© 2003 by GABY MOLNAR (FLUGSCHNECKE)
Auch die Mannbarkeitsriten und Hochzeiten fanden nur in der kurzen Zeitspanne der Großen Konstellation statt. Das Land war zu hart, um sich häufiger den Luxus von Festen zu erlauben.
Das Mädchen runzelte unwillig die Stirn. In 60 Tagen nun sollte sie an den widerlichen Darr verheiratet werden. Ihr Vater Kho Fran und sein Waffenbruder Da Nab, Darrs Vater, hatten es bei der Geburt Shakris so festgelegt. Es war völlig ausgeschlossen, dass ein Mädchen sich dem Vater widersetzte! Das grausame Land erforderte eherne Stammesgesetze.
``Nimm mich doch mit, Shakri! ´´ Die helle stimme ihres kleinen Bruders riss die junge Frau aus ihren trüben Gedanken. Zärtlich strich sie dem Jungen das dicke Haar aus der Stirn.
``Franji, du weißt doch genau, warum das nicht geht: ich muss Schnecken suchen- das ist nichts für junge Männer! ´´
``Warum nicht, Schwesterchen? ´´ Franji zog ein spitzbübisches Gesicht.
Liebes, man hat es dir schon viele, viele Male erzählt! ´´
``Aber niemand erzählt die Geschichte so schön wie du, ´´ beharrte der Kleine und sah das Mädchen aus großen Augen flehend an.
``Na gut, du Quälgeist; aber ich fasse mich kurz. Iffet wird schon auf mich warten! ´´
Seit die Mutter am Fieber gestorben war, hatte Shakri den Kleinen liebevoll umsorgt. So kuschelte das Kind sich auch jetzt glücklich an die große Schwester, um ihrer sonoren Stimme zu lauschen. Sie begann mit dem Erzählen des Mythos von den Soor, den Schnecken:
``Unsere beiden Sonnen Than und No Than Nu zeugten drei Töchter. Sie nannten sie Irkhu- die Gewandte, Nanir- die Kluge und Iru Na- die Schöne. Als die Kinder erwachsen wurden, schenkten ihre Eltern ihnen die Nacht, damit sie über diese herrschen sollten. Doch die Schwestern wollten zuerst das Land bei Tag und von Nahem sehen und stiegen heimlich vom Himmel. Iru Na fiel in eine Felsspalte und wäre darin umgekommen, hätte sie nicht ein junger Jäger gefunden. Er war von ihrer rosa Schönheit fasziniert; und die Mondgöttin hatte noch nie einen Mann gesehen. So folgte Iru Na dem Jäger willig in sein Zelt. Als die Zeit kam, gebar sie ihm einen Sohn und eine Tochter, so schön und rosa wie die Göttin selbst. Doch der Jäger hatte falsches Spiel mit der Himmelstochter getrieben: Er hatte bereits Frau und Kind! Als Iru Na dies herausfand, sprach sie einen Fluch aus. Nie wieder sollte ein Mann sie oder ihre Kinder berühren; er würde auf der Stelle verdorren. Sie verwandelte die Kinder in geschlechtslose Soor- ja, unsere Schnecken- und stieg wieder zu ihren Schwestern hinauf. Nun stehen die rote Irkhu, die gelbe Nanir und die rosa Iru Na am nächtlichen Himmel und wachen über uns. Iru Na schützt die Frauen und gibt acht, dass kein Mann die Soor berührt, solange diese noch leben. ´´
``Und darum dürfen nur Frauen lebende Schnecken einsammeln, ´´ vollendete Franju die Erzählung und kicherte dann. ``Aber geröstet kann ich sie essen! ´´
``Darum muss ich nun auch eilen, du Fresssack, ´´ antwortete Shakri und stellte den Kleinen energisch auf die Füße. Zügig packte sie die Dörrschnecken und ein Seil aus Taraanflechten in ihren Beutel und verließ das Zelt.
Sie überquerte den Dorfplatz, wo die Männer sich im ersten Morgenlicht zur Jagd versammelten. Die Gutgestellten wie der Häuptling- Shakris Vater, sein Waffenbruder Da Nab und dessen Sohn Darr bestiegen gerade ihre gezähmten Zadib. Die großen Echsen wippten unruhig auf ihren kräftigen Hinterläufen. Darrs mächtiges Tier kratzte unwirsch mit der kleinen Vorderpranke am Brustgeschirr. Brutal schlug sein Reiter ihm die Knochengerte über den Lauf.
``Heya, Shakri! Pass auf, dass dich kein Murgan frisst- ein paar Teile von dir brauche ich noch, ´´ wieherte Darr fröhlich. Das Mädchen würgte den Geschmack von Galle herunter, grüßte durch ein Heben der Hand ihren Vater und flog förmlich dem Dorfrand entgegen. Am Ringwall wartete Iffet bereits mit geschulterter Tasche auf ihre beste Freundin. Die Frauen begrüßten sich mit einer innigen Umarmung.
``Shakri, du zitterst ja, ´´ stellte Iffet fest. ``Was ist passiert? ´´
``Es ist Darr! Er ist so durch und durch widerlich! ´´ schluchzte die Freundin.
``Du gewöhnst dich besser daran´´ seufzte Iffet. ``Bald wirst du in seinem Zelt leben. ´´
Zornig erwiderte Shakri: ``Eher stürze ich mich von den Klippen! ´´
``Der Stamm wird dich von den Klippen stürzen, wenn bekannt wird, was du heimlich in den Felsen treibst, ´´ gab Iffet leise zurück. Shakris Augen füllten sich mit Tränen. ``Bei Iru Na- halte du wenigstens zu mir! ´´
Die kleine Iffet legte ihrer Freundin tröstend den Arm um die schlanke Taille. ``Du weißt, dass ich euch versuche zu decken, solange ich kann. Ich tue das bereits seit der letzten Konstellation! ´´
Inzwischen hatten die Mädchen den Begräbnisplatz erreicht. Üppige Vegetation überwucherte die älteren Steinhügel, ein seltener Anblick in der kargen Felslandschaft. Doch niemand würde die saftigen Pflanzen schneiden- was den Ahnen gehörte, war tabu. Allerdings wurden die kleinen Echsen und die behänden Flugechsen- die Nevell- von den Männern zur Strecke gebracht, wenn sie die grüne Insel verließen. Shakri und Iffet hielten nach den gefährlichen Murgan, den Raubechsen Ausschau, die hier ebenfalls jagten. Zügig schritten die Zwei aus, auf die moosige Ebene zu- den zarten Strassen der Soor entgegen.
Shakri hatte immer schon ein besonderes Gespür für die Schnecken besessen. Sie hatte es von der Mutter geerbt. Diese war als kleines Mädchen zum Stamm gestoßen, an der Hand ihres von einem Murgan schwer verwundeten Vaters. Der Mann war seinen Verletzungen erlegen, ohne noch über seine Herkunft berichten zu können. Nachdem das kleine Mädchen gelernt hatte, sich zu verständigen, hatte es merkwürdige Dinge erzählt: von tiefen Wassern und hohen Pflanzen, die dicht an dicht standen. Da man Shakris Mutter darauf furchtbar auslachte, hörte sie völlig auf, von ihrer Heimat zu reden. Nicht einmal dem jungen Häuptlingssohn, der sie heiratete, oder ihren Kindern erzählte sie je wieder ein Wort von damals. Shakris zwei ältere Brüder hatte das Fieber geholt. Nun lebte auch die Mutter nicht mehr, doch Shakri besaß viel von ihrem Wissen. Jedoch brachte das Mädchen seit geraumer Zeit nicht mehr Soor nach hause als die anderen Sammlerinnen. Wenn die Schar der Mädchen des Abends oder auch erst nach Tagen heimkehrte, hatte Shakri nicht mehr Nahrung für den Stamm dabei, als die anderen.
Die Freundinnen bückten sich und lasen die ersten Soor auf. Die handgroßen Tiere mit dem Ring aus zehn Stielaugen am Kopf zogen sich blitzschnell in das steinharte aber leichte rosa Gehäuse zurück. So waren sie gut zu transportieren. Zuhause würde man eine Steinspitze in die Mitte des Gewindes stoßen. Dann fiel das Tier heraus, ein Wust nahrhaften Fleisches -rechts und links am Körper je ein kleiner merkwürdiger Hohlraum. Man durchstach ihn, um das Fleisch zum Dörren aufzuhängen.
Shakri blieb stehen und ergriff ihre Freundin am Arm. ``Iffet, jetzt müssen wir uns trennen! ´´
Die Andere schaute traurig auf. ``Herzensschwester, geh´ nicht! Du läufst in dein Unglück! ´´
``Ich gehe in mein Glück, Kleines! ´´ erwiderte Shakri lächelnd. Iffet machte einen letzten Versuch, die Freundin zurückzuhalten: ``Dein Vater ist ein guter Mann. Versuch doch noch einmal, mit ihm zu reden! ´´
Shakri machte eine unwillige Gebärde. ``Ìch habe ihm gesagt, dass ich Darr nicht heiraten will. Vor Zeugen hat er mir geantwortet: `Wenn Schnecken fliegen können, dürfen Frauen ihren Mann selbst erwählen!´´
´Bei dieser Vorstellung hätte Iffet fast gelacht. Doch beim Anblick der Tränen auf Shakris Wangen drückte sie der Anderen nur die Hand und flüsterte ``Dann morgen bei Sonnenaufgang. ´´
``Wie immer´´ antwortete Shakri und wandte sich um. Iffet sah ihrer Freundin noch einen Moment nach, als sie mit den Sonnen den Felsen entgegenging- eine grazile braune Gestalt im Grau der steinigen Landschaft.
Shakris Herz klopfte wild. Diese Felsnadel noch! Dann der von Taraan überwachsene Rundstein; die Kluft!
``Axhy! ´´ Glücklich warf sie sich in die Arme des jungen Mannes.
``Shakri, mein Mond! ´´ Der Junge zog die Geliebte an sich. Die roten Sonnen schienen stillzustehen. Das graue Land verlor all seine Härte. Die Liebenden versanken in ihrer eigenen Welt.
Erst als sich die Tagesgestirne dem Horizont näherten, löste das Paar sich voneinander. Durstig labten sie sich an ihren kargen Wasservorräten und teilten Dörrschnecken, Kochmoos und Trockenpilze. Axhy sah seine Liebste verschmitzt an. ``Ich habe etwas für dich! ´´ Damit schüttete er etliche Handvoll Soor aus seiner Tasche.
Shakri schrie auf: ``Axhy, die leben ja! ´´
´Der junge Mann grinste breit. ``Bin ich der Waffenmacher des Dorfes oder bin ich es nicht? ´´ antwortete er und zog ein merkwürdiges Gerät hervor. Es waren zwei lange Löffel aus Murganknochen, die er zu einer Zange verbunden hatte. ``Meine Geliebte soll doch nicht mit leeren Händen heimkommen, ´´ flüsterte er zärtlich in Shakris Ohr.
``Kein anderer Mann käme auf solch eine Idee, Liebster! ´´ freute die junge Frau sich. Mit einer innigen Umarmung und heißen Küssen belohnte sie ihren findigen Axhy. Die Nacht über wärmten die beiden jungen Menschen sich aneinander- ja, sie bemerkten nicht einmal, dass es um sie eisig kalt wurde.
Iru Na wachte.
Als Shakri und Iffet sich wieder trafen, öffnete die Kleinere ihren prallen Beutel, um wie immer die Ausbeute zu teilen. Doch Shakri lehnte dankend ab und erzählte stolz von Axhys Erfindung. ``Wirklich schade um euch, ´´ sagte Iffet leise mehr zu sich selbst und zog ihre Freundin dann mit sich. Shakri war noch so eingehüllt in das Glück der letzten Nacht, dass ihr die drückende stille im Dorf zunächst nicht auffiel. Erst, als die umstehenden Jäger stumm eine Gasse für sie bildeten, kam sie zu sich. Langsam näherte sie sich dem Wohnzelt und schlug die Murganhaut vor dem Eingang zurück. Ihr Vater lag totenbleich auf seinem Lager. Neben ihm kniete Lin Dao, der alte Schamane. Seine Zeremonienstäbe aus Nevellknochen hielt er vor der Brust gekreuzt und schien in Trance versunken. Franji kauerte schluchzend in einer Ecke. Shakri nahm das Kind auf den Arm und trat zögernd auf den weisen Mann zu. Lin Dao hob den Kopf und sah das Mädchen traurig an.
``Noch lebt dein Vater, Shakri. Er kämpfte mit einem Murgan und erlegte ihn letztlich. Doch sterbend fügte das Tier ihm die riesige Bisswunde am Bauch zu. Was ich tun konnte, war die Wunde zu schließen und Kho Fran in Tiefschlaf zu versetzen. Doch er hat zuviel Blut verloren. Sein Leben flieht und er ist den Monden näher als uns. ´´
Shakri hatte nicht einmal Tränen. Fassungslos ergriff sie die blasse, kalte Hand ihres Vaters. Es war kaum noch Leben darin zu spüren. Die Stimme des Schamanen drang nur leise zu Shakris Verstand durch:
``Ich bin in die Andere Welt gewandert, mein Kind. Und ich habe eine letzte Möglichkeit gesehen, den Häuptling zu retten. ´´ Das Mädchen hob den Kopf und blickte in die gütigen Augen Lin Daos.
``In der fernen hohen Felsenbarriere wächst ein Kraut, welches das Leben festhält! ´´
Shakri sprang auf und rief: ``Die Jäger werden die Pflanzen holen! ´´
Der Schamane schüttelte das Haupt. ``Nein, Mädchen- die Blätter sind eng mit den Soor verbunden. Ich kann dir nicht einmal sagen, warum das so ist. Aber nur eine Frau kann sie pflücken. ´´
``Dann reite ich, ´´ entschloss sich die Häuptlingstochter sofort. ``Beschreibe mir das Kraut bitte, Lin Dao! ´´
``Die Blätter sind grau- lang und fein wie gesponnener Taraan, gelockt wie dein Haar. ´´ Die Stimme des Alten schien von weither zu kommen. ``Die herzförmige Blüte aber hat die Farbe von Soor- mit einem roten Stempel wie ein Blutstropfen. ´´
``Ich breche sofort auf, ´´ sagte Shakri fest und machte sich von ihrem Bruder los.
``Eile, mein Kind, denn die Pflanze wird bald verblühen- wie auch das Leben deines Vaters. Reite immer in den Sonnenuntergang! ´´ Lin Dao sank wieder in sich zusammen und die junge Frau begann hastig Vorräte in die Tasche zu stopfen. Noch einmal beugte sie sich zu Franji hinab und küsste seine Stirn. ``Hüte das Zelt, ´´ flüsterte sie ihm zu. Die traditionellen Abschiedsworte eines Mannes an seine Frau entlockten dem Knaben ein schwaches Lächeln. Er war noch zu jung, um diese grobe Verletzung der Stammesregeln zu begreifen.
Vor dem Zelt stieß Shakri einen schrillen Ruf aus: ``Moji- hithithit! ´´
Aus der nahen Herde trabte die schnelle Reitechse ihres Vaters auf sie zu. Willig knickte das Tier in den Hinterläufen ein, um sich satteln zu lassen. Das Mädchen warf ihre Tasche über das beinerne Sattelhorn und stieg auf. Ihr Blick streifte die versammelten Menschen. Sie sah Iffet, die zum Abschied die Hand hob. Einen Lidschlag lang versenkte sie ihren Blick in den Axhys, bevor sie Moji entschlossen antrieb.
Shakri ritt während des Tages. Dann und wann gewahrte sie in der Ferne einen räuberischen Murgan; doch Moji war schneller als die plumpen Ungeheuer. Nachts legte die Frau sich kurz zur Ruhe. Ihr Reittier wachte und raspelte derweil mit den harten Leisten im Maul die dünne Moosdecke von den Steinen. Dann und wann fand Shakri ein frühes Nevellgelege und schlürfte die Eier im Reiten aus. Einmal gelang es ihr sogar, eine junge Steinechse aus dem Bau zu ziehen. Sie röstete das Tier bei der nächsten Rast an ihrem winzigen Feuer aus trockenen Flechten.
Als die große Felsenbarriere am dunstigen Horizont auftauchte, fand Shakri am Abend sogar wieder ein paar Schnecken. Sie waren fast ein Fingerglied länger als die, welche man daheim verzehrte- aber sonst völlig identisch. Shakri stach die Tiere aus ihrem Gehäuse und verzehrte sie roh im Sattel.
Als die junge Frau den Fuß der Barriere erreichte, beobachtete sie doppelthandlange Soor, die sich anschickten, die Felsen hinaufzukriechen. Shakri warf den großen Weichtieren einen irritierten Blick zu und nahm dann Moji den Sattel ab. ``Khekhekhe! ´´ schnalzte sie ihm dabei zu. Das gut abgerichtete Tier würde in der Nähe bleiben.
Shakri legte den Kopf in den Nacken und suchte nach einem Aufstieg. Die Felsen waren steil, aber zerklüftet und verwittert. In der sengenden Mittagshitze arbeitete der kleine Mensch sich langsam in einer Spalte bergauf. Gelegentlich stieg Shakri über weitere Riesensoor. Als die Nacht hereinbrach, fand sie eine geschützte Mulde. Sie verzehrte eine Schnecke zum Abendessen- unter sich den Abgrund, über sich die Monde, die nicht mehr weit auseinander standen. Bei den ersten Strahlen Thans und No Than Nus klomm Shakri weiter aufwärts. Mühsam pumpten ihre Lungen und ihre Glieder schmerzten, als die tapfere Frau die beiden höchsten Zinnen erreichte. Als Shakri sich zwischen den letzten Felsen hindurchgezwängt hatte, stockte ihr auf einmal der Atem: Vor ihr lag eine weite Senke- völlig in rosa ausgeschlagen. Legionen kleiner Blüten reckten ihre herzförmigen Kelche ins Licht. Mit einem erstickten Schrei wankte Shakri auf die farbige Pracht zu und strauchelte. Sie war über ein riesiges Schneckenhaus gestolpert. Auf dem Boden kauernd entdeckte sie, dass unter den rosa Pflanzen die Gehäuse dicht an dicht lagen- jedes so groß wie der Kopf eines Nevell. Sie hob das nächstbeste Haus auf und stellte fest, dass das verkapselte Wesen darin lebte. Sie alle lebten!
Für einen kurzen Moment ihre wichtige Mission und den geliebten Vater vergessend, sammelte Shakri ein paar Schnecken ein und steckte sie in ihre Tasche, dann erst machte sie sich daran, die Blütenherzen zu ernten. Als der Beutel prall gefüllt war, kehrte sie zur Felsspalte zurück und stieg wieder hinab.
Moji hatte getreulich am Fuß der Barriere gewartet und lange Schneisen in das Moos gefressen. Nun rieb er erfreut das schnabelförmige Maul an Shakris Schulter, während sie ihn sattelte.
Als sich nach etlichen anstrengenden Tagen und Nächten ein müdes Mädchen mit einer erschöpften Echse in das Dorf schleppte, standen die Monde bereits kurz vor der Großen Konstellation. Shakri hatte das bevorstehende Ereignis völlig vergessen, als sie von Mojis Rücken sprang und ins Zelt trat. Der Häuptling schien zu leben, auch wenn seine Haut farblos geworden war und seine Augen tief in den Höhlen lagen. Franji fiel der großen Schwester jauchzend um den Hals. Lin Dao, der den Kranken versorgt hatte, nahm den Beutel und schüttete deren Inhalt auf eine Matte.
``Vorsicht, es sind lebende Soor darin´´ rief Shakri warnend. Der Schamane jedoch starrte bereits unter zusammengekniffenen Brauen auf die riesigen Gehäuse. ``Ein wahrhaft würdiges Hochzeitsmahl, das, ´´ sagte er mehr zu sich selbst und las dann die inzwischen trockenen Blüten auf. Unter leisem, monotonen Singen gab er sie in einen Kessel und fügte etwas Wasser und Mineralien aus dem Schwemmgestein hinzu.
Einige Zeit später benetzte der Alte mit dem Sud Kho Frans blutleere Lippen. Nach einer Weile konnte er ein paar Tropfen auf die geschwollene Zunge des Siechen träufeln. Den Rest des Tages wechselten der Schamane und das Mädchen sich dabei ab, Kho Fran den Heiltrank einzuflößen. Bei Morgengrauen schlug der Häuptling die Augen auf. Seine Kinder weinten vor Freude, als er die zitternden Hände segnend auf ihre Köpfe legte.
Zum Fest der Großen Konstellation war Kho Fran immerhin schon wieder so kräftig, dass er auf einem bequemen Lager den Riten auf dem Dorfplatz beiwohnen konnte. Die Frauen hatten Echsen gegrillt und Schnecken, Moose und Pilze gegart. Sogar ein Zadib war zu Ehren der Mondgöttinnen geschlachtet worden.
Der gesamte Stamm und etliche Clans aus den Ebenen und Hügeln drängten sich auf dem Dorfplatz. Sie wohnten den Anrufungen der Mondgöttinnen bei und erwarteten dann das größte Ereignis: Die Heirat der Tochter des Stammesfürsten.
Shakri und Darr knieten vor dem Schamanen. Zwischen ihnen stand der große glasierte Kessel im Feuer. Als sich Iru Na zu ihren Schwestern gesellte, sprach der Weise die traditionelle Formel: ´` Shakri, nimm diesen Soor aus meiner Hand und öffne ihn für deinen Mann- tue es nun und dann auf immer! ´´ Mit hängendem Kopf nahm die Braut bedrückt die Riesenschnecke aus den Händen des Greises entgegen. Ihre Augen waren blind vor Tränen, als sie die Steinspitze hob.
Plötzlich bebte das rosa Gehäuse. Die Schnecke streckte den Kopf heraus. Der feiste Leib folgte ihm nach. Das Tier begann mit pumpenden Bewegungen und plötzlich zerriss ein Schrei aus tausend Kehlen die Luft! Der Soor entfaltete ein paar ledriger, noch feuchter Flügel. Ehe die völlig überraschte Shakri etwas unternehmen konnte, löste das Tier sich mit einem schmatzenden Laut von ihrer Handfläche und flatterte in die Höhe. Das Mädchen war wie erstarrt. Niemand wagte zu atmen.
Da trat eine kleine Gestalt aus der Menschenmenge. Iffet ging zaghaft auf Lin Dao zu. Doch ihre helle Stimme war laut und klar, als sie rief:
``Wenn Schnecken fliegen... ´´ einen Moment stockte das Mädchen- sammelte sich, bevor es fortfuhr:
``dürfen Frauen ihren Mann selbst wählen! ´´
Shakris Blick wanderte zum Lager ihres Vaters. Für einen Augenblick schien die gebrechliche Gestalt nach vorn kippen zu wollen. Doch dann nickte der Häuptling langsam und antwortete mit brüchiger Stimme: ``So habe ich es gesagt und mein Wort ist das Gesetz! ´´
Auch die verbliebenen Riesenschnecken hoben nun eine nach der anderen vom Boden ab und segelten ihren fernen Laichplätzen und dem Sonnenaufgang entgegen; so wie es auch ihre zahllosen Artgenossen in der fernen Barriere in diesem Augenblick taten. Die von Shakri mitgebrachten Soor schienen für einen Moment in den Mond Iru Na hineinzufliegen. Die Farbe ihrer Gehäuse wurden aufgesogen vom Rosa der Mondgöttin. Gebannt beobachteten die Menschen das Schauspiel. Nur Zwei hatten kein Auge für das Wunder. : Shakri und ihr Geliebter traten langsam aufeinander zu.
Was bedeutet dir schon ein Mond, ja drei Monde, wenn du das gesamte Universum in die Arme schließen kannst!