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Honigmond

© 2003 Lutz Reiter
Das Jahr 2010.

Die Zeichen der Apokalypse sind ausgeblieben und doch lag die Erde in Schutt und Asche.

Der Glaube der Religionsfanatiker hat nicht nur Berge versetzt, er hat auch die Welt dem Erdboden gleichgemacht.

Die Glaubenskriege hatten ihren Höhepunkt erreicht - Chaos herrschte.

Von einem einst blühenden Planeten, genannt Erde, mit seiner erstaunlichen Flora und Fauna und seinen fast unerschöpflichen Meeren, war nicht mehr viel übrig geblieben.

Toter Fels erhebt sich da, wo endlose Wälder sich ausbreiteten. Wo einst die Gischt der Meere die Ufer umspülte, ziehen giftige Staubwüsten dahin.

Das wenige Wasser, das sich noch hier und da ansammeln konnte, liegt als schwarze ölige Brühe in seinen Becken.

Weithin sichtbar aber sind die rauchenden Ruinen der zahlreichen Städte. Einst Zeugen des hohen technischen Fortschritts der Menschheit, sind sie nun Zeugnis einer Zivilisation, die in ihrem Glaubenswahn erblindete.

Die Nacht war über das Land gekommen.

 

Das kleine Mädchen in der schmutzigen Kittelschürze, löste sich von seiner Mutter.

Mutter hatte sich seit Stunden nicht mehr gerührt und das Kind wusste, dass sie tot war. Immer, wenn sich jemand nicht rührt, ist er tot.

Das hatte Mutter ihr gesagt, ohne dass sie es eigentlich verstand.

Mutter würde nicht mehr gehen und mit ihr reden.

Tiefe Trauer kam in ihr auf.

Doch sie wusste nicht, wohin sie dieses Gefühl stecken sollte.

Eine Träne rann ihr auf den Wangen herab, die sie mit der Zunge auffing. Wasser war zu kostbar.

Das hatte Mutter ihr gelehrt.

Das Mädchen, das außer den beißenden Hunger und den Durst nichts weiter hatte als ihre Kittelschürze, kletterte den Schuttberg, der wohl einst mal ein großes Haus war herab, in der Hoffnung, etwas Essbares zu finden.

Sie schaute nicht mehr zurück – zur toten Mutter.

Sie schaute nach vorn.

Mutter hatte es ihr so gesagt.

Vorn konnte viel passieren. Der Schutt steckte voller böser Überraschungen. Wenn man nicht aufpasste, stieß man sich schnell an den geborstenen Stahlteilen blutig.

Blut bedeutete offene Wunden. Davon konnte man sehr krank werden.

Das wusste sie von Mutter.

Blut lockte auch schnell die bissigen Ratten an und vor ihnen hatte sie große Angst.

Außerdem musste sie sich vor den Schatten verstecken.

Das waren die Schlimmsten. Sie würden sie töten und essen, weil sie vor Hunger und Krankheit wahnsinnig geworden waren.

Mutter hatte ihr oft von ihnen berichtet. Hatte ihr oft genug beschrieben, wie sie den Schatten aus dem Weg gehen konnte. Sie hatte gut zugehört und sich alles fest eingeprägt – auch wie sie die Beschützer finden sollte.

Die Beschützer würden ihr helfen.

Mutter hatte ihr viel gelehrt.

Endlich erreichte sie den Fuß des Schuttberges und befand sich auf einem alten rissigen Asphaltweg, der sich zwischen den Ruinen dahinzog.

Trotz der Dunkelheit konnte sie wenige Meter vor sich, etliche in Lumpen gehüllte Gestalten erkennen. Wild gestikulierend und scheinbar im Streit kamen sie ihr immer näher.

Schatten! , erkannte sie sofort.

Schnell kletterte sie wieder einige Meter den Schutt hinauf und klemmte sich zwischen die Betonbrocken. Mehr Schutz fand sie vorerst nicht. Doch es musste reichen. Mit pochendem Herzen schloss sie ihre Augen und ging in sich. Eine Welle farbigen Lichts überflutete kurz ihren schmalen Körper, Sekundenbruchteile nur, und sie hatte sich optisch der Struktur der Schutthalde angepasst.

Trotz dieser Kunst hatte sie Angst, dass ihr laut pochendes Herz, sie verraten würde.

Doch die verwahrlosten Gestalten bemerkten sie nicht und zogen tobend weiter.

Endlich konnte sie ihre Tarnung aufgeben und wieder herabklettern.

Die besondere Gabe, die wie Mutter sagte, die verstrahlte Natur ihr in die Wiege gelegt hatte, hatte auch ihren Preis.

Sie zehrte an ihren Kräften.

Das Rumoren im Bauch war größer geworden und ihre Beine gehorchten kaum noch.

Erschöpft setzte sie sich nach wenigen Metern auf den kalten Asphalt und starrte auf den schmutzigen porösen Boden.

Wieder rannen Tränen über die schmutzigen Wangen.

Diesmal jedoch hatte ihre Zunge nicht mehr die Kraft, sie aufzuhalten.

Unaufhaltsam perlten sie ihr aus den Augen, flossen, Schmutzränder hinterlassend, über das Kindergesicht, um schließlich als dicke Tropfen vom Kinn fallend, laut platschend, auf den Asphalt aufzuschlagen.

Das kleine Mädchen sah nicht, wie sich die Tropfen zu einem Rinnsal vereinten, dass den Weg hinabfloss. Es sah nicht, wie die Wolken im Spiegel des salzigen Wassers aufbrachen und der Mond sein Licht zur toten Erde schickte.

Das Mädchen spürte nur den kühlen Wind, der ihr durch das strähnige blonde Haar strich.

Als es aufsah, hatte der Himmel sich geöffnet. Verschwunden waren all die dunklen verstrahlten Wolken und zum ersten Mal sah sie den Sternenhimmel in seiner vollen Pracht.

Nie zuvor hatte sie so viele funkelnde Lichter gesehen, und nie zuvor einen so großen goldgelben Mond.

Sie kannte den Mond aus Mutters Geschichten.

Manchmal, so hatte Mutter erzählt, war er rot.

Dann war der Mond böse mit den Menschen und viele starben bei seinem Erscheinen.

Manchmal auch, ganz selten oder in früheren Zeiten, war er weiß und Friede und Eintracht herrschten auf der Erde.

Doch am liebsten erzählte Mutter vom gelben Mond.

"Das ist der Honigmond," sagte sie dann leise und ihre Gedanken schienen dabei in weite Ferne zu schweifen.

"Er säuselt dir süße Dinge ins Ohr und wenn du bei deinem Liebsten bist, hält er Wacht, bis der Tag anbricht. Diese Nacht, im Schutz des Honigmondes wirst du nie vergessen und manchmal vollbringt er Wunder, die wir mit unseren kleinen Herzen nicht begreifen."

Wunder?

Das Mädchen schaute sehnsüchtig zum Mond. Wieder spürte sie, wie sich ihr hungriger Magen verkrampfte und neue Schwäche ihren Körper befiel.

Ein Wunder könnte sie jetzt gut gebrauchen.

Da sah sie einen Lichtblitz am linken Rand des Mondes. Heller noch, als sein goldgelbes Leuchten, wanderte er zur Mitte hin, wurde größer und gleißender, bis er schließlich das Leuchten des Mondes selbst übertraf um als buntes Feuerwerk in Myriaden von tanzenden Funken zu explodieren. Geblendet, jedoch entzückt von diesem Schauspiel, hielt sie die Hand vor die Augen und als sie schließlich einen Blick durch die gespreizten Finger wagte, sah sie in das Gesicht eines freundlich lächelnden Honigmondes.

Der Honigmond lachte so laut, dass sie sich erschrak. Sein Mund wurde dabei so breit, dass er fast die gesamte Mondscheibe einnahm. Links und rechts des Mundes, in Höhe seiner dicken Stupsnase sprangen kleine Buckel hervor, die sich schließlich als Hände entfalteten.

Freundlich winkte er ihr zu und lachte so vehement, dass die Pausbacken hüpften und jedes Mal seine Augen zu lustigen Schlitzen wurden.

Jetzt musste auch das Mädchen lachen und erwiderte sein Winken.

All ihre Müdigkeit und Trauer war verflogen.

"He, kleines Mädchen", rief der Honigmond ihr zu, "lass uns etwas köstliches backen. Meine Honigkuchen sind berühmt und begehrt in der ganzen Welt."

"Oh, ja!" ,rief sie begeistert. "Und ich helfe dir gerne dabei."

In ihren blauen Augen entstand ein Leuchten, das den Glanz der Sterne überstrahlte und das Leuchten der Milchstraße verblassen ließ.

 

"Für wen wollen wir denn Kuchen backen?" fragte der Mond.

Sie überlegte nicht lange.

"Für alle Kinder der Welt!", rief sie freudig aus.

"Auch für die Kinder mit anderem Glauben?", fragte der Mond neugierig.

"Haben die nicht auch Hunger?", erwiderte sie scheu seine Frage.

"Natürlich", entgegnete der Mond.

"Dann wollen wir für alle den süßesten Honigkuchen backen, den die Welt je gegessen hat!", rief sie.

Da lachte der Mond und wieder hüpften seine Pausbacken auf und nieder.

"Nun denn kleines Mädchen, mach ein großes Feuer und schüre gut die Glut während ich die Zutaten bereite."

Direkt vor ihren Augen erschien ein goldgelber Backofen. Sie lief eifrig umher und warf das gefundene Holz hinein, das die Anfangs kleine Flamme hell aufleuchten ließ und wohlige Wärme sich ausbreitete. Mit einem goldenen Haken richtete sie die Glut so, dass der Kuchen gleichmäßig Hitze bekam.

Ein köstlicher Duft von zuckersüßem Honig breitete sich aus und ihr gequälter Magen meldete sich sofort.

Doch sie wollte nicht essen, bevor die Arbeit beendet war. Längst hatten nicht alle Kinder der Welt ihren Hunger gestillt.

Wieder und wieder hielt sie das Feuer am Leben und der Mond verteilte das frisch Gebackene so schnell er nur konnte.

Schließlich sah er von seiner Arbeit auf und sprach: "Ein Stück Kuchen nur habe ich noch übrig kleines Mädchen, aber da ist noch ein Junge am Nordpol, den ich völlig übersehen habe und sein Hunger ist sehr groß."

Der Mond sah traurig auf das Mädchen herab und sein ehedem lustiges Gesicht bedeckte sich mit trübseligen Falten.

Stumm schaute sie auf das duftende Stück Honigkuchen. Schlagartig wich aller Frohsinn von ihr. Ein kalter Schauer durchzog sie. Nagender Hunger kroch in ihre Glieder und fraß sich wie ein gieriger Wurm durch ihren kleinen Körper.

 

Schließlich sagt sie, fast flüsternd, mit schwacher Stimme: "Gib dem Jungen das Stück Kuchen. Lieber möchte ich sterben, als dass ein anderes Kind solchen Hunger wie ich erleiden muss."

Der Mond verteilte seinen letzten Kuchen und sah mit Entsetzen, wie das kleine Mädchen ohnmächtig auf den staubigen Asphalt sank.

"Bist ein gutes Kind", flüsterte er leise. "Nimm deshalb meinen Kuchen und lass es dir gut gehen."

Da löste sich aus seinem Auge eine goldene Träne und schoss einer Sternschnuppe gleich, mit blitzendem Feuer, der Erde entgegen.

Am folgenden Morgen, der seit Jahren das erste Mal wolkenlos war und das Licht einer sehnsüchtig erwarteten Sonne die tote Erde beleuchtete, fand eine Gruppe Beschützer ein erschöpftes, glücklich lächelndes Mädchen inmitten von duftenden Honigkuchen, die nach ihrer Form und Aussehen aus den Ruinen zu wachsen schienen.

 

 
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