Erinnerung
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„1 km, immer grade aus“ antwortete der Mann auf der Fähre, auf die Frage von ihr, wie weit es noch vom Anleger bis zur Kaserne sei. „Ein Bus fährt auch, aber nur jede volle Stunde“. Ein blick auf die Uhr: 17.05. „Zu Spät“, dachte sie sich, „dann laufe ich eben“.So ging sie den letzten Kilometer zu Fuß. Rund 550km hatte sie schon hinter sich.
Dieser letzte Kilometer zog sich. Dann endlich: der Eingang zur Kaserne.
An einem sonnigen, aber kalten Sonntagabend erreichte sie endlich ihr Ziel.
„Hallo, ich wollte meinen Schlüssel abholen“. Der Pförtner fragte sie nach ihrem Personalausweis und ob sie eine Einladung hätte.
Sie reichte ihm die geforderten Papiere und er ihr den Schlüssel.
Voller Freude machte sie sich auf den Weg durch die Anlage. Das Gelände gefiel ihr.
Und als sie endlich ihre Stube fand, lies sie sich auf ihr Bett fallen und fing an zu weinen.
Vielleicht lag es an der Anstrengung der letzten 8 Stunden.
Vielleicht lag es aber auch an diesen steril wirkenden Raum.
Nur ein Schrank, ein Bett, ein Tisch und zwei Stühle standen dort.
„Fünf Tage. Das überlebst du nie“
Doch der nächste Tag bewies ihr das Gegenteil. Sie lernte die Leute auf „ihrem“ Boot kennen.
„Wo kommst du her? Kassel? Wir kommst du auf die Idee nach Rostock zu kommen?“lautete die Frage wieder und wieder.
Die Antwort war immer die gleiche: „Ich wollte mal sehen, wie es bei der Marine ist und entschied mich hierfür.“
Am nächsten Tag lernte sie die Leute ein wenig näher kennen.
„Hast du einen Freund?“ fragte er sie, während sie gemeinsam das Frühstück für den Rest der Besatzung vorbereiteten und dabei durch das Bullauge auf die unruhige See sahen.
Ein komisches Gefühl überkam sie. „Nein“ antwortete sie schließlich.
Er fragt sie, warum sie keinen hätte und sie sagte, dass sie es nicht wüsste. Es hätte sich einfach noch nicht ergeben.
Er sah sie an und lächelte.
„Ich hab erst seit einer Woche wieder eine Freundin. Ich mache mit ihr Schluss und dann kommen wir zusammen.“ Sie grinsten sich an. „Dann mach das doch, bitte. Mach das! Ich wird dich nicht aufhalten.“ dachte sie sich.
Sie erschrak. Was hatte sie sich da gedacht? Dann gestand sie sich ein: „Ich bin in ihn verliebt. Aber wie kann das nach nur zwei Tagen gehen?“
Die nächsten Stunden konnte sie an nichts anderes mehr denken.
Wenn sie an Deck war und er zum rauchen raus kam, schien es, als würde er ihre Nähe suchen.
Er setzte sich neben sie und sah, wie sie, schweigend Richtung Horizont. Die Sonne versteckte sich immer wieder hinter den grauen Wolken. Es war Frühling, und bei voller Fahrt war es auf dem Deck besonders kalt.
„Zieh dir deinen Parka an oder geh rein. Es ist zu kalt in der dünnen Jacke.“
Noch nie hatte sich ein Mann um sie gesorgt.
„Soll ich dir einen Tee machen?“ fragte er.
„Ja, gerne. Pfefferminz.“
„Also, wie gestern.“
Er hat es sich gemerkt. Sie spürte wieder dieses Kribbeln im Bauch.
Kurz nachdem er reinging, folgte sie ihm. Der Tee war schon am ziehen.
Hier in der Kombüse bei ihm fühlte sie sich geborgen.
Sie blickte wieder durch das Bullauge, während er sich an ihr zu dem Hängeschrank vorbeidrängte.
Die Kombüse war für zwei Leute fast zu klein.
Aus einer Schublade holte er etwas raus. Es waren ungefähr zehn Namensschilder, mit einem Gummi zusammengehalten.
„Die sind heute Morgen gekommen, brauche mal wieder neue für meine Uniform.“
Er zog eins der Schilder raus und hielt es ihr hin.
„Hier, damit du mich nie vergisst.“
Sie nahm es aus seiner Hand.
„Das werd ich nicht.“ In Gedanken fuhr sie fort: „niemals werde ich das“.
Er lächelte sie an. Am liebsten hätte sie ihn umarmt. Diese Geste bedeutete ihr viel.
Dann kamen sie wieder im Hafen an. Das An- und Ablegen war Teamarbeit. Jeder musste mit anfassen, auch sie.
Sie kam in sein Team. Er half ihr, die Rettungsweste anzuziehen.
Als alle ihre Westen anhatten, ca. 5 Minuten vorm Anlegen, standen alle in ihren Gruppen.
Durch die Lautsprecher tönte „Enjoy The Silence“ von Depeche Mode.
Und sie genoss sie. Niemand sagte etwas. Alle konzentrierten sich auf das bevorstehende Anlegen und ihre Aufgaben dabei.
Sie stand neben ihm und sah ihn immer wieder an. Das Lied war zu ende. Alle liefen los und gingen an ihre Plätze.
Die großen mit Luft gefüllten Kissen, die verhinderten, dass das Schiff an die Brücke schlägt, auch Fender genannt, waren schwer.
Er half ihr, sie reinzuholen.
Nach der ganzen Anstrengung trank die ganze Belegschaft noch zusammen ein Bier.
Der letzte Tag war gekommen.
Er holte sie mit seinem Auto ab und nahm sie mit zum Schiff, da sie ihr ganzes Gepäck mitnehmen musste.
Ein letztes Mal betrat sie mit ihm das Boot. Ein letztes Mal standen sie bei der Musterung nebeneinander.
„Soll ich dich zur Fähre fahren?“ Die Frage hätte sie gerne bejaht.
„Ich muss nochmal zu einem Gespräch, das wird etwas dauern. Wann willst du denn los?“
„Um 11.00 ist Feierabend, spätestens um 12.00 will ich hier weg sein.
Sie war enttäuscht. „Das schaffe ich leider nicht“
„Okay. Dann müssen wir uns jetzt wohl verabschieden.“
Sie wurde immer trauriger, war den Tränen nahe.
„Dann vielleicht bis in drei Jahren.“ Er hatte sich gemerkt, dass sie vorhat, zur Marine zu gehen.
Das freute sie. Sie hätte ich gerne umarmt, doch sie war zu schüchtern.
Sie gaben sich die Hände. „Mach´s gut“ Dann war er aus ihrem Leben so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war.
Während sie in dem Abschlussgespräch saß, fiel ihr ein, dass sie weder Handynummern noch sonst was ausgetauscht haben.
Immer wieder schoss es ihr durch den Kopf: „Vergiss es, du wirst ihn nie wieder sehen. NIE.“
Sie konnte dem Oberleutnant nicht mehr zuhören, nickte nur noch und lächelte dabei.
Endlich war das Gespräch vorbei. Sie sah auf ihr Handy: 10:53.
„Verdammt“ dachte sie.
Sie stieg zu der Frau ins Auto, die sie zur Fähre brachte. Kurz vor dem Ableger war eine Ampel, sie stand auf rot, doch die Fähre war schon da. Sie verabschiedete sich, wollte grade die Tür aufmachen, da sah sie, wie von hinten ein Auto kam. „Das ist doch OLIVER.“ Sie erkannte erst sein Auto, dann auch das Kennzeichen.
Ihr schossen so viele Gedanken durch den
Kopf:
„Fährt er jetzt zur Fähre? Dann fahren wir nochmal zehn
Minuten zusammen. Wir können doch noch Nummern austauschen.“ Er
fuhr vorbei, drehte und fuhr richtung Kaserne. „Vielleicht hat er
ja nur was vergessen, vielleicht erwischt er die Fähre noch.“
Doch ihre Freude hielt sich in Grenzen. Sie wusste, dass sie bald ablegen würden.
„Das kann er unmöglich schaffen“, gestand sie sich ein.
Sie legten ab.
Jetzt ließ sie ihren Tränen freien lauf.
„Das war die letzte Chance, vergiss ihn“.
Der kalte Wind trocknete ihre Tränen, doch sie flossen schnell wieder nach.
Das liegt jetzt sieben Monate zurück. Doch sie hat ihn nicht vergessen und wird es wohlmöglich auch nicht. Eigentlich möchte sie das auch gar nicht, da die Zeit mit ihm so schön war.
Und ob er noch an sie denkt?
Wahrscheinlich nicht.