Erde
© 2007 Torsten Hefenbrock
Miles, denke ich, während ich mit Hilfe des rechten Fußes die Schaufel knirschend in den Haufen Erde stoße, den ich zuvor aus dem loch ausgehoben habe. Die Leiche liegt unter einer dünnen Schicht feuchter Erde. Der Regen plätschert auf meine Schädeldecke, die Bäume wiegen in der leichten Brise und ich kann die Wühlmäuse im Wald zwischen dem Platschen des Regens hören. Es sind dicke, große Tropfen, die die Erde nass machen. Es ist gut, dann ist sie weicher, aber andererseits auch schwerer.
Die Arbeit ist anstrengend, aber sie muss getan werden, mir bleibt keine andere Wahl. Mein Sohn, oh Gott, wenn ich nur an ihn denke, wird mir schon übel bei dem Gedanken, was wäre wenn ich ihn nicht umgebracht hätte.
Es war nur halb so schwer gewesen, wie ich es mir vorgestellt habe, aber ein wenig tat es mir im Herz weh. So viele Jahre lebten wir zusammen. So viele Jahre. Ich hatte alles mit einem einzigen Hammerschlag beendet.
So leicht kann man ein Leben auslöschen. Immer wieder überkommen mich Schuldgefühle, aber die Regentropfen scheinen sie mir aus dem Kopf zu waschen. Wie viele Menschen haben es wohl schon auf diese Art gemacht? Ich weiß es nicht. Ich betäubte ihn, hielt einen Nagel fest auf seinem Kopf und schlug zu. Der Nagel durchbohrte seinen halben Kopf und aus war es mit ihm, aber was war mir anderes übrig geblieben? Jetzt muss ich eben die Arbeit zu Ende bringen und ihn beerdigen. Ich finde begraben hört sich so endgültig an. Es erinnert mich daran, dass die Leiche im Laufe der Zeit verrotten wird und bald nicht mehr als Knochen da sein werden.
Es musste getan werden und mir fiel diese schreckliche Aufgabe zu, weil ich der einzige war, der es wusste. Er lebte so viele Jahre in meinem Haus und ich hatte es dennoch nicht bemerkt. In meinem gottverdammten Haus! Wieso? Wieso gerade ich?
Der Regen wird stärker, die Erde wird schwerer und mehr und mehr schmerzen meine Arme. Die Oberarme brennen und die Hände bekommen langsam Blasen.
Miles war immer nett, denke ich, als der nächste Haufen ins Grab fiel. Man hätte sich keinen besseren wünschen können. Teufel!
Zum Teufel mit meinen Gedanken, scheiß drauf, jetzt habe ich es schon getan und ich kann es nicht mehr ändern, geschweige denn rückgängig machen. Er war nett, aber es ist meine Aufgabe gewesen…ist es. Lang genug habe ich ihn in der Ecke sitzend beobachtet und wieder und wieder festgestellt, was hier gewaltig falsch läuft.
Die letzte Schaufel voll Erde hebt sich in meinen Händen und die einzelnen Brocken fallen in das Loch. Fertig.
Ich lege die Schaufel beiseite und bücke mich, um das selbst gemachte Kreuz aufzuheben.
Miles starrt mich in dicken Buchstaben an. Wie ein Fluch trifft es mich im tiefsten Innern meines Herzens. Ich verfluche den Tag, an dem Gott ihn verfluchte. War es Gott gewesen? Nein, eher der Teufel.
Den Senkrechtbalken steche ich mit voller Wucht in die Erde und über mir lässt ein Blitz den Himmel für den Bruchteil einer Sekunde in Flammen aufgehen. Das gleißende Licht durchfährt den dichten Wald wie Moses das Wasser mit seinem Gefolge.
Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht, denke ich und drehe mich um, um zu gehen. Er hatte diese Flammen in den Augen, dieses Rot. Es war unheimlich und teuflisch. Teuflisch! Er war von einem Dämon besessen, sonst hätte er mir nie ein Stück aus meinem Rücken heraus gebissen!
Ich entferne mich vom Grab meines Hundes Miles und gehe nach Hause, um den Verband zu wechseln. Der Teufel ist ausgetrieben.
Ende
27.02.07
Torsten Hefenbrock