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Schatten

 © 2005 by Lukas Seepe


I

Wigalt Rem saß in seiner Kammer im Schloss Merija und dachte nach. Er saß auf dem kleinen Bett neben dem Fenster, durch das das letzte Licht der Abendsonne rötlich hindurch schien, bevor sie hinter den Bergen des Schwarzen Landes verschwand. Er dachte daran, wie er vor sechs Wochen dorthin ritt, auf verlangen des höchsten Primeras Priesters.

II

"Die Verbindung zu den Siegelwachen ist abgerissen" sagte der Priester besorgt.

"Abgerissen?" fragte er erstaunt.

"Ja, wir haben keinen Kontakt mehr zu ihnen. Du wirst dorthin reiten, Erbe des Wigalt. Du wirst dorthin reiten und die Angelegenheit aufklären."

"Wie Ihr wünscht, mein Herr." Rem erhob sich von seinen Knien.

"Möge das Unifremd dir gnädig sein."

"Und euch ebenso." Er legte seine rechte Hand auf seinen großen Brustkorb, ballte die andere zu einer lockeren Faust, die er hinter seinen Rücken hielt und verbeugte sich. Dann drehte er sich um und verließ den großen Primerassaal. Er war nun schon seit einer Woche in dieser Stadt, um mit seiner versprochenen die Angleichung zu begehen. In neun Sonnen sollte es soweit sein. Doch jetzt wurden seine Pläne umgeworfen. Die Siegelwächter waren aus dem Kreis der Primeras getreten – oder irgendjemand hatte sie herausgezerrt.

Er wählte zweihundert Menschenkrieger, fünfzig Primerasmagier und einen Primeraspriester aus, die ihn begleiten sollten. Noch am selben Tag sattelten sie ihre Pferde und ritten los, in Richtung Schwarzes Land. Sie bahnten sich ihren Weg durch den engen, dicht bewachsenen Gebirgspass. Einmal bildete sich Rem ein, das heulen von Wölfen zu hören, doch wahrscheinlich war es nur der Wind, der irgendeine Felsspalte gefunden hatte, in der er herumwirbeln und dieses beängstigende Geräusch erzeugen konnte.

Am Abend machten sie Rast an einem Gebirgsbach und stellten ihre Zelte auf. Die meisten von ihnen hatten sich bereits zur Ruhe gelegt, doch Rem saß auf einem Felsvorsprung und starrte in das erhabene Dunkel der Nacht. Der Vollmond hing wie ein großer Leib Käse am Sternenbevölkertem Himmel. Doch, und das beunruhigte ihn ein wenig, er spendete kaum Licht. Die hohen Felsen, die rings um sie herum standen, hielten es auf. Hier war nur Schatten. Nichts weiter. Nur Schatten. Natürlich nicht solche Schatten, wie sie sein Vorfahr einst bezwungen hatte, doch sie wirkten bedrohlich. Sie kündigten Unheil an.

"Herr, wollt Ihr nicht auch langsam zu bett gehen? Es ist schon spät." Einer der wachehaltenden Krieger war an ihn herangetreten. Eine große Narbe war in seinem Gesicht. Sie führte von der hohen Stirn, zwischen den kleinen Augen entlang, lief über seiner großen, krummen Nase und endete schließlich am Anfang des gewaltigen Unterkiefers des Mannes. Selbst in dem schwachen Licht der Fackel, die er in der rechten Hand möglichst do hielt, dass sein Gesicht nicht zu sehen war, war die helle Narbe auf seiner dunklen Haut zu erkennen.

"Vielleicht hast du recht, Brutus Ogla. Vielleicht sollte ich mich schlafen legen. Aber ich bleibe noch etwas hier sitzen und schaue mir die Gegend an."

"Aber Herr, in dieser Dunkelheit doch so gut wie nichts zu erkennen!"

"Mag sein." sagte er nur, worauf Brutus Ogla sich umdrehte und davon schlenderte.

Brutus war einer derer gewesen, mit denen Rem im seiner Kindheit trainiert hatte. Sie wuchsen zusammen auf, hatten den selben Lehrmeister und schließlich kämpften sie auch zusammen. Vor drei Jahren waren sie in eine Schlacht mit den Bewohnern Tarnas gezogen. Ein Schwerthieb, dem Brutus auswich, so gut es ging, entstellte sein Gesicht. Von diesem Tag an versuchte er immer, es zu verbergen. Die Kragen seines Kriegsgewandes waren immer hochgeklappt, genauso die, des rituellen Huspins. Ein langer, schwarzer Mantel, ähnlich einem Kleid. Ogla war immer einer der engsten vertrauten Rems gewesen, doch selbst ihm hatte er nicht von seinem Geheimnis erzählt. Er hatte ihm nicht erzählt, woher die Narben an seinen Handkanten kamen. Selbst ihm hatte er es nicht erzählt. Das war ein Geheimnis, das in der Familie bleiben musste.

Etwas blitzte leicht auf, in der Dunkelheit. Augen. Es waren zwei Augen. Die in der Düsternis leuchteten. Da, noch zwei Augen. Und noch ein paar. Und noch eins. Und noch eins. Wölfe. Rem war sich sicher. Es mussten die wilden Nachtwölfe sein, von denen er schon so viel gehört hatte. Sie schliefen nicht. Sie waren den ganzen Tag und die Ganze Nacht unterwegs, um nach Nahrung zu spähen. Doch sie griffen nur nachts an. Tagsüber beobachteten sie nur. Sie hielten sich in dem Gebiet, rings um den Schwarzen Berg auf. Wigalt Rem hatte das immer für ein Gerücht gehalten, das sich irgendwelche Einfallspinsel ausgedacht hatten, um als die Helden dazustehen, die die Bestien besiegt hatten.

Die wachehaltenden Krieger lachten. Einer von ihnen musste wohl einen Witz gemacht haben.

Die vielen Augen im Dunkel kamen immer näher. Jetzt war auch ein leises knurren zwischen dem zirpen der Grillen herauszuhören. Rem wusste, würde er aufstehen oder etwas rufen, würden die Nachtwölfe sofort aus der Dunkelheit springen und ihn und die anderen zerfleischen. Er griff ganz langsam und behutsam nach dem Ka-ap in seiner Manteltasche und zog es heraus. Das Ka-ap war die Waffe, die seine Erblinie, bis hin zu Wigalt Josuam, schon sein Jahrhunderten benutzte. An einem Silberring war eine Schnur aus Drachensehnen, dem wiederstandsfähigstem Matereal in Wolkenland, befestigt, die sich in einem Loch einer Handgroßen, mit stachelnbesetzten Platinkugel aufwickelte. Er streifte den Ring über den Finger und höhlte zum Wurf aus. Er zielte zwischen zwei der leuchtenden Augen, die in der Dunkelheit auf ihn zu schwebten und traf. Er hörte das brechen einer Schädelplatte und ein aufheulen. Er zog das Ka-ap zurück und wirbelte die Drachensehne dabei so geschickt, dass sie sich wieder aufzog.

"Herr! Herr ist alles in Ordnung bei euch?" rief einer der wachhabenden Krieger.

"Einer von euch weckt die Magier. Die anderen schnappen sich ihre Fernkampfwaffen und schießen auf die Augen!"

"Welche..." der Krieger verstummte. Er musste gesehen haben, was Rem beschäftigte.

Die Nachtwölfe kamen auf Rem zugerannt. Rem wirbelte die Drachensehne und das Ka-ap herum, so dass jeder der Wölfe, die in seine Nähe kamen mindestens verwundet wurden. Einer nach dem anderen fiel heulend zu boden. Rem spürte den leichten Luftzug, von Pfeilen die an ihm vorbeirasten. Auch sie trafen ins Ziel.

Dann kamen die Magier. Drei an der Zahl. Sie wussten genau, was zu tun war. Währen Rem – inzwischen von Wölfen umzingelt – immer noch mit dem Ka-ap herumwirbelte, verteilten sie heilige Steine in einem großen Kreis. Sicher stammten diese Steine aus der heiligen Miene im Berg Prodox. Nachdem sie die Steine verteilt hatten, fingen sie an die rhythmischen Beschwörungsformeln auf Primeras zu sprechen. Die Steine fingen an zu leuchten. Rem war dankbar für dieses Licht. Jetzt konnte er wenigstens sehen, gegen was er kämpfte. Es waren tatsächlich Wölfe. Ihr Fell war schwarz und ihr Kopf im Vergleich zu dem Körper erstaunlich klein. Das konnte er jetzt sehen. Doch er konnte auch sehen, dass an dem östlichen Abhang immer mehr Nachtwölfe kamen. Das Ende der Horde konnte er nicht ausmachen, soweit reichte das Licht nicht, doch es mussten tausende sein.

Die Beschwörungsformel war zuende gesprochen. Ein Band aus gleißend hellem Licht verband die Steine miteinander und stieg empor, wobei es dünne Fäden senkrecht zurückließ, ähnlich Gitterstäben aus dunklen Fäden. Jetzt konnten keine Wölfe mehr nachkommen. Rem und die drei Krieger mussten lediglich noch die übrigen Wölfe, die innerhalb des Schutzkreises waren, erledigen.

III

Am nächsten Tag brachen sie erst mittags auf, da Rem sich von der Erschöpfung durch den Kampf ersteinmal erholen musste. Er hatte keine einzige Verletzung davongetragen; die Nachtwölfe waren gar nicht an ihn herangekommen, bevor die schwere Wucht des Ka-aps sie zu boden streckte.

Als er aus seinem Zelt kam strahlte die Mittagssonne die hellgrauen Felsen an. Kein schwarz mehr. Die Nachwölfe waren verschwunden. Die, die er niedergestreckt hatte lagen auf einem Haufen, am Rande des Schutzkreises, der nur noch durch den in den Felsgebrannten Abdruck auszumachen war; die Primerasmagier hatten die Steine bereits wieder aufgesammelt. Ein paar der Wölfen wurden die essbaren Teile abgetrennt und eingepackt, dann brachen sie auf. Drei Stunden später hatten sie den Schwarzen Berg erreicht. Tot. Die Wächter Primaswächter lagen verstreut auf dem großen Platz vor dem Berg. Alle waren sie tot. Etwas hatte sie umgebracht.

"Segonat. Segonat, weihe ihre toten Seelen, damit sie aufsteigen können." sagte Rem in straffen Ton.

"Sehr wohl." sprach der Priester und legte den langen, knochigen sechsten Finger seiner rechten Hand auf einen der toten Siegenwächter und fing an.

Der zusätzliche Finger, an jeder der Hände, eines Primeras war der einzige äußere Unterschied, zwischen ihnen und den gewöhnlichen Menschen. Aber die geistigen Unterschiede waren gewaltig.

Rem schritt über den Platz, zu dem Ort, wo sich das Siegel befinden sollte. Doch es war zerbrochen worden.

IV

"Die Schatten sind frei!" Rem erstattete dem obersten Primerapriester Bericht.

"Frei? Bist du dir da ganz sicher?"

"Ja, ich habe es selbst gesehen. Das Siegel wurde zerbrochen."

Der oberste Priester schwieg.

"Irgendjemand muss sie befreit haben, da bin ich mir ganz sicher."

Er schwieg.

"Sagt mir, was ich tun soll und ich werde gehorchen."

Er schwieg. Es dauerte eine ganze Weile der Überlegung, bis er sagte: "Wir werden abwarten. Ich werde den obersten Rat versammeln. Aber bis es soweit ist werden wir abwarten und nichts tun.

"Wie Ihr wünscht." Er stand auf, machte die Geste des Abschieds und ging.

V

Und jetzt, fast sechs Wochen später, saß er hier und dachte daran. In achtzehn Stunden würden die Schatten hier eintreffen, das hatte der oberste Rat der Primeras gesehen. Und er würde mit seiner Armee gegen sie kämpfen müssen. Seine Armee war nicht gerade klein – eintausendzweihundert Menschenkrieger, vierhundert Primerasmagier und zehn Primaspriester, wobei die Priester nur zur psychologischen Unterstützung dienten, nicht zum kämpfen –, aber er fürchtete sich. Niemand, der noch lebte, hatte jemals einen Schattendämon gesehen. Niemand hatte je einen gesehen, seit über siebenhundert Generationen nicht mehr. Seit sein Ahne, Wigalt Josuam, sie besiegt und eingesperrt hatte. Und jetzt... jetzt wurde von ihm erwartet, dass er gegen eine ganze Armee dieser Kreaturen antrat. Er wusste ja nichteinmal, wie fiele es genau waren. Viele. Und wie würden sie aussehen? Würden sie aussehen, wie Menschen? Oder wie Primeras? Oder sahen sie womöglich noch aus wie Nachtwölfe? Waren sie vielleicht die Nachtwölfe? Oder waren es Kreaturen ohne festen Körper, die nur aus einer schwarzen Wolke bestanden? Er wusste es nicht. Niemand wusste es.

Es klopfte.

"Ja." Sagte er tonlos.

Merija Pedunia, seine Versprochene, trat ein. Sie hatte ein langes, weißes Nachtkleid an, welches eng an ihrer schmalen Taille anlag. "Wigalt Rem..." sagte sie entschlossen.

"Was kann ich für euch tun, Merija Pedunia?" fragte er verwundert. Es war nicht üblich, dass zwei Versprochene sich in der Nacht trafen.

"Ihr werdet sterben, Rem, nicht wahr?" Die Entschlossenheit in ihrer Stimme hatte abgenommen und sie schien den Tränen nahe. "Ihr werdet sterben. Ihr werdet sterben, ohne mir mein recht gewährt zu haben, Euren Erben in mir zu tragen. So ist es doch?"

"Ich kann euch auf diese Frage keine Antwort geben, dass wisst ihr. Ich bin kein Primeras. Und selbst die können den Tod nicht sehen. ...Es ist gut möglich, dass ich sterben werde. Wenn das meine Bestimmung ist, kann ich es nicht abwenden."

"Dann bleibt hier. Zieht nicht in die Schlacht, sondern bleibt bei mir, Eurer Versprochenen."

Rem blickte auf seine Handkante. Die Narbe war seit seiner Kindheit gut verheilt, aber man konnte sie noch sehen.

VI

Wigalt Josuam war ein großer Mann gewesen. Doch bevor er auftauchte lebte Wolkenland in Angst und Schrecken. Die Schatten überzogen das Land. Sie kamen aus der Schattenwelt, dessen Tor schon immer offen stand. Die Schattenwelt war geradezu winzig und unbequem, deswegen kamen sie herauf um diese Welt ihr Zuhause nennen zu können. Sie löschten jeden Menschen aus, der ihnen begegnete und fraßen ihn. Doch dann kam der erste Wigalt. Niemand weiß woher. Er fand das Tor zur Schattenwelt. Er war es, der den kühnen Plan fasste, die Schattendämonen dort einzusperren. Von einem Primeraspriester, der sich ansonsten aus der Sache heraushielt, ließ er sich ein Siegel herstellen, welches das Tor zur Schattenwelt auf immer schließen sollte. Er lockte die Schatten dorthin – wie, das weiß niemand – und versiegelte das Tor. Die Schatten waren eingesperrt. Und zur Überraschung aller, von einem Menschen. Das kündigte nicht nur das Ende des Schattens an, sondern auch das Ende der Herrschaft der Primeras über die Menschen. Sie waren nun nicht mehr die allmächtigen Wesen, die die Menschen beschützten. Sie wahren nur noch andere Geschöpfe.

Doch das ist nur die Wahrheit, die das Volk kennt. Die andere Wahrheit, die wirkliche Wahrheit, ist, so verblüffend einfach sie auch sein mag: Wigalt Josuam war kein Mensch. Er war ein Primeras, der für die Freiheit der Menschen kämpfte. Er trennte sich bereitwillig die beiden Finger ab, die nur Primeras besaßen, und er löste sich aus der mentalen Verbindung mir ihnen, damit die Menschen frei waren. Dieses Geheimnis wurde von Generation zu Generation nur in der Familie des Wigalts weitergegeben. Seinen Erben wurden die äußeren Finger direkt nach der Geburt abgetrennt, ihre Verbindung wurde unterdrückt und ihre Aura verändert, so dass sie der eines Menschen glich. So war es auch bei Rem. Seine magischen Fähigkeiten waren natürlich verkümmert, da er sie noch nie einsetzen durfte, doch er war ein Primeras.

VII

"Das kann ich nicht." sagte Rem leise. "Es ist meine Pflicht in den Kampf gegen die Schatten zu ziehen. Ich kann meine Pflicht nicht einfach vergessen."

"Ja, es ist Eure Pflicht." Pedunias Stimme schien sich gefestigt zu haben. "Genauso wie es meine Pflicht ist, Euch einen Erben zu schenken. Wenn ich diese Pflicht nicht erfülle, werdet Ihr der letzte der Wigalts sein. Das kann ich nicht zulassen."

"Was wollt Ihr denn machen?"

"Vollzieht die Vereinigung mir mir!" Sie sprach plötzlich laut und in gehobenen Tonfall.

"Seit Ihr verrückt geworden? Das würde uns beide umbringen. Vergesst nicht, unsere Auren sind nicht angeglichen." Jetzt sprach er genauso laus, wie sie. Aber sein Tonfall war eher aufbrausend.

"Ihr habt doch bestimmt einen Primeras in Eurer Armee, der die Angleichung vornehmen kann, ein Priester. Sowas habt Ihr doch, oder?"

"Ja, das habe ich."

"Also, lasst uns zu ihm gehen und die Angleichung vornehmen lassen."

"Ihr sprecht weise, junge Frau." Diesen alten Spruch hatte er bisher nur von alten Männern gehört, aber er fand, er passe ganz gut hierher. "Also denn, machen wir uns auf einen Priester aufzutreiben." Er zog sich den Huspin über und sie gingen.

VIII

Auf dem Weg zum Lager der Krieger und Primeras dachte er daran, was sein Vater, Wigalt Galivur, ihm einst über die Angleichung erzählt hatte. Er sagte damals: "Die Angleichung ist ein Ritual, das die Primeras nach ihrer Entmachtung erfunden haben. Sie vergifteten die Auren der Menschen. So mussten die Menschen, wenn sie die Vereinigung tätigen wollten – was nötig ist damit sie überleben – müssen sie zuerst zu einem Primeraspriester gehen, um Ihre Auren anzugleichen. Andernfalls würde sie die Vereinigung umbringen. Die Auren vermischen sich miteinander und löschen sich gegenseitig aus. Sie haben die Auren vergiftet, um nicht all ihre Macht zu verlieren. Wenigstens eine Religiöse Machtposition wollten sie sich sichern. Und das ist ihnen auch gelungen. ...Kaum jemand weiß von dieser Sache. Und es wäre mir auch lieber wenn es so bleibt, verstanden Junge? Das wäre nicht gut für die Harmonie. Es würde womöglich eine Revolution geben und das brächte viele tote mit sich." Das, und andere Geheimnisse waren ihm während eröffnet worden.

Da waren sie. Sie knieten vor Segonat, der seine zusätzlichen Finger auf ihre Schläfen gelegt hatte. "Gleich werde ich die Angleichung vornehmen, seid ihr bereit?"

"Ja." sagte sie.

"Ja." sagte er.

"Dann stelle ich euch jetzt die letzte Frage." Er schwieg kurz. Rem wusste, was das zu bedeuten hatte. Er würde gleich mit der Stimme sprechen. "Merija Pedunia, willst du Wigalt Rem mit Liebe dienen und ihm einen Erben schenken, wie es deine Pflich ist?" Tatsächlich, es war die Stimme. Die Macht, mit der die Primeraspriester Menschen manipulieren konnten. Und es funktionierte. Auf diese frange musste Pedunia die Wahrheit antworten, es gab keine andere Wahl.

"Jaaaaa." der Laut klang Geistesabwesend und ausdruckslos.

"Wigalt Rem,..."

Wigald wurde von der Stimme nicht beeinflusst – dafür war das Erbe eines Primeras zu stark.

"...willst du Merija Pedunia mit Liebe dienen und dir von ihr einen Erben schenken lassen, so wie es deine Pflicht ist?"

"Jaaaaa." Er imitierte nur den Laut, den Pedunia von sich gegeben hatte.

"Dann wird nun eine Aura der anderen angeglichen." Er legte jedem der beiden einen der zusätzlichen Finger auf die Schläfe und sprach einen Spruch. "Eure Auren sind nun angeglichen." sagte er.

IX

Ihre Auren waren angeglichen und sie vollzogen die Vereinigung. Für beide war es das erste mal – und für Rem, aber das ahnte er zu diesem Zeitpunkt nur schwach, würde es auch das letzte mal sein.

Als sie fertig waren schlief Rem ein. Schon zwei Stunden später wachte er wieder auf. Pedunia lag neben ihm und atmete langsam und gleichmäßig. Er stand auf, zog sich seine Kriegeruniform an und ging vor die Tür. In dem Licht der Öllaternen wirkte seine Schwarze Uniform leicht rötlich – ein bisschen wie Blut. Die Flure waren nur schwach beleuchtet. Gerade so, dass jemand der nachts aufstand um seinen natürlichen Bedürfnissen nachzugehen den Weg zu den Plumpsklos fand.

Er ging den langen Flur entlang zu dem Zimmer seines Vaters. Er klopfte... keine Antwort.

Schließlich beschloss er, einfach einzutreten.

Wigalt Galivur saß zusammengezogen in einer Ecke des Raums. Er wippte hin und her. Dann sah er ihn. "Rem" sagte er. "Ich habe einen Fehler gemacht, mein Junge. Einen schrecklichen Fehler"

"Wovon redest du, Vater?"

"Ich war es. Ich habe meine Primeraskräfte genutzt. Ich habe die Schatten befreit."

Rem sagte nichts. Er war sprachlos. Hatte sein Vater gerade das gesagt, was er verstanden hatte?

"Ich habe sie befreit! Ich dachte, sie ziehen nach Westen, nach Tarnas. Ich dachte, sie würden Tarnas auslöschen und dann weiterziehen. Dann wäre der Krieg zuende. Ich habe mich geirrt."

Rem wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Sein Vater hatte ihm gerade gestanden, dass er die Schatten freigelassen hatte. Er, ein Erbe des großen Wigals Josuam. Rem drehte sich um und ging raus. Doch bevor er die Tür wieder schloss, sagte er noch etwas – nicht viel, aber es saß. "Verräter. Du hast das Erbe des Wigalts in den Schmutz gezogen. Verräter."

X

Der Zeitpunkt war gekommen. Wigalt Rem saß auf seinem stattlichen Hengst und hielt seine Ansprache. Vielleicht würde es etwas nützen, vielleicht aber auch nicht. Er wusste es nicht. Seine Ansprache war großartig. Jedoch... Angesichts des Feindes, der in unbekannter Form und unbekannter Größe auf sie zukam, fühlte er sich selber nicht wohl. Er hatte auch kaum geschlafen – nicht mehr seit er mit seinem Vater geredet hatte. "Und deshalb bin ich mir sicher, wir werden die Schatten besiegen. Jeder von euch wird ein Held sein und in das große Buch der Ereignisse eingehen – Namentlich. Jeder einzelne! Lasst uns diese verdammten Schatten mit dem Licht vernichten, das uns allen innewohnt."

Die Krieger und Magier schrieen einen lauten, kraftvollen Beifallschrei.

Sie warteten über eine Stunde, bis sich die Schatten zeigten. Zuerst nur eine dunkle Wolke am Horizont. Dann einzelne Gestalten. Es waren keine Nachtwölfe. Und auch keine formlosen Wolken. Sie hatten Körper. Noch waren sie zu weit weg, um genaueres zu erkennen. Doch das änderte sich innerhalb von wenigen Minuten. Was Rem sah, verschlug ihm fast den Atem. Blasse, dürre Gestalten kamen auf sie zu. Sie hatten nirgends Haare am Körper und waren vollkommen nackt. Sie stießen laute, beängstigende Schreie aus und fingen an mit beträchtlicher Geschwindigkeit zu rennen.

"Fangt an." rief Rem den Magiern zu.

Sie murmelten Beschwörungen.

Die gestalten wurden immer schneller. Über ihnen schwebte eine schwarze Wolke, die Ihren Schatten warf. Inzwischen konnte Rem die Zähne der Kreaturen sehen. Sie waren braun, dreckig und kaputt, Messerscharf und ragten aus schwarzem – totem – Zahnfleisch. Ihre Fingernägel machten die Finger zu Klauen, zu gefährlichen Waffen. Sonst hatten die Kreaturen keine Waffen bei sich.

Aus dem Boden unter den Schattendämonen schoss eine Feuersäule und fiele wurden weggeschleudert. Die Lücke wurde sofort wieder, durch nachkommende Kreaturen, gefüllt. Eine Wassersäule, weiter hinten. Wieder tote Schattendämonen. Wieder nachkommende, ausfüllende Kreaturen. Die Magier hatten ganze Arbeit geleistet, aber das war nicht genug. Ein direkter Kampf ließ sich wohl nicht vermeiden. Rem machte sein Ka-ap bereit. Als sie nahe genug waren warf er sie Kugel. Er haute zwei Kreaturen auf einmal um. Er ritt los. Die Schlacht hatte begonnen. Die Krieger und Magier folgten ihnen. Rem fragte sich in diesem Moment, ob es überhaupt zu schaffen war. Die Schatten erstreckten sich bis zum Horizont – und wahrscheinlich darüber hinaus. Wieder zwei Kreaturen wurden umgehauen. Dann eine. Dass vier auf einmal. Weiter hinten schossen immer noch Feuer- und Wassersäulen aus dem Erdreich. Drei! Und wieder wurden Kreaturen durch das Ka-ap niedergestreckt. Und wieder. Und wieder. Immer mehr Kreaturen fielen. Doch um ihn herum fielen auch Menschen und Primeras. Zwei! Dann fiel sein Pferd zu boden. Es wurde durch die scharfen Krallen der Schatten aufgeschlitzt. Er sprang ab, bevor er eingeklemmt wurde. Im Spring streckte er eine weitere Kreatur nieder. Dann schleuderte er die Kugel weit weg. Sie Landete im Kopf einer Kreatur, die über hundertfünfzig Meter entfernt war. Er wedelte mir der Drachensehne herum. Dann zog er daran. Vierzehn Kreaturen wurde der Kopf abgetrennt. Er schleuderte das Ka-ap weiter herum und drehte sich dabei. Es sah fast so aus, als ob er tanzen würde. Zwanzig Schatten waren während des Tanzes gefallen. Dreißig! Vierzig! Fünfzig! Sechzig! Er konnte nicht zählen, es musste zu schnell gehen. Dann... Aus seinem Bauch guckte eine bleiche Hand. Ein Schattendämon hatte ihn von hinten durch den Bauch gestoßen. Wigalt Rem sackte in sich zusammen. Die Welt entglitt ihm.

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