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Die vierte Wahl

©2000-2004 by Hannes Kiss (Twinner)

 

KAPITEL 1

 

Der Fund

1

 

Das leise Knistern von ein paar Zweigen ließ ihn die Augen aufschlagen. Es war früher Morgen, zumindest deutete ein schwacher Schein von Sonnenlicht, der durch die dünne Zeltwand drang darauf hin. Angestrengt lauschend verharrte er regungslos. Das Zelt in dem er lag, würde bei Gefahr keinen allzu großen Schutz bieten. Langsam, ohne ein Geräusch zu produzieren, schälte er sich aus seinem Schlafsack. Seine Hand griff zum Elektroschocker, so ziemlich das einzige Verteidigungsmittel, das ihm aus seiner Ausrüstung geblieben war. Draußen raschelte es wieder. Es war näher am Zelt! Was immer es war, es konnte nicht sehr groß sein. Was natürlich die Gefahr nicht unbedingt verkleinerte. Wahrscheinlich war es eines dieser wolfsähnlichen Tiere, deren Neugier so groß wie die Fangzähne war. Auf seinen Wanderungen hatte er schon mehrmals Kontakt mit diesen räuberischen Zeitgenossen gehabt. Rudeljäger! Vor ein paar Tagen wurde er Zeuge ihres ausgeprägten Jagdinstinktes und der anschließenden, ekelerregenden Fressorgie. Etwas Gutes hatte dieses Erlebnis aber: es ließ ihn den eigenen Hunger und Appetit für eine Weile vergessen. Langsam, jeden Muskel seines Körpers angespannt, bewegte er sich auf die Öffnung des Zeltes zu. Ein kurzer Ruck ließ die beiden Stoffhälften zur Seite flattern. Die Geräusche waren von der linken Seite des Zeltes gekommen. Er sprang nach rechts und rollte über seine Schulter ab. Im nächsten Moment hockte er, den E- Schocker im Anschlag, mit dem Rücken zu einem der spärlich verteilten Bäume. Er hatte Recht. Nur zwei Schritte vom Zelteingang entfernt stand das Vieh. Bevor es einen eigenen Angriff starten konnte, wurde das Tier von einem starken Blitz getroffen und sackte augenblicklich in sich zusammen. Zur selben Zeit ertönte hinter dem Zelt ein tiefes Knurren. Sie jagen nicht allein, schoss es dem Mann durch den Kopf. Kaum zu glauben, wie flink die Kreaturen auf ihren relativ kurzen Beinen waren. Das Tier war schon am Zelt vorbei und befand sich im Sprung zur Kehle des verdutzten Mannes. Für eine Reaktion mit der Waffe war es zu spät. Blitzschnell drehte er sie um und ließ den Anschlag durch die Luft sausen. Glück oder Können, für ihn spielte dies keine Rolle. Selbst der Tod war mittlerweile zu einer Option geworden. Es ertönte ein kurzes Jaulen. Er traf das Tier knapp hinter dem, was man gemeinhin als Ohren bezeichnen könnte. Der Schlag war kräftig und riss ihn selbst zu Boden. Behände sprang er wieder auf die Beine, lief zu dem betäubten Körper und beendete mit einem gekonnten Ruck am Kopf das Leben der Kreatur. Die Halswirbel knackten mehrmals. Der Mann setzte sich an den Baum und atmete befreit durch. Alles in allem war es diesmal wieder knapp gewesen. Doch wem würde er es erzählen können, wer könnte ihm Vorwürfe machen, sein Leben derart aufs Spiel zu setzen? Nebensächlich! Sein Nahrungsvorrat ließ sich wieder aufstocken, und nur das zählte.

Sein Blick fiel auf die soeben zweckentfremdete Waffe. Er brauchte nicht lange um festzustellen, dass er sie nur noch als Spatzierstock würde gebrauchen können. Durch den kräftigen Schlag war der Schaft geplatzt und das Energiemodul beschädigt worden. So viel zum Thema Glück. Ohne ein derartiges Verteidigungsmittel könnte er sich auch gleich fein garniert als Hauptspeise irgendwo hinlegen. Damit hatte sich sein Erkundungsausflug erledigt und es hieß zurück zum Basislager.

Es dauerte nur reiche zwei Stunden und sein Nachtlager war abgebaut. Die erlegten Tiere hatte er ausgenommen, die blutigen Reste vergraben. Nichts verriet mehr seine Anwesenheit.

Als ob es überhaupt jemanden gäbe, den das interessiert. Mit Ausnahme der nicht wenigen Raubtiere.

Mit einem straffen Fußmarsch könnte er in 20 Stunden beim Schiff sein. Sein Blick glitt über die mit spärlichen Gräsern bewachsenen Hügel in die Richtung, wo vor etwa zweieinhalb Stunden die Sonne aufging. Und dorthin setzte er sich in Bewegung. Er war es gewohnt, schon nach wenigen Minuten zu schwitzen. Die Sonne brannte gnadenlos, und das den ganzen Tag. Die Vegetation hatte sich damit abgefunden. Die Erde war stellenweise so hart und ausgebrannt, dass selbst seine Schuhe keine Abdrücke hinterließen. Die Suche nach Wasser stand ziemlich weit oben auf seiner Liste. In der sengenden Hitze war er wenigstens vor tierischen Angreifern relativ sicher. Deren Zeit war die Dämmerung bis zum späten Morgen. So viel hatte er auf seinen Streifzügen der letzten dreieinhalb Monate mitbekommen. Erkunden, Informationen zusammentragen und auswerten; mehr blieb ihm nicht zu tun. Vom Überleben abgesehen. Und selbst da meldeten sich ab und an schon negative Gedanken. 120 Tage Isolation begannen ihre Spuren zu hinterlassen.

In etwa einer Stunde müsste er den ca. zehn Kilometer breiten, dicht bewachsenen Vegetationsstreifen erreichen. Etwa ein Drittel seines Rückweges. Wie eine gigantische Spur des Lebens teilten die dschungelähnlichen Wälder die riesige, trostlose Steppe. Schon öfter hatte er hier sein Zwischenlager aufgeschlagen und seine Wanderungen in verschiedene Richtungen begonnen. Hier gab es Quellen mit frischem Wasser, welches sonst so spärlich über den Kontinent verteilt schien. Natürlich hatte auch die Fauna ein größeres Repertoire zu bieten. Über 70 verschiedene Tierarten konnte er bis jetzt mühelos ausmachen. Nur ihre Zuordnung, Katalogisierung machte ihm zu schaffen, zumindest das, was über die Einschätzung gefährlich oder harmlos hinaus ging. War ja auch nicht sein Spezialgebiet.

Die Sonne schien schon neun Stunden. Damit würde es noch gut fünf Stunden hell bleiben. Genügend Zeit eigentlich, den dichten Waldabschnitt noch bei Tageslicht zu absolvieren. Da ihm seine Waffe nichts mehr nützte, wäre eine Nachtwanderung zu gefährlich. Das Lager jetzt schon auf zuschlagen hieße, wertvolle Zeit zu vergeuden. So lange die Hitze des Tages noch brannte, verhielten sich auch die meisten Tiere ruhig. Seine Erschöpfung und die Last des Gepäcks ignorierend, marschierte er weiter.

Ohne Zwischenfälle erreichte er die Wälder. Man sollte meinen, dass das Laufen in deren Schatten angenehmer sei. Dieser vermeintliche Vorteil wurde aber sofort von der, um ein Vielfaches höheren Luftfeuchtigkeit wieder ausgemerzt. Das Atmen fiel schwerer, der Schweiß floss in Strömen. Sein Tempo musste er aber beibehalten, wollte er das Nachtlager am Waldrand aufschlagen. Alle Sinne angespannt, bahnte er sich seinen Weg durch Dickicht, Lichtungen und Unterholz. Ein paar mal traf er auf tierische Bewohner. Meistens Pflanzenfresser, denen er leicht ausweichen konnte. Für die gefährlichen Räuber war es noch zu früh. An einer kleinen Quelle konnte er sich kurz frisch machen. Die wie Dächer wirkenden Baumkronen ließen die Dämmerung zeitiger beginnen. Es hieß, sich zu beeilen. Seine Füße wurden immer schwerer, die Kraftreserven waren fast ausgeschöpft, als das Dickicht sich vor ihm teilte und die Sicht auf die, sich in Abenddämmerung hüllende kahle Steppe frei gab. In etwa einem Kilometer Entfernung gab es einige Felsgruppen, die für ein Nachtlager ausreichend Schutz boten. Erleichterung war in sein Gesicht geschrieben, als er diese erreichte. Die Nächte waren immer sehr kühl. Wolken, oder gar eine geschlossene Wolkendecke gab es in diesen Breiten nur etwa alle zwei Wochen. Dieses Phänomen brachte dann starke Gewitter und enorme Blitze mit sich; aber keinen Regen.

In fünf Tagen war es nach seiner Rechnung wieder soweit.

Damit er sich nicht verkühlte, war es also notwendig, Zelt und Schlafsack einsatzbereit zu machen. Dies tat er nur noch mit automatischen Handgriffen. Er sank in den Schlaf, wie man eine Taschenlampe ausschaltet.

Sichtlich erholt schaute er in den nächsten Morgen. Um ihn herum war nichts passiert. Die Dunkelheit hatte keine Besucher beschert. Mit einer, den Umständen entsprechenden Morgentoilette machte er sich frisch, packte seine Ausrüstung zusammen, und machte sich weiter auf den Weg Richtung Sonnenaufgang. Der Marsch verlief wie der gestrige. Ohne etwas aufzusammeln wurde das Gepäck schwerer, ohne zu trinken schwitzte er mehr. Die Stunden und Kilometer zogen sich hin. Der Boden unter ihm wurde sandiger. Dies bedeutete, dass das letzte Drittel des Weges vor ihm lag. Sein Schiff ging in den Ausläufern einer Wüste herunter, die sich schier endlos entgegengesetzt der dichten Wälder zu erstrecken schien. Dorthin war er noch nicht vorgedrungen. Sein Lebenswille war zur Zeit noch zu stark und seine Ausrüstung zu schwach. Wie auch immer. War man allein, musste man Prioritäten setzen.

Oh Mann, ALLEIN! hallte es durch seinen Kopf. Des öfteren brach das, was er zu verdrängen suchte, wieder ins Bewusstsein. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er viel dafür gegeben, einmal seine Ruhe zu haben, auszuspannen, weit weg vom ganzen Trubel. Wie ein erfüllter Wunsch zur Qual wird, erfährt man hoffentlich nicht zwei mal im Leben. Manchmal meldete sich der Philosoph in ihm; war zum Glück kein Studierter! So waren seine Gedankengespräche wenigstens ab und zu komisch.

Zu dem Ziehen und Stechen in seinen Muskeln gesellte sich noch etwas anderes. Eigentlich war es schon seit dem Morgen da, machte sich aber jetzt mit großem Rumoren bemerkbar. Vom Unterleib begann sich ein hohler Schmerz durch seinen Körper zu beißen. Hohl traf die Sache genau. Es war sein Magen, der sich mit unbändiger Gier meldete. Seit anderthalb Tagen hatte er nichts mehr zu sich genommen. Dabei schleppte er das Fleisch mit sich herum. Gestern war er zu müde, am Morgen zu begierig darauf "nach Hause" zu gelangen, um sich eine Mahlzeit zu zubereiten. Eine weitere Möglichkeit, seinen Körper zu martern, dachte er. Und das schien ihm zeitweise Spaß zu machen. Er konnte förmlich spüren, wie seine eh’ schon spärlich verteilten Fettzellen den Kampf gegen ihre Umsetzung in Energie nach und nach verloren. Es gab eine Zeit, da hätte er sich nach derartigen Aktivitäten seines Körpers gesehnt. Aus dem Damaligen hier und da etwas zu viel, war mittlerweile eindeutig rundherum zu wenig geworden. Ja, er würde seinem Korpus geben, was dieser verlangte, aber erst am Ziel seines Rückweges.

Und so ging er weiter durch die Hitze, welche die Luft zum Schwirren brachte, vorbei an verdorrten Hügeln, die keinen Schatten spendeten, die kleinen Staubwolken ignorierend, die sich hinter seinen Schuhen erhoben und zwecks mangelnden Windes gleich wieder legten.

Das Schiff war aus der Entfernung gar nicht als solches zu erkennen. Es fiel nur auf, dass sich da etwas aus dem Sand erhob, was gar nicht so recht zur unberührten Natur ringsum gehörte. Das metallische Blitzen im Licht der untergehenden Sonne unterstrich diesen Eindruck. Einige glatte Flächen am oberen Teil warfen das Licht so stark zurück, dass man nicht direkt hinsehen konnte. Das Schiff stand nicht auf dem Boden wie nach einer korrekten Landung. Vom Bug war nichts zu sehen. Der steckte im Sand. Etwa zweihundert Meter hinter dem Schiff begann eine breite Furche, deren Sohle ca. vier Meter tief unter der Antriebssektion verschwand. Der Aufprall war ziemlich hart und hatte am Rumpf der Fähre fast nichts ganz gelassen. Die Außenhaut, bestehend aus unzähligen sechseckigen, wie poliert wirkenden Waben, war ebenfalls stark beschädigt. Sie fehlten teilweise und gaben den Blick auf eine geriffelte, braune Fläche frei. Aus der Mitte des zweiten Drittels des Rumpfes ragten die Tragflächen heraus. Ihre vorderen Rundungen berührten den Wüstenboden. Von dort beginnend, erhob sich ein großer Wall aus Sand um den Bug. Es hatte den Anschein, als wolle ein riesiges, metallisches Insekt in seinem Erdloch verschwinden. Die Tatsache, für diese sehr unsanfte Landung den doch relativ weichen Boden gefunden zu haben, rettete dem Mann das Leben. Ein Eingang in das Schiff war auf den ersten Blick nicht zu sehen. Auf der rechten Seite, knapp einen Meter hinter dem Punkt an dem die Tragfläche am Rumpf endete, war eine frei geschaufelte Fläche zu sehen. Es mutete wie der Zugang zu einer Tiefgarage an. Um sich aus seinem stählernen Gefängnis zu befreien, musste er die Notluke von innen heraus frei graben. Da sie sich zwei Meter unter dem Sand befand, rutschte eine Menge beim Öffnen hinein. Zwei Laborräume hatte er opfern müssen, um Herr über den Dreck zu werden. Den nicht geringen Rest konnte er nach draußen schaufeln. Die Hauptschleuse am Bug der Fähre glänzte nur noch mit ihrem Namen. Sie stak knapp fünf Meter unter der Oberfläche und ihr Mechanismus funktionierte auch nicht mehr. Aber das war so ziemlich das geringste Problem, was vor, während und nach seinem Absturz ihm die Langeweile auf drastische Art verkürzte.

Sein Schatten erreichte das Schiff etliche Meter vor ihm. Er kroch lautlos über den Sand und erklomm mühelos die Außenhaut der Fähre. Wenn nur der zugehörige Körper so schwere- und teilnahmslos seine Wanderungen hinter sich bringen könnte, dachte er. Mit den letzten Schritten stieg seine Erschöpfung ins Unermessliche. Alles, was sich in seinem Leib melden konnte, machte von diesem Recht jetzt übermäßig Gebrauch. Als er den geneigten Zugang zur Notluke erreichte, wäre er fast gestolpert. Oh Mann, ging es ihm durch den Kopf. Nicht nur, dass ich immer aufs Neue den Wettkampf der Masochisten zu gewinnen versuche, ich bezeichne das hier schon als Heim! Kurz vor der Luke holte er einen runden Gegenstand aus der Tasche, drückte ihn links neben der Tür in eine passende Vertiefung mit zwei Kerben und drehte ihn. Mit einem saugenden Geräusch rutschte die Luke etwa zehn Zentimeter nach innen und verschwand nach rechts in die Außenhaut. Eigentlich funktionierte noch recht viel. Er wusste nicht, ob er es erleichternd zur Kenntnis nehmen sollte, oder eher beunruhigend. Das Licht ging an in der Schleuse, als er diese betrat. Diffus, neutral, oder besser steril erleuchtete es den kleinen Raum. Seine knappe Ausrüstung ließ er einfach auf den Boden fallen, während sich das äußere Schott schloss. Normalerweise füllte die nächste Minute die Dekontaminierung, doch die hatte sich verabschiedet, genau wie der Öffnungsmechanismus der Hauptschleuse , die externen Sensoren, die Sauerstoffversorgung, diverse Energieleitungen und anderes unwichtiges Zeugs in der Fähre.

Endlich öffnete sich die innere Tür. Bedürfnisbefriedigung!. Etwas musste raus aus seinem Körper und ein bisschen mehr hinein. Und dann war da noch seine nicht geringe Müdigkeit.

"Guten Abend Allen. Ich erwartete deine Rückkehr erst in vier Tagen. Was ist passiert?"

Die weibliche Stimme ertönte sanft, beruhigend, aber trotz hervorragender menschlicher Intonation emotionslos. Warum nur haben die Computer eine Frauenstimme? Dieser Gedanke wird wohl ewig auf eine Erklärung warten dürfen. "Jetzt nicht." Wie zur Bestätigung seiner Worte winkte er müde ab. "Du kannst dir später meine Logbucheintragungen ansehen." "In Ordnung," gab sich die Stimme mit stoischer Ruhe zufrieden.

Nicht mal streiten könnte man sich mit ihr...äh ihm. Ein müdes Schmunzeln entlockte ihm dieser Gedanke, aber es war wohl eher Resignation, als echte Erheiterung. Er schritt durch die Gänge, an deren Wänden öfter die Verschalungen fehlten. Teils als Folge des Aufpralles, teils wegen Reparaturmaßnahmen, die mitunter stümperhaft oder in großer Hektik ausgeführt schienen.

Er erledigte, was er erledigen musste. Zuerst freute sich sein Darmtrakt, dann sein Magen. Wie er seine Kabine fand, konnte er später nur noch durch Routine erklären. Allens Schlaf war unruhig, zu viele Träume rasten durch sein Unterbewusstsein.

 

2

"Die letzten sieben Monate haben sich durchaus gelohnt. Wir liegen nicht schlecht im Zeitplan." Norton drehte sich zu seinen Einsatzleitern um . Das Panoramafenster, jetzt in seinem Rücken, bot einen phantastischen Ausblick. Etwa drei Kilometer vor dem Raumschiff schwebte das, was momentan als Quintessenz menschlicher Schöpfung angesehen wurde: die zweite Subraumstation, die ein gezieltes Arbeiten der ersten endlich ermöglichte. Reisen durch den Raum, unabhängig von der Entfernung fast ohne Zeitverlust, einfach gigantisch. Einziger Nachteil: wollte man seinen Zielort 100prozentig erreichen, waren zwei Stationen erforderlich. Wie eine überdimensionale Zuckertüte, der man großzügig das Ende abgeschnitten hatte, lag sie im All. Zwei Kilometer lang, der Eingang achthundert Meter, das Ende hundert Meter im Durchmesser. Wie ein aufgeschreckter Schwarm Hornissen flogen kleine Shuttles scheinbar ziellos um und in die Station. Die Arbeiten liefen auf Hochtouren. Hier, ca. 800 Lichtjahre von der Erde entfernt, wollte jeder nur noch fertig werden. Anders würde es auch keine Ablösung geben, geschweige denn ein Wiedersehen mit Mutter Erde.

"Wann können wir den ersten Probelauf durchführen?" Nortons Augenbrauen zogen sich erwartungsvoll nach oben. Kurze Stille machte sich breit.

Die Gesichter der Anwesenden waren vom Stress der letzten Wochen gezeichnet. Nur einer der sechs Männer, er lehnte anscheinend teilnahmslos in einer Ecke des Konferenzraumes, schien ausgeruht und von aller Hektik verschont. Er betrachtete seine Handflächen und schnipste manchmal an seinen Fingernägeln herum. Doch unter der legeren Körperhaltung atmete die Wachsamkeit. Ab und zu huschte sein Blick hellwach durch die Runde. Er war einer der Typen, die man einfach übersehen, vor denen man aber schlecht etwas verbergen konnte.

Tom Morgan, Chef der Flugeinsatzplanung, räusperte sich. "Wenn wir unsere Pilotencrew weiterhin so stressen, schaffen wir den Abschluss der Außenarbeiten in zwei Tagen. Die momentane Schichteinteilung lässt meine Leute schon auf dem Zahnfleisch kriechen. Und wir alle wissen, was ein kleiner Fehler bedeuten kann." Ein leiser Ton von Gereiztheit schwang in seiner Aussage mit. Die Blicke seiner Kollegen zeigten verhaltene Zustimmung. In letzter Zeit musste während oder auch nach der Arbeit immer öfter jemand als Blitzableiter herhalten, und das nicht nur in der Chefetage. Dem Projektleiter gegenüber konnte dies aber einer Selbstverstümmelung gleichkommen.

"Das gilt für jeden einzelnen!" entgegnete Norton scharf und wischte damit den unterschwelligen Einwand vom Tisch. "Was ist mit dem Innenausbau?"

"Die aufgetretenen Fehler in den Reaktorräumen konnten wir beheben, kostete uns aber dreißig Stunden. Probleme gibt es nur noch mit einzelnen Energieleitungen. Aber Harrys Truppe arbeitet ebenfalls hart daran."

Der kleine, untersetzte Mann mit den nervösen Händen, er konnte sich nicht entscheiden mit welcher er seinen Stift halten sollte, reagierte prompt:" In sechzig Stunden wird die letzte Leitung einwandfrei stehen." Er wollte vermeiden, dass Norton ihn eventuell etwas ungehalten zum Rapport auffordern würde.

"Und darauf sind wir letztlich angewiesen," warf John Carney ein, Leiter der Computerabteilungen. "Alle Programmierungen sind abgeschlossen, einige Subroutinen werden noch erstellt. Die endgültige Computerdiagnose hängt von Harry ab."

"Meine Leute können auch nur 24 Stunden am Tag arbeiten. Und danke für den schwarzen Peter," nuschelte der Erwähnte mit einem leicht gekränkten Seitenblick zu Carney.

"Wenn überhaupt, dann wird der von mir verteilt," grinste Norton in die Runde. "Ich fasse zusammen: in 72 Stunden sind wir für den ersten Probelauf gerüstet. Genug Zeit für die einzelnen Teams. Holen sie sich untereinander alle Unterstützung die sie brauchen. Also an die Arbeit!" Nach einer kurzen Pause:" Stinger, sie bleiben noch." Gemeint war der Mann in seiner einsamen Ecke. Auch jetzt änderte sich nichts in seinem Ausdruck. Er wartete gelassen, bis seine fünf Kollegen, er selbst hätte sie sicher nicht so genannt, leise miteinander redend den Konferenzraum verlassen hatten. Norton holte tief Luft, während Stinger gemächlich auf den Tisch zuschritt und sich in einem der Sessel ihm gegenüber nieder ließ.

"Wie steht es mit unserer Sicherheit?" eröffnete Norton den Dialog. "Hat sich irgend etwas geändert?"

"Von Außen brauchen wir nicht mit Problemen zu rechnen." Es war die Betonung des Außen, welche das Aber förmlich spürbar in den Raum drängte. "Wir befinden uns hier am Rand eines Sonnensystems, welches unsere Langstreckensensoren als fast keimfrei bezeichnen, bis auf zwei Planeten mit dünner Vegetation. Die Meteoritenschilde um die Station arbeiten korrekt. Und unsere Raumsonden außerhalb des Systems sind schon froh, wenn sie die Hintergrundstrahlung registrieren." Stinger sprach fast teilnahmslos, etwas, das Norton immer leicht zum Frösteln brachte. "Diese beiden Planeten sind einer der Hauptgründe für das Projekt..."

"Zweck oder Nutzen interessieren mich wenig," schnitt Stinger Nortons Satz ab. "Priorität hat der reibungslose Ablauf, das Ausschließen menschlicher ... oder auch nichtmenschlicher Störfaktoren."

"Letzteres können wir ja laut ihrer Analyse vernachlässigen," entgegnete Norton leicht gereizt. "Aber gibt es Indizien oder Beweise für ihre erste Anspielung?"

"Wenn man bedenkt, dass es gewisse Gruppierungen auf der Erde gibt, denen der technologische Vorsprung von NEOTECH ein Dorn im Auge ist, sind Sabotageversuche dieses Projektes so wahrscheinlich, wie der Austausch von Körperflüssigkeiten zweier Liebenden."

Der Anflug eines Lächelns verschwand sofort von Nortons Lippen, als er seinem Gegenüber ins ausdrucklose Gesicht sah. "Paranoia ist nicht zufällig ein Steckenpferd von ihnen?" murmelte er. Danach etwas lauter:" Sämtliche 2600 Angestellte und Mitarbeiter sind vor unserem Aufbruch auf Herz und Nieren geprüft worden. 200 ihrer Männer arbeiten teilweise verdeckt in jeder Abteilung. Unsere Arbeit liegt selbst mit kleineren Problemen im Zeitrahmen. Ich weis beim besten Willen nicht, welche dunklen Visionen sie heraufbeschwören wollen."

"Vertrauen öffnet Türen. Auch denen, die es missbrauchen wollen!" zischte Stinger. "Genau die von ihnen angesprochenen kleineren Probleme sind es, die mich beunruhigen..."

"Störungen oder Rückschläge wird es immer geben..." "Mag sein," holte Stinger sich den Faden zurück. "Aber wenn sie anscheinend einem Muster folgend sich durch alle Abteilungen ziehen, entsteht ein großes Fragezeichen! Meine Leute konnten niemanden herausfiltern, keine Gruppierung erkennen, die dafür verantwortlich zeichnet. Es drängt sich aber der Gedanke auf, dass alle Zwischenfälle bis jetzt nur Probeläufe waren, dass der große Coup erst noch gelandet wird. Und was bietet sich dazu besser an, als der erste Probelauf der Station?"

Stille erfüllte den Konferenzraum. Norton stützte seinen Kopf auf die Hände und massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Der südlichen Allianz könnte nichts besseres passieren, wenn wir hier versagen. Ein zweiter Anlauf wäre nur mit deren Hilfe möglich. Und dann kämen sie, die Bedingungen, die uns in die Abhängigkeit treiben würden...Scheiße! Es schien unmöglich für ihn, diese Gedanken fortzusetzen. Doch Stinger Auslegungen der Dinge ließ sich nicht so einfach vom Tisch fegen. Zumal er schon seit drei Monaten immer wieder Andeutungen in diese Richtung machte. Norton hob den Kopf, und es schien, als hätte er ein mehrfaches seines ursprünglichen Gewichtes zu bewältigen. "Was also sollen wir ihrer Meinung nach tun, den Countdown verschieben?" Stinger sog tief Luft ein und rutschte mit den Unterarmen auf dem Tisch näher zu Norton. "Ich bin sicher, es kommt auf zwei Tage hin oder her nicht an!" Sein Unterton ließ gar keinen Widerspruch zu. "Die Arbeitsbereiche aller Männer in jeder Sektion müssen noch mehr eingegrenzt werden. Das erhöht die Überwachungsmöglichkeiten! Und die Endmontage der letzten Schicht wird von den anderen drei Schichten wiederholt. Sollte ich in den nächsten 72 Stunden keine konkreten Beweise für Konspiration vorweisen können, sehe ich keine anderen Möglichkeiten, um sicher zu gehen."

"Durch diese Maßnahmen wird aber auch das Misstrauen untereinander geschürt."

"Und genau dies werden wir für uns nutzen. Jeder, der hier draußen hart und loyal gearbeitet hat, wird seinen Einsatz nicht so einfach vor die Hunde gehen lassen wollen." Stinger lehnte sich entspannt in den Sessel zurück. Es war offensichtlich, er gefiel sich in der Rolle des Manipulators. So lange die Fäden in seinen Händen zusammen liefen, er die Menschen wie an Zügeln führen konnte, war die Welt für ihn in Ordnung.

"Einverstanden," sagte Norton tonlos. "Ich werde die entsprechenden Maßnahmen einleiten. Mögen wir das Richtige tun."

Stinger drehte seinen Sitz, stand auf und schritt auf die Tür zu. Kurz bevor diese sich öffnete, drehte er sich um. "Ach ja. Ich würde die private Überwachung auch auf die Quartiere ausdehnen."

Norton stand steif hinter seinem Tisch. An seinem Rücken hätte man Wasserwaagen eichen können. "Waren wir uns nicht einig, dass das die letzte Konsequenz bleibt?" "Ja. Und ich finde sie nun gerechtfertigt. Es ist ihre Entscheidung. Sie wissen, wo sie mich finden." Ohne eine weitere Reaktion schritt Stinger durch die Tür, und ließ Norton mit mehr als gemischten Gefühlen zurück.

"Jetzt ist die dritte Überprüfungsschicht an der Reihe. Nur gut, dass für mich auch endlich Feierabend ist. Nach meinen Informationen soll die letzte Bauphase nur noch ein mal durchexerziert werden. Die Leute von der Sicherheit benehmen sich skurriler denn je. Na ja, mit etwas Glück können wir beide in 48 Stunden von zu Hause zum Urlaubsziel unserer Wahl aufbrechen." Ines langte mit ihren Händen über den Tisch, und streichelte zärtlich ihrem Gegenüber die Wangen. Allen sah mit einem Lächeln auf und griff nach ihren Fingern.

"Glück sollte dabei eine untergeordnete Rolle spielen," entgegnete er. "Und verschwende keine Gedanken an die unter Verfolgungswahn leidende Security. Wenn mich nicht alles täuscht, wissen die in den letzten Tagen sogar über die Konsistenz unseres Stuhls Bescheid." Um seine Aussage zu unterstreichen, ließ er seine Augen spöttisch von einer Ecke in die andere der Messe gleiten. Bei dieser Vorstellung verzog Ines angewidert die Mundwinkel. "Jetzt weis ich, was es bedeuten kann, seine Nase in die Angelegenheiten Anderer zu stecken." Sie schauten sich kurz an, dann lachten sie gleichzeitig los. "Komm. Lass uns unsere gemeinsame Zeit nicht verplempern. In zwölf Stunden nimmt die Subraumstation ihre Arbeit auf, und das Versuchsschiff wird zur Erde geschickt. Ich bin mit einem der großen Forschungsfähren vor Ort und mache Aufzeichnungen."

Allen umfasste Ines Hände fester, und zog sie aus ihrem Sitz. Danach legte er ihr den Arm um die Taille, und flüsterte nahe am Ohr: "Ich hab` noch eine kleine Überraschung." Ines lehnte den Kopf an seine Schulter. Fest umschlungen verließen sie die Messe. Auf dem Panoramadeck blieben sie kurz stehen, und ließen das pompöse Bild auf sich wirken: die Subraumstation, die nur noch von einzelnen Shuttles umflogen wurde, und die drei majestätisch wirkenden Raumkreuzer (sie beherbergten Planung, Materiallager, Vormontage ...)welche im Abstand von ca. zehn Kilometern neben der Station zu schweben schienen.

Allen führte Ines ein Deck tiefer und grinste nur verschmitzt, wenn diese etwas mehr von der Überraschung aus ihm heraus kitzeln wollte. Plötzlich hielt er an und drehte Ines zu einer Tür. Sofort wurde ihr Gesicht missmutig. "Och, du willst mich doch nicht zu einem deiner sinnlosen virtuellen Spielchen einladen?" Sie ließ ihn los und ihre Schultern hängen.

"Keine falschen Schlüsse," sagte Allen und schob sie mit sanfter Bestimmtheit in den kleinen Raum. Mit einem Schmollmund und großen, fragenden Augen setzte sie sich in einen der beiden Stühle. Er reichte ihr die Kopfhaube für die virtuelle Realität, kramte eine CD heraus, und machte sich ebenfalls fertig. Ines fügte sich in ihr Schicksal und lehnte sich entspannt zurück. Dafür habe ich was gut, dachte sie.

Als das Programm begann, wurden die Beiden von tiefer Schwärze eingehüllt. Sie schien die Schwerkraft aufzuheben. In unendlicher Ferne begann zaghaft das Licht einzelner Sterne zu leuchten. Die Sonnen manifestierten sich, wurden größer und zahlreicher. Ines hatte das Gefühl, als würde sie frei und ungehindert durch das All schweben. Dann begann Musik von irgendwoher zu erklingen. Es hatte den Anschein, als käme sie aus ihr selbst, schwoll an und trug sie fort. Die Töne reihten sich zu Themen, die sich in ihrer Gegensätzlichkeit erst zu ergänzen schienen. Klagend und sehnsüchtig erweckten sie Gefühle der Einsamkeit. Dabei durchstreiften sie das Universum auf der Suche nach Erfüllung. Sterne, Systeme und ganze Galaxien rasten vorbei. Ein weiteres Thema führte sich ein. Freude und Glücksgefühl über das Erreichte, die unendliche Freiheit. Nichts schien unbekannt oder Grenzen zu zeigen. Die Musik steigerte sich, beherrschte alles ringsum, fiel urplötzlich im Tempo, begann sich wieder auf zu raffen. Sterne erloschen - neue wurden geboren. Der ständige Zyklus des Lebens wallte vor ihren Augen. Über allem erhaben, alles umschließend, flogen Ines und Allen durchs All. Die Melodien peitschten die Empfindungen, berührten alle Gefühlsnuancen. Dann begannen sich die Wogen zu glätten. Der Flug wurde langsamer. Zufriedenheit breitete sich aus, nur überschattet durch das Thema der Einsamkeit. Die Ruhe täuschte, der Höhepunkt bahnte sich an. In der Vision schälte sich ein Stern heraus. Auf ihn eilte nun alles zu. Aus dem Hintergrund erklangen silberhelle Töne, langsam die Gewalt an sich reißend. Der Flug schwenkte vom Stern auf einen Planeten, dem augenscheinlichen Ziel dieser virtuellen Reise. Die Musik gewann an Zuversicht. Beschwingter, aufreizender wurde sie. Dann war es soweit, sie tauchten in die weiße Wolkenschicht. Das Konzert der Töne setzte aus. Aber nur, um erneut in wahren Kaskaden gefühlsbetonter Dynamik loszubrechen, als die Sicht auf die Oberfläche des Planeten frei war. Schönste Landschaftsbilder fügten sich nahtlos in die Klangwelt. Die Einsamkeit war verdrängt, besiegt für immer. Die Erde erfüllte alles Verlangen, tilgte die Sehnsucht, erquickte die Seele. In einem letzten Akkord der Wärme und Zuversicht verblasste das Bild, war die Traumreise zum Heimatplaneten zu Ende.

Allen befreite sich von der Haube und sah zu Ines, die bewegungslos in ihrem Sitz verharrte. Er stupste sie vorsichtig mit zwei Fingern an und flüsterte verhalten: "He...du..."

Ines zog sich die Haube vom Kopf und er sah Tränen auf ihren Wangen. "Das war einfach wundervoll," schluchzte sie. Sie stand auf und setzte sich auf seinen Schoß. "Wann hast du..." "Seit zwei Monaten bastelte ich daran." "Wie bist du..." "Auch ich habe eine romantische Ader."

Selbst als sie die Kabine verließen, wischte Ines immer noch an einzelnen Tränen herum. Ohne Worte gingen sie fest umschlungen zu Allens Quartier.

Das Testschiff wurde in Position geflogen. Etwa einen halben Kilometer vor der Subraumstation kam es zum Stillstand. Von hier an würde die Reise in die Heimatwelt vollautomatisch starten. Bis in die kleinsten Winkel vollgestopft mit Technik, welche die winzigste Nanosekunde des Fluges aufzeichnete, war das Schiff die Trumpfkarte für das Projekt. Sollte es sein Ziel erreichen, die Datenauswertung positiv ausfallen und der Rückflug ebenfalls ohne Mängel verlaufen, dann würde die erste interstellare Autobahn für den Dauerverkehr frei gegeben werden.

Allens Forschungsshuttle parkte nahe der Station, um alle Vorgänge genauestens aufzuzeichnen und zu überwachen. Sämtliche Systeme waren online, der gesamte Funkverkehr wurde abgehört. Allens Gedanken gingen kurz zum Mannschaftsschiff. Er konnte sich gut vorstellen, wie vollgepfropft die Übertragungsräume waren, und sich der Rest der nicht benötigten Crew auf den Panoramadecks drängte, um ja nichts von den entscheidenden Ereignissen zu verpassen. Der Ausgang des Versuches, wie immer er geartet sein sollte, war entscheidend für jedermanns Zukunft. Ines hatte ihm gesagt, dass sie mit ihren Gedanken bei ihm sein wird, und alles von Deck elf, in der Nähe der Andocksektion, beobachtet. Allens Lippen umspielte ein Lächeln. Er freute sich darauf, sie wieder in die Arme nehmen zu können.

"Alle Systeme des Testschiffes auf Go!" "Station erreicht Arbeitsparameter. Einzelne Sektionen schalten sich zu!" "Reaktoroutput bei 85 Prozent, konstant steigend!" Die Ansagen aus den Lautsprechern reihten sich aneinander, Checklisten wurden abgearbeitet. Allen bediente seine Geräte mit gewohnter Routine, doch die innere Spannung stieg ständig an. Nur nicht nervös werden, ging es ihm durch den Kopf.

"Reaktoroutput bei 100 Prozent und stabil. Initiieren des Startprogramms!"

Zwei Drittel der Innenseite der Subraumstation bestanden aus einzelnen Ringsegmenten. Diese begannen nun, sich langsam gegeneinander zu drehen. Unmerklich wurde ihre Bewegung schneller. "Aufbau des Energiefeldes normal," meldete eine Computerstimme. Allens Systeme bestätigten diese Aussage.

"Impulsantrieb des Testschiffes in zehn, neun, acht...."

Nicht mal einen Namen haben wir ihm gegeben. Aber dazu ist es zu spät, ging es ihm durch den Kopf.

Jetzt tat sich auch was fürs Auge. Im letzten Drittel der Station begannen blaue Blitze hin und her zu zucken. Die einzelnen Entladungen wurden immer stärker, bis plötzlich eine gigantische Energiewolke aus dem kleinen Durchmesser der Station in den Weltraum schoss. Dort manifestierte sie sich zu einem wahrlich umwerfenden Phänomen. Es sah aus, wie der bläulich weiß beleuchtete Eingang in eine unsichtbare Höhle. Und die Station war wie ein Trichter darauf gesetzt.

Das Testschiff hatte sich in Bewegung gesetzt. Mit minimaler Geschwindigkeit glitt es auf die 800 Meter-Öffnung der Station zu. Allen folgte dem Geschehen mit angehaltenem Atem. Er hatte das Gefühl, mit schieben zu müssen. Dann flog das Schiff in die Station hinein. Die Kraftfelder erzeugten einen milchigen Schein um seine Außenhülle. Es hatte den Anschein, als würde das Schiff entlang seiner Längsachse gestreckt, und insgesamt beschleunigt werden.

Der plötzliche Alarmton ließ alles Majestätische aus dem Geschehen verschwinden. Anzeigen, die in beruhigendem Grün schimmerten sprangen auf blutiges Rot. "Energieüberlastung in den Feldgeneratoren!" hallte es in Allens Ohren. "Was zum Henker... Brecht das Startprogramm ab verdammt noch mal," schrie er ohne sich bewusst zu sein, dass er nur eine Beobachterfunktion erfüllte und von niemandem gehört wurde. Die Nachrichten und Stimmen aus seinen Lautsprechern überschlugen sich. "Computer verweigern Zugang zur Kernsteuerung..." "Kontakt zum Testschiff abgebrochen." "Die Startsequenz lässt sich nicht stoppen..." Schreie und Flüche mischten sich unter die Ansagen. Allen war wie gelähmt. Sämtliche Geräusche drangen wie durch einen Nebel zu ihm.

Die Subraumstation wurde im letzten Drittel, dort wo die blauen Blitze zu konstanten Energiebündeln wurden, von mehreren kleinen Explosionen erschüttert. Die Außenhaut barst an verschiedenen Stellen und Flammen schossen ins All, die sofort durch den fehlenden Sauerstoff erloschen. Die sich drehenden Ringsegmente wurden aufeinander zu verschoben, berührten sich und rissen auf oder zerbrachen teilweise. Das Testschiff tauchte mittlerweile in die Energiebündel am Ausgang der Station ein. Doch anstatt in dem blau-weiß beleuchteten Nichts zu verschwinden, löste es sich in einer einzigen Explosion auf. Die dadurch entstandene Druckwelle gab der Station den Rest. Trümmerteile schlugen riesige Löcher, die Trichterform riss auf.

"Oh mein Gott," murmelte Allen. "Die Reaktoren..." Er brachte den Satz nicht zu Ende. Die gesamte Station erzitterte. Ein gigantischer Lichtblitz verschlang über die Hälfte von ihr.

"Achtung! Aufprall einer Druckwelle." Die Stimme seines Bordcomputers schüttelte Allens Lähmung ab. "Scheiße.." bekam er noch heraus, dann wurde er aus seinem Sitz geschleudert. ICH MUß HIER WEG, schrie es in seinem Kopf. "Computer: Autopilot. Vollen Schub aus der Gefahrenzone!" Er rappelte sich auf und schnallte sich fest in seinem Sitz an. Mit schmerzverzerrtem Gesicht starrte er auf den Großbildschirm. Die Subraumstation war nicht mehr. In alle Richtungen flogen die Trümmer, welche teilweise die Größe von Raumfrachtern hatten. Doch das Grauen war noch nicht vorbei. Schlagartig wurde Allen die Situation bewusst. Was ist mit unseren vier Raumkreuzern?

Die parkten in angemessener Entfernung, doch niemand hatte mit so einer Katastrophe und dem daraus entstehenden Trümmerfeld gerechnet. Bevor Allen seine Com-Leitungen umschalten konnte, erhellte ein weiterer Blitz das Sichtfeld im Monitor. Das Materialschiff verschwand in gleißendem Licht, aber anscheinend ohne von einem der Trümmerstücke getroffen worden zu sein. Die anderen drei Kreuzer waren in Bewegung. Zwei von ihnen flogen ziemlich dicht nebeneinander, was verheerende Folgen hatte. Ein Schiff wurde von mehreren Überresten der Station eingeholt. Die Treffer waren von unglaublicher Wucht. Der Kreuzer zerbrach wie ein Plastikspielzeug. Aus der Bahn geworfen, kollidierten die Teile mit dem Schwesterschiff. So sehr er es wollte, Allen konnte den Blick nicht von dem dramatischen Schauspiel lösen. Seine Fäuste schlugen auf das Pult vor ihm, Schmerz spürte er keinen. Er wollte schreien, aber kein Laut kam über seine Lippen. Fluchtkapseln lösten sich von den Überbleibseln der Schiffe. Allen verfolgte ihre Flugbahnen, musste hilflos mit ansehen, wie viele von ihnen an weiteren Trümmern zerschellten.

"Ines..." flüsterte er, und das Blut wich aus seinem Gesicht. Der Mannschaftskreuzer schien am Besten weg gekommen zu sein. Zumindest sah er auf die Entfernung unbeschädigt aus. "Ich muss zu ihr. Autopilot abschalten! Navigationsgitter ein!" Er versuchte das Denken auf seinen Shuttleflug zu konzentrieren. Ablenkende Gedanken durfte er sich nicht erlauben. Der kleinste Fehler war tödlich. Die Einzelteile der zerstörten Station und Raumkreuzer hatten sich zu weiten Feldern ausgedehnt. Selbst kleinere Splitter waren gefährlich durch ihre höhere Geschwindigkeit. Die Übertragungen in Allens Com-system waren spärlicher geworden. Nur über die Kanäle des Mannschaftsschiffes hetzten sich Befehle und Anweisungen. "Auf Einschlag kleiner Splitterfelder vorbereiten. Impulsantrieb auf Maximum hochfahren!" "Verflucht. Hüllenbrüche in Antriebssektionen." "Versiegelt die betroffenen Bereiche. Reißt euch gefälligst zusammen." "Mehr Schub auf die Steuerdüsen!" Prasseln und krachen und unartikulierte Schreie waren das letzte, was Allen hörte, bevor die Kommunikation zusammenbrach.

Nein, das gibt es nicht. Das ist doch nicht wahr, dachte er. Das alles kann doch nicht Folge der Explosion in der Station sein. Sabotage! Welche verdammten Arschlöcher können so gewissenlos sein? Der Frachter detonierte ohne von irgend etwas getroffen worden zu sein. Pah, Sicherheit! Da krebsen die in allen Ecken `rum, und können doch nichts verhindern. Angestrengt manövrierend flog Allen dem Mannschaftskreuzer hinterher. Hauptsache, da befindet sich nicht auch noch eine Bombe an Bord. Je näher er kam, um so deutlicher wurde, dass das große Schiff nicht unbeschädigt davon gekommen war. Kleinere Hüllenstücke fehlten und der Brückenkopf war stark beschädigt. "Deshalb wohl keine Funkverbindung. Lass es ihr gut gehen!" presste er durch die Lippen.

Was er vor hatte, war alles andere als leicht. Der Kurs des Raumkreuzers war nicht geradlinig. Die Antriebssektion schien ausgefallen zu sein, und die letzten Korrekturen führten zu einem nicht unerheblichen Schlingern. Unter diesen Bedingungen ohne Schaden anzudocken, war fast unmöglich. "Empfehle automatische Annäherung," meldete sich Allens Computer. "Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Es muss auch so klappen!"

Mit zusammengekniffenen Augen steuerte er sein Shuttle mit feinen Korrekturschüben zu einer der Schleusen im Andockbereich. Auf ein Signal hin kam ihm der Koppelarm entgegen, erfasste das kleine Schiff und zog es an die äußere Schleusenkammer. Mehrere Erschütterungen beendeten den Vorgang. "Na bitte, wenigstens etwas klappt noch," murmelte Allen. In Windeseile entledigte er sich seines Gurtes und sprintete ein Deck tiefer zum Ausgang. Die wenigen Augenblicke, die die Technik benötigte, ehe sie ihn an Bord des Kreuzers ließ, dehnten sich für Allen unendlich. Nervös trommelte er mit den Fingern gegen die Wand. Endlich! Die innere Tür öffnete sich. Hektik und Panik schlugen ihm entgegen. Geschrei mischte sich mit monotonen Computeransagen, die wenig dazu beitrug, die Menschen zu beruhigen. Einige saßen zusammengekauert an den Wänden des Ganges, völlig apathisch, andere rannten mit Entsetzen auf den Gesichtern durch die Flure. Er griff nach einem der Vorbeistolpernden. "Peer," rief Allen und riss den Mann zu sich herum. Dieser starrte ihn mit Furcht in den Augen an. "Wo..Wo kommst du denn her..," stammelte er. "Keine Zeit für lange Erklärungen. Du musst mir helfen Ines zu finden!" Allen schüttelte sein Gegenüber, um dessen Denken wieder in ordentliche Bahnen zu lenken. "Schon gut, schon gut," nuschelte Peer und hob leicht abwehrend die Hände.

"Aus dem Weg!" wurde plötzlich hinter den Beiden geschrieen. Zwei Männer kamen mit Waffen in den Händen den Gang entlang gerannt. Dann ertönten mehrere zischende Geräusche. Geistesgegenwärtig zerrte Peer Allen zu Boden. Und das keine Sekunde zu früh! Neben und über ihnen schlugen Energieentladungen an den Wänden ein, Täfelungen wurden zerrissen. "Stehen bleiben!" riefen einige Stimmen. Sie gehörten zu einem Trupp Sicherheitsleute, die die Verfolgung der zwei Flüchtigen aufgenommen hatten. "Himmel, Arsch und Zwirn, hier sind jede Menge Unschuldige!" schrie Allen, doch ihm wurde keinerlei Beachtung geschenkt. "Chaos!" fasste er resigniert aber völlig zutreffend das Geschehen zusammen.

"Lebenserhaltungssysteme im kritischen Bereich. Hauptenergieleitungen überlastet. Empfehle Evakuierung des Schiffes." Emotionslos leierte der Computer seine Ansagen herunter. Doch das brachte Allen wieder auf Trab. "Hör zu! Du sicherst diese Schleuse mit deinem Leben. Ich finde Ines und komme mit ihr hierher zurück. Und dann sehen wir zu, dass wir hier mit unserem Hintern weg kommen. Hast du mich verstanden?" Mit einem durchdringenden Blick schaute er Peer in die Augen. Wortlos nickte dieser. "Ich werd’ mich wohl darauf verlassen müssen."

Allen sprang auf die Beine und rannte den Gang in die Richtung, die auch die Leute von der Sicherheit genommen hatten. Inzwischen war der Schleusenbereich fast menschenleer. Hoffentlich ist sie noch bei den Panoramafenstern, dachte er. Ansonsten würden seine Chancen sie zu finden sehr gering sein, das wusste er. Aber eines stand fest: ohne Ines wird dieses Schiff nicht verlassen. Er rannte drei Sektionen weiter; das infernalische Durcheinander um ihn herum nahm er wie in Trance wahr. Seit Explosion der Subraumstation waren erst unglaubliche vierzehn Minuten vergangen, die Allen wie eben so viele Leben vorkamen. Gerade als er das Sektionsschott zu den Panoramaringen erreichte, geschah das kleine Wunder. Die Tür öffnete sich und Ines stürzte ihm entgegen. Allens Körper verkrampfte sich, sein Herz schlug schneller und fester vor Freude und Überraschung.

"Gott sei Dank, du lebst und bist hier," brachte sie unter Tränen und Schluchzen heraus. "Ich kann nicht glauben, was da mit uns passiert ist. Ich dachte schon, dass ich dich nie wieder festhalten könnte." Sie warfen sich in die Arme und drückten sich innig. Vibrationen im Boden brachten die Beiden wieder in die Realität zurück. "Energieausfall. Feuer in den Decks neun bis zwölf!" "Das betrifft auch unseren Standort! Los, ich habe ein Shuttle, mit dem wir hier verschwinden können." Allen packte Ines am Arm und zog sie hinter sich her. "Und wohin willst du?" flüsterte sie mit leicht panischen Augen in einem blassen Gesicht. "Erst mal unser Leben retten. Der Rest wird sich schon finden." Allen sagte dies mehr zu sich selbst, aber genauer wollte er darüber noch gar nicht nachdenken. Sie erreichten die Gabelung zu den Andockschleusen, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.

"Geben sie den verdammten Zugang zu dem Schiff frei," hörte er eine schneidende, befehlsgewohnte Stimme sagen. Allen spähte um die Ecke und sah Peer mit einem Mann ringen. "Warum rennen sie nicht zu den Gleitern und Fluchtkapseln ein Deck tiefer?" keuchte Peer. "Dir bin ich keine Erklärung schuldig," presste der andere zwischen den Zähnen heraus. Allen stockte der Atem. Es war Stinger, der Peer dort in der Mangel hatte. Im Handumdrehen hatte Stinger seinem Kontrahenten zwei straffe Schläge verpasst, dass dieser nach Luft ringend vor der Schleuse zusammen brach. Eine Sekunde später zielte Stinger mit einer Waffe auf Peer. In diesem Moment wurde das Schiff stark erschüttert. Die Ursache schien ein Deck tiefer zu liegen. Stinger strauchelte einen Moment lang. Allen nutzte das geistesgegenwärtig, schoss um die Ecke und warf sich in vollem Lauf auf den Mann mit der Waffe. Der Zusammenstoß war heftig und beide krachten auf den Boden. Eine zweite Erschütterung ging durch den Kreuzer. Stinger wurde die Waffe aus der Hand geschleudert. "Peer, schnell! Mach den Zugang zum Shuttle frei!" schrie Allen, während eine Faust von Stinger ihn am Kinn traf. "Arschloch!" stöhnte er und prügelte wie von Sinnen auf den Chef der Sicherheit ein. Besonders sympathisch war der ihm sowieso nicht gewesen. Er hatte auch keine Zeit darüber nachzudenken, warum Stinger sich mit Waffengewalt unbedingt dieses Shuttle hatte schnappen wollen. Noch dazu allein, ohne ein paar von seinen Männern.

Die Schleuse öffnete sich. "Ines, jetzt!" rief er und riss sich von Stinger los, um selbst in die Kammer zu torkeln. Doch Stinger war schnell. Er schnappte sich die Waffe und feuerte mehrmals ungezielt in die Schleusenkammer. Peer schrie auf, Staunen und Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht, als er sich an die linke Schulter griff. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, dann sackte er zusammen. Während sich die innere Tür schloss, erbebte der Raumkreuzer ein drittes Mal. Sie wurden alle durcheinander geschleudert. Ines landete unglücklich mit dem Hinterkopf auf der Ecke eines Schaltpultes und blieb bewegungslos liegen. Allen stöhnte vor Wut, Entsetzen und Schmerzen. Inzwischen war der Zugang zum Shuttle frei. "Wir werden hier nicht `draufgehen," murmelte er und rüttelte an den beiden am Boden Liegenden. Sie waren bewusstlos. Allen schnappte sich erst Ines und brachte sie an Bord seines Schiffes. Dann schleifte er Peer hinein und verriegelte die Schleuse. Er hatte keine Zeit, mehr für die Verletzten zu tun, zumindest noch nicht. Unverzüglich rannte er hinauf zur Brücke, um endlich von dem Mannschaftsschiff weg zu kommen. "Koppelarm und Halteklammern lösen. Autopilot mit maximalem Impuls. Kursberechnung zum vierten Planeten des Systems!" Dies erschien ihm unter den gegebenen Umständen das vernünftigste Ziel ihrer Flucht zu sein. Ein leichtes Ruckeln deutete an, dass das Shuttle frei war. Die Triebwerke zündeten und brachten es auf die berechnete Flugbahn. Jetzt konnte sich Allen um die Verletzten kümmern. Mit nicht geringer Anstrengung brachte er sie in das kleine medizinische Labor. Nur gut, dass ich dieses Forschungsschiff habe und es nicht schlecht ausgestattet ist, dachte er.

Peer war nicht tot, der Schuss hatte seine Schulter durchschlagen. Nach ein paar Minuten konnte er die Blutung stoppen. Doch er hatte viel Blut verloren, seine Körperfunktionen waren sehr schwach. Ines hatte keine äußeren Verletzungen. Gehirnerschütterung, lautete Allens Diagnose. Sie lag im Koma. Damit den Beiden während des Fluges nichts passieren sollte, hatte er sie mit den vorhandenen Schnallen auf den Betten fixiert. Dann stand er noch eine Weile bei Ines, hielt ihre Hand und streichelte sanft ihre Wange. Seine Augen waren feucht. Es wird alles gut, dachte er voller Inbrunst. Schweren Herzens begab er sich zurück zur Brücke.

Da die Hektik der vergangenen halben Stunde nun langsam abebbte, begannen Allens Gedanken das Geschehene zu verarbeiten. Aber das Begreifen befand sich wahrscheinlich am anderen Ende der Galaxis. Drei Raumkreuzer und die Station vernichtet, der vierte Kreuzer mehr als nur reif für´s Trockendock, mindestens 1500 Tote. Nachdenklich begann er auf seinem Sichtschirm zu suchen. "Wo zum Teufel sind eigentlich die Landungsgleiter und Rettungsshuttles des Kreuzers? Es sollte doch evakuiert werden," murmelte er vor sich hin. Die Explosionen an Bord. Sie kamen von den Startdecks. Die waren auch manipuliert verdammt. Das war kein Drei- oder Vier-Mann-Job. Wir sind gründlich unterwandert worden. Und da war noch die Person Stingers, um die seine Gedanken kreisten wie Planeten um die Sonne.

Er betrachtete das letzte Überbleibsel des stolzen Projektes auf seinem Schirm. Antriebslos driftete der Kreuzer durch den Raum, stellenweise mit aufgerissener Hülle. Dort, wo erleuchtete Fenster oder Positionslichter sein sollten, war nur Schwärze. Energieausfall. Allen konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es den Überlebenden an Bord erging. Und welche Chance auf Rettung gab es? Sie tendierte mehr gegen Null, wie die Wahrscheinlichkeit einer trockenen Stelle auf dem Meeresboden. Wut staute sich in ihm auf.

"Wie lange noch bis zum Zielgebiet?" fragte er in den Raum. "11 Stunden 37 Minuten," antwortete sein Computer mit angenehmer Frauenstimme. Zeit genug für eine oberflächliche Inventur an Bord, ging es ihm durch den Kopf. Er setzte seinen Plan in die Tat um, wenn auch mehr, um sich abzulenken und zu beschäftigen. Ab und an sah er im Med-Lab vorbei, um nach dem Zustand seiner Patienten zu schauen. Aber er bekam keine Ruhe in seinen Kopf und so setzte er sich neben Ines Bett, hielt ihren Arm... und nickte schließlich ein.

Allen schreckte auf, als er seinen Namen und leises Röcheln hörte. Peer hatte das Bewusstsein wieder erlangt. Allen stand auf und spürte einen stechenden Schmerz im Rücken. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er drei Stunden in der wenig bequemen Haltung geschlafen hatte.

"He, Peer. Du bist wach. Wie fühlst du dich?" flüsterte er.

"Den Tanz heute Abend werd’ ich wohl ausfallen lassen. Was ist denn eigentlich los hier?" Ein schwacher Husten hinderte ihn an weiteren Worten.

"Ruhig. Lass dich erst noch mal durchchecken." Allen wechselte den Verband an der Schulter und verabreichte eine Spritze. "Na ja, scheinst verdammtes Glück gehabt zu haben." Danach umriss er kurz die Ereignisse aus seiner Sicht. Peers Gesicht war weiß wie eine Kalkwand, was nur teilweise am Blutmangel lag. "Dann sitzen wir ganz schön in der Scheiße. Und wie geht es ihr?" Sein Kopf deute in die Richtung von Ines. Allens Gesicht verzog sich. "Ich bin mir nicht sicher, aber ihre Biowerte scheinen normal." "Ob wir die Erde noch verständigen konnten, bevor das Chaos perfekt war?" Peers Augen flehten förmlich um eine positive Antwort, doch Allen schüttelte nur langsam den Kopf. "Ich glaube nicht. Selbst wenn, dir ist die momentane Situation von NEOTECH bekannt. Eine Rettungsmission unter deren Bedingungen scheint ziemlich abwegig." "Die können uns doch hier nicht einfach verrecken lassen. Wozu soll dieses Scheiß-Projekt denn nützlich sein, wenn es keinen Scheiß-Plan für den absoluten Scheiß-Notfall gibt!" Peer stöhnte und griff sich an die frisch verbundene Wunde.

"Ich denke, dass da noch Karten im Spiel waren...oder sind..., die noch nicht ausgeteilt wurden," sonn Allen. Dann in einem aufmunternden Ton: "Vorhin checkte ich stundenlang unsere Ausrüstung. Ziemlich üppig für ein Robinson-Abenteuer. Wir dürften den vierten Planeten bald erreicht haben. Schien mir ein gutes Ziel für unsere Reise. Ich geh` nach oben. Hab`ein Auge auf Ines." Er zwinkerte Peer zu und verließ das Med-Lab.

Seine Einschätzung war richtig. Eine knappe halbe Stunde trennte sie noch vom Zielgebiet. "Kursberechnung für Umlaufbahn, zwei volle Runden," wies Allen an. Mal sehen, ob wir ein schönes Landegebiet finden.

Die Kugel auf dem Schirm vor ihm war der Erde nicht sehr unähnlich. Zwar überwogen bei weitem die Festlandmassen und die Vegetation schien auch nicht sehr üppig zu sein, doch der Rest erinnerte Allen schon stark an den alten Heimatklumpen.

"Achtung. Kursabweichung. Korrektur nicht möglich." Allen begriff nicht gleich, was der Computer ihm da sagte. "Steuerdüsen nicht einsatzfähig!" Die Farbe wich aus seinem Gesicht. "Das gibt es NICHT! Umschalten auf Handsteuerung, volle Schubumkehr. Berechnungen für stationäre Umlaufbahn." Allens Finger tanzten über die Steuerpulte. Beim Ablegen vom Mannschaftskreuzer muss was schief gegangen sein, schoss es ihm durch den Kopf. Aber er konnte nicht mehr viel ändern. "Stationäre Umlaufbahn nicht mehr realisierbar. Eintauchen in Atmosphäre in einer Minute. Eintrittswinkel zu steil." Die folgenden Ereignisse überschlugen sich. Das Schiff ließ sich nur über Schub und Gegenschub steuern. Die einzige Hoffnung bestand darin, in der Atmosphäre in einen passablen Sinkflug zu wechseln. Wie auch immer, es würde sehr holprig werden. Über das Com-System schaltete sich Allen ins Med-Lab. "Peer aufgepasst! Ich habe hier größere Probleme und muss Notlanden. Es wird heftig wackeln."

Und dann ging es schon los. Der Planet füllte den gesamten Sichtschirm aus. Das Schiff wurde in ständig stärker werdende Vibration versetzt. "Erhitzung im kritischen Bereich. Ausfall der externen Sensoren." Allen leistete Schwerstarbeit, das Schiff auch nur halbwegs zu stabilisieren. "Überlastung im Hauptenergiesystem." Im selben Moment war eine Explosion zu hören.

Die dann folgenden Ereignisse verschwanden im dichten Nebel von Allens Unterbewusstsein. Seine Erinnerungen waren blass und schemenhaft, glichen verschwommenen Zeitlupenaufnahmen und zusammenhanglosen Einzelbildern. Irgendwie schaffte er es, das Shuttle in einem Stück zur Oberfläche zu bringen, sah sich unter brennenden Schmerzen über zerschellte Ausrüstung laufen, kleine Brände mechanisch löschen und endlich den Zugang zum Med-Lab freibekommend. Beim Anblick der beiden, durch die Explosion einer Energieleitung in der Rückwand des Raumes bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Leichen, brach Allen bewusstlos zusammen.

 

3

Das laute Schreien riss Allen aus dem Schlaf. Schlagartig saß er aufrecht im Bett. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es sein eigener Schrei war, der seine Träume, und damit seinen Schlaf beendete. Das Haar klebte an der Stirn, Schweiß rann von beiden Gesichtshälften. Langsam kam er in die Wirklichkeit zurück. Die Alpträume waren seit seinem Absturz ständiger Begleiter seiner Ruhephasen. Mit einer Geste, welche die gesamte Ohnmacht seiner Situation ausdrückte, wischte er sich die klebrige Nässe aus dem Gesicht. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass seit seiner Rückkehr fast neunzehn Stunden vergangen waren. Das ist Rekordzeit für eine Schlafphase. Beim Aufstehen merkte er den leichten Muskelkater, welchen ihn sein letzter Marathonmarsch bescherte. Eine kurze Morgentoilette machte ihn wieder frisch.

"Du hattest einen unruhigen Schlaf," meldete sich die Computerstimme. "Die verbliebenen Bordsysteme arbeiten normal. Energiespeicher liegen bei 20 Prozent. Zeit bis zur Gewitterfront..." "Nicht jetzt," schnitt Allen den Monolog ab und begab sich in Richtung Schleuse, um das Schiff zu verlassen.

In Gedanken versunken schritt er um den hohen Sandwall am Bug herum. Ein paar Schritte von der linken Tragfläche entfernt, befanden sich zwei sorgfältig aufgeschichtete Steinhäufen. Als er vor dem linken Haufen stand, ließ er sich auf die Knie nieder. Seine Hand berührte einen der glatten Steine. Das war alles, was er nach dem Absturz für seine beiden Begleiter hatte tun können. Ab und zu saß Allen vor diesen symbolischen Ruhestätten, während sein Inneres schmerzhaft brannte. Nach einer Weile griff er unter sein Hemd in die Brusttasche und holte eine kleine silberne Scheibe hervor. Mit traurigen Augen fühlte er sich kurzzeitig zurückversetzt zu den glücklichen Augenblicken, als er mit Ines sein Programm in der VR-Kammer ansah. Wenn die Brücke der Hoffnung über dem Abgrund des Schicksals eingestürzt ist, sind die Krücken der Erinnerungen das Einzige, was uns aufrecht hält. Irgendwann hatte er diesen Satz mal gehört oder gelesen, aber nichts damit anfangen können. Doch in den letzten Wochen kam er ihm öfter in den Sinn und stürzte ihn in tiefe melancholische Stunden. Das Einzige, was als Ablenkung blieb, war die Arbeit, für wen oder was er sie auch immer tat. In Zeitlupe erhob er sich, blieb noch einen Augenblick ruhig vor den Gräbern stehen und machte sich dann auf den Rückweg ins Schiff.

"Was wolltest du mir vorhin mitteilen?" fragte Allen seinen Computer. "Zeit bis zur Gewitterfront noch drei Tage," kam die prompte Antwort. "Aufladen der Energiespeicher wird empfohlen." "Na da haben wir ja noch etwas Zeit." Zunächst fertigte er den noch fehlenden Bericht seines letzten Ausfluges für das Logbuch an. Danach lehnte er sich zurück und dachte nach. "Konntest du während meiner Abwesenheit irgend etwas aufzeichnen?" "Nein. Da die externen Sensoren nicht funktionieren, schränkt dies meine Leistungsfähigkeit bedeutend ein. Wenn deine Frage auf den Funk anspielt, so war da nichts." Allen hatte die Hoffnung, dass es ein paar oder auch nur eine der Fluchtkapseln bis hier her geschafft haben könnten, noch nicht aufgegeben. Da diese aber relativ spärlich ausgestattet waren, sank die Chance in den letzten Wochen auf diesem Weg noch Überlebende der Katastrophe zu finden ebenfalls auf Null.

"Uns was ist mit Informationen aus dem Sensorennetz, dass ich aufgebaut habe?" "Die üblichen tierischen Aktivitäten und eine Vielzahl weiter klimatischer Aufzeichnungen." Auf seinen Streifzügen war Allen nicht untätig gewesen. Während der Erkundungen hatte er alle paar Kilometer Sensorbojen gesetzt, die mit dem Schiff in Kontakt standen, um das Gebiet auch dann überwachen zu können, wenn er nicht selbst anwesend war. Ein spärlicher Ersatz für das, was das Schiff leisten könnte, wäre es nur etwas besser in Schuss. Sein Blick wanderte zu der Karte, auf der sein Überwachungsnetz per Rastergitter eingezeichnet war. Das erkundete Gebiet erstreckte sich hauptsächlich westlich seines Absturzpunktes. Die meisten Sensoren standen in und an der Vegetationszone. Die Wüste östlich des Schiffes blieb bislang unentdeckt. Südwestlich war Allen schon vor ein paar Wochen auf eine natürliche Grenze gestoßen. Dort erstreckte sich ein schier unermesslicher Canon in dem ein ganzer Ozean hätte Platz finden können. Die kilometerlangen, steil abfallenden Felswände schienen keine Möglichkeit zu bieten, einen sicheren Abstieg zu wagen. Trotzdem war es dieser tiefe Einschnitt in die Oberfläche des Planeten, die es Allen angetan hatte. Sein Plan stand schon seit längerem fest. In einem der technischen Labors war er dabei, einen ferngesteuerten Aufklärer zu basteln, ausgestattet mit Kamera und diversen Sonden, um aus sicherer Distanz den Canon schrittweise erforschen zu können. Genau in diese Richtung ging sein Denken jetzt. Er stand auf und begab sich in seinen Bastelraum. So wie es aussah, würde der Aufklärer in drei oder vier Tagen fertig sein. Da werd` ich wohl erst mal zu Hause bleiben und basteln. Mit etwas gutem Willen habe ich das Ding bis nach dem Gewitter einsatzbereit. Allen rieb sich die Hände und stürzte sich in die Arbeit. Der Ausblick auf Erfolg und einen spannenden Ausflug zum Canon ließ die Zeit wie im Fluge vergehen.

Die Stimme drang in sein Unterbewusstsein und holte ihn langsam aus seinem Schlaf. Ihm war, als hätte er gerade seine Augen erst geschlossen. "Was ist denn," gähnte er in den Raum. "Änderungen in den Klimabedingungen. Die Schlechtwetterfront zieht diesmal früher auf. Die Daten der nördlichen Sensoren zeigen hohe Luftdruckschwankungen," gab ihm der Computer Auskunft. Stöhnend erhob er sich. Er hatte tatsächlich erst vier Stunden geschlafen. Dafür war aber sein Aufklärer bis auf das Einsetzen des Energiemoduls fertig geworden. Das Rackern in den letzten zweieinhalb Tagen hatte sich gelohnt. "OK," sagte er. "Bin gleich soweit."

Bevor die ersten Blitze die Gegend seines Schiffes erreichten, musste er noch einige Vorbereitungen treffen. Diese Laune der Natur war für ihn lebensnotwendig geworden. Ohne die Möglichkeit, seine Energiereserven aufstocken zu können, hätte er ebenso gut eine Reise in die Steinzeit hinter sich haben können. Während der ersten Wochen auf dem Planeten war es ihm gelungen ein Antennensystem zu entwickeln, es ähnelte dem Prinzip von Blitzableitern, um damit die enormen Entladungen in die Speicherkerne seines Schiffes zu leiten. Damit war er in der Lage, die vom Absturz verschonten technischen und elektronischen Annehmlichkeiten des Shuttles weiterhin zu nutzen. Diese Art des Aufladens war ca. alle vier Wochen nötig.

Neunzig Minuten später saß Allen im Sessel der Brücke und verfolgte das beginnende Naturschauspiel auf dem großen Monitor. Die Hauptantenne auf dem Schiff und drei kleinere auf der linken Seite waren verkabelt. Als würde man eine schwarze Leinwand über den nördlichen Horizont ziehen, verdunkelten dicke Wolken das Licht der gerade aufgehenden Sonne. Helle Striche, manche gerade, andere zickzackförmig, schienen Risse in die schwarze Wand zu schlagen. Mit der von der Erde gewohnten Verzögerung drang dumpfes Grollen durch die Lautsprecher. Es dauerte nicht lange, und der gesamte sichtbare Bereich des Himmels hatte sich verfinstert. "Jetzt wird`s richtig los gehen," murmelte Allen fasziniert. Das erste dieser urgewaltigen Schauspiele nach seiner Ankunft hatte er unter "freiem Himmel", also außerhalb des schützenden Schiffes, in Felsspalten und Erdlöchern gekauert, miterlebt. So gigantisch es war, so lebensbedrohlich gestaltete sich es auch. Die meisten Entladungen erreichten den Boden, die kräftigsten hinterließen sogar im offenen Terrain Spuren wie Peitschenhiebe. Der ohrenbetäubende Donner ließ die Planetenoberfläche erzittern, als würden unsichtbare Riesen in einem Steinbruch um die Wette arbeiten.

Obwohl vorbereitet, zuckte Allen bei jedem Blitz zusammen, konnte aber die Augen nicht vom Schirm lösen. Dann wartete er gebannt auf das akustische Nachspiel. Seine Ohren wurden nicht enttäuscht und schnell regelte er den Lautstärkepegel herunter. Wind kam auf der an Stärke schneller zunahm, als er sein Schiff mit Vollschub hätte beschleunigen können. Der lockere Oberflächensand wurde empor gerissen, nur schwach grau zeichneten sich diese Wolken am Hintergrund ab. Jetzt in der Wüste wäre schon der Sand allein tödlich. Immer wieder zuckten Blitze und malträtierten die Oberfläche. Allen konnte beobachten, wie bei einigen die Erde wie durch kleine Explosionen aufgerissen wurde. Mittlerweile hatte er die Lautsprecher ganz abgeschaltet. Was sich draußen abspielte hörte er selbst durch die schützende Schiffshülle. Der Sturm suchte Angriffsflächen, der Donner erschütterte die gesamte Gegend. Quietschende Laute drangen bis zu Allen, Geräusche, als wolle jemand die Metallhülle sandstrahlen, Gegenstände in den Räumen fingen zu vibrieren an, irgendwo zersprang klirrend Glas.

Mann, ist fast so, als wäre dieser alte Klumpen sauer auf mich und will mich zermalmen. Dürfte das stärkste Unwetter seit meiner Ankunft sein, dachte er. Die ersten Blitze fuhren in seine Antennenanlage. Anzeigen auf seinen Pulten meldeten sich. "Speicherauslastung bei 27 Prozent," gab der Computer kund. Im nächsten Moment dachte Allen, er sei erblindet. Der Sichtschirm leuchtete sonnenhell auf. "Aach... Was..." Zu mehr kam er nicht. Die Entladung musste die Hauptantenne auf dem Schiffsrumpf förmlich weg gesprengt haben. Das Shuttle wackelte und neigte sich sogar etwas nach links. Wieder hörte er hinter sich Sachen poltern und zerbrechen. Der Geruch von verschmorten Leitungen drang zu ihm. Von kleinen feurigen Sternen begleitet, kehrte sein Sehvermögen zurück. "Feuer im Schleusenzugang. Gespeicherte Energie bei 38 Prozent. Die Leitungssicherungen sind geschmolzen Allen. Weitere Aufnahme ist nicht möglich. Zustand der Anlage draußen ungewiss." "Du verstehst es, mich immer in den richtigen Augenblicken aufzumuntern," rief Allen, während er zum angegebenen Brandherd rannte. "Wenn ich gewisse Vorfälle nicht mehr melden soll, bitte ich um genauere Spezifikationen," gab die Frauenstimme in gewohnter Ruhe zurück. "Oh Mann, ist das ein Anflug von Humor?" Ich muss mich mal gründlich mit ihr(?) unterhalten!

Er hatte das Feuer schnell unter Kontrolle. Die Kabelummantelung war in Flammen aufgegangen. Dabei hatte er eine fast armdicke Leitung verlegt. "Mensch! Die hat doch sonst ausgereicht. Muß`n ganz schöner Hammer gewesen sein," murmelte Allen vor sich hin.

Das scheppern des Donners und die knirschenden Geräusche des Windes ließen nach. "Computer, wie steht es denn mit unserer kleinen Schlechtwetterfront?" "Es ist im Abklingen. Aber ich habe noch mehr schlechte Nachrichten." "Wie soll’s auch anders sein, schieß los."

"30 Prozent der Sensorbojen sind ausgefallen." "Das geht ja noch, hab´ ich mir fast schon gedacht. Was machen die Schiffsinnereien?" "Keine Schäden, die nicht schon vorher existierten." Allen nickte versonnen. Es sah so aus, als wolle der Planet ihn Stück für Stück in den Untergang treiben. Etwas noch Gewaltigeres hob er sich vielleicht für´s nächste Mal auf.

Wieder im Kommandoraum sah Allen zu, wie das Gewitter sich nach Süden schob. Eine knappe halbe Stunde dauerte das Chaos. Der Staub in der Atmosphäre begann sich zu legen, der blaue Himmel gewann wieder die Oberhand. Die grelle Scheibe der Sonne nabelte sich gerade vom Horizont ab. "Dann werd’ ich mir mal das Elend anschauen," sprach Allen und ging wieder zur Notluke. "Scheiße!!" brüllte er, als er das äußere Schott öffnete. Eine nicht geringe Menge Sand brach wie eine Lawine über ihn herein. "Mist, verdammter! Wie damals beim ersten Öffnen," schimpfte er und befreite sich aus dem Sand. Wenigstens war das Zeug nicht nass, da der Sturm wie üblich keinen Niederschlag mitgebracht hatte. Sein ganzer schräger Zugang zum Schiff war zugeweht worden und es kostete einige Anstrengung, ehe Allen Gang und Schleuse bereinigt hatte. Sichtlich erschöpft stand er endlich auf dem Wüstenboden vor seinem Schiff - und wurde blass. Dort, wo die drei kleineren Antennen gestanden hatten, befand sich ein Krater von rund einem Meter Tiefe und ca. sechs Meter Durchmesser. Von der Technik war nichts mehr zu sehen außer ein Haufen zusammengeschmolzenen Metalls ohne jegliche Form. An den Rändern des metallischen Klumpens schaute noch etwas anderes hervor, schwarz, glatt und glänzend. Allen ging näher und untersuchte es staunend. Da war doch die Hitze ausreichend, um den Sand stellenweise in Quarzglas zu schmelzen. Sein Blick wanderte aus dem Krater zum Schiff. Von der Hauptantenne konnte er ebenfalls nichts mehr sehen. Wo sie befestigt war fehlten sogar einige der glänzenden Rumpfplatten. Als ob das gute Schiff nicht schon genug gelitten hat. Das Material an Bord würde für noch ein Antennenfeld reichen, andere etwaige Reparaturen müssten dann zurückgestellt werden. Aber Energie war wichtig, genauso wichtig wie Trinkwasser, das er nicht mehr selbst erzeugen konnte. "Nun, man wächst an der Größe der Herausforderungen," sprach er in den Krater hinein und kickte missmutig mit dem Fuß in den Sand. Mit leicht hängenden Schultern ging er zurück ins Schiff.

Bestandsaufnahme der Probleme.

Teile für die Energieaufnahme suchen und zusammenbasteln, Stromsparplan aufstellen. Wird nicht viel bringen, drei oder vier Tage werde ich ohne auskommen müssen! Sensornetz reparieren, Trinkwasser besorgen... Je mehr er grübelte, desto fester wurde sein Entschluss. Eigentlich kann alles warten, zumindest bis nächste Woche. Morgen breche ich zum Canon auf!

So geschah es auch. Den Rest des Tages verbrachte er mit Vorbereitungen für seinen nächsten Ausflug. In den frühen Abendstunden saß er auf dem Sandwall vor dem Bug und testete seinen Aufklärungsgleiter. Allen war froh über jede Ablenkung von seiner derzeitigen Situation. Und die kommende Wanderung betrachtete er fast als Urlaub.

Zwei Tagesmärsche (wieder in sengender Hitze) waren vergangen, aber Allen fühlte sich nach wie vor frisch. Die karge Landschaft um ihn herum änderte ihr Bild nicht im geringsten. Ab und zu kahle Hügel, ständig die feste verbrannte Erde und vereinzelt, die Verzweiflung der Natur noch unterstreichend einige halb verdorrte Büsche und gelbe, ausgemergelte Grasstreifen. Nur am Horizont konnte man erkennen, dass man sich überhaupt fortbewegte. Es sah aus, als würde man sich dem Ende der Welt nähern, fester Boden ging wie abgeschnitten in Himmel über. Man hätte eine Steilküste vermuten können, wäre nicht das fehlende Meeresrauschen gewesen. Diesen Eindruck bekam man, soweit das Blickfeld rechts und links reichte.

Allen erreichte den Rand der großen Schlucht kurz vor Mittag. Der Anblick der sich ihm bot war unbeschreiblich. Schlucht oder Canon traf die Sache eigentlich nicht richtig. Nur schemenhaft zeichnete sich in der vor Hitze flimmernden Luft die gegenüberliegende Felswand ab. Unmöglich, die Entfernung auch nur Ansatzweise einschätzen zu können. So ähnlich gestaltete es sich mit dem Grund der Schlucht. Er verschwand fast gänzlich in einem Meer wogenden, weißen Nebels. Bis zu dieser diffusen Schicht fielen die schroffen Felswände mindestens zweitausend Meter steil hinab. Soweit das Auge reichte, war keine halbwegs geeignete Chance für einen Abstieg auszumachen. Doch das interessierte Allen fürs erste weniger. Den Hauptteil der Arbeit würde sein Aufklärer für ihn übernehmen.

Etwa eine Stunde später stand sein Zelt im eher halbherzigen Schutz einer kleinen Felsgruppe nahe des Abgrundes. Das Essen tat gut und er verschlang es förmlich, um endlich mit dem anzufangen, weswegen er hergekommen war.

Der Gleiter stand vor ihm, ein fast dreieckiges Miniflugzeug von siebzig Zentimeter Länge und einer Spannweite von ca. fünfzig Zentimeter. In dem ultraleichten Rumpf befand sich an Technik alles, was Allen auftreiben und der Antrieb des Gleiters bewältigen konnte.

"Nun wollen wir doch mal sehen, ob wir die Schlucht nicht kartographieren können," murmelte er mit einem Lächeln in den Tag. Steuerpult und Monitor waren aufgebaut, nichts stand mehr im Weg. Mühelos hob der Aufklärer ab. Allen hatte keine Probleme, den Flug zu kontrollieren. Die maximale Reichweite des Senders von zehn Kilometern würde für sein Vorhaben ausreichen. Außerdem konnte der Gleiter mit einem Energiemodul ungefähr fünf Stunden arbeiten. Allen hatte weitere vier in seiner Ausrüstung dabei. Dies schmälerte seine Stromreserven zwar um einen weiteren Tag, doch dieses Opfer war es ihm wert.

Langsam und fast geräuschlos steuerte der Gleiter über den felsigen Rand der Schlucht. Allen gab Schub. Er wollte als erstes die Breite des riesigen Einschnittes in die Oberfläche vermessen. Der Gleiter flog geradeaus, bis ein Warnton das Ende der Senderreichweite signalisierte. Auf dem Monitor war die gegenüberliegende Steilwand deutlich auszumachen, aber immer noch einen Kilometer entfernt. Alle Bilder, die das Gerät machte, zeichnete Allen auf. Danach ließ er ihn im Sinkflug in die Schlucht hinein schweben. Bis zu der milchigen Nebelschicht waren es 1200 Meter. Die Luftfeuchtigkeit stieg sprunghaft an. Milliarden feinster Wasserteilchen bildeten eine geschlossene Decke über den Boden der Schlucht. Ein leichter Wind erzeugte ein sachtes Auf und Ab. Erwartungsvoll lenkte Allen den Aufklärer in die Wolken hinein. Der gefährliche Blindflug endete zehn Meter tiefer. Schlagartig verließ der Gleiter den Nebel und die Sicht war wieder frei, und ausgesprochen gut. Obwohl nicht die kleinste Lücke direktes Sonnenlicht durchließ, war es nur geringfügig dunkler. Allen atmete hörbar aus. Kein Hindernis bedrohte seinen Flieger. Aber das Bild, welches er auf seinen Monitor jetzt betrachten konnte, ließ ihn die Luft wieder anhalten. Etwa 150 Meter waren es noch bis zur Talsohle. In dem schattenlosen Licht unter der Wolkendecke ergoss sich in der Mitte der Schlucht ein ca. vier Kilometer breiter Fluss. Soweit das Sichtfeld des Monitors reichte, wälzte er schnurgerade seine Wassermassen durch das Tal. Die beiden Ufer waren von einem schmalen, mit saftigen Gras bedeckten Streifen gesäumt. Vom Grasrand bis knapp an die Steilwände erstreckte sich Wald; dichter hoher Dschungel, aber bei weitem nicht zu vergleichen mit der Vegetationszunge zwei Tagesreisen nordwestlich seiner derzeitigen Position. Temperatur- und Luftfeuchtigkeitswerte waren überdurchschnittlich hoch. Trotz des Mangels an Sonnenlicht hatte sich hier in dieser Schlucht ein wahres pflanzliches Paradies gebildet. Und das schien es auch ausschließlich zu sein. Ein Scan nach tierischen Lebenszeichen blieb negativ. Irgend etwas meldete sich in Allen, doch er konnte nicht genau feststellen, was es war. Nur eines war sicher: je länger er das Bild auf dem Schirm betrachtete, desto stärker wurde das Gefühl.

Den Rest der Flugkapazität nutzte er zur Erkundung dieses Garten Edens. Doch an dem Bild änderte sich nicht viel. Wäre nicht die Bewegung des Flusses gewesen, hätte er den Gleiter nicht zum Aufnehmen einer Boden- und Pflanzenprobe in dem hohen Gras landen lassen, hätte er das Ganze für eine gelungene 3D-Animation halten können.

Später saß er vor seinem Zelt und wertete die gesammelten Daten aus. Der Aufklärer stand neben ihm, das Energiemodul war gewechselt.

Morgen ist die diesseitige Felswand mit kartographieren dran. Mal sehen, ob es nicht doch einen Weg da hinunter gibt. Der Gedanke, sich da unten selbst umzusehen, war den Nachmittag über zum Entschluss gereift. Ob er sich würde realisieren lassen, wird die morgige Erkundung zeigen.

Mit dem schwindenden Tageslicht beendete Allen auch seine Auswertungsarbeit. Den letzten Bissen des Abendessens noch kauend, legte er sich in seinem Zelt zur Ruhe. Aber ans Einschlafen war noch lange nicht zu denken. Die Erwartungen in den nächsten Morgen hielten ihn wach und jagten die verschiedensten Gedanken. Er war gerade eingedöst, da schnellte er samt Schlafsack in eine Sitzposition. "Wie künstlich angelegt sieht es aus! Das war es, dieses komische Gefühl." Er kramte seine Ausrüstung wieder hervor und verglich aufs Neue die Aufnahmen. Doch selbst jetzt konnte er keine eindeutigen Indizien für seine Vermutung finden. Lange saß er noch grübelnd wach, bis die Einsicht und der Schlaf die Oberhand gewannen. Wieder eine Nacht, die mit Träumen gespickt war, aber nicht die sonstigen von seinem Absturz.

Die Sonne kitzelte nur Ansatzweise den Horizont, da stand Allen schon am Rand des Canons und plante den Tag. Mit dem Tageslicht kam auch seine Objektivität wieder. Die erwartungsvolle Nervosität hatte er im Griff. Er musste Prioritäten setzen. Und der gefährliche Abstieg da hinunter war eindeutig nicht die Nummer eins, so interessant es auch sein mochte. "Schließlich habe ich ja alle Zeit der Welt," murmelte er versonnen vor sich hin. So schwer es ihm auch viel, sein jetziger Entschluss entsprach eher seiner etwas angeschlagenen Situation. Die vier E-Module für seinen Gleiter würde er noch aufbrauchen und sich dann vorrangig um die Probleme am Schiff kümmern. Danach, dessen war er sich mehr als sicher, würde er noch genug Zeit haben hier weiter zu machen.

Der Aufklärer flog parallel zur Steilwand einen fünf Kilometer langen Sektor ab, verringerte dann seine Flughöhe um 200 Meter und kehrte zum Ausgangspunkt zurück. Dieses Spielchen wiederholte Allen so lange, bis die Felswand auf ihrer gesamten Höhe lückenlos photographiert war. Danach zog er fünf Kilometer weiter und begann erneut.

Nach dem Mittagessen geschah es. Allen hätte es beinahe übersehen und reagierte deshalb ziemlich heftig. Er riss an der Steuerung des Gleiters so heftig, dass dieser fast abgestürzt wäre. Als er die Kontrolle wieder hatte und das Bild im Monitor ruhig stand, sah er es genau. Fünf Meter breit war der Einschnitt in den Schluchtenrand und ca. zwanzig Meter erstreckte er sich ins Wüstenland hinein. Im Schatten der Felswände konnte Allen gerade so winzige Plateaus erkennen, die sich wie Stufen in die Tiefe erstreckten. Er ließ den Gleiter im Sinkflug dem Spalt folgen. Rund 150 Meter vom Rand der Schlucht entfernt, gingen die Plateaus in die Steilwand über. Doch auch hier stutzte Allen. Felsvorsprünge unterschiedlicher Länge führten an der Wand entlang. Ein geschickter Kletterer könnte sich dort bewegen. Die schmalen Felskanten schienen ebenfalls stetig in die Tiefe zu führen.

"Wenn es eine Möglichkeit gibt, in das Tal vorzudringen, dann ist es hier!"

Er ließ den Aufklärer weiter sinken und nutzte die Sensoren, um die Festigkeit dieser "Felsentreppe" zu untersuchen. Und dann ging alles rasend schnell. Seine Messgeräte fiepten. Aufbau eines starken Energiefeldes, stand im Display. Ein greller Blitz erfüllte den Monitor, das Bild fing an zu trudeln und die Felswand kam dabei immer näher. Keinen Augenblick später hörte Allen eine kleine Detonation aus der Position seines Gleiters und alle Instrumente und der Monitor erloschen. "Das darf doch nicht wahr sein." Wie gelähmt saß Allen vor seiner Ausrüstung. Dann setzte sein logisches Denken wieder ein. "Die letzten Aufnahmen und Messungen. Ich muss sie mir genau ansehen." Und das tat er auch. Immer wieder spulte er zurück, sah sich alles im Einzelbild an und verglich die Sensorwerte. Was sich dabei offenbarte, schien den Rahmen seines Denkens fast zu sprengen. Der Blitz entpuppte sich als gezielte Laserentladung. Der Gleiter ist abgeschossen worden! Das letzte Bild, welches die Kamera übermittelte, war während der Explosion an der Felswand entstanden. Die Wucht des Aufpralles und die Detonation hatten den Fels etwas aufgesprengt. Und obwohl das Bild mehr als unscharf und verschwommen war, glaubte Allen einen matt erleuchteten Gang erkennen zu können, der sich in den Fels hineinbohrte. Bei dieser Erkenntnis fing er an zu zittern. Das sollte ich mir nun wirklich näher ansehen! Anhand der Aufnahmen wusste er, dass es durchaus möglich war, dorthin zu gelangen. Auch die Gefahr war plötzlich kein Argument dagegen. Hektisch sprang er zwischen seiner Ausrüstung hin und her, suchte sich die nötigsten Hilfsmittel für einen Abstieg zusammen und rannte zum Zelt, um das, wenn auch relativ kurze Seil zu holen, welches er vorsorglich vom Schiff mitgebracht hatte. Eine halbe Stunde später war er auf dem Weg zu der Kluft mit den abwärts führenden Plateaus.

Als er mit eigenen Augen betrachten konnte, worauf er sich einlassen wollte, kam schon ein sehr mulmiges Gefühl in ihm auf. Die "Plateautreppe" entpuppte sich ganz und gar nicht als solche. Zwischen den einzelnen Vorsprüngen lagen mindestens zwei Meter. Keiner war breiter als sechzig Zentimeter und viele schon so verwittert, dass sie kaum mehr eine Standfläche boten. Wenigstens sah es so aus, als würde kein Geröll von den Seitenwänden auf ihn stürzen können. Allen klopfte mit der Hand auf das Seil, welches er in Schlingen gelegt über der linken Schulter trug. "Hoffentlich bist du nicht zu kurz," murmelte er dabei. Dann machte er sich daran, das Wagnis in die Tat umzusetzen. Mit akribischer Vorsicht arbeitete er sich Stück für Stück nach unten. Stellenweise lösten sich kleinere Steine aus den Vorsprüngen und vielen polternd von Stufe zu Stufe in die Tiefe. Die Zeit verging und er kam wahrlich nur langsam voran. Nach siebzig Metern, der Hälfte der schmalen Kluft, legte er eine kurze Pause ein. Drei Stunden waren vergangen. Damit blieben ihm nur weitere sechs bis zum Einbruch der Dämmerung.

"Schlechtes Timing. Da werd’ ich wohl in dieser Höhle übernachten müssen." Sehr beruhigend wirkte der Gedanke nicht auf ihn. Nur gut, dass keinerlei Anzeichen von Leben festzustellen war, bevor der Gleiter sein Dasein aushauchte. Aber das, was ihm den Rest gab, könnte genau so gut Allen gefährden. Doch darüber wollte er erst nachdenken, wenn es soweit war.

Weitere zwei Stunden später hatte er das Ende der Kluft erreicht und konnte in die anscheinend bodenlose Tiefe schauen, bis zu der milchigen Nebelschicht, die etwa tausend Meter unter ihm das Tal füllte. Mehrmals stieß er hörbar die Luft aus. Der Platz auf dem er stand war ca. zwei Quadratmeter groß. Genug Raum für eine ausgiebige Rast. Rechts und links von ihm war der Blick frei auf die Felswand. Es war ein monumentaler Anblick und Allen fühlte sich mehr als klein mitten in diesem gigantischen Naturbauwerk. Rechter Hand begannen die parallel verlaufenden Felsvorsprünge. Einen Steinwurf in dieser Richtung und etwa sieben Meter tiefer musste sich der Eingang in den Schacht - oder Stollen befinden. Sein Herz klopfte schneller, und nicht nur als Folge des Abstiegs. Er wollte gar nicht genauer darüber nachdenken, was dieser Fund alles bedeuten könnte.

Allen kramte aus der linken Tasche ein kleines Messgerät und schwenkte es in die Richtung der mutmaßlichen Höhle. Ein winziger Ausschlag bestätigte die Existenz eines Kraftfeldes nicht sehr weit vor ihm. Lebenszeichen gab es auch weiterhin keine. Er wusste nicht recht, ob ihn das beruhigen sollte. Für einen Rückzieher war er aber zu neugierig - und schon zu weit vorgedrungen.

Weiter ging es. Der erste Felssims war relativ breit und fünf Meter lang. Mit dem Rücken an den Stein gepresst, arbeitete er sich Schritt für Schritt vorwärts. Allen konnte von Glück reden, dass nur der Hauch eines Lüftchens wehte und sich somit keine starken, unberechenbaren Fallwinde und Luftwirbel an der Steilwand bildeten. Das minderte die Gefahr beträchtlich. Er hatte gerade das Ende des Simses erreicht, da begann die Felskante unter seinem Gewicht zu bröckeln. Schmale Risse bildeten sich neben Allens linken Schuh. Ruckartig gab der Fels nach. Der nächste Vorsprung lag zwei Meter entfernt, aber reiche vier Meter tiefer. Zum Überlegen war es zu spät. Allen handelte instinktiv und drückte sich mit einem kräftigen Sprung von seinem Standort ab, gleich darauf rauschte die Felskante in die Tiefe. Allen flog an der Steilwand entlang, schlug sich den rechten Ellenbogen an einem Felsstück auf, landete krachend auf dem nächsten Vorsprung, konnte aber nicht gleich Halt finden und rutschte mit den Hüften über die Kante. Mit einem Schrei und den letzten Kraftreserven hielt er sich gerade so mit den Ellenbogen auf dem Fels fest. Beide Knie schmerzten höllisch. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er seinen angeschlagenen Körper auf den Vorsprung gewuchtet hatte. Dort blieb er auf dem Rücken und mit zur Grimasse verzogenem Gesicht liegen. Stöhnend rappelte er sich in eine sitzende Haltung hoch. Der rechte Ellenbogen wurde dick und der Hosenstoff über dem linken Knie rot.

Mann oh Mann, da sitze ich ganz schön in der Tinte. Ich muss diese Höhle erreichen.

Er tastete seinen Körper ab und stellte erleichtert fest, dass nichts schwerwiegendes passiert war. Sein rechter Ärmel war zerrissen und gab den Blick auf eine große Schürfwunde frei. Aber er konnte den Arm langsam bewegend und auch belasten. Anders sah es mit dem Knie aus. Das Blut floss zwar nicht in Strömen, doch die Hose klebte eklig über dem Gelenk. Allen zog sie so gut es ging bis zum Oberschenkel hinauf, riss den kaputten Ärmel ab und machte sich einen notdürftigen Verband um das verletzte Knie. Einknicken konnte er es nur wenig, aufstehen und laufen würde also verdammt schwer fallen. Während er sich auf diese Weise verarzte, kam ihm eine Idee. Der Gleiter wurde abgeschossen, nachdem er das Energiefeld aufzeichnete, oder in es hineinflog. Womöglich eine Art Schutzvorrichtung. Keine Lebensformen sind registrierbar, also könnte es automatisch gesteuert sein. Was wäre, wenn diese Schutzmaßnahme nur auf Technik reagiert, denn ohne sie wäre sowieso niemand in der Lage den versteckten Eingang auszumachen. Möglich also, dass rein biologische Muster ignoriert werden. Der Gedanke, bei lebendigen Leib gegrillt zu werden, lag Allen schon die ganze Zeit schwer im Magen.

Runde 15 Meter hatte er noch zurückzulegen. Erneut benutzte er sein Messgerät. Die Anzeige war stärker. Nach nur kurzem Zögern warf er es in Richtung des noch unsichtbaren Höhleneinganges. Zwei Meter legte das Gerät in der Luft zurück, da blitzte unter Allen aus der Wand ein Lichtstrahl auf und verdampfte es in einem einzigen Augenblick. Allen traten Schweißperlen auf die Stirn. Das nenne ich die richtige Intuition zur richtigen Zeit, schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt kommt’s drauf an! Aus der anderen Tasche holte er ein eingewickeltes Stück Fleisch, was eigentlich sein Abendessen werden sollte. Er ließ es in der Hand auf und ab wiegen und schleuderte es auf die gleiche Weise fort, wie kurz vorher das Messgerät. Er verfolgte den Flug wachsam und rechnete jeden Moment mit dem Lichtblitz. Fehlanzeige! Unbehelligt stürzte das Fleisch dem Schluchtboden entgegen. "Soweit so gut. Ich will nur hoffen, dass das, was immer da auch ist, keinen Unterschied zwischen toter und lebender Biomaterie macht." Die nächsten Minuten verbrachte Allen mit dem Aussortieren seiner Habseligkeiten. Alles, was auch nur im Entferntesten den Eindruck von Technik vermittelte und alle anderen metallischen Gegenstände die er bei sich trug, häufte er neben sich auf. "Vielleicht ist es das Letzte was ich hier tun werde. Aber schlimmer kann es nicht werden."

Die nächsten Meter schob sich Allen sitzend weiter. Dadurch entlastete er sein höllisch brennendes Knie. Er erreichte die Stelle, an der sich das Messgerät verabschiedet hatte. Mit geschlossenen Augen und zusammen gekniffenen Arschbacken rutschte er weiter. Nichts geschah. Sein Herz raste wie wild, die Luft hielt er an. Nach weiteren zwei endlosen Metern entspannte er sich langsam. Die Idee schien ihm das Leben gerettet zu haben.

Jetzt fiel der Felsvorsprung ziemlich steil ab. Allen ruschelte mit den Füßen voran in Zeitlupe hinab. Fünf oder sechs Meter entfernt, am Ende des Simses musste sich sein Ziel befinden. Sehen konnte er immer noch nichts. Minuten dehnten sich zu Stunden und mit den Schmerzen war es schon sehr nervenaufreibend. Doch endlich gab der Felsrand den Blick frei. Allen drehte sich auf den Bauch und schaute hinunter. Da war es. Fast genau so, wie das verschwommene Bild es ihm auf seinem Monitor gezeigt hatte. Eine Armlänge unter ihm gähnte die Öffnung in der Felswand. Trotz des Tageslichtes konnte er den trüben grünen Schein erkennen, der die Höhle etwas beleuchtete. Aber wie da hinein kommen? Das Seil! Er hätte es nach der Rast bei der Kluft beinahe vergessen, aber dann doch noch wie einen zu langen Gürtel mehrmals um die Hüfte gewickelt. Es dauerte nicht lange, und er hatte das Seil an einem spitzen Stein gesichert. Danach ließ er sich vorsichtig über den Sims gleiten, immer darauf bedacht, mit seinen verletzten Körperteilen nirgends anzuschlagen. Der Rest war unter diesen Umständen fast zu leicht. Auf gleicher Höhe mit der Öffnung fing er an zu pendeln, bis er mit dem Oberkörper in die Höhle hinein schwang. Dann ließ er los, krachte auf den Boden und die Schmerzen raubten ihm die Besinnung.

Stöhnend öffnete er die Augen. Sich mit Schultern und Händen an der Wand abstützend, kam er auf die Beine. Es dauerte ein Stück, bis sich der Schleier hob und er seine Umgebung richtig wahr nahm. "Ich habe es geschafft," murmelte er fassungslos. Er stand in einem augenscheinlich exakt kreisrunden Gang. Ungläubig glitten seine Finger über die makellose Wand. Das Gestein war einer ihm unbekannten Substanz gewichen, aus deren Inneren der grüne Schimmer zu kommen schien, welcher den Korridor schwach, aber immerhin ausreichend erhellte. Mühsam humpelte Allen weiter. Ein Ende war nicht zu sehen, da das Licht wie ein dichter Nebel erst bei weiterem Vordringen Einzelheiten preis gab. Einen Anflug von Unbehagen und Angst verdrängte er gleich wieder. Es gab sowieso nichts, mit dem er sich hätte verteidigen können.

Mehr als eine halbe Stunde quälte er sich durch den Gang, ohne dass sich etwas an seiner Umgebung änderte. Wie weit er diesem unterirdischen Korridor in den Fels gefolgt war, konnte er nicht sagen, als er plötzlich dessen Ende erreichte. Staunend stand er wie angewurzelt da. Erschöpfung und Schmerzen waren wie weggeblasen.

Der Gang mündete in eine riesige Höhle, die ebenfalls von dem grünen Licht, nur um einige Nuancen stärker, beleuchtet war. Die Decke konnte er nicht sehen. Dort, wo sie hätte sein sollen, war es, als schaute man in einen sternenlosen Nachthimmel. Rechts und links von ihm zeichneten sich in regelmäßigen Abständen weitere Ein- oder auch Ausgänge ab. Den wirklichen Blickfang aber bildete der Boden. In regelmäßigen Abständen befanden sich dort schwach pulsierende Ringe. Ansonsten war der kuppelförmige Raum leer. Nicht die Spur von Technik oder sonstiger Ausrüstung bzw. Einrichtung.

Allen fasste sich langsam. Aber wie sollte es weiter gehen?

"Ich bin nicht so weit gekommen, um jetzt hier Wurzeln zu schlagen," sagte er lauter als beabsichtigt zu sich selbst. Der Satz kam als unheimliches Echo mehrmals unvollständig zurück. Ungewollt zuckte er zusammen. Dann nahm er sein Taschentuch (mehr war ihm nach der Zwangsräumung seiner Kleidung nicht geblieben) und riss es in mehrere kleine Teile.

Irgendwie muss ich ja meinen Rückweg markieren, dachte er und legte ein Stück an das Ende des Ganges, dem er hierher gefolgt war.

Mit vorsichtigen Schritten betrat er den Kuppelsaal. Den blinkenden Ringen am Boden wich er aus. Es waren fünfzehn Stück, wie er nach einer Zählung feststellte. Die Höhle musste einen Durchmesser von mindestens vierzig Metern haben. Dreizehn andere Gänge mündeten in sie hinein. Während er sich um seine Achse drehte und die Umgebung auf sich wirken ließ, war er einen Moment unachtsam. Er betrat einen dieser aufleuchtenden Bodenringe.

Was dann geschah, entzog sich seiner Kontrolle. Wie Strom durchfloss etwas seinen Körper und löste eine vollständige Muskellähmung aus. Der Kreis unter seinen Füßen begann heftiger zu pulsieren und sein Leuchten wurde dabei immer stärker. Dann hüllte ihn aus der schwarzen Decke kommend ein gleißender Lichtkegel ein. Für einen Moment dachte er, er wäre an eine virtuelle Realität angeschlossen. Aber das, was da passierte war anders. Irgend etwas drang direkt in sein Gehirn ein und bombardierte ihn mit Informationen. Daten und Bilder wurden ihm aufgezwungen, ohne das er auch nur die Chance einer Gegenwehr hatte. Allen schrie und zuckte wie unter starken Schlägen. Sein Gehirn wurde fast erdrückt von der Fülle an Übermittlungen. Für einen kurzen Moment schien alles ganz klar vor seinem inneren Auge zu sein. Er wusste... wusste warum NEOTECH unbedingt in dieses Sonnensystem wollte, wusste wozu die Schlucht und ihre Vegetation am Boden da war, wusste warum die Gewitter den Planeten in regelmäßigen Abständen heimsuchten.....

Seine Arme sackten kraftlos herunter. Die Knie gaben nach. Allens Gehirn strich die Segel und ließ ihn in Ohnmacht fallen. Nur noch zwei Gedanken hämmerten in seinem Kopf:

Wir sind nicht allein

Wir sind SIE

 

 

 

 

to be continued ....

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