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Rush Hour
Copyright 2008 by  Alexander Lehner

Für Lea, die an mich glaubt und an die auch ich glaube

Happy Birthday


»Hey, Kiddis, ab ins Auto, oder wir fahren ohne euch los!«, rief ich. Unser Ausflug, den wir an diesem Tag geplant hatten, sollte wunderschön werden, alle freuten sich schon seit Wochen darauf, ich, meine Kinder Karl, den alle nur Charlie nannten und Susi, eine pubertierende Teenagerin, die eine ihrer immer schnatternden Freundinnen mitgebracht hatte. Solang sie dadurch noch keine Kerle anschleppte, die ich dann mustern musste, war mir das aber mehr als recht. Es war ein schöner Tag, die Sonne schien und war augenscheinlich genauso gut gelaunt wie wir. Nur eins trübte den Tag. Meine Frau ist Krank geworden, eine schlimmer Erkältung und es missfiel mir, sie heute allein zu lassen. »Ach Paul. Fahrt nur los und amüsiert euch, ich komm hier schon klar. Außerdem ist Mum ja da, die hat mich schon gesund gepflegt, als ich noch in den Windeln gelegen habe.«, hatte sie gesagt und gelächelt. Ja, das war meine Gwen. So Krank und trotzdem noch einen Witz auf den Lippen. Ihre Mutter war, na ja eben ihre Mutter und meine Schwiegermutter. Für ihre 65 Jahre sah sie noch relativ gut aus, und wie sagt man, sieh die Mutter an, dann weist du, was du später noch von der Tochter hast.

Unser Ausflug fand mitten in der Arbeitswoche statt, in der andere in ihren Büros saßen, Formulare ausfüllten und den PC hüteten, aber ich hatte mir ein paar Tage Frei genommen, damit ich mit meiner Familie verreisen konnte. Ein bisschen am Strand liegen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, das tun, wofür man sonst keine Zeit hat. Susi und Charlie kamen aus dem Haus, mein Knabe mit nur einer Tasche bepackt, und mein liebes Töchterlein natürlich mit so viel Kram, als würde sie eine Weltreise machen. »Ähm, Suze, willst du auswandern, oder einen Strandurlaub machen?« fragte ich und nahm ihr die beiden großen Taschen ab, die sie sich über die Schultern geworfen hatte.

»Ach Papa, da ist alles drin, was die Frau von Welt heute braucht.«

Ich verdrehte die Augen und lud die Monster die Susi für notwendig hielt in den Kofferraum. Sie war so schnell alt geworden, ihm kam es vor, als wäre sie erst gestern noch Fünf Jahre alt gewesen und mit Puppen gespielt. Jetzt war sie Fünfzehn und eine junge Frau. So ist das Leben und ich werde auch nicht jünger. Da war ihm der kleine Charlie schon wesentlich lieber, er war erst Neun Jahre und für ihn war die Welt noch in Ordnung. Sie bestand noch aus Spiele und Spaß und dem Übel, das die Erwachsenen als Schulbildung bezeichneten. Mein Junge wollte auch keinen seiner Freunde mitnehmen, er wollte die Zeit mit seinem Papi genießen, aber das würde sich mit der Zeit auch ändern, wie alles. Ich streckte mich noch mal und lies meine Wirbelsäule knacken.

»PAPA! Muss das sein, das hört sich ja schrecklich an!« schrie meine Tochter auf.

Das gute alte Teenagergekreische, wie es alle Eltern erlebten und von dem schon so viele Kopfschmerzen verursacht wurden. »Entschuldige, Schatz, kannst du mir vergeben?«, versuchte ich sie scherzhaft zu beschwichtigen. Sie lächelte verkniffen und wandte sich wieder stark gestikulierend ihrer Freundin zu, die schon eine Weile im Auto wartete.

Der Wagen war kein Sportwagen, sie war eben eine funktionelle Familienkutsche, wie sie die meisten Väter in meinem Alter zu fahren pflegen, aber langsam war sie auch nicht. Darauf hatte ich Wert gelegt. Zwar hatte Gwen mich davor gewarnt, wenn ich jemals mit einem Strafzettel für zu schnelles Fahren nach Hause komme, wäre die Hölle los, aber das war mir egal. Nur weil ich Vater war, brauchte ich doch nicht auf meine Träume verzichten, vielleicht mussten sie etwas abspecken, aber das machte mir nichts aus. Genügsamkeit war mein Zweiter Vorname.

Ich ging am Auto vorbei und sah, wie Susi ihre Tür schloss, und dabei verwechselte ich sie für einen kurzen Moment mit ihrer Mutter. Sie sah wirklich genauso aus wie Gwen früher, als er sie, als sie beide noch Teenager waren auf einer Party, dem Geburtstag seines besten Freundes angesprochen hatte. Niemals hätte er gedacht, dass das hübsche blonde Mädchen von damals einmal seine Frau sein, mit der er Zwei wunderbare Kinder haben würde, aber jetzt war es so. Und es war nicht das schlechteste. Ich lebte in einem schönen, verschlafenen Vorstadtnest, in dem jeder jeden kannte und hatte ein Haus, mit einem großen Garten in dem die wunderbarsten Blumen blühten, besonders heute. So kam es mir zumindest vor. Irgendwie war heute ein schöner Tag, um in Erinnerungen zu schwelgen, alles wirkte so entspannend auf ihn, nicht einmal die zickige Art, die Mädchen in diesem Alter manchmal an den Tag legten brachte mich aus der Ruhe. Ich dachte zumindest ich wäre die Ruhe in Person.


Alles war eingeladen, sowohl Kinder, als auch Gepäck und ich stieg ins Auto. Gwens Mum stand in der Tür und lächelte uns zu. Charlie, auf dem Beifahrer Sitz, winkte seiner Oma zu und Susi tat das selbe, zwar nicht so auffällig und überschwänglich wie er, aber sie war eben ein Teenager. Mit einer kurzen Handbewegung verabschiedete ich mich auch noch, und fuhr dann Rückwärts aus der Einfahrt, auf die Hauptsraße der Kleinstadt, die direkt auf die Autobahn führte.

Auf der Fahrt, die schon einige Stunden dauerte und noch einige Stunden dauern würde, unterhielten sich die beiden Mädels auf der Rückbank über dieses und jenes, Teenagerproblem, welcher Popstar gerade angesagt war, wo es die besten Klamotten gab, eben alles wovon ein Mann in meinem Alter überhaupt keine Ahnung hatte. Schon nach einer Weile stellte ich das Radio lauter, erstens, weil mich nicht unbedingt interessierte, wer, was, warum, von wem wollte und dergleichen und Zweitens, weil ich merkte, dass es einiges Gab, worüber sie nicht so offen sprachen, wie sie es eigentlich tun würden, wenn sie alleine waren. Das verschaffte ihnen wenigstens etwas Privatsphäre für ihre kleinen Geheimnisse. Charlie saß auf dem Beifahrersitz und war in ein Buch vertieft. Er las viel für sein Alter und auch Bücher, die nicht gerade selbigem Entsprachen, aber was machte das schon? Besser als wenn er von dem Fernseher rumgammelt und völlig vor dem Bildschirm verdummt. So fuhren wir dahin und ich wechselte öfters einmal den Radiosender. Diese unmelodische Elektronische Musik von heute nervt einen einfach, sei’s beim Autofahren oder irgendwo anders und Hip Hop, der dauernd gespielt wird ist auch nicht besser. Wie kann die Jugend von heute so was hören. Ich bleib lieber beim guten Old-School-Rock, bei der Musik meiner Generation, die schon meine Eltern aufgeregt hat, wenn ich meine Platten auflegte. Was soll man machen, Kinder wollen eben immer andere Dinge als ihre Eltern, das war damals so, ist heute so, und wird auch zukünftig so sein, das gehört nun mal dazu, wie zum Feierabend der Verkehr gehört, bei dem die Angestellten wieder nachhause fahren, Väter zu ihren Familien. Die Amis haben dieses Phänomen Rush Hour genannt. Zeit zu gehen, meine Freunde, Rush Hour ist angesagt.


Als ich nicht gleich einen passenden Sender gefunden habe, bekam ich ein paar Wortfetzen der Frauengespräche, die im hinteren Teil des Wagens stattfanden mit, und die immer wieder vom Rauschen des Radios unterbrochen wurde.

»Deine Ma.... mein Dad...Eltern sind doch erst seit...geschieden...das kann nicht sein.«

Ich stellte das Radio ab. Das erschreckte Suze und ihre Freundin, die sie immer Tina nannte und sie hörten auf zu reden. Das erste Mal während der Fahrt.

»Was hast du über meine Frau gesagt, Tina?«

Sie wollte gerade den Mund aufmachen, als Susi ihr zuvorkam.

»Gar nichts Paps, überhaupt nichts. Wir haben nur über Mädchenkram geredet.« Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen, nicht als sie mit der Sechs in Mathe nachhause kam, noch als sie Gwens gutes Geschirr zerbrochen hatte, als sie noch kleiner war. Das hatte sich bis heute nicht geändert.

»Bitte lass sie doch für sich selbst reden, Susan.« Sie wusste, dass wenn ich sie mit Susan ansprach, sie nichts mehr zu lachen hatte und ich sehr gereizt war, also widersprach sie mir nicht, sondern schwieg. Charlie bekam von allem nichts mit, er war in seiner Welt der Bücher versunken. »Komm schon, Tina, ich wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Ich muss schließlich auch noch fahren, also hab ich gar keine Hand dafür frei.« Das sollte die Situation eigentlich lockern, aber sie lächelte nur gequält. Das, worüber sie geredet haben musste wirklich schlimm gewesen sein. Aber er wollte wissen, was mit seiner Frau war, denn er konnte es nicht haben, wenn jemand schlecht über sie redete. Vor allem, wenn es sein eigen Fleisch und Blut war, das über sie lästerte.

»Na, sag schon.«

»Ich, also ähh.«, stammelte sie. Es war ihr wirklich unangenehm. Die ganze Zeit wechselte sie Blicke mit Susi. Nach ein paar Sekunden, die mir schier endlos vorkamen, unterbrach Susi ihr Schweigen. »Okay, wenn du es unbedingt wissen willst, wir glauben, dass Mum ein Affäre mit Tinas Dad hat! Bist du jetzt zufrieden?«

Ich begann zu lachen, weil ich dachte, dass das ein makaberer Spaß sei, um ihr eigentliches Geheimnis zu wahren, aber dann begann sie zu weinen, meine kleine Susi. Sofort hörte ich auf. »Du meinst es wirklich ernst, oder? Und wieso glaubt ihr das?« Jetzt sah auch Charlie von seinem Buch auf und drehte sich zu seiner Schwester um, die ihr Gesicht in den Schoß gelegt hatte um ihre Tränen zu verbergen. Sonst ärgerte er seine große Schwester immer, aber jetzt, da er sie so sah, machte er sich sorgen um sie. »Hey Suze, was ist denn los.« Sie schluchzte. »Wie kommt ihr darauf«, fragte ich nochmals, mit mehr Nachdruck, was zur Folge hatte, dass sie nur noch mehr und heftiger schluchzte und sich dabei schüttelte. Tina wirkte auf den ersten Blick gefasst, war aber auch den Tränen nahe. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken anzuhalten, aber ich konnte mich nicht dazu bewegen, jetzt eine Raststätte anzufahren. Ich wollte weiter. Es war Sechs Uhr abends und die Rush Hour begann. »Sag mir bitte jemand, was mit ihr los ist?«, fragte Charlie, offensichtlich sehr besorgt um das Wohl seiner Schwester.

»Später Charlie, später. Tina sag du mir bitte, wie ihr auf diese Schwachsinnsidee gekommen seid. Völlig grundlos wird euch so was ja nicht einfallen.«

Ich wunderte mich, wie gefasst ich dem ganzen Gegenüberstand. Hatte ich es innerlich etwa schon gewusst. Geahnt habe ich es ja schon immer, oder? Wahrhaben wollte ich es nicht, ich dachte es wäre nur die Ausgeburt meiner Fantasie, meiner Übersteigerten Eifersucht. »Mums...Pokerabende...«, schluchzte meine süßes kleines Prinzesschen.

»Was ist mit denen?«, sagte ich, jetzt mit erhobener Stimme. Ich wollte sie nicht anschreien und versuchte mich wieder zu beruhigen. Tina schluckte einmal.

»Ihre Frau kam fast jeden Dienstagabend zu uns. Ich weis das nur, weil ich einmal früher Sport zurück nachhause kam. Den habe ich jeden Dienstagabend, wissen Sie. Ich weis nicht, ob sie jeden Dienstag kommt, aber es sah fast so aus, als wäre es immer so. Es wirkte so vertraut zwischen ihnen, meinem Vater und ihr.«

Susi heulte auf. Ihr machte es viel mehr zu schaffen, als mir. Meinem kleinen Tochter tat es in der Seele weh.

Meine Frau sagte, dass sie jeden Dienstag mit ihren Freundinnen zum Pokern ging, was machte sie dann bei denen, und vor allem einem anderen Mann.

»Papi, was ist los?«, fragte Charlie, mit zitternder Stimme.

»Sei still, Charlie!«, brüllte ich ihn an. Ich konnte nicht anders, ich war einfach zu wütend. Wieso musste Gwen mich belügen. Vielleicht hatte sie mich gar nicht betrogen, aber warum hätte sie dann Lügen sollen? Das durfte nicht wahr sein!

»Bitte nicht schreien, ich bin schon ruhig, Papa.« sagte Charlie ganz leise. Hinten schluchzte Susi immer noch. Sie sah kurz auf und ich bemerkte sie im Rückspiegel. Ihre Tränen waren vom Make-up schwarz gefärbt. Tina versuchte sie zu trösten, indem sie ihren Arm um sie legte, aber das es half nichts.

Ich trat das Gaspedal durch. 140 auf dem Tacho. Ich habe ja gesagt, dass sie nicht langsam ist, meine Familienkutsche.

Im Wagen herrschte eisiges Schweigen, das nur von den Weinkrämpfen meiner am Boden zerstörten Tochter durchbrochen wurde. Sollten wir umkehren und zurückfahren. Nein, sicherlich nicht, ich wollte Gwen jetzt nicht in die Augen sehen müssen. Ich glaube, ich wäre bei ihrem Anblick einfach Ohnmächtig geworden, hin und her gerissen zwischen Liebe und Hass. Meine Zorn wollte ich auf jemanden projizieren, der mir nichts bedeutete, den es wirklich lohnte zu verachten und ihm fiel im Moment nur eine Person ein.

»Tina, gib mit dein Handy.«, sagte ich mit strenger Stimme, die aber relativ normal Klang, für die Situation, in der sie sich gerade befanden.

»Warum?«, fragte sie, mit Angsterfüllter Stimme, als könnte sie das Böse, das von mir ausging riechen.

»Gib es mir«, sagte ich noch mal ruhig und streckte die rechte Hand nach hinten, »gib es mir in die Hand.«

»Nein!« schrie sie, und Susi kreischte, »Dad, lass sie in ruhe!«

»Gib mir jetzt sofort dein verdammtes Handy!«, brüllte ich, in völliger Rage und verriss das Lenkrad, sodass ich den Wagen fast in die Leitplanke donnerte.

Jetzt weinte auch Tina, aus Angst und Verzweifelung, und suchte ihr Handy in ihrer Handtasche. Sie schaltete es ein und legte es in meine Hand. Im Menu suchte ich die Rubrik Telefonbuch oder Kontakte, fand sie aber nicht.

»Zeig mir bitte, wo du deine Nummern gespeichert hast.«

»Unter...Unter...Telefon...fonkontakte.«, versuchte sie, sich immer wieder schüttelnd, zu sagen.

Ich schaute noch mal durchs Menu und fand es dann auch schnell. Neumodischer Kram, diese Handys, sie würden uns alle noch mal ins Grab bringen. Unter dem Namen DAHEIM hatte sie bestimmt ihre Festnetznummer gespeichert, so drückte ich WÄHLEN und lies anklingeln.

»Wen rufst du an, Papi?«, sagte Charlie, der sich sofort die Hände vor den Mund schlug. Er hatte seine Redeverbot völlig vergessen und fürchtete wieder angeschrieen zu werden. Aber ich brüllte ihn nicht an.

»Einen alten Freund, aber jetzt ruhe.«

Es klingelte immer noch und ich fragte mich, ob der Drecksack wohl zu Hause sei.

»Wie heißt dein Vater mit Vornamen, Tina?«

»Tom.«, sagte sie und hielt dann Susis Hand. Sie hatten Angst, beide. Sie hatten Angst vor mir, dem netten Kerl von nebenan, der eigentlich nie was böses wollte, vor dem netten Kerl, den man auf er Straße grüßt, wenn man ihn sieht, vor dem netten Kerl, dessen Ehefrau, mit dem Vater der besten Freundin ihrer Tochter ein Verhältnis hatte.

Jemand hob ab. Konnte es vielleicht meine Frau sein, die überhaupt nicht krank war, sondern nur lieber mit ihrem neuen Liebhaber zusammen sein wollte, als mit ihrer Familie.

Bitte nicht, das könnte ich nicht ertragen, dachte ich, wahrscheinlich würde ich sofort den Wagen zu Schrott fahren und uns alle in den Tod reißen.

»Hallo, hier Tom Herzgut am Apparat.« Wie erleichtert ich war, als ich die Stimme dieses Bastards hörte, es war als fielen mir eine ganze Miene voll Steinen vom Herzen.

»Hallo, Tom, wissen Sie, wer hier spricht? Sicherlich nicht. Hier ist Paul und ich spreche vom Handy Ihrer Tochter aus. Wissen sie jetzt, wer ich bin, mein Freund.«

»Sind sie Susis Dad? Ist irgendwas passiert. Ist irgendwas mit Tina?«

Natürlich, seine ersten Gedanken galten seiner Tochter, das wären auch meine gewesen. Das spricht für dich, mein Bester, bist wohl doch nicht so ein Arschloch, wie ich gedacht habe. Du fickst wohl doch nicht nur meine Frau in deinem Verstand, ziehst sie geistig aus. Zumindest tust du das nicht immer, du denkst auch an deine Tochter.

»Sie ist wohl auf, Tom. Ich darf sie doch so nennen, oder?«

»Ähm, ja. Aber warum rufen sie mich dann an?«

Er merkte es nicht, er schien es nicht zu verstehen. Keinen einzigen Gedanken verschwendete er daran, dass ich der Mann war, mit dessen Frau er Unzucht getrieben hatte. Konnte es sein, dass er es gar nicht wissen konnte, weil er nichts getan hat? Aber Gwen hat gelogen, sie musste also etwas gemacht haben, für das sie sich schämt, etwas, was sich lohnte zu verheimlichen.

»Sind sie allein zu Hause? Ist jemand bei Ihnen, Tom?«

»Nein, ich bin allein, aber was wollen sie, warum rufen sie an!«, sagte er, mit erhobener Stimme ins Telefon. Es regte ihn auf, so unwissend zu sein. Ein Anruf hatte schließlich immer einen Grund, aber dieser hier, so schien es ihm vorzukommen, wurde nur geführt, um ihm den letzten Nerv zu rauben. Hinten im Auto schluchzte Susi wieder auf.

»Weint da jemand? Was ist bei Ihnen los? War das Tina, was haben Sie getan, Sie...!«

»Die Frage ist wohl eher was Sie gemacht haben, Tom! Denken Sie mal ganz scharf nach, ich bin Susis Vater und damit was noch? Hä, geht Ihnen jetzt ein Licht auf, Bastard?«

Am Telefon hörte ich ihn Luftholen und ein leises Oh mein Gott flüstern. Der würde ihm jetzt aber auch nicht weiterhelfen.

»Sie sind Gwens Mann. Und so wie es aussieht wissen Sie es. Ich kann Ihnen nicht erklären, wie...«

»Ich will auch nicht wissen warum, und am allerwenigsten von Ihnen. Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn die Frau die man liebt, die ich seit Sechzehn Jahren verdammt noch mal liebe, mich so schamlos betrügt! Ich könnte sie nicht hassen, selbst wenn sie mich umbringen wollte, aber Sie, Sie kann ich hassen verachten!«

»Ja, das verstehe ich...«

»Sie verstehen gar nichts, das habe ich doch gerade gesagt! Hören Sie mir gefälligst zu, oder ich weiß nicht, was ich noch tun werde.«

Dann schwieg er. Wahrscheinlich überlegte er gerade, was ich ihm denn antun könnte, so weit weg wie ich war. Aber ich hatte mehr Einfluss, als er dachte.

»Okay, Paul heißen Sie, richtig? Ich werde versuchen Ihnen ab jetzt besser zuzuhören. Wenn sie nicht wissen wollen, warum, was wollen sie dann in erfahren, was uns wieder zu meiner Anfangsfrage zurückbringt. Warum rufen sie an?«

Dieser Bastard war immer noch so ruhig, er hatte kein zittern in der Stimme. Weder Angst, noch Panik gingen von seiner Stimme aus, nur kalte Berechnung.

»Warten Sie einen Moment, Tom.«

Ich nahm das Handy vom Ohr und sah zu Tina im Rückspiegel.

»Tina, was ist dein Vater von Beruf.

Sie schluchzte. Konnten diese Weiber nicht einfach aufhören zu Weinen? Es regte auf und störte einfach nur bei diesem wichtigen Gespräch.

»Er...«, sie schluckte, »...ist Psychiater, oder so was ähnliches. Er redet nicht viel von der Arbeit.«

Natürlich, ein Seelenklempner! Wer sonst könnte im Angesicht von soviel Wahnsinn so ruhig bleiben.

»Hallo, Tom, sind Sie noch dran?«

»Natürlich.«

»Sind Sie bereit, für meine Fragen? Und seien Sie ehrlich, oder sie werden es bereuen. Haben sie verstanden?«

»Natürlich«, antwortete er, mit der Gelassenheit, als würden wir hier ein bisschen Smalltalk betreiben.

»Wenn Sie noch einmal natürlich sagen, werde ich den Wagen gegen die Leitplanke fahren, haben sie das verstanden, denn falls Sie es noch nicht bemerkt haben, wir sind hier gerade auf der Autobahn und fahren mit Hundertvierzig Sachen, während wir hier Sprechen. Und ihre Tochter sitz auf dem Rücksitz zusammen mit meiner eigenen«

Jetzt war er doch schockiert. Die Mädchen auf den Rücksitzen schrieen auf. Charles wimmert und Tränen fielen auf die Seiten seines Buches, das immer noch aufgeschlagen auf seinen Beinen lag.

»Sie würden das Leben ihrer eigenen Kinder auf’s Spiel setzen, nur um mir Eins auszuwischen?«

»Ich weiß nicht, was ich tun würde, aber bin ich hier im Moment der Quizmaster, oder Sie. Also dann, wie oft?«

»Was meinen Sie?«

»Sie wissen ganz genau, was ich meine. Also noch mal, wie oft?«

»Ich weiß nicht...«

»Wie oft haben sie meine Frau gefickt!«

»Drei oder Vier Mal.«

»Wie oft? Drei oder Vier!«

»Drei!«

»Sicher?«

»Ja!«

Tom röchelte, es regte ihn wirklich sehr auf. Er hatte wohl nicht viel Aufregung, in seinem Job als Psychiater. Ich lies ihm einen Moment ruhe und widmete meine volle Aufmerksamkeit wieder der Straße. Das Handy am Steuer lenkte einen wirklich heftig ab. Aber die Ruhe an meinem Ende der Leitung machte ihn noch Nervöser, als er ohnehin schon war. Immer mehr Wagen drängten sich auf der Vierspurigen Autobahn und aus dem Lautsprecher des Mobiltelefons drang Toms Stimme.

»Paul? Paul, sind Sie noch da? Bitte, tun Sie nichts unüberlegtes!«

Ich wollte den armen Hund nicht so lange warten lassen, nicht, dass er noch einen Herzinfarkt bekommt.

»Ich glaube nicht, dass sie hier in der Position sind Befehle zu geben. Ich muss diesen Zweitonner, in dem ihre Tochter und meinen Kinder sind ja noch irgendwie auf der Straße halten.«

»Na......Ja Sie haben recht.«

Ich lachte. Das machte meinen Kindern und Tina noch mehr Angst, denn nur ein lachender Verrückter ist schlimmer, als ein herumschreiender.

»Haben sie gerade versucht natürlich zu sagen?«

»Nein, was denken sie von mir?«

Ich bremste kurz und alle schrieen auf, der Fahrer hinter mir hupte und zog an mir, mit hoch erhobenem Mittelfinger, vorbei.

Tom hörte den schrei, der ihm durch Mark und Bein gehen musste und ich hörte durchs Handy, wie er sich setzte, vielleicht auf einen Ledersessel, oder einen Couch.

»Ganz ruhig, Tom, es ist alles im grünen Bereich. Ich hab die lieben kleinen hier nur etwas erschreckt. Für einen kurzen Moment hat Ihr Herz ausgesetzt, oder nicht?«

»Das kann man wohl sagen, Sie mieser Pisser, ich hatte fast einen Herzinfarkt.«

»Stellen sie sich erstmal vor, wie es für ihre Tochter war. Hat es ihnen gefallen?«

»Nein, ganz und gar nicht« sagte er, so außer Atem, wie nach einen Marathonlauf.

»Mir schon. Aber wie war es denn mit meiner Frau, hat sie ihnen wenigstens gefallen? Und vergessen sie nicht, sie sollen nicht lügen.«

»Sie war wunderbar und wenn ich mir das erlauben darf, ich war auch nicht schlecht.«

»Endlich mal etwas Courage, aber zuviel davon ist auch ungesund, wissen Sie. Noch so ne Bemerkung und es geht mit Hundertvierzig Sachen ins Nirwana. Oder glauben Sie nicht daran. Sagen Sie mir, Tom, sind sie katholisch?«

»Ja, römisch Katholisch.«

»Kennen Sie dann nicht das Gebot, du sollst deines nächsten Weib nicht begehren?«, fuhr ich ihn an.

»Mein Glauben ist eher passiver Natur, wissen sie.«

»Zeigen Sie mir einen, der heute noch aktiv praktiziert.«

Wir lachten beide, und es war kein gekünsteltes lachen, der Hass auf ihn war nicht verschwunden, aber dieser Tom ist mir irgendwie sympathischer geworden. So sympathisch eben, wie der geheime Liebhaber deiner eigenen Frau sein konnte.

»Haben sie die Polizei alarmiert, Tom?«

Er schwieg, diese Frage machte ihm Angst, er fürchtete den Tod seiner Tochter. Ich hätte mich auch um Susi gesorgt, wäre ich an seiner Stelle gewesen. In diesem Punkt waren alle Väter gleich, immer um das Wohl ihrer kleinen Prinzessin bemüht.

»Sagen sie schon, wird ja nicht gleich jemand draufgehen deswegen.«

Ich vernahm ein röcheln am anderen Ende der Leitung. Es konnte sein, dass er gerade Hyperventilierte, aber jedenfalls atmete Tom schwer. Der Mann würde noch umkippen.

»Tom. Tom! Beruhigen sie sich. Sagen sie mir einfach, ob sie die Polizei eingeschaltet haben. Ich verspreche ihnen, dass niemand deswegen zu Schaden kommen wird, niemand aus ihrer und auch niemand aus meiner Familie, haben sie verstanden?«

Tom versuchte ruhig zu Atmen, um wieder sprechen zu können. Das merkte ich am den gleichmäßigen Luftstößen, die er in den Hörer seines Telefons blies, ob absichtlich, oder unabsichtlich sei mal dahingestellt. Dann schluckte er ein paar mal relativ laut.

»Also gut...ich habe die Polizei noch nicht eingeschaltet, weil ich glaube, dass sie kein schlechter Mensch sind und ich mir nicht vorstellen kann, dass sie einer anderen Person mutwillig schaden könnten. Vor allem keinem kleinen Mädchen, das völlig unschuldig und ohne böse Absicht zu ihnen gekommen ist.

Man sieht auf den ersten Blick, und dazu muss man kein Seeleklempner sein, dass sie ihre Frau über alles lieben und dazu kann ich nur sagen, dass sich das nicht geändert hat. Nicht als sie bei mir war, geschweige denn, als sie von ihrer Affäre erfahren haben. Alles ist genauso wie vorher, und es war nie anders. Ihr seid Seelenverwandte, glauben Sie mir. Ich werde Sie in dem Leben Ihrer Frau niemals ersetzen können und sie würde Ihnen überallhin folgen.«


Ich sagte nichts. Tränen liefen über mein Gesicht. Ich hatte noch nie geweint. Ich wollte nicht, ich konnte nicht und vor allem hatte ich keinen Grund dazu. Tom wusste nicht, dass Tränen auf das Lenkgrad meines Wagens tropften du als wollte der Himmel meine Gedanken bestätigen, fing es an zu regnen, dicke Tropfen und die Sonne, die am Anfang dieses Tages die Vorherrschaft für sich beanspruchte war gegangen. Die Fahrbahn wurde nass und die Wagen, die sich vor mir und neben mir befanden spritzen mit ihren Reifen, teils auf meine Frontscheibe, teils ins Nichts. Die Welt ergraute unter den dicken Wolken, nichts mehr von der Schönheit und der frohen Farben des Tages war zu sehen.

Ich sagte nicht. Tränen liefen über mein Gesicht, benetzte mein Lenkgrad. Hinten im Wagen saßen Susi und Tina, Arm in Arm, vor auf dem Beifahrersitz saß der kleine Charlie, sein Buch im Arm und sah mich an. Er sah seinen Vater weinen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Tom sah es nicht, aber mein Sohn sah es.


»Haben sie denn jemals das Gefühl gehabt, dass sie Sie nicht liebt, dass sie mit Hass oder Verachtung von ihr angesehen werden? Das was sie getan hat war ein Fehler, ich war ein Fehler. Selbst der perfekteste Mensch ist nicht unfehlbar und ich will nicht, dass ihre Kinder ohne Vater aufwachsen müssen, nur weil Gwen etwas falsch gemacht hat, dass sie zu dem allen hier verleitet hat. Man darf Ihre Frau, Sie oder mich nicht deswegen verurteilen, weil wir versucht haben alles richtig zu machen, dabei aber eine falsche Entscheidung getroffen haben. Sie und ich wissen, dass in dem Wagen, in dem Sie sich befinden kein Terrorist, Entführer oder gar ein Mörder, der kein Gewissen hat und nicht einmal davor zurückschreckt seine eigene Familie mit in den Tod zu reißen.

Sie hassen mich und ich verstehe ihre Gefühle, aber ich empfinde keinen Hass Ihnen gegenüber. Bitte lassen Sie es nicht soweit kommen, dass Sie sich selbst und andere nur unglücklich machen. Kehren Sie um, es ist noch nicht zu Spät.«


Tom hatte recht. Dass Gwen mich erst betrügen musste, bis ich merkte, dass sie mir immer treu bleiben würde. Ich war so ein Idiot. Natürlich hätte ich den Kindern nie etwas getan, ich war doch kein kaltblütiger Killer, sondern einfach nur der nette Kerl von Nebenan. Nicht einmal wenn ich gewollt hätte, hätte ich jemanden umbringen können. Und jetzt werden wir umdrehen, alle zusammen werden wir zurückfahren, ich werde zu Haus ankommen und Gwen wird sich fragen was los ist. Ich werde ihr nicht sagen, was ich jetzt weiß, das würde sie zu sehr aufregen.

»Kinder, alles ist wieder in Ordnung, wir werden jetzt einfach wieder nach Hause fahren, okay? Niemandem ist etwas passiert und keiner ist zu schaden gekommen.« fragte ich sie, während ich den Fuß vom Gas nahm und bis auf 100Kmh abbremste.

»Was ist mit meinem Papa?«, wollte Tina wissen, immer noch mit Tränen auf den Wangen, die genauso Schwarz gefärbt waren, wie die meiner kleinen großen Susi.

»Und was ist mit meinem Papa?«, fragte mich Susi, die sich noch fürchtete, dass ich vom Hass auf Tom besessen war. Natürlich hasste ich ihn immer noch, aber es war nicht mehr diese Verachtung, die einem bis zum sinnlosen Morden treibt, oder dazu sein eigenes unschuldiges Fleisch und Blut in Gefahr zu bringen.

»Es ist alles wieder gut, mein Schatz und Tom geht’s auch gut Tina. Und wir gehen jetzt heim zu Mom, oder Charlie?«

»Ist jetzt wirklich wieder alles klar, Papi?«

»Ja, wirklich alles.«

Charlie lächelte. Alles wendete sich wieder zum Besten. Nach einem längeren Umweg, der uns auf die andere Seite der Autobahn führte, waren wir auf dem Weg zurück. Es herrschte beinahe kein Verkehr auf der Spur, auf der wir fuhren, und Fünf Sekunden später wusste ich auch warum. Ein Knall, das Geräusch von sich biegendem Metall, die Schrei der Kinder und mein eigenes Lachen. Die Ironie war einfach zu groß. Ein Geisterfahrer ist Frontal in unseren Wagen gekracht, alle waren Tot, meine Kinder, Toms Tochter und auch der Fahrer des anderen Autos. Unsere Leichen sind in den tiefen des Metallklumpens, ehemals bekannt als meine Familienkutsche, mit gar nicht mal so wenig PS und als der Wagen des Geisterfahrers. Ich hatte mein Verspreche gebrochen, denn niemand war heil nach Hause zurückgekehrt. Nicht Ich, nicht die Kinder, und auch nicht Gwen. Sie hat den Verlust nie verkraftet. Und Tom behielt recht, sie folgte mir wenige Tage später dorthin, wo man eben hinkommt, wenn man als Passiv-Christ gelebt hat.



Lea,

Diese Geschichte habe ich für dich geschrieben.

Warum?

Weil es so richtig war,

und niemand sie mehr verdient hätte, als du.

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