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"Atlantis"

© 2007 Gaby Molnar

Sie saß nun schon seit Stunden vor dem Aquarium und starrte hinein, ohne wirklich etwas zu sehen.

Als sie den Bürostuhl vor das Becken geschoben hatte, war es draussen hell und sonnig gewesen. Inzwischen war es dunkel geworden, aber niemand hatte in dem kleinen Zimmer eine Lampe angemacht. Außer Isabella war auch niemand da, der es hätte tun können und ihr selbst war es gleich. Es war ihr so egal wie fast alles.

Die einzige Sache, für die sie noch Interesse aufbringen konnte, war eben dieses Aquarium, vor dem sie nun saß, wie an den meisten Abenden.

Die Fische waren das liebste Hobby von Andreas gewesen. So manchen Abend hatte das Ehepaar vor dem Becken gesessen und den Tieren dabei zugesehen, wie sie nach dem Futter schnappten. Dabei hatte Andreas die Fische durchgezählt. Wenn einer nicht zu finden war, hatte er keine Ruhe, bis er ihn irgendwo entdeckte.

Nun war Andreas seit fast einem halben Jahr tot und Isabell zählte die Fische allein; im Angedenken an ihren Mann, den der Lymphdrüsenkrebs viel zu früh aus dem Leben gerissen hatte. "Er verlässt sich auf mich" dachte sie dabei und nur dieser Gedanke zählte noch für sie. Seine Kleidung hatte die Frau an ein Asylbewerberheim gegeben, seine Bücher hatte die Kirche für einen Basar bekommen; all das bedeutete nichts.

Das Aquarium war alles, was zählte.

Leider war die so glückliche Ehe von Isa und Andie kinderlos geblieben. Die Frau hatte einen mißgebildeten Uterus und letztlich fanden beide sich damit ab. Irgendwann hatte Andreas sich die Fische angeschafft, er hatte schon einmal als Kind welche gehalten. Isabella verstand seine Begeisterung für diese Tiere anfangs nicht. Doch er hatte behutsam ihr Interesse geweckt und ihr nach und nach sein Wissen vermittelt. Allmählich fand dann auch Isa Gefallen an den leuchtenden Farben, den grazilen Bewegungen. Andreas schaffte sich nur Tiere- neben Fischen auch Schnecken und Garnelen- aus Südostasien an. Auch die Wasserpflanzen waren ursprünglich alle dort beheimatet. Als Isabella ihn einmal scherzhaft fragte, wie denn die kleinen Tontöpfe am Grund mit dieser Auswahl zu vereinbaren seien, antwortete er:"Die sind einem vietnamesischen Bauern auf dem Weg zum Markt von der Karre gefallen und in den Teich gekullert!"

An einem jener Abende vor dem Becken beschrieb Andreas seiner Frau, was er dachte, wenn er ins Wasser blickte:"Ich möchte glauben, Scotty von der Enterprise hat einfach einen Würfel Wasser aus einem thailändischen oder vietnamesischen Teich heraus- und in dieses Becken gebeamt!"

Diese Gespräche fehlten ihr nun, fast noch mehr als die Wärme und Geborgenheit, die er ihr gegeben hatte. Sie hatten endlos über gemeinsame Interessen diskutiert: Archäologie, Ägyptologie, Astronomie, Botanik, Zoologie und was nicht alles. Manchmal kam es zu Streitfragen, die dann bei google oder Wikipedia am Computer geklärt wurden. Wann starb Rio Reiser, wie viele Einwohner hat eigentlich Izmir, oder gab es Atlantis wirklich und wenn ja, wo lag es?

Niemand teilte nun Isas Interessen und die Fische antworteten nicht auf ihre Fragen.

Klopfer zog ruhig an ihrem Gesichtsfeld vorbei. Der einzige Fisch, der je einen Namen erhalten hatte, war eigentlich ein Weibchen. Colisa Lalia- der Zwergfadenfisch, wie Isa wieder einfiel. Dieses besondere Exemplar hatte zur Fütterungszeit immer vernehmlich gegen die Klebetablette an der Scheibe geklopft und so war der Name entstanden. Klopfer war uralt und man sah es ihr an. Eigentlich müsste sie längst tot sein und sie sah aus, wie ein Mensch nach einer Chemotherapie. Oh ja; die junge Witwe wußte schmerzhaft genau, wie so ein Mensch aussah.

"Was für ein Geheimnis hast du, daß du noch immer lebst?" fragt Isa das zerrupfte Weibchen.

"Ich habe noch eine Aufgabe" antwortete Klopfer; mit einer weichen Stimme, die vieleicht lediglich in Isabellas Kopf zu hören war.

Die Frau stand viel zu sehr unter der Wirkung von Antidepressiva, um sich wirklich zu wundern. So fragte sie nur: "Was ist das für eine Aufgabe?"

"Nun, ich schaue nach dir," antwortete die Alte.

"Woran denkst du?" fragte sie nach einer Weile, als Isa sie nur stumm betrachtete.

"Ich habe schon lange keine Gespräche mehr hier geführt", war die leise Antwort.

"Er fehlt dir, nicht wahr?"

Als Isabella stumm nickte, blickte Klopfer sie mitfühlend an und wisperte:

"Auch ich bin Witwe, weißt du das noch?"

Wieder nickte die Frau nur.

"Worüber habt ihr euch zuletzt unterhalten?" wollte Klopfer nun wissen.

"Wir diskutierten darüber, ob Santorin die Überreste von Atlantis sein könnten."

"So ein Unfug, Liebes. Jeder weiß doch, daß Atlantis im Pazifik liegt!"

"Was weißt du über Atlantis?" fragte Isa mit plötzlichem Eifer.

"Ich bin ein Fisch, Fische leben im Wasser und Atlantis liegt unter Wasser!" war Klopfers Antwort.

"Aber du wurdest hier in Deutschland gezüchtet und bist außerdem ein Süßwasserfisch!"

Klopfer stieß die Entsprechung eines Seufzers aus.

"Wir Fische tragen die Erinnerungen unserer Art in den Genen," antwortete sie. "Außerdem stehen alle Gewässer miteinander in Verbindung. Alles ist ein einziger, großer Kreislauf."

"Und du weißt wirklich, wo Atlantis liegt?" wollte die Frau wissen. Sie tauchte langsam aus ihrer Lethargie auf.

"Ich kann es dir sogar zeigen" lautete die Antwort.

"Wie sollte das gehen?" hakte Isa nun aufgeregt nach.

"Gib mir deine Hand, Isabella", forderte der alte Fisch sie auf. Die Frau starrte das Tier eine Weile nur verblüfft an. Dann zuckte sie mit den Schultern; eine Geste, die wohl besagen sollte, verrückter könne es eh kaum mehr werden. Zögern schob sie den Aquariendeckel zur Seite und streckte langsam die Hand ins Wasser.

Augenblicklich fühlte Isa sich von einem Sog ergriffen. Es war nicht unangenehm- nur seltsam! Im nächsten Moment schien alles um sie herum grün zu werden. Isabella fühlte sich leicht und schwebend. Sie genoss dieses Gefühl einige Sekunden, dann japste sie erschrocken nach Luft. Sie ertrank! Aber Isa ertrank nicht. Sie stellte fest, daß sie atmen konnte, sehr gut sogar! Es roch seltsam, fremdartig nach Algen, Pflanzen und nach Wärme. Dann war Klopfer neben ihr. War der Fisch gewachsen oder war die Frau geschrumpft? Isa beschloß, diese Frage später zu klären und schaute sich ihr Gegenüber aus dieser neuen Perspektive an. Klopfer war sicher uralt. Doch sie wirkte auf einmal nicht mehr krank und hässlich. Ihre Schuppen leuchteten wie poliertes Kupfer und aus ihren Augen sprachen Weisheit und Güte.

Wieder überkam Isabella dies sanft ziehende Gefühl und sie folgte dem Weibchen durch das warme Wasser.

Irgendwie war das Becken größer geworden. Frau und Fisch schwammen schier unendlich lang nebeneinander her. Einmal stieß Klopfer an die Oberfläche. Fadenfische sind sogenannte Labyrinther. Das heißt, sie verfügen über ein zusätzliches Atemorgan- das Labyrinth- und sie müssen regelmässig auftauchen, um es mit Luft zu füllen. Isa konnte einen kurzen Blick auf Palmen und dichten Dschungel werfen, bevor Klopfer sie weiterzog. Unter ihnen suchte ein großer Wels im Schlamm nach Nahrung. Andere Fische zogen einzeln und in Schwärmen vorbei. Die Frau glaubte, ein paar Kardinalfische und einen Gurami zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher.

Dann begann das Wasser schneller zu fließen. Klopfer führte Isa durch Unterwasserwälder, Schilfgürtel und unter riesigen Blättern des Lotus hindurch. Nun befanden sie sich nicht mehr in einem Bach; sie waren in einen breiten, flachen Strom eingebogen und ihre Fahrt beschleunigte sich. Der Fluß wurde tiefer und dann und wann spülte ein Nebenfluß schlammiges Wasser hinein. Kurz tauchte ein Flußdelfin auf und betrachtete sie interessiert. Isabella erkannte ihn an der hellen Farbe und der kümmerlichen Rückenflosse. Doch das ungleiche Paar war imnu wieder fort- dem Meer entgegen!

Nochmals tauchte Klopfer mit ihrer Begleitung auf und die Frau konnte die Mangroven erkennen, durch deren Stelzwurzeln sie zogen.

Dann veränderte das Wasser Geschmack und Geruch. Es wurde lebhafter, klarer und salzig. Sie waren im Ozean! Isa erblickte Würmer und Krebse auf dem weißen sandigen Grund und alles war wunderbar klar. Trotz der Unglaublichkeit dessen, was sie da gerade alles sah und fühlte, wurde Isa plötzlich von einer besonderen Sorge erfasst, die sie auch aussprach: "Klopfer, verträgst du denn das Salzwasser überhaupt?"

Um das eigentlich ausdruckslose Maul des Zwergfadenfisches schien ein Lächeln zu spielen, als er antwortete: "Ist das wirklich das Einzige, das dir an dieser Situation eigenartig vorkommt?"

Isabella stutzte einen Moment, dann begann sie zu lachen- zum ersten Mal seit dem Tode ihres Mannes. Klopfer gab ein paar fröhliche Blasen von sich.

 

Das ungleiche Paar glitt immer weiter hinab in blaue Tiefen; Klopfer tauchte nun auch nicht mehr auf. Der letzte Rest von Licht verschwand, dafür kreuzten immer mehr floureszierende Wesen ihren Weg. Walgesänge, unendlich schön und intensiv, ließen Isa wohlig erschauern. Ansonsten störte kein Laut die dunkle Stille. Weiter und weiter ging die Reise- Millionen Jahre oder Nanosekunden- bis das Umfeld wieder heller zu werden schien. Die Witwe konnte wieder erste graue Konturen ausmachen: Felsen, Riffe, größere Fische.

Klopfer verlangsamte ihr Tempo, als ein Trümmerfeld in Sichtweite kam. Isa ließ ihre Finger fast ehrfürchtig über eine umgestürzte Säule gleiten. Unter dem dichten Bewuchs von Muscheln und Seepocken war der feine Marmor kaum noch auszumachen. Als ihre Augen sich an das Dämmerlicht hier unten gewöhnt hatten, sah sie, daß die Ruinen sich schier endlos über den Grund erstreckten. Die Frau wurde von ihrer Begleitung durch die versunkene Welt geleitet. Langsam glitten die Beiden durch Marmorblöcke, Säulenalleen und eingestürzte Collonaden; vorbei an feingemeisselten Statuen und Gebäuden von ehrfurchtgebietenden Ausmaßen.

Am Horizont schien ein schwaches Licht zu leuchten und der Fisch hielt direkt darauf zu. Im Zentrum dieser Helligkeit schien sich etwas zu bewegen.

"Klopfer, was ist das da vorn?" rief Isa aufgeregt ihrer schuppigen Freundin zu.

"Ein Perpetuum Mobile der alten Atlanter", klärte Klopfer sie auf.

"Wodurch wird es in Gang gehalten?" fragte das Menschlein.

"Durch die umliegenden Gebäudereste wird das Wasser hier sozusagen kanalisiert. Die dadurch entstehende Strömung lässt den Apparat sich drehen- und das, seit er mit Atlantis unterging", dozierte der Fisch.

Langsam schälte sich nun ein Zylinder von riesigen Ausmassen aus den Schatten. Er stand nach all den Jahrtausenden noch immer aufrecht und drehte sich langsam um die eigene Achse. Das Kunstwerk schien aus feinem Alabaster zu bestehen und war mit winzigen Figuren bemalt. Sie zeigten in ihrer Bewegung eine Art von Scherenschnitt, wie die Frau es gelegentlich auf Jahrmärkten gesehen hatte. Doch diese schwarze Bemalung war so kunstvoll gearbeitet, daß kleinste Details deutlich hervortraten. Isa vergaß alles um sich herum und folgte gebannt dem Spiel der Figuren:

Ein kleines Mädchen schaukelte auf einem Holzpferd, wie auch Isabella als Kind eines besessen hatte. Dann lag das Mädchen in seinem Bett und drückte ein Stofftier an sich. In der nächsten Szene schien das Mädchen gewachsen zu sein und striegelte ein Pony. Das Kind wuchs zum Teenager heran und trug nun ein kurzes Kleid und... Plateauschuhe? Waren die Bewohner von Atlantis uns modernen Menschen am Ende gar nicht so unähnlich gewesen? Als das Bild sich langsam wegdrehte, blitzten diese Schuhe noch kurz hellgrün auf, ebenso der untere Rand des Kleides. Isa fiel ein, daß sie vor langer Zeit ganz ähnliche Sachen getragen hatte und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Der Zylinder zeigte nun die Hauptfigur in einem hellblauen Kittel mit einer weißen Schürze und aufgesteckten Haaren. Isa begann zu zittern. Das konnte doch nicht sein? Als Siebzehnjährige hatte sie die Schwesternschule besucht und genauso ausgesehen, wie diese Gestalt! Inzwischen lief auf dem Perpetuum Mobile ein regelrechter Film ab, ohne daß Isa der Übergang aufgefallen wäre.

Das Mädchen war zur jungen Frau herangereift und ihre langen dunklen Haare flatterten im Wind, als sie mit anderen jungen Leuten an Bord eines kleinen Motorbootes saß. Dann trug Isa- sie mußte es einfach sein- ein langes Hochzeitskleid und stand strahlend vor dem Altar. Ihre erste Ehe war gescheitert und so zeigte auch der Zylinder nun eine Anwaltskanzlei. Isabella saß blass ihrem Mann und dessen neuer Freundin gegenüber. Isa auf dem Beifahrersitz eines Umzugswagens, Isa in grüner OP- Kleidung, Isa vor dem Computer.

Dann drehte das Perpetuum Mobile eine Bahnhofshalle heran. Isabella stand auf dem dämmerigen Bahnsteig und ein Zug fuhr gerade ein. Die Türen öffneten und viele Leute stiegen aus, strömten an ihr vorbei. Am hinteren Ende des Bahnsteiges ragte eine Gestalt über die Massen heraus. Die Gestalt kam langsam auf Isa zu. Es war ein Mann in einer scheußlichen roten Regenjacke, sein Gang wirkte anrührend vertraut.

Der Mann näherte sich Isa und trat in den kalten Schein einer Laterne.

"Andie?" hauchte die Frau zweifelnd.

"Andie!"

Isabella schrie auf und der Mann breitete lachend die Arme aus. Dann stürzte Isa los; hin zu Andie dort im Lichtschein!

 

"Sie kommen mal wieder recht spät, Ahrens", stellte Professor Ostermann mit mildem Tadel fest.

"Tut mir leid, Chef. Die alte Karre wollte wieder nicht anspringen!" verteidigte sich der kräftige junge Mann, der soeben die Leichenhalle betreten hatte. "Was liegt an?"

Der Chefarzt der Gerichtsmedizin wies mit einer kleinen Handbewegung auf die stählerne Trage vor sich und klärte seinen Assistenten auf:

"Ein höchst interessanter Fall, Ahrens. Eine sechsundvierzigjährige Frau, die von ihrer Nichte gestern abend ertrunken aufgefunden wurde."

Oliver Ahrens trat beflissen an den Seziertisch, während er sich mit einem etwas engen grünen Kittel abmühte.

"Wo hat diese Nichte ihre Tante denn gefunden?" wollte er nun wissen.

"In der Wohnung der Dame. Als diese zwei Tage lang nicht mehr ans Telefon ging, machte ihre Verwandte sich Sorgen. Die Tote war nämlich seit dem Ableben ihres Mannes wegen Depressionen in ärztlicher Behandlug."

"Diese Frau..." Oliver warf einen raschen Blick auf die Papiere. " Isabella Murschner. Diese Frau Murschner ist in der eigenen Wohnung ertrunken? In der Wanne?"

Der Professor schüttelte den Kopf und machte dann ein Gesicht wie ein Zauberer, dem gerade ein besonders guter Trick gelungen ist.

"Nein Ahrens, die Frau ist im Aquarium ertrunken. Zweihundert Liter, Süßwasserbecken!"

"Also war es Mord", rief der junge Mann im Brustton der Überzeugung, während er seine Wurstfinger in ein Paar Latexhandschuhe zwängte.

Ostermann wiegte nachdenklich das Haupt und sagte dann mehr zu sich selbst: "Ich glaube, einen Mord kann ich jetzt schon ausschließen. Die Spurensicherung hat keinerlei Hinweise auf einen Kampf gefunden und Frau Murschner weist auch keine äußerlichen Wundmale auf. Das macht diesen Fall ja so mysteriös!"

Ahrens war nun völlig gebannt und hakte nach:

"Wie passt aber eine erwachsene Frau in ein relativ kleines Aquarium?"

"Sie hing nur mit dem Oberkörper im Wasser. Ihr Kopf hatte sich unter dem Deckel verkeilt, sonst wäre die Tote wohl zu Boden gefallen...

oder wir hätten jetzt gar keine Leiche!"

Die beiden Mediziner trafen eine Weile stumm die Vorbereitungen zur Sektion. In Ahrens brodelte es vor Neugier und er schob eilfertig den Tisch mit den Instrumenten heran. Er war erst seit einem halben Jahr in der Pathologie und dieser Fall faszinierte ihn über alle Maßen! Doch zu seiner großen Enttäuschung ließ sein Chef sich außerordentlich viel Zeit.

Endlich ergriff Ostermann ein Laryngoskop und sagte fast fröhlich:

"Schauen wir uns zunächst einmal den Schlund und die Trachea von Frau Murschner an!"

Er führte geübt den beleuchteten Spatel mit links in die Mundhöhle ein und drückte die Zunge damit nach unten.

"Was haben wir denn da," murmelte er und wies seinen Assistenten an: "Ahrens! Maggillzange!"

Oliver reichte ihm das benötigte Instrument und sein Chef schob es in den Mund der Leiche. Als er die Zange wieder hervorzog, klemmte ein Gegenstand in den abgerundeten Backen, ungefähr so groß wie ein Euro. Der Assistent reichte Ostermann eine Glasschale, in die er das Objekt behutsam ablegte.

"Ein Fisch, wie mir scheint," stellte der Professor ohne große Verwunderung fest. Schließlich kamen Fische in einem Aquarium nicht selten vor.

"Ein Zwegfadenfisch- weiblich", sagte Oliver spontan. Dann, fast entschuldigend: "Ich hatte auch mal ein Aquarium."

"Glauben Sie, der Fisch könnte die Todesursache gewesen sein?" fragte der junge Mann seinen Professor.

"Ich kann das so noch nicht sagen, Ahrens. Sicher ist aber, daß Frau Murschner die Todesursache dieses Fisches war." Und dann wandte Ostermann sich erstmals mit einer Bitte um Rat an den Jüngeren:

"Sehen diese ... diese Zwergfadenfische immer so krank aus, so zerrupft meine ich?"

"Eigentlich nicht, Chef. Es wird ein sehr altes Weibchen gewesen sein, daß sowieso nicht mehr lange gelebt hätte. Schicken wir es doch zu Frau Hagen ins Labor."

 

 

 ENDE

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