©2003 by Stephan Möller (theMöllerman)
Da war zum einen die überwältigende Akustik. Die Lautstärke, mit der selbst die leisesten Töne wiedergegeben wurden, war derart groß, dass sie schon beinahe unnormal wirkte.
Zum anderen gab es noch eine Rose, die wahrscheinlich der Vorbesitzer stehen gelassen hatte. Das ungewöhnliche an ihr war, dass der Mann, der das Haus zuletzt bewohnt hatte, vor mehr als einem Jahr gestorben war, aber dennoch blühte die Rose in ihrer vollen Pracht, so schön, als wäre sie keine Woche alt.
Die Rose war rot und stand auf Jans Nachttisch. Jan spürte von ihr ausgehend eine seltsame, beinahe übersinnliche Kraft. Vorhin war er kurz eingeschlafen und hatte prompt einen Alptraum bekommen. Er träumte von einem Monster, das aus der Wand seines neuen Zimmers stieg, um ihn zu holen. Doch gerade als das Monster seine schwarzen Klauen nach ihm ausstreckte, war Jan aufgewacht. Er konnte sich zwar nicht mehr an seinen Traum erinnern – ihm waren nur ein oder zwei Details im Gedächtnis geblieben -, aber dieses flaue Gefühl, das einem nach einem Alptraum bleibt, hatte er trotzdem gekriegt. Er hatte kaum gewagt, sich zu bewegen, aber dann hatte er die Rose angesehen und auf der Stelle waren seine Ängste verschwunden. Jan konnte das nicht erklären, es war einfach so; peng-fertig-aus!
Vielleicht lag es daran, dass die Rose ein Zeichen des Lebens war. Sie hatte mindestens ein Jahr lang ohne Wasser dagestanden, aber trotzdem nichts von ihrer ursprünglichen Schönheit eingebüßt. Gar keine Frage, an dieser Rose war etwas, das kein Mensch erklären konnte. In ihr steckte das, das den Zuschauern im Horror-Kino den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Sie war etwas Übernatürliches. Nur war sie nichts böses Übernatürliches, wie die Aliens in "Dreamcatcher" oder das Monster aus "Frankenstein", sondern sie war etwas gutes Übernatürliches. Sie wollte den Menschen keine Angst machen, sondern sie wollte ihnen helfen.
Vielleicht, so überlegte Jan, war die Rose ja früher böse gewesen und hatte den Mann, dem unser Haus damals gehört hat, getötet. Dann hatte sie Schuldgefühle bekommen und beschlossen, gut zu werden.
Jan beschloss, dass es so sein musste und schief voller Vertrauen in die rote Schönheit ein.
Doch kaum war er ins Reich der Träume hinübergeglitten, als die Rose ihre Augen aufschlug. In ihnen stand der blanke Wahnsinn geschrieben. Sie fletschte die wilden, spitzen Zähne, welche vorher noch unter den roten Blättern verborgen gewesen waren. Auch diese verwandelten sich ... aus dem schönen rot wurde ein hässliches schwarz.
Die Rose glitt vom Nachttisch auf Jans Bett, und begann langsam und voller Genuss, Jan aufzufressen ... .
-ENDE-