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Der letzte Strohhalm

©2005 by Matthias Schaller

Das Essen schmeckte fad. Wie immer eigentlich. Ich starrte runter auf meinen Teller. Kartoffeln mit Lachs aus der Dose. Ein Standardessen.

"Ich frage mich, womit wir das verdient haben", sagte Tscheschnew.

"Nun, du hast deine Mutter abgemurkst", entgegnete Danston und lachte laut auf, so dass ihm fast eine Kartoffel im Hals stecken blieb.

"Mann, sogar die alte Schlampe von Mutter konnte das Zeug besser machen."

"So ist das Leben", sagte ich und aß weiter.

"Genau! Aber du verdienst es auch." Danston hatte die Kartoffel bereits runter geschluckt, hatte aber einen roten Kopf von der Anstrengung. "Man tötet seine Mutter nicht ungestraft."

Dann war es ruhig. Jeder besann sich darauf, so viel zu essen, wie es nur geht. Ich unterbrach die Stille.

"Ich geh‘ dann mal, muss noch den scheiß Hof kehren".

"Jo DD, viel Spaß und pass‘ auf, dass du nicht über eine Leiche stolperst", rief Tscheschnew.

Ich lächelte nur, stand auf und ging hinaus.

DD. DD bedeutet "Danish Dynamite". Sie nannten mich so. Alle nannten mich so. Warum? Weil ich angeblich aussah, wie ein Däne. Groß, dünn und kurze blonde Haare. Ich mochte diesen Namen nicht, aber ich ertrug ihn. Nicht dass ich Angst hätte vor Auseinandersetzungen. Ich mied sie aber einfach lieber.

"Hey, O’Keefe! Antreten aber dalli, bevor ich dir die Hoden spalte!"

"Ja ja, ich komme schon."

Es war Tommy Stanford, Leiter des Gefängnisblockes C. Mein Block. Man könnte den Eindruck haben, dass er mich hasste wie die Pest oder schlimmer: wie seine eigene Frau. Das mag vielleicht auch zum Teil stimmen. Aber nur zum Teil. Ich fand ihn ganz in Ordnung.

"Nimm Besen und Schaufel und mach dich ans Werk. Ich bin in 2 Stunden wieder hier und kontrolliere. Haben wir uns verstanden!?", fragte Stanford.

"Ja, haben wir!", entgegnete ich ihm selbstbewußt, aber nicht übertrieben.

"Gut!"

Ich machte mich an die Arbeit. Ich fing an der äußeren Ecke an, vor der Zelle C001. Die Zelle von Pablo. Den Nachnamen gab er nicht preis. Niemandem. Er saß wegen mehrfacher Vergewaltigung. Todesstrafe, wie viele hier. Ich auch.

Ich hatte ein bestimmtes Konzept, wenn es ums Kehren ging. Ich arbeitete mich im Kreis näher an die Mitte des Hofes heran. Wie das Muster eines Schneckenhauses.

Es ging überraschend schnell. Gerade mal 2 Stunden und ein paar Minütchen. Sie dachten, ich hätte nur 2 Stunden gehabt. Stimmt auch. Eigentlich. Stanford war aber regelmäßig zu spät. Poker, verbotenes Poker.

Jemand fasste mir auf die Schulter.

"Hey Jerry, altes Haus." Ich drehte mich um.

"Ey, Eldrick. Schön dich zu sehen. Wie geht’s dir so?"

"Ich kann nicht klagen und selbst?"

Wir redeten 5 bis 10 Minuten über alles Mögliche. Seine Familie, sein Beruf und sein neues Auto, ein SAAB SB910.

"Gibt es Neuigkeiten zu meinem Fall?", fragte ich ihn.

Oh ich vergaß. Eldrick war mein Anwalt. Leitz, Eldrick Leitz. Er war schon sehr lange mein Anwalt. Ich nahm seine Dienste zum ersten Mal bei der Trennung von meiner Frau, Ricky Harrison, in Anspruch. Er machte seinen Abschluss in Yale. Später studierte er dann Jura in Kalifornien. Der genaue Ort ist mir entfallen.

"Also, ich mu....."

"Hey ihr! Das Zusammentreffen von Anwalt und Mandant ist auf dem Hof verboten! Hau ab!", brüllte Stanford.

"Ich treffe dich gleich im Sprechzimmer.", flüsterte mir Eldrick zu und ging.

"Haben wir denn alles schön aufgeräumt, Mister O’Keefe!?"

"Ja, haben wir", antwortete ich (und dachte: "Halt doch dein dämliches Maul, du Ficker!")

"Sieht ganz gut aus. Du kannst gehen! Und mach‘ ja nicht schon wieder solche Dummheiten, sonst bist du morgen wieder mit kehren dran!" Tommy schaute mich wütend an, aber das machte mir nichts. Nur weil ich einen anderen Insassen Hurensohn genannt habe, musste ich diese Drecksarbeit verrichten.

Ich ging ohne ein Wort zu sagen. Auf dem Hof benimmt sich Tommy immer anders als in den Fluren bei den Zellen. Er war ein arroganter Arsch, keine Frage. Doch trotzdem war er wieder ein netter Kerl. Auf jeden Fall, wenn man es aus meiner Sicht sieht. Stanford war mein Mann für Zigaretten. Ich rauchte. Ich rauchte viel, zu viel. Das Problem (neben meiner Sucht selbst) war, dass es in dem Knast natürlich keinen Kiosk, geschweige denn einen Zigarettenautomaten gab. Tommy war mein Mann. Er schmuggelte mir die Zigaretten einmal in der Woche in meine Zelle, ohne dass auch nur eine Kamera davon Wind bekam. Ich bezahlte die Zigaretten (natürlich maßlos überteuert) mit dem Geld, dass ich beim Skat verdiente. Verbotenermaßen natürlich.

Ich ging ins Sprechzimmer. Eldrick saß schon da und kramte noch nach etwas in seiner Tasche. Ich ging zu ihm und setzte mich. Wir hatten immer den selben Platz. Ganz rechts außen. Ich mochte es nicht, wenn einem jemand zuhören konnte und durch den äußersten Platz wurde die Zahl solcher miesen Lauscher immerhin halbiert.

El schaute aus seiner Tasche durch die Trennscheibe zu mir auf und nahm daraufhin den Hörer ab. Ich ebenfalls. Sie kennen das ja. Das mit den Telefonen. Aus Filme wie "Dead Man Walking" oder "Alcatraz". Jeder hat es schon einmal gesehen, aber nur wer direkt damit in Berührung kommt, merkt wie zermürbend das ist. Sich per Telefon durch eine Trennscheibe zu unterhalten. Früher dachte ich noch, dass sei um körperliche Übergriffe zu vermeiden. Heute denke ich, dass es auf die Psychologie des Insassen und deren Zerstörung abzielt.

"Also Eldrick, wie sieht’s aus? Gibt’s was Neues zu meinem Fall."

"Nein. Zumindest nichts Großes. Ich habe nochmal mit der Justizbehörde gesprochen, aber sie scheinen mich nicht ernst zu nehmen. Sie sehen dich bereits als toten Mann, Jerry. Oder treffender ausgedrückt: Sie wollen dich als einen solchen sehen."

Eldrick schaute mich traurig durch die Trennscheibe an. Ein harte, große Trennscheibe. Ein Material zwischen Panzerglas und Hartplastik. Es war ein bißchen milchig, trotzdem konnte ich die Mimik von meinem Anwalt deutlich erkennen. Sie verriet nichts Gutes.

"Nun ja, ich sehe mich auch schon auf dem besten Weg auf den Stuhl", sagte ich und versuchte es locker und gleichgültig rüber zu bringen. Ich glaube aber, es klappte nicht.

"Du darfst dich nicht aufgeben Jerry. Es besteht immer noch Hoffnung, dass du der Todesstrafe entgehst."

"VERDAMMT, ES BRINGT DOCH NICHTS! Selbst wenn ich sie doch umgehen kann, sitze ich hier dann bestimmt noch 25 Jahre!", brach es plötzlich aus mir hinaus.

Es war sofort totenstill, im ganzen Raum. Alle starrten mich an. Unsicher legte ich die Hand an meine linke Wange, so dass mir niemand direkt ins Gesicht sehen konnte. Ich konnte das nicht leiden. Dieses Gestarre, dieses Gelausche. Alles eben, was entsteht wenn einige Menschen eng aufeinander hocken.

"Tut mir leid, El. Es war nicht an dich gerichtet. Es macht mich nur alles so fertig hier. Das schlechte Essen, das Hofkehren und der seltene Besuch."

"Du meinst seltener Besuch von Cassandra, was?!", sagte er leise und lächelte dabei wie ein kleiner Junge, der nur darauf wartet, dass sein Lehrer in die von ihm ausgelegte Hundescheisse tritt.

"Ja, das muss ich zugeben. So ab und zu muss man halt mal was ablassen, wenn du verstehst, was ich meine." Ich lachte.

"Das verstehe ich. Aber du hältst dich gut, wenn man bedenkt, dass du schon knapp 5 Jahre hier einsitzt."

 

Ja, 5 Jahre saß ich zu diesem Zeitpunkt bereits im Knast. Und das nur wegen dieser scheiß Susan Videll. Hätte sie nur diesen Mann in dem Café nie getroffen. Sie erzählte mir zuerst, dass sie abends jetzt länger arbeiten müsste, da dass Geschäft nicht gut lief. Ich glaubte das zuerst auch. ‚Zuerst‘ hieß in meinem Fall aber knappe 6 Monate.

Eines Abends dann schaute ich für Susan überraschend im "Drunken Trucker", der Autobahnraststätte, vorbei. Ich sah Susan und wollte noch winken. Doch plötzlich passierte etwas. Etwas, dass mein Leben total verändern und ihres für immer beenden sollte. Sie warf sich auf den Schoß dieses Penners. Ein Mann, circa 40 Jahre alt und 1,80m groß. Hellbraune Haare, heller Teint und schlanker Körper. Alles verpackt in einem braunen Kordanzug. Den Namen weiß ich bis heute nicht. Sie küsste ihn und wälzte sich nur so auf ihm herum.

Vielleicht würde Susan heute auch noch küssen können, wenn ich nicht volle 27 Minuten bei ihrem gemeinsamen Liebesspiel zugesehen hätte. Jede Minute stieg mein Puls und meine Wut. Aber auch meine Verzweiflung. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich entschied mich nach Hause zu fahren und dort auf die feine Ms. Videll zu warten.

Zuhause nahm ich erstmal eine kalte Dusche. Meine Aufregung und Wut legte sich langsam wieder. Ich stieg aus der Dusche, legte mir nur ein schneeweißes Handtuch um die Hüften und setzte mich vor den Fernseher. Es war der Abend des Superbowl-Finals: Pittsburgh Steelers gegen New York Jets. Die Steelers waren klarer Favorit. Die Jets kamen nur ins Finale, weil die Dallas Cowboys ohne ihren guten, aber verletzten Quarterback Jermain Hutch antreten mussten. Dies war zumindest meine Meinung.

Es begann gerade das zweite Quarter - die Steelers führten klar mit 14:2 – als die Wohnungstür aufging. Susan war daheim. Ich ging auf sie zu. Sie schaute mich an. Dann ging sie auf mich zu, um mich zu küssen. Ich ekelte mich. Diese dreckige Schlampe hat es doch tatsächlich gewagt mich zu hintergehen.

"Lass mich in Ruhe du scheiß Hure!", brüllte ich,

"Aber wa...was hast du?", schrie sie zurück. Sie schaute mir schockiert mitten in die Augen.

"Ich habe alles gesehen. Hörst du!? Alles!"

"Ich weiß nicht, wovon du sprichst." Ihre Stimme zitterte und ich merkte sofort, dass sie wußte, dass ich sie bereits überführt hatte.

"Ehrlich, ich weiß nicht was du meinst!", log sie weiter.

"Ach. Du weißt nicht, was ich meine, ja!?" Ich ging weg von ihr.

"Was hast du vor? Hey, Jerry. Deine Susan würde dich doch niemals mit einem anderen Kerl betrügen!"

"Ach, woher weißt du denn, dass ich von einer Betrügerei geredet habe?"

"Ich...ich weiß nicht."

"Ich weiß es aber du Tochter einer verdreckten Hündin."

"Rede nicht so über meine Mutter du Arschloch. Hörst du! Du bringst es nicht im Bett. Du Schlappschwanz, du verfickter Pen...".

Das Messer steckte bereits in ihrem Bauch. Sie schaute hinunter und meine Hand, welche das Messer in ihren Bauch trieb, knapp oberhalb des Bauchnabels. Das Blut tropfte in großen Tropfen aus ihrem Bauch. Sie schaute hoch, direkt in mein Gesicht. In ihren Augen stand die pure Angst. Ihre Pupillen waren weit geöffnet. Wie ein tiefer Brunnen.

Apropos Brunnen: ‚Stille Wasser sind tief‘ sagt man ja. Ich habe nie gegen Susan die Hand erhoben. Niemals. Ich liebte sie. Auch in diesem Augenblick, obgleich man mir das jetzt vielleicht nicht glauben mag.

Sie schaute mich immer noch an. Ich sah zurück. Ich zog das Messer wieder heraus und eine riesige Fontäne von Blut ergoss sich aus ihrem Bauch auf den Parkettfussboden. Ein guter Boden, kann ich nur empfehlen. Reflexartig hielt sie ihre beiden Hände vor den Bauch, worauf die Fontäne kleiner wurde, aber natürlich nicht aufhörte. Sie fiel auf die Knie, direkt in ihr Blut. Sie war nun auf der Höhe meines Oberschenkels.

Plötzlich griff sie mich an eben diesen (linken) und riss mich zu Boden. Ich knallte mit dem Kopf auf den billigen Stoffteppich, den ich mir erst 3 Tage vorher auf einem Straßenfest gekauft habe. Ohne eine Vorahnung fiel sie auf mich und schlug mir dreimal mit voller Wucht ins Gesicht. Ich konnte sie erst dann abschütteln. Ich griff mir das Messer, das ich beim Sturz aus der Hand habe fallen lassen und bedrohte sie damit, als sie am Boden lag.

"Mach‘ ja keinen Mucks mehr, oder ich bringe dich gleich hier um! Ist das klar!"

"Das würdest du nicht tun. Dazu fehlt dir der Mut und die Willenskraft, du scheiß Loser!"

Es stimmte, mir fehlte der Mut, aber die Willenskraft war stärker. Ich stach zu. Wie eine Biene, die man immer und immer weiter provoziert. Ich traf ihr genau in den Hals. Das Blut spritzte nur so aus ihrem Hals. Das Leben wich aus ihren Augen. Keine letzten Worte mehr. Kein großer Showdown. Nichts. Nur Stille die plötzlich den ganzen Raum einzunehmen schien. Susan fiel mit dem Rücken auf den Boden. Sie war aber schon vorher tot, vermute ich. Bin ja kein Mediziner. Der Aufprall auf den harten Fussboden, war ihr letztes Geräusch.

Ich saß da. Neben Susan. Wir waren zu zweit, aber ich war doch alleine. Überraschenderweise war ich wieder schnell bei recht klarem Verstand. Ihre Körper war leicht und ließ sich deshalb gut zur Badewanne tragen. Ich legte sie hinein und nahm mein Handtuch ab. Es war nun rot. Blutrot. Ich legte es ihr über das Gesicht. Die Dusche war noch nass. Ich ging wieder hinein und wusch mir das Blut aus dem Gesicht. Zum einen mein eigenes (das aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf kam) und zum anderen Susans. Ich duschte lange, länger als sonst, viel länger als es normal und nötig gewesen wäre. Ich vergaß die Zeit, die verstrich. Vielleicht wollte ich mich rein waschen, frei machen von der Tat, aber es klappte nicht so richtig. Kann so etwas überhaupt klappen?

Ich stieg aus der Dusche und legte mir ein neues Handtuch um. Ein Grünes. Grün, die Farbe der Hoffnung. Auf die Couch. Der Fernseher lief noch. Ein Reporter war in der Kabine des Siegers. Es gab Champagner und Jubelschreie.

Das Spiel endete 14:23.....für die Jets.

"Hey Jerry, hey!"

"Ähm, `tschuldige, was möchtest du?" Ich war noch vollkommen in Gedanken.

"Wir haben noch ein bißchen Zeit. Gibt’s es sonst noch was worüber du reden möchtest?" Es war mittlerweile 17.42 Uhr.

"Hmmm...eigentlich nicht. Doch halt, wie läuft es so in der NFL?" Eldrick war ein großer Fan, genauso wie ich. Er bevorzugte die Miami Dolphins, ich hingegen mochte die New York Giants.

"Nun ja, die San Francisco 49ers spielen alle in Grund und Boden. Da kann kein Team mithalten. Nicht mal die Patriots."

"Und was ist mit den Steelers und den Jets?"

"Wieso?"

"Es interessiert mich."

"Gut...ähm...beide Teams stehen im unteren Tabellenviertel. Scheint nicht so, als könnten sie in den nächsten Jahren was reißen. Vor allem nicht ohne Jermaine Hutch."

"Hutch? Spielt der nicht bei Dallas?" Ich war wirklich verwundert. Hutch war ein Cowboys-Urgestein. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er gewechselt sein soll.

"Bei Dallas? Als Spieler? Nein. Er ist der Coach von den Steelers geworden. Vor 4 Jahren schon."

‚Vor 4 Jahren schon‘. Dieser Satz traf mich wie eine Wucht. Solange sitzt du schon hier in diesem gottverdammten Verlies.

"Naja El, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Deine Frau Heike wird dich doch bestimmt vermissen." Ich lächelte ein wenig.

"Nein, die muss noch länger arbeiten. Schon seit knapp 4 Monaten. Nun ja, man sieht sich bestimmt. Bis nächsten Mittwoch."

"Du sagst, sie muss schon seit knapp 4 Monaten länger arbeiten?"

"Ja, wieso?"

"Weil...". Ich dachte nach. Länger arbeiten. Länger arbeiten. "Ach, nichts. Gute Heimfahrt."

Ich sagte ihm nichts von meinen Vermutungen, aber ich dachte mir meinen Teil.

Den Rest des Abend verbrachte ich noch mit Tscheschnew und Mr. Kartoffelkopf (die Geschichte mit Danston und seiner Kartoffel heute Mittag hatte sich bereits herumgesprochen, deshalb bekam er diesen Kosenamen).

Ich war zufrieden. Eingenommen habe ich knappe 4 Dollar. Draußen mag das vielleicht wenig erscheinen, aber im Knast ist das schon eine Menge. 1 Dollar mehr und ich kann mir von Stanford eine frische Packung Zigaretten leisten. Marlboro. Ich rauche nur Marlboro. Luckys und Gauloises schmecken nicht. Viel zu lasch.

Ein Piepton. Eine Durchsage von ganz oben, von Philipp Sedgewick, dem Gefängnisdirektor.

"Es ist 20 Uhr. Alle Insassen sofort in ihre Zellen. Folgende Gefangenen kommen zu einem Gespräch in mein Büro. Scott McFletch, Danny Katsolis und Dimitri Tscheschnew. Das wären alle. Die genannten Häftlinge begeben sich sofort vor die Zelle C001. Dort wird man sie dann abholen. So, das war’s dann. Gute Nacht!"

Durchsage beendet. Jeden Abend muss man sich das Gelaber anhören. Ab und zu auch drei- bis viermal täglich.

"Dimi, Dimi, Dimi. Was hast du diesmal wieder gemacht?", fragte Danston und lachte dabei.

"Was soll ich gemacht haben. Habe nur zu einem Wärter gesagt, dass seine Mutter wohl in der Schwangerschaft geraucht hat, so wie er aussieht. Das war dieser komische Wärter. Dieser hässliche. Wie heißt er noch gleich? Stan...Ston...".

"Stanton.", half ich ihm.

"Ja genau. Der war’s. Aber der Kerle hat auch ein Gesicht. Als ob ein Rasenmäher drübergefahren wäre. Wie auch immer. Ich muss los. Dr. von und zu Nadelstreifen einen kleinen Besuch abstatten." Wir lachten.

Dr. von und zu Nadelstreifen war der Kosename für den Direktor von unserem Verlies. Dieser Sedgewick ist eine totale Plage. Er sitzt den ganzen Tag in seinem verqualmten Büro. Auf einem Chefsessel hinter einem großen massiven Schreibtisch aus Mahagoni und wählt sich die Häftlinge raus, die heute getötet werden sollten. Er fühlte sich wie Gott, dieser arrogante Schnösel. Jeden Tag derselbe Nadelstreifenanzug.

Ich ging ins Bett. Schlafen konnte ich aber nicht. Ich musste daran denken, was Eldrick gesagt hatte.

‚Bei Dallas? Als Spieler? Nein. Er ist der Coach von den Steelers geworden. Vor 4 Jahren schon.‘

Was habe ich alles verpasst. Alles die Schuld von Susan Videll und ihrem schmierigen Macker der hinter meinem Rücken mit ihr rumpoppte. Selbst heute werde ich noch wahnsinnig, wenn ich daran denke.

Dimitri kam zurück. Er war mein Zellennachbar hier im "Watherbutch" Gefängnis in Kingston, Michigan. J.P. Watherbutch gründete diesen Knast vor ca. 150 Jahren. So ungefähr sieht es heute immer noch aus. Vor allem im Bereich Sanitäranlagen. Was da kreucht und fleucht wollen Sie gar nicht wissen und deshalb werde ich dieses delikate Thema auch nicht weiter behandeln.

Kingston liegt circa 190 bis 200 Kilometer weg von meinem Heimatort Flint. Ein kleiner, aber in den Staaten doch recht bekannter Ort. Vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der daraus folgenden Kriminalität.

Apropos Kriminalität: Dimi kam ja zurück.

"Oh Mann, jedes Mal erzählt mir der Kerl den selben Müll. ‚Wenn du dich so und so weiter verhältst bist du schneller tot, als du Todesstrafe sagen kannst‘ und so weiter."

"Ja, den Spruch hat er mir auch schon mindestens fünfmal vorgepredigt. Aber weißt du: Wenn man den Kerl nicht ganz so ernst nimmt, isses ganz lustig bei ihm im Büro." Wir lachten beide.

"Ja. Der Typ hat aber auch echt nichts zu tun. Keine Familie, keine Tiere, kein Leben. Geld hat er ja, aber er geht nicht mal zu einer Hure, um es sich mal wieder richtig besorgen zu lassen. Was ein Schlappschwanz."

Schritte. Immer lauter werdende Schritte.

"Ruhe dahinten, ihr beiden. Schlafen."

"Ach Tommy, reg‘ dich ab.", entgegnete ich und lächelte ihn an. Er lachte zurück und kaum auf mich zu.

"Hier ist eine neue Packung Marlboro, wie du wolltest", flüsterte er mir ins Ohr und steckte mir dabei – für die Kamera unsichtbar – etwas in die rechte Hosentasche. "Und jetzt gib‘ mir das Geld."

Ich legte mich auf’s Bett und streckte die Arme aus, so als ob ich müde wäre. Zur Unterstützung dieser schauspielerischen Leistung gähnte ich noch einmal kräftig. Unbemerkt schnappte ich mir 5 1-Dollar-Noten und knüllte sie in der Hand zusammen. Ich habe mein Geld mit Kaugummi hinten ans Bett geklebt. Dort sehen die anderen Wärter und Kontrolleure nie nach. Ich stand wieder auf, ging zu Tommy und steckte im heimlich das Geld zu.

"Danke Jerry."

"Kein Problem. Und jetzt geh‘ besser."

Er tat es.

"Du bist echt ein Profi", lobte mich Dimi. "Ich bekomme doch sicher auch was von deinen Danish Dynamite-Stangen, oder!?"

"Hmmm, vielleicht wenn du jetzt ruhig bist und schläfst. Und wehe du stöhnst wieder über die ganze Nacht. Dann werfe ich dir wirklich eine Dynamit-Stange in deine Zelle." Wir amüsierten uns köstlich, gingen dann aber endlich zu Bett.

"Jerry, oh Jeeeerryyyy. Aufstehen du Schnarchnase."

"Wie, wo..."

"Du hast gestern abend wohl wieder zu viel mit deinen Saufkumpanen getrunken."

"Ja, kann sein. Guten Morgen erstmal, Susan." Ich küsse sie.

"Soll ich Frühstück machen?", fragt sich mich. Ich bejahe.

"Mann, habe ich mich gestern abend wieder zulaufen lassen", denke ich. "Das kann so nicht weitergehen."

"Jerry, komm‘, zieh dich an. Du musst noch zur Arbeit."

"Och ne, keinen Bock auf die scheiss Werkstatt. Keinen Bock auf arbeiten", sage ich noch halb verschlafen.

"Los jetzt, wer unter der Woche trinken kann, kann auch unter der Woche arbeiten."

Sie schaut ins Zimmer und zwinkert mir zu, während sie sagt: "Wenn du nicht aufstehst, trenne ich dir sonst was ab, klar!?" Sie lächelt schelmisch und geht wieder in die Küche.

Ich ziehe mich an. Der Blaumann, wie jeden Tag. Nur bei der Unterwäsche kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen. Aber wer die Männer genau kennt, der weiß, dass sie eher auf das Praktische und das Naheliegende Wert legen, als auf das Kreative. Und die praktische und naheliegende Kleidung ist nun mal die Kleidung, die noch von gestern auf dem Stuhl hängt.

Ich gehe an den Frühstückstisch. Der Kaffee brodelt schon und es riecht nach frischen Brötchen. Susan steht am Kühlschrank und packt Brotaufstriche und Wurst auf das Tablett. Ich nähere mich ihr von hinten, schmiege mich an sie und fasse ihr an den Bauch.

"Du bist sehr hübsch", sage ich.

"Danke, mein Liebling", antwortet sie leise.

Sie dreht sich rum. Und mir stockt der Atem. Ihre Haut ist grau. Wie Asche. Zerfurcht und trocken. Ihre Augen sind blutunterlaufen und scheinen gleich durch das ganze Blut zu platzen. An ihrem Hals und in ihrem Bauch sind 2 Stichwunden. Aus ihnen läuft das Blut wie in Strömen. Sie atmet flach. Sehr flach. Plötzlich läuft Blut auch aus ihren Augen, ihre Nase, ihren Ohren und ihrem Mund. Die Zähne sind scharf wie bei einem Raubtier. Ihr schneeweißes Nachthemd ist plötzlich rot. Blutrot.

"Niiicht guuuut", flüstere sie.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Ich torkele langsam rückwärts. Nur weg von ihr.

"Niiicht guuuut" Sie bewegt sich auf mich zu. Das Blut läuft und läuft weiter. Mittlerweile stehe ich knöcheltief drin. In ihrem Blut.

Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Im übertragenen und wortwörtlichen Sinne. Keine Tür. Da ist keine Tür mehr! Da war doch noch eine Tür, verdammt!

Susan legt langsam den Kopf schief. Plötzlich reißt sie ruckartig die Augen auf. Ich bin wie gelähmt. Nein, ich bin gelähmt! HILFE! HILFE!

Mit einem Ruck springt Susan mit gefletschten Zähnen auf mich zu...

"Haaaaaaaaaaaa!"

"Was ist los Jerry? Hey, O’Keefe!?"

"Was, wie.....?"

"Du hast irgendeinen Scheiss geträumt, Mann!", sagte Dimitri und schaute mich erschrocken an.

"Ja, du hast recht", entgegnete ich. Ich stand auf und lief in der Zelle umher. Was hatte ich da bloß geträumt?

Ich legte mich wieder auf das Bett und verschränkte meine Arme hinter dem Kopf.

"Was hast du geträumt?", fragt mich Dimi interessiert.

"Ach, nichts Wichtiges. Nur so Gespenster- und Zombie-Quatsch."

"Zu viel Stephen King-Romane gelesen, was!?"

"Ja, kann sein."

Es konnte wirklich sein. Stephen King war und ist immer noch einer meiner Lieblingsautoren. Ich liebe seine Bücher und habe sie förmlich verschlungen. Schon vor und jetzt während dem Aufenthalt im Knast.

Das Gefängnis hier ist zwar mehr oder weniger eine Bruchbude oder ein Rattenloch (die sanitären Verhältnisse habe ich ja bereits angedeutet), aber die Bibliothek ist für ein Kittchen schon nicht schlecht. Von J.R.R. Tolkien über Glenn Meade bis hin zu Stephen King sind sehr viele Bücher da. Zu den beliebtesten zählen natürlich "Der Herr der Ringe" von Tolkien und "The Stand" von Stephen King. Beides dicke Schinken, aber erstklassig.

Ich weiß, mir traut man gar nicht zu, dass ich eine Leseratte, ein Bücherwurm oder wie man es auch immer nennen möchte, bin. Aber es trifft zu. Während es draußen wohl eher der Unterhaltung diente, ist es für mich wohl hier drinnen eher eine Ablenkung vom Knast-Alltag. Um gute Bücher zu bekommen, musste man aber sehr schnell sein, sonst ist der Favorit schon von einem anderen Häftling genommen worden. Es gab auch schon wilde Schlägereien wegen eines Buches, welches 2 Häftlinge haben wollte. Bis jetzt ging es aber immer glimpflich ab (für Knast-Verhältnisse).

"Leg dich wieder schlafen, Jerry O’Keefe", schlug Dimi vor und tat es dann selbst.

"Ja, mach‘ ich. Gute Nacht du Russe." Ich lachte leise, aber Dimi war wohl schon eingeschlafen, bevor er das gehört hatte.

Der nächste Tag brach an. Dienstag.

Nach dem Frühstück (das wie eigentlich immer mit vielen Späßen verbunden war), ging es auf den Hof. Heute musste ein anderer Häftling putzen. Ich kannte ihn nicht und er war mir auch egal. Mit der Zeit, die man hier im Zuchthaus verbringt, verliert man das Interesse daran, andere Menschen besser kennen zu lernen. Man hat meistens seine eigene Clique mit der man bis zum Tod hier auskommt.

Ich vertrieb mir die Zeit bis zum Mittagessen mit einer Runde Schach. Ich bin kein guter Schachspieler, aber für die meisten hier reicht es auch noch. Es beruhigt die Nerven.

Nach dem Mittagessen, welches wie gestern wieder aus Kartoffeln und Dosenlachs bestand, ging es zur Arbeit. Ja, hier wird gearbeitet. Es gibt verschiedene Abteilung. Entweder man muss in der Küche arbeiten, Wäsche waschen oder die Flure des Knastes durchwischen. Jeder hat etwas zu tun.

Ich hatte das Glück, in die Küche zugeteilt zu werden. Zumindest von diesem Dienstag bis zum nächsten (warum es von Dienstag zu Dienstag geht und nicht von Montag zu Montag weiß niemand), wenn man diesen nächsten Dienstag überhaupt noch erlebte. Wo war ich, ach ja, Glück: Warum Glück? In der Küche gab es ein Radio. Dies war die einzige Möglichkeit etwas von draußen mitzubekommen, seien es Naturkatastrophen oder politische Dinger, Sportevents oder einfach nur Musik. Draußen ging viel vor sich, hier drinnen herrschte dafür fast Stillstand. Es ist ein Kontrast wie Tag und Nacht, Schwarz und Weiß, heiß und kalt.

Es gab nicht viel Neues. In dem und dem Land gibt es Unruhen und hier und dort wurde ein neuer Mann an die Macht gewählt (Komisch, dass es kaum Frauen sind die an der Macht sind, oder?! Fällt Ihnen spontan eine Frau ein, die an der Spitze eines Landes steht? Mir nicht). Und die San Francisco 49ers haben den Super-Bowl gewonnen. Wie vor fünf Jahren die Jets, an einem kalten dunklen Sommerabend.

Der Rest des Tages plätscherte so vor sich hin. Einige Jungs spielten Basketball, andere lasen und wieder andere wurden hingerichtet. Ist Ihnen aufgefallen, dass ich bis jetzt kaum über Hinrichtungen gesprochen habe, weder allgemein noch über meine eigene bevorstehende? Das hat einen Grund. Ich habe Angst. Ja, ich – Jerry O’Keefe – habe Angst vor dem elektrischen Stuhl. Ja ich weiß, es gibt nicht nur den Stuhl. Es gibt auch noch die Spritze. Oder die Gaskammer. Oder oder oder. Aber letztendlich läuft es doch immer auf das selbe Ende hinaus. Tot. T-O-T.

Ich hoffte ja noch, der Todesstrafe zu entgehen. Mein Anwalt Eldrick Leitz war meine letzte Rettung. Dimi meinte ganz poetisch, El sei mein "letzter Strohhalm". Damit hatte er recht. Und wie er recht hatte.

Es war Mittwoch. Der Showdown begann. Ich ging ins Sprechzimmer und setzte mich auf den Stammplatz ganz rechts. Sie wissen ja, die Lauscher.

Eldrick war noch nicht da. Das scheint Ihnen nicht besonders vorzukommen, aber für mich war es das schon. Wir verabredeten uns immer für die selbe Zeit, 16.00 Uhr. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Sie zeigte mir auf der Digitalanzeige bereits 16.04 Uhr. Sogar ich war schon zu spät. Aber Eldrick war auch noch nicht da. Er kam noch nie zu spät. Nie. Er war ein sehr korrekter, aber auch ein lockerer Mann. Man könnte fast meinen, er sei so korrekt wie Philipp Sedgewick, aber dieser Gefängnisdirektor war alles andere als locker. Man hatte eher das Gefühl, er hätte einen Stock in seinem Gefängnisdirektor-Arsch.

16.15 Uhr. Ich bekam Stress. Immer noch keine Spur von El. Ich malte mir die wildesten Geschichten aus. Autounfall, Mord, Gefangenschaft, alles eben. Aber an das Naheliegenste dachte ich nicht. Das er sich einfach mal verspätet. Immerhin ist er auch nur ein Mensch. Vielleicht hatte seine Frau im gebeichtet, dass sie nicht länger arbeitet, sondern sich fremd vergnügt, wenn Sie verstehen was ich meine.

16.27 Uhr. Da kam er. 27 Minuten und 34 Sekunden zu spät. Er sah fertig aus. Seine Krawatte hing schief, er war geschwitzt und schien traurig zu sein.

"Hey Mann, was ist los mit dir.", fragte ich ihn aufgeregt.

"Du...du...du wirst...", schnaubte er mir die Wortfetzen vor. Ich sagte, er solle sich erstmal kurz ausruhen und Luft holen.

Dies gelang ihm dann auch nach 3 Minuten.

"Ich habe mich nochmal mit der Justizbehörde unterhalten. Sie sagen, sie können nichts mehr für dich tun."

"Nein, sag‘ dass das nicht wahr ist."

"Doch ist es. Ich habe auch noch mit dem Justizminister von Michigan gesprochen. Ich fragte ihn, ob er nicht irgendetwas tun könnte. Er sagte, dass es zu spät sei und dass du dich mit deinem Geständnis ‚selbst in die Scheiße geritten‘ hättest."

Sie hätten nicht gedacht, dass ich den Mord gestanden habe, oder? So kann man das auch nicht sagen.

Die Polizei fand mich knapp 3 Stunden nach der Tat in der gemeinsamen Wohnung in Flint. Eine Nachbarin hatte einen wilden Streit gehört (den Streit zwischen Susan und mir). Erst wollte die Polizei nicht kommen, aber nachdem die Nachbarin, Fran Cuberth, die Polizei immer wieder angerufen hat, schickte die Polizei doch eine Streife los. Was diese fand, werden sie wohl nie wieder vergessen.

Ich saß immer noch auf der Couch, als die Polizei klopfte. Ich öffnete nicht. Ich war zwar geistig irgendwie anwesend, aber doch starr. Nachdem die Polizei das fünfte oder sechste Mal geklopft hatte, trat einer der beiden Männer die Tür ein. Sie schlug mit voller Wucht gegen eine Kommode auf der kleine Zinnsoldaten standen. Ich mochte diese kleinen Figuren. Durch den Schlag flogen fast alle auf den Boden. Ins Blut.

Die beiden Cops traten ein und sahen das Blut. Der ganze Boden hinter der Tür war voll. Der eine stellte gar keine großen Fragen und bedrohte mich sofort mit einer Waffe. Der andere Cop sah die Bluttropfen, die ins Badezimmer führten. Bei dem Anblick der Badewanne übergab er sich. Der Boden der Wanne war schon richtig voll mit Blut.

Der Cop, der mich bedrohte rief Verstärkung. Er sprach mich an.

"Hey Sie, aufstehen!" Ich tat nichts.

"Stehen Sie auf! Sofort!" Ich wäre vielleicht aufgestanden, aber ich war wie versteinert. Oder ich war versteinert. Keine Ahnung. Zumindest blieb die Situation so lange unverändert, bis die Verstärkung eintraf.

Ab da ging alles ganz schnell. Sie legten mir Handschellen an und führten mich ab, nur im Handtuch bekleidet. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch sehen, wie ein anderer Beamte die Leiche fotografierte. Die Leiche mit dem blutroten Handtuch über dem Gesicht.

Ich wurde nach mehreren Prozessen zum Tode verurteilt. Die Prozesse liefen so ab, wie oftmals vorher. Anfangs streitet der Angeklagte alles ab, bis er dann Stück für Stück mehr einräumt. Solange bis er es gesteht.

Ich habe aber nie einen Mord gestanden, sondern eher Totschlag. Ich habe das Töten von Susan nicht von langer Hand geplant. Es passierte eher im Affekt. Aber wie üblich interessierte dies das Gericht nicht. Hauptsache man hat den Angeklagten lange genug psychisch unter Druck gesetzt.

"Es tut mir sehr leid, Jerry", sagte Eldrick ehrlich und mit Tränen in den Augen.

"Seien wir mal ehrlich", antwortete ich ihm, "es war doch klar, dass es so kommen würde. Du hast alles getan, um es zu verhindern und dafür bin ich dir auch sehr dankbar. Letztendlich scheint es nur fair zu sein, dass ich vom Antlitz dieser Erde verschwinde."

Eldrick konnte nicht sprechen. Er war zu niedergeschlagen. Verständlicherweise.

Dann fand er doch überraschenderweise Worte.

"Wie kannst du das so locker sehen? Du wirst sterben, Mann! Sterben! Das ist nicht gut! Niiicht guuuut!"

Plötzlich überkam mich komischerweise ein merkwürdiges Gefühl. Ich weiß nicht warum und verdrängte es deswegen.

"Weißt du, ich war jetzt schon fünf- bis sechsmal kurz vor der Hinrichtung. Es war klar, dass es irgendwann passieren wird."

El schniefte in sein Stofftaschentuch. Ich konnte die Initialen E.L. erkennen. Steht wohl für Eldrick Leitz. Oder vielleicht auch für "Er Lebt".

"Wann soll denn die Hinrichtung stattfinden?", fragte ich ihn ruhiger, als ich es mir selbst zugetraut hätte.

"Am Freitag", antwortete er.

"WAS? Welche Woche?", fragte ich ihn erschrocken.

"Diese Woche."

Donnerstag. Ich hatte kaum geschlafen. Der Traum hat sich wiederholt. Wieder war ich versteinert und suchte nach der Tür. Und wieder, und wieder, und wieder. Völlig aufgelöst ging ich an den Frühstückstisch. Die Stimmung war schlecht. Meine One-Man-Show für Donnerstag hatte sich bereits herumgesprochen, Stan Danston sei Dank. Wäre er doch nur an der Kartoffel erstickt, dieser Mistkerl.

Ich rief Cassandra an. Sie solle mich doch bitte besuchen kommen.

"Wieso?", fragte sie mich überrascht.

"Es ist soweit."

"Was ist soweit.....Nein!" Sie verstummte.

"Doch. Du wußtest, dass es passieren wird. Genauso wie ich s auch wußte." Stille an der anderen Leitung.

"Cassandra?"

"Ja?" Sie schniefte. Ich konnte förmlich sehen, wie sie weinte. Nicht nur hören. Sehen.

"Komm‘ bitte vorbei. Du hast doch nichts vor, oder?" Ich versuchte trocken zu sprechen um sie zu beruhigen und es gelang (zu meiner Überraschung).

"Nein. Der PolyMarket hat mich vor die Tür gesetzt. Geldmangel angeblich. Ich denke eher, es lag daran, dass ich nicht mit dem Boss ins Bett wollte."

"Braves Mädchen", lobte ich sie und lachte leise. Sie lachte auch, zwar immer noch verheult, aber sie lachte.

Ein schönes Lachen. Zum ersten Mal hörte ich das Lachen vor 2 Jahren. Sie war die Ex-Freundin von Pablos Cousin, Flavio. Sie besuchte ihn öfters. Flavio hatte Glück. Er hatte einen guten Anwalt und kam frei. Zurecht, wie sich herausstellte.

Jedenfalls sah ich sie zum ersten Mal. Sie war so schön und das ist sie immer noch. Ich sprach sie an und bei jedem Besuch im Knast, kamen wir uns immer näher. Bis es schließlich zum Äußersten kam. Was das ist, wissen Sie wohl selbst.

"Danke, ich werde kommen. Ich bin in 3 Stunden bei dir. Bis dann. Ich freue mich." Sie legte auf und fuhr sofort los, wie sie mir später dann erzählte.

Ich überbrückte die Zeit mit einer Partie Schach und einem Spaziergang über den Hof. Dimitri begleitete mich. Wir kamen an der Zelle C001 vorbei. Pablos Zelle. Sie war leer.

"Wo ist Pablo?", fragte ich Dimitri, der immer sehr gut über das Geschehen informiert war.

"Stuhl.", sagt er kurz und klar.

"Nein."

"Oh wohl. Aber morgen siehste du ihn ja wieder. Im Skat-Himmel." Zugegeben, ein übler Scherz, aber Dimitri und ich kannten uns sehr gut. Er wußte, dass ich lachen würde. Und wir taten es.

Dimitri war seit meinem ersten Tag mein Zellennachbar. Wir verstanden uns von Anfang an blendend. Er kam ein Jahr vorher ins "Watherbutch" wegen Mord an seiner Mutter. Seiner Aussage nach, wollte er nur ein bißchen Geld. Aber sie wollte es nicht geben und dann hat es halt kräftig geknallt.

Er kommt aus Russland, aus einem kleinen Dorf namens Kretschnev, mitten in Russland. Er machte einen schwachen Collegeabschluss und flog ein Jahr später nach Amerika mit seiner Mutter. Er durfte bleiben. Viele Berufe hatte er gehabt. Vom Schreiner bis zum Stahlarbeiter. Daher auch sein recht muskulöser Körper. Dafür, dass er achtundvierzig ist (und damit vierzehn Jahre älter als ich) kann sich sein Körper sehen lassen. Dafür habe ich noch volles Haar und er eine Halbglatze, die er so oft es geht und einer schwarzen Mütze versteckt. So eine Mütze, wie sie Fischer oftmals tragen.

Jaja, Dimitri war ein guter Kollege mit viel Humor.

"Hey, wer ist denn da?" Dimi zeigte auf Cassandra.

"Sorry, ich muss weg. Etwas erledigen."

"Ja Klar, viel Spaß bei diesem ‚Etwas‘. Bis später, Tiger. Grrrrr." Er lachte schelmisch. Ich lachte zurück.

"Hi Cassi!" So nannte ich sie gerne und sie mochte den Namen auch, denke ich.

"Jerry."

"Was ist los. Du bist so kurz angebunden."

"Du wirst sterben."

"Ja, ich weiß."

"Also lass‘ uns die Zeit nicht mit Reden verplempern und kommen wir zur Sache."

Wir gingen in einen Bauwagen, der extra für diesen Zweck gekauft wurde. Ja, solche Dinger gibt es wirklich. Sie haben von den Insassen viele lustige, aber auch treffende Namen bekommen. Diese möchte ich jetzt nicht alle aufzählen, da es Sie wahrscheinlich entweder schockieren, peinlich berühren oder auch langweilen könnte.

Auf jeden Fall machten Cassandra und ich den Namen des Bauwagens alle Ehre, das können sie mir glauben. Und das nicht nur einmal oder zweimal. Die genaue Anzahl nehme ich mit ins Grab.

Ich verabschiedete Cassi noch zum letzten Mal mit einem Kuss. Ich sagte ihr, sie soll gehen und sich nicht mehr umdrehen. Das tat sie.

Ich vermisste sie. Auf jeden Fall solange ich noch Zeit dazu hatte.

Wenn man so darüber nachdenkt, wie mein Leben verlaufen ist, kann man im Großen und Ganzen ganz zufrieden sein. Gut, ich habe eine Frau getötet und muss deswegen nach fünf Jahren Gefängnis sterben. Aber die restlichen knappen dreißig Jahre waren wirklich toll. Ich hatte eine gute Kindheit und war später immer zufrieden. Egal ob in der Liebe oder wenn es um die Finanzen ging. Insgesamt gesehen, lief es doch ganz gut.

Aber es ist schon beachtlich, wie nur ein Augenblick, eine Affekthandlung das ganze Leben in andere Bahnen lenken kann. In gute als auch böse. Denken Sie also immer erst nach, bevor sie etwas tun. Klar, bei Affekthandlungen ist das kaum möglich, vielleicht sogar unmöglich, aber bei dem Rest geht es. Es mag ihnen merkwürdig vorkommen, einen Rat von einem Menschen anzunehmen, der einem anderen das Leben geraubt hat. Aber versuchen Sie in mir wenigstens noch den letzten Rest Mensch zu sehen, der noch nicht vom dunklen Schatten des Mordes und des Tötens gefressen wurde.

Es ist Freitag, 6.00 Uhr. Vor meiner Zelle haben sich alle möglichen Leute versammelt. Philipp Sedgewick, Eldrick Leitz, Tommy Stanford, Stan Danston und Dimitri Tscheschnew. Beide haben eine Ausnahmegenehmigung erteilt bekommen. Stan Danston hatte sich zwar ein bißchen unbeliebter bei mir gemacht, aber er was ein treuer Kumpel. Sowohl Dimitri als auch Stan schauen traurig zu Boden. Der Anblick tut mir weh.

Dies ist mein letzter Abschnitt. Mein Teil der Geschichte ist vorüber. Ich lege den Stift zur Seite und gebe den Block nun Dimitri, in der Hoffnung, dass er etwas Gutes damit anzufangen weiß.

 

 

 

Es ist vorbei. Während Sie diesen Text lesen, wurde Jerry O’Keefe schon längst auf dem Stuhl gegrillt wie ein Schwein. Ich werde diese Welt wohl nie verstehen. Keine wird das. Vielleicht sollen wir das ja auch gar nicht. Vielleicht sollten wir mit dem zufrieden sein, was wir haben und was wir verstehen, so wie Sie jetzt damit zufrieden sein müssen, dass ich nicht die Kraft und das Talent habe, diese Geschichte weiter zu erzählen. Ich bin schon alt, zweiundfünfzig. Seit dem Tod von Jerry sind bereits vier Jahre vergangen. Stan wurde mittlerweile auch schon hingerichtet. Aber per Spritze. Das Ergebnis bleibt aber dasselbe.

Ich habe mich die ganzen letzten Jahre nicht getraut, die Geschichte zu Ende zu bringen. Nun, da auch gleich mein letztes Stündchen geschlagen hat, habe ich doch den Mut gefasst. Ich übergebe nun diese Erzählung an Eldrick Leitz. Ich habe ihn zu meinem Anwalt gemacht, da Jerry immer nur positiv über ihn geredet hat. Aber er konnte auch diesmal seinen Mandanten nicht retten. Ich stehe auf und gehe auf den Direktor zu, Tommy Stanford. Philipp Sedgewick ist vor 2 Jahren an Lungenkrebs gestorben und Tommy nahm seinen Platz ein.

Neben ihm steht Eldrick. Ich übergebe an ihn.

Nur noch eins: Jerry sagte in seinen letzten Worten folgendes zu Eldrick Leitz:

"Dimitri meinte einmal, du seiest mein letzter Strohhalm. Ich muss zugeben, es stimmte. Und was für einer. Ich bin dir dankbar dafür, was du getan hast. Es ist nicht deine Schuld. Ein Strohhalm kann noch so stark und robust sein; wenn er immer wieder verstopft wird, kann man durch ihn nichts mehr trinken. Vor allem nicht, wenn die Flüssigkeit so hoffnungslos dick ist."

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