moment war Paul wirklich ratlos und verwirrt. Dann legte er das Handy wieder weg. Nur ein blöder Scherz, dachte er.
Als Frank ca. zwanzig Minuten später an der Tür klingelte, hatte Paul den Anruf schon wieder total verdrängt. Er war auch viel zu beschäftigt damit gewesen, sich für eine der beiden DVDs zu entscheiden. Irgendwann war die Wahl dann auf "Stirb langsam" gefallen. Es ging doch nichts über Bruce Willis im Unterhemd. Jetzt habe ich eine Maschinenpistole. Ho - Ho - Ho!
Dann klingelte es an der Haustür und Paul legte die DVD aufs Bett, schnappte sich seine Kippen und ging zur Tür. Er und Frank rauchten immer als erstes eine Zigarette, wenn sie sich trafen, und es war auch das letzte, was sie taten, bevor sie sich wieder trennten. Draußen stand Frank, allerdings rauchte er schon.
"Hey, hättest ja auch noch zehn Sekunden warten können, oder nicht?" fragte ihn Paul.
Dann fiel ihm auf, wie blass sein Freund im Gesicht war. "Jo, Frank, ist was nicht in Ordnung? Siehst nicht grad so pralle aus, heute!"
Frank lächelte schwach. "Ich weiß. Aber ich habe zwei total kranke Anrufe bekommen. Beide Male sagte so ne seltsame Stimme, wir würden heute Abend sterben!"
Paul schaute seinen Kumpel fassungslos an. Frank war normalerweise so was von abgebrüht, das gabs gar nicht. Und jetzt ließ er sich von diesem abgefickten Anrufer Angst einjagen. "Hey, mich hat der Sack auch angerufen! Da will uns nur irgendwer verarschen, der gestern zum ersten Mal‚Scream’ geguckt hat oder so. Mach dir mal keine Sorgen!"
Er stieß Frank freundschaftlich den Ellbogen in die Seite, worauf dieser endlich zu seinem normalen Lächeln zurück fand. "Scheiße, du hast wohl Recht. Weiß auch nicht, warum ich mich wie ein kleines Mädchen benehme."
Paul steckte sich eine Kippe in den Mundwinkel und grinste Frank spöttisch an. "Liegt vielleicht daran, dass du eins bist."
John McClane sagte gerade "Yippijahey, Schweinebacke!", als draußen etwas an Pauls Fenster knallte.
Paul unterbrach den Film. "Was war das, verdammt?"
"Keine Ahnung", antwortete Frank.
"Also los, wir schauen nach!"
Es war kurz nach halb elf, als die beiden nach draußen traten. Stockfinstere Nacht. Sterne waren nicht zu sehen, weil der Himmel komplett von Wolken bedeckt war. Das große Grundstück von Pauls Eltern war nur spärlich vom Licht der Laterne erhellt, die auf der anderen Straßenseite stand. Doch Paul und Frank hatten sowieso nur Augen für das, was sie da vor sich am unteren Ende der Treppe sahen, die zur Haustür führte.
"Heilige Mutter Gottes, was ist das denn?" fragte Frank.
Paul schüttelte nur den Kopf. Ihm fiel keine Antwort ein, denn so etwas hatte er noch nie gesehen.
"Glaubst du jetzt immer noch, dass die Anrufe nur Verarsche waren?" Frank schaute Paul nicht an, als er ihn das fragte, seine Augen starrten die Treppe hinab.
Paul zögerte kurz, bevor er antwortete: "Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht!"
"Ich hab jedenfalls verdammt noch mal Schiss", sagte Frank. "Das gebe ich ganz offen zu."
"Ich auch", presste Paul hervor. Und dann: "Was soll das, verfickt noch mal?"
Vor ihnen auf dem Fußweg loderten Dutzende von roten Kerzen. Vielleicht waren es sogar über hundert, Paul vermochte es nicht zu schätzen. Sie waren zu einem fünfeckigen Stern angeordnet.
"Ein Pentagramm", flüsterte Frank.
Und das war es: Ein Pentagramm, das Zeichen des Teufels. Doch das war nicht alles, was Paul und Frank sahen. Links neben dem Kerzen-Pentagramm, auf dem Rasen, stand ein Holz-Kreuz, mindestens einen Meter groß, das lichterloh brannte. Nach zweimaligem Hinsehen fiel Frank erst auf, was mit dem Kreuz nicht stimmte (mal davon abgesehen, dass es brannte): Es stand verkehrt herum, der Querbalken nur knapp fünfzehn Zentimeter über dem Gras.
"Würde jemand so einen Aufwand betreiben, nur um uns auf den Arm zu nehmen?" fragte Paul."
"Kann ich mir nicht vorstellen", sagte Frank. "Lass uns wieder reingehen, und dann weiter entscheiden, was wir jetzt machen sollen."
"Ja, ich glaube, du hast Recht. Los, komm."
Paul hatte sich gerade umgewandt, als neben dem Haus plötzlich das Licht anging. Irgendetwas hatte den Bewegungsmelder aktiviert.
"Bleib du hier stehen, ich schau mal nach, was da los ist", sagt er zu Frank.
"Nein, nein, gibt’s nicht! Das ist mir ne Spur zu viel, als dass ich hier alleine neben nem verdammten Pentagramm und nem brennenden Kreuz stehen bleib!"
"Hey, hey, hey", erwiderte Paul. "Jetzt mach keine Zicken. Wenn da jetzt wirklich jemand ist, und er läuft hinter dem Haus lang, dann kannst du ihn hier abfangen, während ich von hinten komme."
"Ne, ne, mach ich nicht. Ich komme mit dir mit."
"Frank, du bleibst jetzt hier stehen, falls der Typ hier auftaucht. Wahrscheinlich war das eben eh nur ne Katze."
Damit ging Paul los. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und schaute noch einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass Frank wirklich die Stellung hielt. Er tat es, auch wenn er mittlerweile wieder ziemlich blass im Gesicht war. Ihm war alles andere als wohl zumute. Paul zwinkerte ihm zu, um Frank – und auch sich selber – ein wenig Mut zu machen. Dann ging er weiter. Er hatte seinen besten Freund gerade zum letzen mal lebend gesehen.
Paul verschwand um die Hausecke, und Frank fühlte sich beim besten Willen nicht wohl in seiner Haut. Nervös tastete er in seinen Taschen nach Kippen. Marlboro. Rauchte er seit seinem 15. Lebensjahr. Mehr, weil er fand, dass er damit verdammt cool aussah, als dass er sie wirklich brauchte. Jetzt allerdings fühlte er zum ersten Mal, dass er eine Zigarette rauchen musste. Er war verdammt nervös. Der Anruf hatte ihn zwar beunruhigt. Aber jetzt dieses Pentagramm und das brennende Kreuz da vor ihm auf dem Rasen? Er glaubte nicht, dass das ernsthaft was zu bedeuten hatte. Voodoo, Satanismus und all das Kruppzeug gabs hier in der Gegend seinem Wissen nach nicht. Also spielte ihnen wohl jemand einen Streich. Dafür war das allerdings ein ziemlich großer Aufwand, oder etwa nicht? Und jemand, der sich so eine Mühe machte (und eine Anzeige riskierte, denn den konnte man bestimmt wegen Haus-
friedensbruchs drankriegen, oder so ähnlich), konnte ja nicht ganz richtig im Kopf sein. Der war mit Sicherheit ein bisschen balla-balla in der Birne. Mittlerweile hatte Frank eine Zigarette im Mundwinkel stecken (auch wenn das heute alles andere als cool aussah, aber das spielte nun wirklich keine Rolle) und inhalierte tief. Es tat richtig gut. Aber wo war denn Paul? Der hätte eigentlich schon längst ums Haus rum sein müssen, oder nicht? Tatsächlich hörte Frank in dem Moment Schritte neben dem Haus?
"Paul, bist du das?" rief er und ging seinem Freund entgegen.
Nur- es war nicht Paul, der da um die Hausecke herumkam.
Mit einem lauten Brüllen (es kam Frank viel zu schrill vor, um von einem erwachsenen Menschen zu kommen) stürzte sich ein kleines schwarzes Etwas auf ihn. Es kam mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke und schoss direkt auf ihn zu.
Frank schrie auf, drehte sich um und sprintete los in Richtung Straße. Das schwarze Ding war hinter ihm, konnte sein Tempo aber nicht mithalten. Es schien, als würde seine Sportlerlunge Frank das Leben retten, denn der Verfolger blieb stehen.
Frank rannte aus der Ausfahrt raus, als hinter ihm jemand "Ha, reingelegt, Frank!" rief. Er stoppte in vollem Lauf und wandte sich um. Mehrere Meter hinter ihm stand Willy, ganz in schwarz gekleidet und zog sich eine schwarze Sturmhaube vom Kopf, bis über beide Ohren strahlend und grinsend.
In Frank war nur noch Wut und Hass. "Willy, du kleiner-"
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment erfasste ihn der Mercedes.
Er war gerade hinter dem Haus und überlegte, was hier eigentlich für ein blödes Spiel gespielt wurde, als er das Brüllen (Viel zu schrill, dachte er noch) hörte. Paul lief ohne zu zögern los. Aber er wollte zu schnell um die Kurve, geriet ins Stolpern und machte sich lang. Mühsam rappelte er sich wieder auf und rannte los.
Noch während er aufstand, hörte Paul Jemanden "Ha, reingelegt, Frank!" rufen. Er kannte diese Stimme, ganz sicher, hatte sie schon oft gehört, wenn er- ja, wenn er wo gewesen war?
Er sprintete in den Vorgarten und sah eine kleine schwarze Gestalt in der Auffahrt stehen. Willy? schoss es ihm durch den Kopf. Dann gab es ein grässliches Geräusch.
Für eine Sekunde war Willy der Größte. Er spürte den Triumph und kostete ihn aus. Endlich hatte er es seinem "Bruder" zurückgezahlt. Er hatte ihn verarscht, aber richtig, hatte ihm und seinem blöden arroganten Kumpel so was von Angst gemacht, dass sie sich beinahe in die Hosen geschissen hätten. Er, der kleine Willy, dem sie vor kurzem im Keller den Schreck seines Lebens eingejagt hatten, hatte seine Drohung wahr gemacht und Rache genommen. Auch er konnte anderen einen Streich spielen. Ha, und was für einen! Das war wohl das Beste und Geilste, was je einer gemacht hatte, oder nicht? Tagelang hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er es den beiden heimzahlen könnte, dass er sich wegen ihnen in die Hosen gemacht hatte und zwei Tage lang Alpträume gehabt hatte. Dann war ihm die Idee gekommen, nachdem er einen Film über Voodoo und so gesehen hatte. Die Ausführung war dann gar nicht so schwer gewesen; er wusste ja, dass Paul und Frank sich oft zusammen Filme reinzogen, musste also nur den richtigen Moment abpassen. Erst hatte er die beiden dann mit seinen Anrufen beunruhigt. Und dann, kurz nachdem Frank rüber zu Paul gegangen war, hatte er die Kerzen eingepackt, das Holzkreuz geholt, das er hinter der Garage zusammengenagelt hatte, und war losgegangen. Einen bisschen Muffensausen hatte er doch gehabt, dass ihn jemand beim Anzünden sehen würde, aber er hatte Glück gehabt. Und wie Frank eben vor ihm weggelaufen war- es war der schönste Moment seines Lebens; die Angst in seinen Augen zu sehen und jetzt die Erkenntnis, dass er von einem kleinen Jungen zum Narren gehalten worden war. Das war sein Triumph, und Willy fühlte sich königlich.
Der Mercedes schleuderte ihn mehrere Meter in Luft. Beim Aufprall brach sich Frank, dem der Zusammenstoss Leber und Milz zerrissen hatte, das Genick, und er blieb reglos auf dem Asphalt liegen. Bis ihn der nachfolgende Astra überrollte, ihm sämtliche Knochen zerschmetterte, und seine Leiche in den Rinnstein rollte.
Die Sturmhaube fiel zu Boden, und Willy kotzte sich auf die Schuhe. Paul kam die Auffahrt hochgerannt und blieb neben ihm stehen. Er schaute auf die Straße, wo Frank lag.
Paul schaute zu Willy hinunter: "Willy, was- was hast du getan?"
Willy wusste es nicht. Er hatte den beiden doch nur einen Schreck einjagen wollen. Oder?
ENDE