Fröhliche Weihnachten
© 2003 by Holger Altmann
Ein Schatten schob sich vor den hoch am Himmel stehenden Halbmond, der sich bei näherer Betrachtung als fliegender Schlitten mit einem Gespann von acht stattlichen Rentieren entpuppte.
Der Mann, der den Schlitten steuerte, trug einen warmen, roten, mit weißem Pelz besetzten Mantel, eine ebensolche Mütze, schwarze Stiefel mit goldenen Schnallen und einen breiten schwarzen Gürtel um den beachtlichen Bauch. Er hatte eine große rote Nase und einen langen weißen Bart, der fast sein gesamtes Gesicht verdeckte.
"Hohoho!" rief der Weihnachtsmann und zog an den Zügeln, so dass die Rentiere den Schlitten zum schneebedeckten Dach des nächsten Hauses lenkten, wo sie zielsicher landeten.
Ächzend schwang der alte Mann seinen massigen Körper vom Schlitten herunter, griff mit einer behandschuhten Hand nach einem groben Leinensack, der auf der Ladefläche des Gefährts lag, schwang ihn sich über die Schulter und machte sich auf den Weg zum Schornstein, wobei seine Stiefel seltsamerweise keinerlei Abdrücke im Schnee hinterließen. Dort angekommen kletterte er behende hinein und rutschte an der Innenseite des schmalen Schlauches hinab, ohne dass auch nur ein einziger Rußfleck auf seiner Kleidung oder seinem Körper zurückgeblieben wäre.
Am unteren Ende des Schornsteins stieg er unversehrt aus dem im Kamin prasselnden Feuer und blickte sich in dem großen Wohnzimmer um, das nun vor ihm lag. Der buntgeschmückte Tannenbaum stand in einer Ecke des Raumes, und zahlreiche Geschenke waren bereits darunter verteilt worden.
Traurig schüttelte der Weihnachtsmann den Kopf. Vor gar nicht allzu langer Zeit war er noch für all dies zuständig gewesen. Da hatte er alle Geschenke auf der ganzen Welt verteilt.
Doch heute...
Seufzend griff der alte Mann in seinen Sack, der nur ein einziges Päckchen enthielt, zog es heraus und legte es zuoberst auf den Stapel der anderen Geschenke unter dem Baum.
Dann drehte er sich um und wollte sich schon auf den Rückweg zum Dach machen, als sein Blick plötzlich auf einen Teller mit Keksen und ein Glas Milch fiel, die auf einem kleinen Tischchen für ihn bereitgestellt worden waren.
"Für den lieben Weihnachtsmann" stand in krakeliger Kinderschrift auf einem kleinen Zettel, der neben der Verpflegungsration lag.
"Naja, wenigstens haben sie an mich gedacht", murmelte er, ging zum Tisch hinüber und schob sich ein Plätzchen in den Mund.
Kauend entdeckte er einige Flaschen hochprozentigen Alkohols und goss sich einen großzügigen Schluck Cognac in die Milch, bevor er das Glas in einem Zug leerte und auf das Tischchen zurück stellte. Den letzten Keks kauend hörte er plötzlich leise Schritte, die die Treppe hinunter ins Erdgeschoß kamen.
Schnell zog sich der Weihnachtsmann in den Kamin zurück und beobachtete einen kleinen Schatten, der sich langsam näherte. Kurz darauf betrat ein kleiner Junge von etwa sechs Jahren den Raum. Er trug noch seinen Pyjama, und sein kleines Gesichtchen war vom Schlaf ganz verknittert. Doch als sein Blick auf den Baum und die vielen Geschenke fiel, leuchteten seine Augen auf, und er lief, so schnell ihn seine kleinen Beine trugen, hinüber.
Vor dem Weihnachtsbaum fiel er auf die Knie, griff nach dem obersten Päckchen und riß das bunte Papier herunter. Ein brauner Pappkarton kam zum Vorschein, den der Kleine umgehend ans Ohr hielt und vorsichtig schüttelte. Ein leises Klappern ertönte, und der Junge leckte sich voller Freude die trockenen Lippen und begann den Karton zu öffnen. Er klappte den Deckel auf, und die große Klapperschlange, die zusammengerollt darin geschlummert hatte, bis das Schütteln sie geweckt hatte, schoß heraus wie ein Kastenteufel und grub ihre nadelspitzen Zähne in die schutzlose linke Wange des Jungen.
Zufrieden mit seiner Arbeit drehte der Weihnachtsmann sich um und kletterte den Kamin wieder hinauf.
Es gab noch viel zu tun in dieser Nacht.
So viele Kinder waren ja so ungezogen gewesen in diesem Jahr.