© 2003 Rudolf Klopfer
Endlich lichtete sich der Wald. In einiger Entfernung lag ein Dorf zwischen verwilderten Feldern. Kein Feuerschein war zusehen, nur der Nebel, der langsam durch die Fachwerkgerippe und die bemoosten Mauern der verfallenen Kirche glitt. Meine anfängliche Freude wandelte sich schnell in Enttäuschung, als ich durch die unbewohnten Ruinen strich. Der Ort war schon vor Jahren verlassen worden.
Ein Rascheln drang aus dem Haus zu meiner linken. Mit gezogenem Degen wandte ich mich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, vielleicht war es eine Ratte deren Fleisch eine willkommene Abwechselung in meinem Speiseplan aus Beeren und Wurzeln darstellen würde. Als ich die Ecke erreicht hatte, drang dasselbe Geräusch aus einer ganz anderen Ecke. So ging dieses Spiel eine ganze Weile bis es mir überdrüssig wurde. Ich schob den Degen zurück in seine Scheide und ging auf die Kirche zu. Da lies mich ein unheimliches Stöhnen aufhorchen. Ich sah mich um und mein Blick blieb an einem der Kirchenfenster hängen. Dort war eine weiße Gestalt, die sich langsam auf mich zu bewegte. Sie schien zu schweben und rückwärts gehend wich ich vor ihr zurück. Auf Höhe des verfallenden Brunnens drehte ich mich um, im selben Moment stieß die Gestalt einen markerschütternden Schrei aus. Die Angst packte mich vollendens und ich rannte auf den Wald zu. Erst als die Bäume mich umgaben blickte ich zurück Richtung Dorf, das Gespenst war verschwunden. Zurück traute ich mich nicht, also ging ich weiter in den Wald hinein.
Wegen der Dunkelheit kam ich schon bald vom Weg ab. Als ich überhaupt nicht mehr wusste, wo ich denn nun war, fingen irgendwo Wölfe an zu heule und ich verfluchte mich selbst. Sicher hatte mein Hunger mir einen Streich gespielt und mich Gespenster sehen lassen. Die Geräusche stammten sicher nur von harmlosen Vögeln. Jetzt hatte ich aber eine Sache, vor der ich mich wirklich fürchten konnte, nämlich den Wölfen.
Der Schuss einer Muskete, der durch den Wald hallte, ließ die Wölfe verstummen. Mein Herz schlug schneller bei dem freudigen Gedanken, endlich Menschen zu treffen. Schnellen Schrittes bewegte ich mich in die Richtung aus der der Schuss kam. Nach einer Weile drang der Schein eines Lagerfeuers durch die Bäume. Trotz meiner Freude mahnte mich eine innere Stimme zur Vorsicht. So pirschte ich mich langsam näher.
Beim Anblick der kleinen Lichtung stockte mein Atem. Es war besser gesagt der Anfang einer engen, felsigen Schlucht, die einer Räuberbande als Unterschlupf diente. Daran bestand kein Zweifel, denn an einer großen, knorrigen Eiche schienen Leichen zu hängen und das Gespräch, dass die drei finsteren Gesellen am Lagerfeuer führten, lies keinen anderen Schluss zu. "Und dann rannte er, wie ein feiger Hase", erzählte ein schmächtiger Mann mit einem narbenübersäten Gesicht, der das verschlissene Gewand eines Musketiers trug, Bandalier und Muskete lagen neben ihm. "Ob er wohl die Geschichte über die Weiße Frau von Feldenbach kannte?", fragte sein Kumpane, ein verdreckter, feister Mann, der vor einiger Zeit der Tätigkeit eines Dragoners nachgegangen zu sein schien. "Wer weiß, ich denke schon, so wie der durchs Dorf gelaufen ist, war er sicher auf der Suche nach ihrem Schatz und dann flüchtete er als er sie zu Gesicht bekam", antwortete der Erzähler ironisch. Meine Neugier war geweckt, doch noch hatte ich sie unter Kontrolle. "Wie auch immer", schaltete sich ein fein gekleideter Mann ein, sein Rock kennzeichnete ihn zweifellos als Anführer der Bande, "der Reiter von heute Morgen war ein Bote und kannte die Geschichte sicher nicht, ist uns aber auch so ins Netz gegangen. Den Briefen nach kam er aus dem Westfälischen, scheinbar haben sie dort endlich Frieden geschlossen. Es wäre für uns bedauerlich, wenn dadurch unsere
-2-
Geschäfte zurückgehen würden. Hoffentlich hat dein Schatzsucher den Schuss gehört, wenn ja müsste er bald hier sein. Du sagtest er hatte einen Degen? Dann muss er auch etwas
Wertvolles bei sich haben. Wohl denn, dann lasst ihn uns einen schönen Empfang bereiten!" Mit diesem Worten ergriff er seine Partisane und die Gesellschaft erhob sich.
Meine Freude über den Frieden war nicht allzu groß, da mir bewusst wurde das mit dem Schatzsucher ich gemeint war. Vorsichtig schlich ich mich von dannen, denn einen Kampf mit diesen Gesellen hätte ich nicht aufnehmen können. Während ich mich ärgerte, dass ich diesen Halunken in die Falle getappt war, gab unter mir der Boden nach und ich war in einer Fallgrube gefangen. Mir blieb fast das Herz stehen und ich wagte nicht mich zu bewegen, aber niemand schien mich bemerkt zu haben, keiner der drei schien sich in unmittelbarer Umgebung zur Fallgrube aufzuhalten.
Es mochte eine Stunde oder mehr vergangen sein, auf jeden Fall war es still geworden im Räuberlager. Langsam versuchte ich mich aus der Grube zu befreien, was mir nach etlichen Versuchen auch gelang. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet und schwach erhellte der Vollmond das lichte Stück Wald, welches den Räubern als Aufenthaltsort diente. Ein undeutlicher Pfad der scheinbar in Richtung des wüsten Dorfes führte ließ sich erkennen, ich beschloss auf ihm diesem schrecklichen Ort zu entkommen. Gerade als ich mich in Sicherheit wiegte und dachte das Dunkel des Waldes hätte mich Vollendens umschlossen knackte ein Ast unter mir. Wie gebannt blieb ich stehen, aber es war zu spät. Ein Schatten erhob sich vom niedergebrannten Lagerfeuer und schrie: "Da ist jemand! Auf packt ihn!" Ich rannte, aber die Verfolger waren mir schon auf den Fersen. Freudig nahm ich den Schrei ihres Anführers war, der scheinbar in meine Fallgrube gefallen war und einen der beiden aufforderte, ihn dort wieder heraus zu holen während der andere mich weiter verfolgen sollte. Die Jagd ging quer über den verschlungenen Pfad und gerade als ich dachte, ich hätte meinen Verfolger abgeschüttelt, krachte hinter mir ein Musketenschuss und eine Kugel flog pfeifend an mir vorbei.
Trotz meines Hungers lief in noch schneller und erreichte bald den Ort. Quer durch die Häuserruinen, die im Vollmondlicht und durch den Modergeruch noch unheimlicher aussahen. Mein Verfolger musste wohl auf der Höhe der Kirche sein, bei der ich am Nachmittag das "Gespenst" erblickt hatte, als ich einen markerschütternden Schrei vernahm, danach ein leises Knacken und darauf das mir sehr vertraute Geräusch eines toten Körpers, der zu Boden fiel. Erstaunt sah ich mich um und erkannte meinen Verfolger als denjenigen, dessen Genick gerade gebrochen worden war. Der Gesichtsausdruck des toten Musketiers sah aus, als habe er ein Gespenst gesehen. Auf der Suche nach dem Grund, der ihm sein Genick gebrochen hatte, sah ich um mich und erkannte in der Ecke, wo ich die Ratte zum ersten mal gehört hatte, eine weiße Gestallt die mir zuwinkte und Grabbewegungen machte. Es schien die besagte Weiße Frau von Feldenbach zu sein, die sich für ihr Verspotten gerecht hatte.
Meine Glieder waren wie eingefroren, doch tauten sie schnell wieder auf, als ich in der Ferne Pferdegetrappel hörte. Ich zog den Toten hinter eine Mauer, kauerte mich neben ihn. Kurze Zeit später preschte ein Dutzend Reiter aus Mitternacht kommend dem Räuberweg zu und verschwand auf ihm wenig später, ohne mich zu bemerken. Als das Schlagen der Hufe verklungen war, begab ich mich aus meinem Versteck und eilte dem Weg, auf dem die Reiter gekommen waren, entlang. Das Gespenst war verschwunden.
Meine Vermutung erwies sich als richtig und gegen Mittag hatte ich endlich eine bewohnte Stadt erreicht. Auch hier hatte die Anwesenheit der Räuberbande wohl die Freude der Bürger über den Frieden getrübt. Nach einer mehr oder weniger ausgiebigen Mahlzeit betrat ich das Rathaus, um der Obrigkeit die Lage des Räubernestes zu melden. Hier erführ ich dass die Reiter in der Nacht ein nahes Kloster überfallen hatten.
-3-
Die Leute waren doppelt erfreut über meine Nachrichten, als ich ihnen vom geschlossenen Frieden erzählte, von dem sie in Unkenntnis waren, da der abgefangene Bote zu ihnen auf den Weg war.
Am darauf folgenden Tage machte sich ein bewaffneter Haufen mit mir als Wegweiser auf den Weg, das Räubernest auszuheben. Nach einem kurzen Scharmützel waren fast alle Räuber gefangen oder getötet, der Hauptmann versuchte zwar noch in letzter Minute durch die Schlucht zu fliehen, aber sein verstauchter Knöchel lies in nicht weit kommen.
Als dank für meinen Hinweis, der zur Ergreifung des Gesindels geführt hatte, sprach der Landesherr mir einen Wunsch zu. Ich musste nicht lange überlegen, um mich für das Haus zu entscheiden, an dessen Ecke die Weiße Frau mir erschienen war. Zu meinem Glück war es das frühere Gasthaus von Feldenbach gewesen, da mir die Tätigkeit eines Bauern doch sehr fremd war.
Mit dem Schatz, den ich in der mir angezeigten Ecke fand, konnte ich das Gebäude mühelos wieder in Stand setzen und von nun an ein ruhiges Leben führen.
Bei der Einweihung des Gasthauses, welches ich "Weiße Frau" nannte erzählte mir ein alter Mann, der letzte lebende Bewohner von Feldenbach, was es mit der Weißen Frau auf sich hatte: Sie war die Frau des Wirtes gewesen und sehr hart gegen Arme und Hungernde, ihr Mann war schon vor Jahren gestorben. Durch ihren Geiz hatte sie ein beträchtliches Vermögen angehäuft, welches sie in der besagten Ecke vergrub, bevor das Dorf von den Schweden heimgesucht worden war. An diesem Tag kamen beinahe alle Einwohner des Dorfes um, darunter auch die Wirtin. Um sie für ihre Harzherzigkeit zu bestrafen, musste sie jede Nacht durch das Dorf geistern und jemanden finden, der den Schatz hub und sie so erlöste. Aus Furcht vor ihr verließen die letzten verbliebenen Einwohner Feldenbach und zogen in die Stadt.
Dann bemerkte er noch, dass die Wirtin es nicht hatte leiden können, wenn sich jemand über sie lustig machte...
Degen: Hieb- und Stichwaffe mit grader, schmaler Klinge
Muskete: großkalibriger Vorgänger des Gewehres
Bandalier: breiter Lederriemen, der quer über die Brust getragen wird und an dem
Pulverfläschen hängen, in jeder Flasche ist Pulver für einen Schuss
Dragoner: berittener Infanterist mit Karabiner (kurzes Gewehr)
Partisane: eine Art Lanze, im 17./18. Jhd. meistens Offizierswaffe
wüstes Dorf: Wüstung, von den Bewohnern verlassen