© 2003 by Jake
Sein Gesicht war kreidebleich. Dabei hatte der Tag so gut angefangen, und vor einer viertel Stunde war die Welt noch in Ordnung. Schließlich war es Florians dreizehnter Geburtstag, er war jetzt ein Teenager. Vor etwa zwanzig Minuten war Abpfiff eines denkwürdigen Spiels zwischen der Borussia, und deren Erzrivalen, den Rot-Weißen. Die Rot-Weißen hatten ja schon lange nicht mehr gegen Borussia gewonnen, und diesmal gab es sogar eine deftige 7:0 Klatsche. So hoch waren die noch nie von der Borussia geputzt worden. Dazu der Geburtstag, alles war perfekt. Florian erinnerte sich noch an diesen morgen, als er von seinen Eltern mit einen Geburtstagsständchen geweckt wurde.
"Alles Gute zum Geburtstag, Teenager!", flötete sein Vater und reichte ihn die Karten für das Spiel Borussia gegen Rot-Weiß. Florian machte einen Luftsprung, denn dieses Spiel war schon seit etlichen Wochen, wenn nicht sogar Monaten, ausverkauft.
"Hab´ leider keine mehr bekommen.", sagte seine Vater damals mit untröstlicher stimme zu den damals noch zwölfjährigen, enttäuschten Jungen. Jetzt wusste Florian, dass das nicht stimmte.
"Happy Birthday, Flo!", sagte seine Mutter, gab ihm einen Kuss auf die Wange und drückte ihn ein in Geschenkpapier gewickeltes Päckchen.
Mit der Ungeduld eines Kindes riss Florian das Päckchen auf und seine Mutter schmunzelte.
"Ooooooh Wooooow!!!!!", rief er durch das Zimmer.
"Den kannst du heute beim Spiel tragen.", fügte seine Mutter hinzu.
Es war ein grüner Borussen-Fanschal mit schwarzem Aufdruck ´VfL Borussia 4 ever´.
"Keine angst!", rief sein Vater, "Eine große Überraschung gibt’s heute noch nach dem Spiel!"
Wenn er gewusst hätte, wie recht er damit behalten würde. Nur, war es nicht die Überraschung, die er meinte.
Und so gingen die beiden zum Spiel und es war hervorragend. Schon in der ersten Minute schossen die Borussen das 1:0, und führten zur Halbzeit sogar mit 4:0. Nach dem Schlusspfiff kannte der Jubel keine Grenzen und im Siegestaumel verließen Vater und Sohn das Stadion.
"Halt gut meine Hand fest!", mahnte sein Vater, "Das gibt jetzt ein Riesengedrängel!"
Zwei Minuten lang ging das gut, dann rannten ein halbes Dutzend besoffene Borussenfans genau durch die Beiden hindurch und ihre Hände lösten sich von einander. Florian wurde von der Menge in die falsche Richtung gedrückt und das war’s dann. Er versuchte noch seinen Vater wieder zu finden aber das war unmöglich.
"Für den Fall", hatte sein Vater mal gesagt, "dass wir irgendwann getrennt werden, geh zum Auto!"
´Na schön´, dachte Florian, ´ich weiß ja, wo der Wagen steht.´
Nicht auf der Schwogenstrasse, wo sie sonst immer bei einem Spiel parkten. Dort hatten sie keine Parkplätze mehr gefunden, da sie etwas spät dran waren. Diesmal stellte sein Vater den Wagen in einer ruhigen Seitenstrasse ab, dessen Namen ihn zwar nicht mehr einfiel, aber Florian würde sie finden, da er sich den Weg gut eingeprägt hatte.
Also ging er in diese Richtung. Leider führte der Weg aber auch an die Gästekurve, und somit an den Rot-Weiß-Fans vorbei, da musste er jetzt alleine durch.
´Die sind jetzt bestimmt mächtig sauer.´, dachte Florian.
Er fuhr sich mit der Hand erst über sein weißes Borussentrikot, dann hoch zu seinen neuen Schal. Sie würden ihn beschimpfen. Ihm Dinge zurufen wie ´Borussensau´, ´Rübenbauer´ oder ´Ostholländer´. An die noch primitiveren Sprüche wollte er gar nicht denken. Nur, waren es nicht diese Sprüche, die ihn störten. Es waren die Hooligans, vor denen Florian angst hatte, und das war ihm nicht zu verübeln, denn sein eigener Bruder ist von Hooligans totgeprügelt worden. Es ist fünf Jahre her und sein Bruder Phillip war fünfzehn, also nur zwei Jahre älter als er jetzt. Phillip war alleine zum Spiel gegangen, da sein Vater krank war und er Florian noch für zu jung hielt, ihm alleine mit seinen Bruder loszuschicken. Es war ebenfalls ein Spiel gegen Rot-Weiß, das, wie so oft, die Borussia gewann. Drei Hooligans lauerten ihn auf, jeder mit einem Ziegelstein bewaffnet. Die Polizei konnte zwar die Drei von ihm losreißen, als sie immer wieder mit den Steinen auf ihn einprügelten, aber für Phillip kam jeder Hilfe zu spät.
´Dir wird jetzt dasselbe passieren!´, dachte Florian voller Panik. Jetzt kam er an die Gästekurve vorbei. Hier wimmelte es von Rot-Weißen, aber niemand sagte was. Hier und da wurde allgemein gegen Borussia gewettert, aber einen persönlichen Spruch gab es nicht. Hinter ihm grölten und sangen ein paar: "Scheiß Booorussiaaaaaaa, schalalalalalalaaaaa!" aber sonst war alles friedlich. Der Fruststachel saß zu tief – und zum Glück gibt es ja auch vernünftige Fußballfans.
´Selbst bei den Rot-Weißen´, dachte Florian und ging erleichtert weiter. Er ging den Bökelberg hinunter und bog in einer der Nebenstrassen ab. Jetzt noch ungefähr 300 Meter dann links, und er wäre am Fahrzeug.
´Ob Papi schon da ist? Ob er sich große Sorgen macht?´
"Hey, du scheiß Borussensau!"
Die schrille Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Florian schaute sich um und sah drei Gestalten um sich herumstehen. Alle trugen rot-weiße Schals. Alles andere wies nicht darauf hin, um wessen Fans es sich handelte.
´Fans? Flo, ich bitte dich, Hools sind keine Fußballfans!"
Sie trugen alle Bomberjacken. Ein Hooligan mit einer Glatze, trug darunter ein Pitbull-Sweatshirt. Bei den beiden anderen war nicht zu sehen, was sie trugen, denn die Reisverschlüsse ihrer Bomberjacken waren hochgezogen. Alle grinsten Florian dreckig an. Aber das Schlimmste war, alle drei hatten einen Ziegelstein in der Hand.
´Verflucht! Was mach ich jetzt?´, dacht er.
Sein Gesicht war kreidebleich. Dabei hatte der Tag so gut angefangen, und vor einer viertel Stunde war die Welt noch in Ordnung.
"Los! Brüllte Glatze! Schal ab! Her damit, oder wir prügeln dich tot!"
Tränen stiegen in Florian auf.
´Nein, jetzt bloß nicht weinen, zeig ihnen nicht, dass du angst hast.´, dachte er.
Er schaute sich um. Eine gottverlassene Strasse, selbst nach so einem Fußballspiel. Hier tauchen garantiert keine Polizisten auf. Aber Papi vielleicht? Jetzt hoffte er, dass sein Vater noch nicht am Wagen war und noch hier vorbeikommen würde. Er musste Zeit gewinnen.
"Warum?", fragte Florian, "Warum wollt ihr meinen Schal?"
"Weil wir verloren haben, du seltendämlicher Rübenbauer! Wie blöd bist du Gladdi eigentlich?"
´Rübenbauer!´, ´Gladdi!´, sehr intelligente Spitznamen für Gladbacher. Die Hooligans kamen näher. Er wünschte sich jetzt nach Hause. Er wollte seinen Geburtstag feiern, die große Überraschung sehen, die Mami angesprochen hatte.
"Loooooos, Arschloch, gib uns deinen Schal!", schrie jetzt der zweite Hooligan. Er trug einen Irokesen-Schnitt, den er sich rot gefärbt hatte.
´Du musst!´, dachte Florian.
Aber er wollte nicht. Mutti hatte ihm den Schal erst heute morgen geschenkt.
´Sie werden dich umbringen, wenn du es nicht tust, genau wie solche Kerle Phillip töteten!´, schrie eine innere Stimme in ihm.
Langsam griff Florian mit der rechten Hand zu dem Schal.
"Etwas Schneller!", brüllte der dritte Hooligan.
Er hatte sehr kurzes Haar und eine Tätowierung im Gesicht. Sie zeigte einen Drachen, der sich von seinem Hals aus bis zum linken Auge hin zog. Es sah so aus, als kletterte er dem Hooligan aus den Kragen seiner Bomberjacke. Florian schluckte und jetzt konnte er seine Tränen nicht mehr verbergen.
"Heulsuse!", brüllte Irokese sofort.
"Hey! Lasst den Jungen in Ruhe!", brüllte eine Stimme hinter ihm.
´Papi!´, dachte Florian und es keimte Hoffnung in ihn auf.
Aber es war nicht sein Vater, es war einfach ein Passant. Ein Mann Mitte Vierzig.
´Na egal!´, dachte Florian, ´Er wird mir auch helfen!´
"Hau bloß ab, Opi, oder willst du mal hier von kosten!", brüllte Glatze und drohte dem Mann mit dem Stein. Und dann geschah etwas unglaubliches. Nicht so unglaublich wie das, was noch kommen sollte, aber immer noch erstaunlich genug. Der Mann lief weg. Das Drohen mit dem Stein hatte gefruchtet und er rannte einfach davon. Er lies Florian im Stich.
"Ich werde die Polizei rufen!", sagte der Mann noch mit zittriger Stimme, aber Florian glaubte nicht, das er das tun würde.
Und wenn ja, dann wäre es sowieso zu spät.
"Jetzt her mit dem Schal!", rief Tätowierung triumphierend.
Florian nahm den Schal ab und gab ihm in. Glatze holte ein Feuerzeug aus der Tasche seiner Bomberjacke und hielt es lachend an den Schal. Dann tat Florian etwas Dummes. Er ging auf Glatze los und wollte ihm das Feuerzeug aus der Hand schlagen.
"Ey!", schrie dieser überrascht auf.
Florian holte zu einen erneuten Schlag aus, da der erste Erfolglos blieb, und hätte es auch wahrscheinlich geschafft, wenn Irokese nicht hinter ihn trat und Florian fest hielt.
"Den Schlag wirst du gleich noch bereuen!", rief Glatze und zündete den Schal an.
Tätowierung hielt den brennenden Schal vor Florians in Tränen aufgelöstes Gesicht.
"Das kommt davon, uns 7:0 zu schlagen!", brüllte er ihn an.
"Jaaaa, und nun zu dir, Bürschchen!", sagte Glatze und nahm seinen Ziegelstein in die Hand. Tätowierung ließ den brennenden Schal vor Florians Füße fallen und folgte Glatzes Beispiel.
"Benny!", rief er Irokese zu, "Halt ihn gut fest!"
Florian schrie vor Schreck auf als Tätowierung mit dem Stein ausholte. Aber was war das? Mitten in der Luft erstarrte sein Arm, als würde er von einer unsichtbaren Macht festgehalten. Überrascht und vermutlich unter Schmerzen verzerrte er sein Gesicht. Seine Hand öffnete sich ruckartig, spreizte alle fünf Finger auseinander und ließ den Stein Fallen. Dann gab es ein knackendes Geräusch und Tätowierungs Hand stand in einen seltsamen Winkel ab. Immer noch den Arm in der Luft hängend ging er schreiend in die Knie.
"Sach ma´ wat machste denn da?", fragte Glatze überrascht.
Dann fiel Tätowierungs Arm zu Boden. Sein Kopf machte eine ruckartige Bewegung nach hinten und seine Nase fing an zu bluten. Er knallte mit dem Hinterkopf auf das Pflaster. Sowohl Florian als auch den beiden anderen Hooligans klappte der Unterkiefer nach unten. Glatze ließ vor schreck jetzt auch seinen Ziegelstein fallen. Im gleichen Augenblick schwebte der gerade erst fallengelassene Stein wieder nach oben und sauste auf Glatzes Mund zu. Volltreffer! Der Stein fiel wieder runter, voll auf Glatzes Fuß. Er jammerte und spuckte blutend ein paar Zähne aus.
"Was zum Teufel geht hier vor?", kreischte Irokese hinter Florian und ließ ihn dann los. Florian drehte sich um und sah, dass Irokese fliehen wollte, fiel aber zu Boden, als würde er über ein ausgestrecktes Bein stolpern. Der Sturz sah so komisch aus, das Florian laut auflachte. Irokese, der sich wieder aufrappelte schrie Florian an: "Das machst DU! Ich weiß nicht wie, aber das machst DU!" und rannte auf ihn zu. Aber er kam nicht weit. Es sah so aus, als würde Irokese gegen eine Glasscheibe rennen, oder einer unsichtbaren Wand. Jetzt fing auch seine Nase an zu bluten. Er stürzte zu Boden aber fiel nicht ganz. Wenn Florian es nicht besser gewusst hätte, das er dort nur Irokese sah, hätte er gesagt, jemand hielt ihn an seiner Irokesen-Bürste fest und schleifte den Hooligan durch die Gegend. Aber da war keiner. Irokese rutschte mit den Beinen über den Boden. Sein Kopf hing in der Luft. Er wurde bis zu den noch brennenden Schal gezogen und fiel dann hin – genau mit der Irokesen-Bürste in die Flammen, das sofort Feuer fing. Irokese sprang auf und rannte mit brennendem Kopf davon – diesmal erfolgreich. Inzwischen hatte sich auch Glatze wieder aufgerappelt. Er wollte sich gerade wieder auf Florian stürzen als er plötzlich in die Luft gehoben wurde. Glatze schwebte jetzt vertikal ungefähr zwei Meter über Florian in der Luft. Florian griff mit den Armen unter Glatze hinweg. Da war nichts.
´Wie bei David Copperfield!´, dachte Florian und musste wieder lachen, irgendjemand – oder irgendetwas schien es gut mit ihm zu meinen.
Plötzlich fiel Glatze. Nicht auf den Boden, sondern auf den noch immer am Boden liegenden tätowierten Hooligan. Ihre Köpfe knallten gegeneinander, was beiden eine Platzwunde einbrachte. Einige Sekunden später standen die beiden auf und flohen, genau wie Irokese vor ihnen, ohne Florian eines Blickes zu würdigen.
Florian stand noch ungefähr zwei Minuten da ohne sich zu rühren, aber er lachte. Dann blickte er ernst. Was war das gewesen?
"Hallo? Ist hier jemand? Wenn ja: Danke!", rief er.
Als Florian keine Antwort bekam, was ihn nicht überraschte ging er weiter in Richtung Wagen.
Natürlich stand sein Vater schon da.
"Florian! Gott sei Dank! Ich wollte dich schon gerade suchen kommen!", rief er erleichtert.
"Hab mich in der Strasse vertan!", log Florian und lachte.
Vor lauter Erleichterung bemerkte sein Vater nicht, dass er den Schal nicht mehr trug. "Hab ihn in der Menge verloren.", hätte Florian gesagt, wenn sein Vater danach gefragt hätte.
Eine viertel Stunde Fahrt durch dem Fußballverkehr waren sie zu Hause.
"Geh noch mal auf dein Zimmer, wir wollen hier die Überraschung vorbereiten.", sagte seine Mutter und Florian gehorchte. Als er sein Zimmer betrat viel sein Blick sofort staunend auf sein Bett und rieb sich die Augen vor Verwunderung. Plötzlich wusste er alles. Er wusste, was mit den Hooligans passiert war und musste wieder lachen. Auf seinem Bett lag sein Schal. ´VfL Borussia 4 ever´ stand in schwarzen Lettern auf dem ewig grünen Hintergrund des Schals. Er war unversehrt. Unter dem Schal lag ein Zettel mit einer Handschrift, die er nur allzu gut kannte, aber schon fünf Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Alles Gute zum Geburtstag
Phillip
Florian ging zum Fenster und blickte in den blauen Spätnachmittagshimmel.
"Danke Bruderherz, Danke!"
Was immer seine Eltern für eine Überraschung im Wohnzimmer vorbereiteten, sie würde nicht mit dem Geschenk mithalten können, das Phillip ihm gemacht hatte. Florian lachte.
Michael Navarro (Jake)
Mönchengladbach, 19.09.2003
Nachwort:
Um Niemanden nahe treten zu wollen, habe ich den Gegner von Borussia Mönchengladbach in dieser Geschichte einfach "Rot-Weiß" getauft. Welcher Verein mir dabei in den Sinn kam, wissen wahrscheinlich einige Fußballfans von Euch. Sollte es hier Fans dieses Vereins geben, die sich dennoch auf den Schlips getreten fühlen, denen sei gesagt: Hooligans gibt es bei jedem Verein, auch in Mönchengladbach. Überall gibt es immer wieder Idioten. Ich habe diesen Verein ausgewählt, da es sich tatsächlich um der Borussen Erzrivalen handelt. Ich hätte genauso gut andere Clubs nehmen können. Diese Geschichte ist NICHT gegen Euren, oder einen anderen Verein gerichtet, sondern gegen alle Hooligans der ganzen Welt. Reicht diese Erklärung immer noch nicht, bitte ich alle betroffenen Fußballfans um Verzeihung.
Des weiteren sei noch gesagt, das die Location ungefähr der Realität entspricht. Diese Nebenstrassen in der Nähe des Stadion Bökelberg gibt es tatsächlich. Sie sind nur ein wenig Belebter nach einem Spiel, als so, wie ich sie hier dargestellt habe.