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Soaks
Copyright 2007 by Jan Jekal 


1

 

Nass...Wasser...Regen...grau....grau...grau, grau, grau. Grau. Eine Stimme. So laut. Noch eine Stimme. Grau...


Schwarz.


2

 

"Wir haben Sie auf dem Friedhof gefunden", erklärte er, "wir waren da, um das Grab meiner verstorbenen Schwiegermutter wieder schön zu machen. Wir hatten es etwas vernachlässigt in letzter Zeit, um ehrlich zu sein. Naja, wir wollten gerade die Stiefmütterchen bisschen gießen, als es anfing zu regnen. Jetzt haben die verdammten Blumen wenigstens ihr Wasser. Jedenfalls waren wir gerade auf dem Rückweg, als wir Sie entdeckt haben. Sie lagen da wie tot." Er schauderte. "Wir haben Sie verschiedene Sachen gefragt, aber es kam keine Reaktion. Erst nachdem Sue Ihnen auf die Wange geklatscht hatte, haben Sie reagiert. Wir haben Sie dann mit hierher in unser Haus genommen, Sie haben heftig gezittert. Und, naja, der Rest ist Geschichte."

Jane Meyers, die Frau, die bewusstlos auf dem Friedhof gefunden worden war, lächelte unsicher. Sie war immer noch sehr benommen, sie wusste, dass irgendetwas mit ihr passiert war, sie konnte aber nicht sagen, was. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie bei strahlend blauem Himmel (der Regen kam erst anderthalb Stunden später) durch die Pforte des Friedhofs gegangen war, reichte ihre Erinnerung. Von all dem, was danach geschah, wusste sie nichts mehr.

"Wie heißt du eigentlich?", fragte der Mann, der sie gefunden hatte.

"Jane. Jane Meyers", antwortete sie leise. Sie hatte absolut keine Lust auf eine Unterhaltung, ihr war immer noch sehr übel. Es gefiel ihr auch nicht, dass dieser Mann sie gleich duzte.

"Ich bin Thomas Bryze, kannst ruhig Tom sagen.", sagte er mit einem Augenzwinkern, das er wohl für charmant hielt.

Jane mochte ihn nicht. Sie wusste nicht warum, sie konnte es nicht konkret erklären. Es war einfach seine gesamte Art, die sie nicht mochte, die sie verabscheute. Aus irgendeinem Grund fing Sue in dem Moment an, Tom abgrundtief zu hassen, obwohl es (wenn man es logisch ausdrücken will) keinen präzisen Grund dafür gab. Er hatte sie weder beleidigt noch hatte er ihr etwas angetan. Er hatte ihr sogar geholfen, wenn man es genau nehmen will, schließlich hatte er (oder besser gesagt seine Freundin Sue) sie am Friedhof aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt. Also hätte sie normalerweise noch überhaupt keinen Grund gehabt, ihn nicht leiden zu können. Doch wenn sie ihn jetzt ansah, ihn, mit seinen hochgegelten Haaren und seinem Hawaii-Hemd und seiner übertrieben weiten Hose, spürte sie sofort diese starke Abneigung gegen ihn, die mit der Zeit immer stärker wurde.

Tom redete immer noch. Jane wusste nicht genau, über welches Thema, sie hörte schon seit geraumer Zeit nicht mehr richtig zu. Sie sah ihn nur an, wie er mit seinen hässlichen Händen wild gestikulierte und wie er immer wieder sein pseudo-charmantes Lächeln aufsetzte, bei dem er seine makellosen weißen Zähne entblößte. Ich verwette meine ganze verdammte Wohnung, dass diese Zähne nicht echt sind, dachte Jane.

Tom erzählte immer noch, er schien überhaupt nicht zu bemerken, dass sein Gegenüber nur desinteressiert zu der Uhr, die über dem Fernseher im Wohnzimmer hing, blickte.

"Tut mir wirklich leid, aber ich muss jetzt dringend in meine Wohnung zurück, Thomas", unterbrach sie ihn, während er von seinem neuesten heldenhaften Abenteuer berichtete. Sie nannte ihn bewusst Thomas, sie weigerte sich, ihn Tom zu nennen, weil sie zu so einem (Arschloch) machohaften Kerl keine Freundschaft aufbauen wollte.

"Oh", sagte Tom, sichtlich geschockt, dass jemand es wagte, ihn zu unterbrechen, wenn er von sich erzählte (er liebte es, von sich zu erzählen). "Warum müssen Sie denn schon gehen?", fragte er. Diesmal siezte er sie, was auch ihr auffiel. Sie hatte jedoch kein Problem damit, die Distanz nahm sie dankend an, die kam ihr gerade recht.

"Naja, mein Freund wartet auf mich. Er macht sich bestimmt schon Sorgen", sagte sie. Das war selbstverständlich alles gelogen, sie wollte nur so schnell wie möglich aus diesem Haus raus. Sie wusste nicht warum, sie spürte nur, wie etwas an diesem Haus sie beunruhigte, sie hatte irgendwie das verrückte Gefühl, dass das Haus lebendig war und sie beobachtete.

"Nun gut, dann will ich Sie auch nicht aufhalten!"

Er hätte ihr natürlich auch das Telefon anbieten können, dann hätte sie kurz bei ihrem (nicht vorhandenen) Freund anrufen können, doch diese Höflichkeit ersparte Tom sich. Er stand auf und führte Jane zur Tür.

"Es war nett, Sie kennen gelernt zu haben", sagte Tom in einem Ton, der eher das Gegenteil vermuten ließ.

Jane sagte nichts darauf, sondern verabschiedete sich nur höflich, worauf Tom die Haustür schloss.

Als sie die Treppen, die zur Haustür führten, herunter gegangen war, bemerkte sie, dass sie überhaupt nicht wusste, wo sie war. Wie denn auch, dachte sie, du bist doch erst in diesem Haus wieder aus deinem kleinen Koma erwacht. Sie drehte sich um, um noch einmal zu klingeln und zu fragen, wo sie überhaupt war (was ihr gar nicht gefiel, da sie einfach nur von diesem merkwürdigen Haus verschwinden wollte), als ihr auffiel, dass das Haus, das vor ihr stand, komplett dunkel war.

Das wunderte sie. Ob Tom schon ins Bett gegangen ist? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie glaubte nicht, dass Tom der Typ Mensch ist, der sofort, nachdem der Gast gegangen war, ins Bett geht und dann friedlich schläft. Eher war er der Typ Mensch, der es sich nach dem Besuch in dem Ledersessel vor dem Fernseher gemütlich macht und dann seine Freundin anbrüllt, dass sie ihm gefälligst die Paprika-Chips aus dem Vorratskeller holen soll. Ja, das ist Tom.

Sie ging die Treppen noch einmal hoch und klingelte. Keine Reaktion. Sie klingelte noch einmal. Wieder keine Reaktion. Sie klingelte Sturm. Und wieder keine Reaktion. Jane war schon am Verzweifeln, als sie den kleinen gelben Zettel entdeckte, der direkt vor ihren Füßen lag. Sie war sich sicher, dass dieser vorhin noch nicht da gelegen hatte. Sie hob den Zettel auf und las die Nachricht, die auf ihm stand:


Nächstes mal vielleicht bisschen höflicher, Madame. Dann macht auch jemand die Tür auf.

Josie


Sie las den Zettel dreimal hintereinander. Josie? Wer zum Teufel war Josie? Toms Freundin hieß doch Sue, da war Jane sich ziemlich sicher. Woher kommt dieser Zettel? Der lag doch vorhin noch nicht hier!

Sie klingelte noch einmal, auch wenn sie jetzt sehr damit rechnete war, dass niemand reagieren würde. Sie hatte Recht.

Die Verzweiflung, die sie vor wenigen Minuten erfolgreich verdrängt hatte, schlich sich jetzt wieder heimtückisch an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie wollte ihrer Angst und ihrer Verzweiflung freien Lauf lassen, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.

Wie konnte sie nur so dumm sein, warum hatte sie nicht gleich daran gedacht? Sie saß hier auf dieser blöden Treppe und war kurz vor dem Heulen, während das Handy friedlich in ihrer Hosentasche schlummerte. Sie konnte gar nicht glauben, dass sie nicht an das Handy gedacht hatte. Ohne Handy konnte sie nach eigenen Aussagen keine zwölf Stunden überleben und jetzt, gerade jetzt in einer Notsituation war es das Handy, an das sie nicht dachte. Ihr Puls, der vor wenigen Sekunden noch raste, beruhigte sich schlagartig. Ihr Herzklopfen, das ein Pochen in den Ohren verursacht hatte, war so gut wie weg. Sie fasste sich in die linke Hosentasche, wo sie das Handy immer hatte.

Das Handy war nicht da.

Moment, kein Grund zur Panik, das Handy ist bestimmt in der anderen Tasche, beruhigte sie sich. Doch das Handy war auch nicht in der anderen Hosentasche.

Die Panik war wieder da, die Verzweiflung auch, das Pulsrasen und das Herzklopfen, das das Pochen in den Ohren verursachte, auch.

Alles war wieder da - bis auf das Handy. Wo war das verfluchte Handy?

Die Antwort war (was sie selbstverständlich nicht wusste), dass ihr das Handy auf dem Friedhof aus der linken Hosentasche gefallen war und fünfeinhalb Stunden später, als sie auf der obersten Treppenstufe vor Toms Haus saß und vor sich hin schluchzte, immer noch da lag.

Es fing wieder an zu regnen, es goss regelrecht in Strömen, und Janes Haar wurde innerhalb von wenigen Momenten klatschnass und verfärbte sich von hellbraun zu schwarz. Sie heulte regelrecht, sie wusste nicht, was sie jetzt machen sollte, wohin sie jetzt gehen sollte. Sie wusste nicht, an was für einem Ort sie sich befand, sie wusste nur, dass dieser Ort weit von ihrer kleinen, gemütlichen Großstadtwohnung entfernt war. Sehr weit enfernt.

Tom hat mein Handy, dachte sie. Tom hat mir das Handy geklaut, als ich im Land der Träume war und das nicht verhindern konnte. Wahrscheinlich sitzt er jetzt gerade in seinem Sessel und liest die SMS, die als letztes reingekommen ist. Wahrscheinlich lacht er jetzt gerade über sie, nicht mit seinem pseudo-charmanten Lächeln, bei dem er seine ganzen Zähne entblößt, sondern mit einem fiesen, hinterhältigen Lachen.

Dieser Gedanke machte sie verrückt. Sie stand auf und hämmerte wie besessen auf die Haustür, die nichts für Janes Gefühlssituation konnte.

"Gib mir mein Handy wieder, du Scheißkerl!", brüllte sie, während sie mit der ganzen Kraft, die sie noch besaß, die Tür malträtierte. Keine Antwort.

"Was soll ich nur machen?", sagte sie zu sich selbst. "Was soll ich nur machen?"

Sie brach wieder schluchzend zusammen, mittlerweile so durchnässt, dass sie sich wie ein Fisch im Wasser fühlte.

Sie blickte noch einmal auf den gelben Zettel, auf dem Josies Nachricht stand. Merkwürdigerweise war die Mitteilung weder verwischt noch irgendwie anders in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Nachricht sah genau so aus wie vor dem Regen.



3

 

Bill Millown war der Wirt, der einzige Wirt, in der Gaststätte Soaks Myce und hatte somit auch unheimlich viel zu tun. Er hetzte elf Stunden am Stück von einem Tisch zum anderen, so dass er nach jedem Arbeitstag wirklich so kaputt war, als wäre er bei einem Marathonlauf mitgelaufen, doch trotzdem waren die Gäste unzufrieden, weswegen er sich regelmäßig bei dem Boss, Mr. Zing, rechtfertigen musste. So auch dieses Mal.

"Mr. Zing, ich gebe wirklich mein Bestes, bitte glauben Sie mir, doch wenn den Gästen das Essen nicht schmeckt, kann ich wirklich nichts machen, ich bin nur der Kellner, nicht der Koch!", versuchte er den Boss davon zu überzeugen, ihn doch nicht zu entlassen.

"Mit dem Koch ist alles in Ordnung, er kocht hervorragendes Essen.", sagte der Boss. Natürlich tut er das, dachte Bill. Schließlich ist er der Sohn vom Boss, also kann es doch gar nicht an ihm liegen.

"Wenn sich noch ein Mal ein einziger Gast bei mir beschwert, dann ist das ihre Fahrkarte in die Freiheit! Haben Sie mich verstanden?"

Bill nickte. Er ging wieder in die Gaststätte, wo diverse Gäste schon warteten. Er ging zuerst zu Tisch 8, wo eine junge, sehr durchnässte, aber dennoch gut aussehende Frau saß.

"Haben Sie sich schon entschieden?", fragte Bill in seinem kellnerischen Tonfall.

"Ja, ich möchte nur ein Glas Wasser.", sagte sie.

"Nichts zu essen? Sie können es doch vertragen, wenn ich das sagen darf.", sagte er mit einem charmanten Lächeln. Normalerweise kamen Schmeicheleien dieser Art gut bei Frauen an, doch diese Frau, die jetzt vor ihm saß und nur ein Glas Wasser bestellte, reagierte geschockt und wich sofort zurück.

"Oh...Entschuldigung, ich wollte nicht...also, das war nur ein..", sagte er peinlich berührt. "Also, ein Glas Wasser. Kommt sofort."


Es war endlich wieder Tag. Gott sei Dank. Die Nacht war furchtbar gewesen. Jane hatte schließlich eingesehen, dass es keinen Sinn machte, weiter vor Toms Haus zu verweilen, also hatte sie allen Mut zusammengenommen und den kleinen Sandweg, der von Toms Haus in diesen scheinbar endlosen wilden Wald führte, betreten. Sie war die ganze Nacht durch diesen Wald gegangen. Sie hatte sich furchtbar gefühlt, es hatte wieder angefangen zu regnen, der kleine Sandweg (eigentlich würde "Pfad" mehr zutreffen) verwandelte sich in einen großen Matschhaufen und es sah so aus, als würde sie nie aus diesem Wald herauskommen. Doch das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war dieses unterbewusste, aber dennoch starke und beunruhigende Gefühl, beobachtet zu werden. In der Nacht war es so unheimlich dunkel, dass sie manchmal sogar vom Pfad abkam, weil sie ihn einfach nicht sehen konnte. Sie sah überall im Wald grell leuchtende Augenpaare, die sie beobachteten und die nur darauf warteten, dass sie weit vom Pfad abkam, damit wieder Frischfleisch auf den Tisch kam. Sie wollte einfach wieder zurück nach New York zu ihrer Mutter. Es klingt vielleicht albern, doch als Jane verzweifelt den Mond am Himmel suchte und ihn selbst bei den anstrengensten Bemühungen nicht finden konnte, brach sie verzweifelt zusammen und schrie mit lauter, schriller Stimme, dass sie zurück nach Hause will, dass sie zurück zu ihrer Mama will. Es war ihr auch nicht peinlich, dass sie, eine junge Frau, nach ihrer Mama schrie, warum auch, es war ja sowieso niemand da, der sich über sie lustig machen könnte, sie war doch mutterseelenallein in diesem verdammt großen Wald.

Schließlich hatte sie es doch geschafft die furchtbare Nacht zu überleben und war in der Morgendämmerung in diesem Dorf angekommen. Sie wusste nicht, wie es hieß, es war kein Ortsschild angebracht. Als sie die große Straße, die durch das Dorf führte (Jane taufte sie "Hauptstraße", weil sie nicht wusste, welchen Namen die Straße hatte, da auch keine Straßenschilder in diesem Dorf angebracht waren) entlangging, fiel ihr zum ersten Mal auf, wie viel Hunger sie hatte. Natürlich hast du Hunger, dachte sie. Du hast ja auch schließlich seit gut vierzehn Stunden nichts mehr gegessen.

Sie fand es gar nicht merkwürdig, dass dieses Dorf weder ein Ortsschild noch Straßenschilder hatte. Unter normalen Umständen hätte sie sich sicherlich gewundert, doch nach dieser schrecklichen, einsamen Nacht war sie so froh darüber, wieder in einem Dorf, wieder unter Menschen (auch wenn im Morgengrauen noch nicht viele Menschen unterwegs waren) zu sein, dass es ihr total egal war, ob ein Dorf nun ein Ortsschild hat oder nicht. Sie suchte das erstbeste Lokal auf, setzte sich an einen Fenstertisch und studierte die Speisekarte (ein handbeschriebenes Blatt Papier), worauf auch schon der Wirt kam. Er fragte, ob sie sich schon entschieden hätte. Der Hunger, den sie vorhin auf der Hauptstraße noch so unheimlich stark gespürt hatte, war wie weggezaubert und hatte ein flaues Gefühl im Magen hinterlassen, das Übelkeit verursachte. Also bestellte sie nur ein Glas Wasser. Darauf fragte der Wirt, ob sie wirklich nichts zu essen haben wolle und machte eine Bemerkung, die sie augenblicklich an den pseudo-charmanten Tom erinnerte, der immer so lächelte, dass man alle seine makellosen Zähne sehen konnte.

Sie war unheimlich geschockt und wich zurück und war sehr kurz davor, aus dem Lokal zu rennen, möglichst weit weg von Tom, als der Wirt ihr den Rücken zu kehrte, wahrscheinlich, um ihr das Wasser zu bringen.

Als er ihr schließlich das Getränk brachte, entschuldigte sie sich bei ihm.

"Kein Problem", sagte Bill. "Ich glaube, ich sollte mich eher bei Ihnen entschuldigen."

Sie winkte höflich ab und fragte ihn, wie sie von hier aus (sie sagte "von hier aus" bewusst, weil sie immer noch nicht wusste, wie dieses Dorf hieß) am schnellsten nach New York kommen würde. Sie wollte unbedingt wieder nach Hause.

"New York?" Bill blickte verwirrt. Offensichtlich wusste er nicht, wovon sie sprach.

"Sie kennen doch wohl New York?", hakte Jane nach. Es kam ihr sehr merkwürdig vor, dass der Wirt noch nie von New York gehört hatte. Wer kannte New York nicht?

"Ich werde mal den Koch fragen, vielleicht kann der Ihnen weiterhelfen.", sagte Bill und ging in die Küche. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder und sagte, dass auch der Koch nicht wusste, wovon sie sprach.

Janes Augen füllten sich wieder mit Tränen (eine Sache, die in letzter Zeit sehr oft bei ihr vorkam) und sie war kurz davor, wieder loszuheulen. Bill wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Sollte er sie trösten, obwohl er sie so gut wie überhaupt nicht kannte? Oder sollte er sie einfach nur beruhigen und sagen, dass alles nicht so schlimm wäre? Er entschied sich für Letzteres.

"Ist doch alles nicht so schlimm", sagte er. "Wenn sie sich wieder beruhigt haben, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus."

Zugegeben, das klang bescheuert, doch ihm fiel nichts Beseres ein, was er dieser aufgelösten Frau, die offensichtlich schon vieles durchgemacht hatte in letzter Zeit, hätte sagen können. Er entschloss sich, ihr ein paar Fragen zu stellen, um sie ein bisschen abzulenken.

"Wo kommen sie eigentlich her? Sind sie neu in Soaks?", fragte er sie, obwohl er die Antwort eigentlich schon wusste. In Soaks kennt jeder jeden, doch Jane hatte er noch nie gesehen.

Sie wollte zuerst fragen, was Soaks ist, doch dann begriff sie, dass das der Name des Ortes war.

"Ja", sagte sie mit belegter Stimme. "Ich war gestern bei Tom. Also, da hinter diesem wilden Wald, bei diesem komischen Haus, dass Nachrichten auf gelbe Zettel schreiben kann. Davor war ich auf dem Friedhof, wo ich bewusstlos wurde."

Erst nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, fiel ihr auf, wie zusammenhanglos und wirr sie gesprochen hatte. Sie wollte noch einmal von vorne anfangen, damit Bill diesmal verstehen konnte, was sie meinte, doch offensichtlich hatte Bill sie trotzdem verstanden.

"Sie waren bei Josie?", fragte er ganz geschockt.

Sie wollte schon gereizt fragen, wer zum Teufel Josie ist, als sie sich wieder ganz genau an den gelben Zettel, auf dem als Unterschrift "Josie" stand, erinnerte. Jane war perplex.

"Ist Josie...das Haus?", fragte sie.

"Ja", antwortete Bill. "Das wird zumindest gesagt, es wird behauptet, dass das Haus lebendig ist und manchmal den Besuchern Nachrichten übergibt. Ich habe einen Bericht darüber noch nie aus erster Hand gehört, weil sich noch nie jemand getraut hat, von Soaks aus auf die andere Seite des Waldes zu gehen..."

Kann ich verstehen, dachte Jane.


4

 

Sie ging wieder die Hauptstraße entlang und begutachtete die Häuser. Es waren allesamt Holzhäuser und die "Hauptstraße" war nur ein breiter Sandweg, weswegen sie sich immer mehr wie in einem Western aus den 50er-Jahren vorkam.

So etwas wie einen Supermarkt schien es hier nicht zu geben, was sie aber auch ehrlich gesagt wenig wunderte. Wenn die Leute noch nie etwas von einer so bedeutenden Stadt wie New York gehört hatten und weder Ortsschilder noch Straßenschilder kannten, wie sollten sie dann so etwas modernes wie einen Supermarkt kennen?

Sie suchte das Haus von einer Frau namens Erna Wyner. Die Suche wurde dadurch erschwert, dass man in Soaks so etwas wie eine Hausnummer nicht kannte. Mort hatte ihr nur gesagt, dass Erna in der Hauptstraße wohnte, gegenüber vom Sally´s. Wenn sie Ernas Haus nicht finden konnte, brauchte sie nur jemanden fragen, wo das Sally´s ist, weil wirklich jeder weiß, wo dieses berühmt-berüchtigte Lokal liegt, so Mort.

Jane hatte Mort im Soaks Myce kennen gelernt. Als Jane gerade das Glas Wasser, das sie dort bei Bill bestellt hatte, bezahlen wollte, fiel ihr auf, dass sie ihren Geldbeutel wohl verloren haben musste. Wahrscheinlich hat Tom ihn mir auf dem Friedhof aus der Tasche gezogen, hatte sie grimmig gedacht. Doch ihr Geldbeutel, der nur Dollarscheine enthielt, hätte ihr sowieso nicht geholfen, wie sie später herausfand, da die Währung in Soaks aus Silbermünzen bestand. Jedenfalls hatte ihr Mort in dieser peinlichen Situation aus der Patsche geholfen und das Wasser bezahlt.

Mort war ein älterer Herr, der ein gutmütiges Gesicht hatte und einen Cowboyhut trug. Nach eigenen Aussagen war er hier in Soaks geboren worden und auch nie wirklich aus diesem Ort herausgekommen. Nur einmal hatte er eine kurze Zeit in Jukesboro gewohnt, was ihm aber nicht gefiel, da er die ganze Stadt einfach für zu groß und zu laut und zu anonym empfand. Jane hatte nicht ernsthafte Hoffnungen gehegt, doch trotzdem hatte sie es probiert und ihn gefragt, ob er zufällig wissen würde, wie sie von Soaks aus nach New York kommen könnte.

"New York? Was´n das? Größer als Jukesboro? Nee, danke, Fräulein, da will ich nicht hin.", hatte er gesagt. Es hatte sich angehört wie Nei, donke, Frollein, doa wille nich in. Dann hatte er noch gesagt, dass sie doch mal zu Erna Wyler gehen sollte, er meinte, dass die früher die ganze Zeit von einem Ort gesprochen hätte, der so oder so ähnlich klang.

Sie malte sich gerade aus, wie diese Erna Wyler wohl aussehen würde, als sie Ernas Haus entdeckte. Auf der Veranda saß eine junge Frau, die ungefähr in Janes Alter war. Das ist wohl ihre Tochter, dachte Jane. Sie stieg die Treppenstufen, die zur Veranda führten hoch und fragte, ob Erna Wyler da wäre.

"Ich bin Erna Wyler", sagte die junge Frau. Jane konnte das nicht ganz glauben, weil sie dachte, dass sich unter dem Namen "Erna" eine schrullige, alte Dame verbirgt, die mit ihren alten Freundinnen, die mit einem Bein schon im Grab stehen, an Sonntagen gerne Karten spielt.

"Ähm, also", sagte sie, immer noch perplex. "Mort hat mir gesagt, dass sie mir weiterhelfen können."

"Mort wer?"

Da fiel ihr auf, dass sie sich gar nicht nach Morts Nachnamen erkundigt hatte.

"Ähm, also, ein älterer Herr mit Cowboyhut und..."

"Ach so, Sie meinen Mort Blanck. Nun, wenn er das sagt, hat er sicherlich Recht. Wie kann ich Ihnen denn weiterhelfen?"

Sie wusste nicht richtig, wie sie sich ausdrücken sollte, bis jetzt hatte sie in dem kleinen Dorf (oder Kaff, wie Jane es insgeheim nannte) nur schlechte Erfahrungen mit ihrer New York-Frage gehabt. Die Leute, die sie auf der Hauptstraße nach New York gefragt hatte, hatten sie immer mit einem merkwürdig skeptischen Gesichtsausdruck gemustert, nachdem sie ihre Frage gestellt hatte.

"Also, meine Frage ist, wie ich von hier nach New York komme."

Ernas Augen weiteten sich, ihre Pupillen zogen sich zusammen. Was ist denn nur los?, dachte Jane. Reagiert hier etwa jeder so merkwürdig?

"Wie sind Sie hier hergekommen?", fragte Erna ganz schnell in einem bemüht sachlichen Tonfall, auch wenn Jane Ernas brennende Neugier mehr als deutlich spürte.

"Das ist eine gute Frage", sagte Jane und lachte nervös auf. "Ich war auf dem Friedhof in Naugsat, New Jersey, wo mein Vater begraben liegt. Er ist vor mehreren Jahren verstorben, Autounfall, und ich habe ihn mal wieder besucht, frische Blumen gebracht und so. Dann bin ich wohl auf dem Friedhof zusammengebrochen, vielleicht wegen der Hitze, es war verdammt heiß, auch wenn im Radio Regen vorausgesagt worden war. Und ein gewisser Tom und seine Freundin Sue hatten mich dann gefunden und zu sich nach Hause genommen. Als ich dann sein Haus wieder verlassen hatte, begann der Albtraum. Ich wusste nicht mehr, wo ich war."

Jane wusste selbst nicht, warum sie Erna dies alles so präzise und detailliert erzählte. Wie sollte Erna, die in einem mittelalterlichen Kaff lebte, wissen, was zum Teufel ein Autounfall oder ein Radio ist? Doch Jane spürte, dass sie etwas mit Erna verband, irgendetwas, irgendetwas starkes, was man nur bemerkt, wenn man weit weg von zu Hause entfernt ist und eine Person trifft, die aus der gleichen Stadt stammt wie man selbst. Mittlerweile hatte Jane sich damit abgefunden, dass sie sich in irgendeiner anderen Welt, vielleicht sogar in einem Paralleluniversum, befand, sie hatte irgendwo schon einmal über so etwas gelesen. Doch bei Erna spürte sie so etwas Vertrautes, was sie gar nicht näher beschreiben konnte.

"Woher kommen Sie?", fragte Jane mit der gleichen gespielten Sachlichkeit, die Erna vorhin auch benutzt hatte.

"Albany", sagte Erna.




5

 

"Wie sind Sie hier hergekommen?", fragte Jane, diesmal ohne die Sachlichkeit.

"Das tut nichts zur Sache", sagte Erna kühl. "Okay, Sie möchten also nach New York. Ist Ihnen bis jetzt schon aufgefallen, dass sie sich nicht mehr auf dem amerikanisachen Kontinent befinden? Das heißt, gewissermaßen schon, bloß eben nicht mehr in Ihrer Welt, die Sie früher kannten. Hier gibt es kein New York oder L.A., hier gibt es auch kein Weißes Haus oder einen George W. Bush, weswegen diese Welt durchaus ihre Vorteile hat."

Erna lächelte und zwinkerte ihr zu. Wenn sie lächelt, sieht sie richtig schön aus, dachte Jane.

"Ich habe schon damit gerechnet, in einer anderen Welt zu sein.", sagte Jane leise.

"Und, bist du gar nicht geschockt und überrascht? Wie lange bist du schon hier?"

Jane fand es gut, dass sie jetzt zum "Du" wechselte, es war einfach persönlicher, nicht so distanziert. Bei Tom gefiel es ihr nicht, bei Erna schon.

"Seit gestern", antwortete sie.

"Und bist du wirklich nicht verängstigt? Als ich mich in Soaks wiederfand, was auch schon ein paar Jahre her ist, war ich fürchterlich durch den Wind. Hab nur geheult und sogar an Selbstmord gedacht. Ich war 18, wohnte damals in Albany noch bei meinen Eltern, ich hab sie unheimlich vermisst, nachdem ich in Soaks gelandet war. Ich wusste damals nicht, wie ich zurück in meine Welt kommen konnte."

Jane hatte so einen Verdacht. "Wissen Sie...weißt du es jetzt?", fragte sie.

"Ja", sagte Erna ganz ernst.

"Kannst du es mir verraten?", fragte Jane mit Tränen in den Augen, weil sie es gar nicht glauben konnte, dass sie tatsächlich nach all den ergebnislosen Bemühungen eine Person gefunden hatte, die aus ihrer Welt kam und auch den Weg zurück wusste.

"Ja", sagte Erna. "Aber ich kann dir nicht versprechen, dass du den Weg zurück unbeschadet überstehen wirst. Ich kann es dir nicht versprechen, weil ich es einfach nicht weiß, ich hatte bisher noch nie das Bedürfnis, zurück in meine alte Welt zu gehen."

"Warum nicht?"

"Naja, es ist einfach so. Meine Welt, oder unsere Welt, ist sehr grausam und unsicher und gemein und schlecht. Hier in Soaks ist, naja, hier ist alles anders. Hier bringt man sich nicht gegenseitig um, man beklaut oder belügt sich nicht, man baut hier keine Atombomben, obwohl man hier durchaus in der Lage wäre, so etwas zu tun. Zugegeben, nicht hier in Soaks, aber in den großen Städten wie Caine oder Jukesboro oder Haifmen. Man tut es hier in dieser Welt einfach nicht, weil man hier keinen Sinn darin sieht, seinem Gegenüber den Schädel wegzuschießen, was in unserer Welt nicht der Fall ist. Hier in dieser Welt arbeitet man miteinander, nicht gegeneinander. Das ist der Grund, warum ich in dieser Welt bleiben will. In den ersten Tagen, in denen ich hier war, habe ich alles unternommen, um von hier wieder wegzukommen, ich bin sogar nach Jukesboro gefahren und habe überall Rat gesucht, wo ich konnte. In einer großen Stadt wie Jukesboro gibt es viele Menschen, die aus unserer Welt kommen. Und seit ich aus Jukesboro zurück bin, weiß ich, wie man wieder in unsere Welt kommt."

"Kannst du mir denn jetzt verraten, wie ich wieder nach Hause komme?", fragte Jane ungeduldig. Sie konnte Ernas Einstellung zu der Welt überhaupt nicht teilen. Nun gut, mag sein, dass diese Welt hier viel sicherer ist als meine, aber dennoch...

"Also", begann Erna, "es gibt in dieser wie auch in deiner Welt mehrere Punkte, die Mr. Afronsisky, also der Mann, von dem ich die Informationen habe, die ich dir jetzt mitteilen werde, Weltenpunkte genannt hat. An so einem Weltenpunkt treffen sich zwei verschiedene Welten und man kann, wenn man an so einem Punkt angekommen ist, sozusagen ´die Welten wechseln´, also von einer Welt zur anderen springen. Hier in der Nähe von Soaks gibt es insgesamt acht Weltenpunkte, davon zwei, die zwischen dieser Welt und unserer Welt angesiedelt sind. Einen Weltenpunkt erkennt man daran, dass er normalerweise tote Gegenstände zum Leben erweckt und ihnen auch soviel Intellegenz überbringt, dass sie eigenständig denken und Nachrichten überbringen können."

Langsam dämmerte es Jane.

"Einer der beiden Weltenpunkte ist auf der anderen Seite des Waldes und ist ein Haus, in dem sogar Menschen leben. Der andere Weltenpunkt ist eine große Höhle, die sich innerhalb der weißen Hexe befindet."

"Was ist die weiße Hexe?"

"Ein Berg natürlich.", sagte Erna, so, als wäre es Allgemeinbildung zu wissen, dass die weiße Hexe ein Berg ist.

"Und was mache ich, wenn ich dann in der Höhle bin?"

"Dann musst du dort einfach warten und nach ein paar Stunden wieder aus der Höhle herausgehen. Und nach allem, was Mr. Afronsisky mir damals in Jukesboro erzählt hat, müsstest du dann wieder in deiner Welt sein."

"Das ist alles? Dann, wenn ich das gemacht habe, bin ich wieder in meiner Welt?", fragte Jane. Sie konnte nicht glauben, dass es so simpel war, von einer Welt zur anderen zu springen.

Erna nickte.

"Und wo ist die weiße Hexe genau?", fragte Jane.

"Du gehst einfach die Hauptstraße entlang, bis du aus Soaks draußen bist. Dann siehst du ganz deutlich den noch eher flachen Beginn eines Gebirges. Direkt hinter diesem Gebirge liegt Jukesboro, doch da musst du gar nicht hin. Der erste kleine Berg, den du siehst, das ist die weiße Hexe. Und auf diesem Berg ist irgendwo die Höhle, die du suchst. Keine Angst, die ist bestimmt nicht sehr schwer zu finden, der Berg ist nicht wirklich hoch."

Jane hatte keine Ahnung, wie sie Erna danken sollte. In den kurzen sieben Minuten, in denen Erna erzählt hatte, hatte sie alles erfahren, was sie brauchte, um wieder in ihre geliebte alte Welt zurückkehren zu können. Sie hatte schon wieder Tränen in den Augen (in letzter Zeit bin ich tierisch nah am Wasser gebaut, dachte sie). Sie umarmte Erna, einfach aus Rührung und vor allem aus Dankbarkeit. Sie konnte (und wollte) gar nicht glauben, dass sie erst ein paar Stunden in Soaks war, es kam ihr viel, viel länger vor. Die Nacht, die furchtbare Nacht, die sie erlebt hatte, war schon Lichtjahre entfernt, obwohl es erst später Vormittag war. Sie hatte in den letzten Stunden eben einfach so viele verschiedene Sachen erlebt, die manche Leute in ihrem ganzen Leben nicht erleben, dass es einfach unmöglich und absurd war zu glauben, dass sie erst vor wenigen Stunden die ersten Holzhäuser von Soaks passiert hatte.

Und doch war es wahr.


6

 

"Danke", sagte Jane mit einer Stimme, die so mit Tränen belegt war, dass Erna sie kaum verstehen konnte. "Ich danke dir so unglaublich sehr!"

Erna wollte etwas wie "Ach, kein Problem, immer wieder gerne" sagen, doch auch sie brachte kein Wort heraus.

Wenn jetzt jemand an Ernas Haus vorbeigekommen wäre, hätte dieser Jemand auf der schönen Veranda zwei heulende, sich umarmende junge Frauen gesehen. Janes Gesicht war schon ganz rot von ihrem Tränenausbruch und auch Ernas Gesicht verfärbte sich schon.

"Nun gut", sagte Jane, als sie sich wieder beruhigt hatte und ihr Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hatte. "Ich werde dann mal die weiße Hexe besuchen."

"Jetzt schon?", fragte Erna überrascht. "Ich dachte, du bleibst noch."

"Tut mir Leid", sagte Jane. "Aber ich will wirklich nur noch nach Hause. Kannst du das verstehen?"

Erna nickte.

"Ich werde nur noch einmal bei Mort vorbeischauen und ihm danken und dann werde ich wieder zurück in meine Welt gehen.", sagte Jane.

Sie stand auf und ging die Verandastufen herunter und drehte sich noch einmal um.

"Es war wirklich sehr nett dich kennen zu lernen.", sagte sie.

"Das Kompliment kann ich zurückgeben", sagte Erna lächelnd. Und dann: "Wie heißt du eigentlich?"

Die beiden Frauen brachen wieder in Tränen aus, diesmal jedoch in Lachtränen, weil sie es so unglaublich komisch fanden, hier den großen Abschied zu zelebrieren, obwohl sie noch nicht einmal wussten, wie sie hießen.

"Ich bin Jane", sagte Jane mit einem ganz formellen und ernsthaften Unterton. Dieser Tonfall machte den Lachkrampf der Frauen nur noch schlimmer.

"Tut mir Leid", sagte Jane leise, als sie sich abermals beruhigt hatten. "Aber ich will wirklich nach Hause. Ich will nur nach Hause."

Sie drehte sich abermals um und wollte los gehen, um Mort noch einmal zu danken, als Erna noch einmal ihren Namen rief.

"Ja?", sagte Jane fragend und drehte sich zu Erna um.

"Ähm, könntest du mir einen Gefallen tun? Könntest du, wenn du wieder in unserer Welt bist, nach Albany zu meinen Eltern fahren und ihnen eine Nachricht überbringen? Du musst in Albany nur nach Arthur und Maggie Jones fragen, es kennt sie eigentlich jeder dort. Sag ihnen bitte, dass mit ihrer Sarah alles in Ordnung ist und dass es ihr gut geht."

"Wer ist Sarah?", fragte Jane.

"Das bin ich", sagte die Frau, die Jane nur als Erna kannte.


7

 

Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und schien unerbittlich, als Jane durch das kleine Steinwüstengebiet ging, das Gebirge direkt vor ihren Augen. Am Horizont konnte sie schon die richtigen Berge sehen, die Berge mit den schneebedeckten Spitzen. Unmittelbar vor ihr war das relativ flache Vorgebirge, unter anderem auch die weiße Hexe. Jane ging immer weiter und weiter, schneller und schneller, bis ihr der Schweiß nur noch vom Kopf tropfte und das Luftholen immer schwieriger wurde. Soaks hatte sie längst hinter sich gelassen, jetzt ging sie immer schneller ihrem Schicksal entgegen. Die Hexe kam ihr immer näher und in Gedanken war Jane schon in der kühlen Höhle, die sie hoffentlich zurück in ihre Welt brachte. Sie ging immer schneller, bis sie schließlich lief. Sie dachte an Sarah. Jane hatte ihr versprochen, dass sie sie irgendwann besuchen wird und dass sie dann auch für eine längere Zeit bleiben wird. Doch all das lag noch in weiter Ferne. Jetzt dachte Jane nur noch an die Höhle. Die Höhle, die gleichzeitig ein Weltenpunkt und somit auch ihr Schicksal war. Sie dachte noch ein letztes Mal an Sarah. Sie hatte ihr versprochen, sie zu besuchen, doch sie wusste (und sie glaubte, dass Sarah das auch wusste), dass sie das nicht tun würde.

Bestimmt wären Sarah und sie die besten Freundinnen geworden, wenn sie nicht in unterschiedlichen Welten leben würden.

Jane drehte sich noch einmal um und betrachtete Soaks ein letztes Mal. Sie winkte dem Ort zum Abschied zu.

Dann drehte sie sich wieder um und rannte ihrem Schicksal entgegen.


28. Mai 2007 (Pfingstmontag)

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