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Der Betrug

©2004 by Hannes Kiss (Twinner)

 

Ricky war ein Mann mit vielen Talenten. Er beherrschte eine Menge Dinge, doch nichts richtig. Gut, okay, das ist nicht die ganze Wahrheit. Es gab da schon etwas, was er in seinem Leben fast bis zur Perfektion brachte: kleine Lügereien und Trickbetrügereien. Wie es schien, war die Gabe der Täuschung schon in seine Wiege gelegt worden. Und er machte im Laufe der Jahre reichlich gebrauch davon.

Ricky genoss seine Tage, plante nie allzu weit voraus. Man konnte ja nicht wissen, was sich so als nächstes ergab. Einer seiner Wahlsprüche lautete: Arbeitslos und Spaß dabei!

Wenn man wusste wie, sorgte Vater Staat nicht schlecht für einen; und Ricky wusste.

Anliegen Nummer Eins in seinem Leben war die Beschaffung von Geld. Er vergaß nie, was sein Großvater zu sagen pflegte:

"Das Leben ist schön, aber teuer. Man kann es auch billiger haben, doch dann ist es nicht mehr so schön."

Nun, in der Vergangenheit gab es einige billige Phasen, was ihn zu ungeahnten Ehrgeiz anstocherte. Zweifelsohne profitierte Ricky von seinem Aussehen. Redegewandt war er ebenfalls. Dies gepaart mit den richtigen "Klamotten" konnte Türen öffnen, an denen sich schon gewitzte Vertreter die Zähne ausgebissen hatten. Meist waren es ältere Damen, die sich beim Erscheinen dieses jungen charmanten Mannes angetan zeigten und sämtliche Warnungen ihrer "Erb"-Verwandschaft in den Wind schlugen. Dass sie die Bewirtung dieses Versicherungs- oder Staubsaugervertreters, Mitarbeiter der Telecom, Gas- oder Wasserwerke (was immer sie wollen) mit Kaffee und Kuchen teuer bezahlten, wurde wenn überhaupt, erst Tage später festgestellt.

Man glaubt gar nicht, wie viel Bargeld oder verwertbare Kleinode ältere Menschen an den selben Stellen verwahren; Verstecke, die nie ein Einbrecher enttarnen könnte...

Ein weiteres Standbein war das Geschäft mit Raubkopien. Einziger Haken hierbei: man musste Kontakte knüpfen. Und Rickys ach so wachsamer Verstand registrierte überdeutlich die damit verbundene Risikoerhöhung. Außerdem war dieses Geschäft mit anfänglichen Ausgaben verbunden. Und so etwas stand auf seiner "Bitte vermeiden" - Liste.

Um etwas Gutes von unserem Ricky zu erwähnen: von lukrativen Gewerben wie dem Drogenhandel ließ er die Finger; ja, dachte nicht einmal daran. Aber nicht etwaiger Gewissensbisse wegen, sondern aus Angst. Die Zielgruppe wie auch die diversen "Marktleitungen" waren deutlich jünger als 70 und statt Kaffee und Kuchen lauerten andere Dinge, die weniger seinem "Geschmack" entsprachen. Der Feigling in ihm brauchte Kontrolle über die jeweilige Situation. Er würde es Umsicht nennen...

Diese Lebensweise machte einsam, doch daran stieß sich Ricky nie. Er hatte keine Freunde und wenig Bekannte. Ihm war bewusst, das solche Menschen nur hinderlich würden, das Netz der Lügen komplizierten. Aus diesem Grund definierte er eine "längere" Beziehung, wenn er das vierte Mal neben der selben Frau aufwachte. Goldene Hochzeit feierte er in Gedanken nach zwei Wochen. Zeit für die Trennung, die für seine "Ex" – Geliebte nicht nur den Verlust des Liebhabers bedeutete.

So spazierte Ricky durch sein Leben, stahl Kreditkarten um sie zu verscherbeln, betrog ahnungslose Mitmenschen, machte Beschiss mit Wechselgeldern, ließ manchmal ganze Kassen verschwinden, was auf ewig sein Geheimnis bleiben wird, war fleißig im verschicken von Spam-Mails im Internet und brütete seit kurzem an einer Idee, die die wirkliche Kohle ohne großes Risiko bringen sollte; und gebracht hätte, wenn es denn soweit gekommen wäre...

Eine wöchentliche Konstante gab es in Rickys abwechslungsreicher Hatz durchs Dasein: das Samstag-Lotto. Keine denkbaren Naturgewalten konnten ihn an seinem freitäglichen Gang zur Annahmestelle hindern. Aber der Erfolg war bisher mehr als mäßig gewesen, obwohl sich Ricky sicher war zu den Erwählten zu gehören, die einen großen Gewinn sogar verdienten. Sein Leben war immerhin nicht das Einfachste. Die Lust am Spielen wurde zum Fieber, das Fieber zur Sucht und fand etwas, worin sie explosionsartig aufgehen konnte: das Automatenspielen in der netten Kneipe nebenan; später dann richtige Spielhallen.

Das war auch der Wendepunkt in Rickys Leben. Er hatte etwas gefunden, oder besser gesagt es fand ihn, was sich unmerklich seiner Kontrolle entzog. Als Mensch, der über Manipulation ein Buch hätte schreiben können, wurde es ihm erst viel zu spät bewusst und eine zweite Eigenschaft begann sich in ihm zur Blüte zu entwickeln: Verdrängung.

Aber die nackten Tatsachen forderten ihren Preis. Sein sauer "verdientes" Geld ging schneller flöten als er "Alle meine Entchen" pfeifen konnte. Leichtgläubige alte Damen schienen plötzlich nicht mehr so leicht aufzutreiben zu sein, was vielleicht an seinem Äußeren lag, welches entgegengesetzt proportional zur Spielsucht sank.

Es fiel Ricky immer schwerer einen klaren Kopf bei seinen "Transaktionen" zu behalten, wodurch schon mal dieser oder jener Coup schief ging.

Na ja, was soll´s, man ist schließlich Lebenskünstler.

Und da war ja noch die Idee... in seinem Kopf... die große Kohle... bald...

Es war ein lauer Freitag Spätnachmittag, so Ende August.

Ricky hatte keine Augen gehabt für den herrlichen Tag, der für viele der Start in ein ebenso herrliches Wochenende war. Für Ricky war jeder Tag Samstag, ein halber Arbeitstag, der irgendwie Schmott bringen musste, um sein Leben voller Freiheit zu finanzieren. Seit ein paar Wochen hieß das Futter für die Geldspielautomaten auf dem nächtlichen Rundgang zu beschaffen. Einzige Ausnahme bildete der Freitag. Die Routine des Samstaglottos bewahrte er sich eisern. Blieb nach den Kosten für den Tippschein noch was übrig, dann... Man konnte nie wissen.

Erlaubte es die Börse, spielte er den Schein zwei Wochen; beim wöchentlichen Tippen hieß das doppelte Chance für die nächste Ziehung! Ricky verglich die Zahlen immer selbst sehr penibel, hatte aber den alten, bzw. noch gültigen Schein stets in der Tasche, um ihn am Automaten überprüfen zu lassen; ...Kontrolle war ihm wichtig.

So ging also unser Ricky gesenkten Hauptes und grübelnd übers Geld der Lottoannahmestelle und dem Abend entgegen. Das Geschäft befand sich in einer Seitenstraße, drittes Gebäude links. Ein paar Stufen führten zur Tür hinauf. Er ereichte den Eingang und wollte gerade den Fuß auf die erste der fünf Stufen setzen, als ein Mann aus dem Laden trat. Ein langer hagerer Kerl vielleicht Anfang Vierzig. Schien es eilig zu haben. Eine Zeitschrift, ein paar Euro-Scheine (drei Zwanziger um genau zu sein, Ricky entging so etwas nie!) und noch andere Zettel schwenkte der Kerl in der linken Hand. Mit der rechten fuschelte er in der Hosentasche, vermutlich nach seiner Geldbörse. Der Aufgang war nicht breit genug, dass zwei Menschen aneinander vorbei gehen konnten, und so wartete Ricky unten, eine Schulter an die Wand gelehnt. Seine Augen verfolgten den Tanz der Geldscheine in der Hand des Mannes.

Als der Mann mit einem höflichen Nicken an Ricky vorbei ging, löste sich etwas aus dem Geld- und Zettelgewirr seiner Hand und fiel langsam auf die unterste Stufe, Ricky vor die Füße. Der Hagere bemerkte es nicht. Rickys Sinne waren schlagartig hellwach.

Was haben wir denn da?

Er wartete noch einen winzigen Augenblick um sicher zu gehen, dass der Fremde sich nicht sofort würde umdrehen, oder seinen Verlust nicht schon bemerkt hatte. Doch der ging mit ausgreifenden Schritten der Straßenecke entgegen, beschäftigt mit seiner Brieftasche.

Ricky wagte es sich zu bücken und griff nach dem Papier.

Sieh einer an!

Er hielt einen Lottoschein in der Hand.

"Entschuldigen sie bitte." Schritte näherten sich seiner gebückten Person. "Ich glaube, mir ist mein Lottozettel hier ´runter gefallen." Rickys Blut gefror für einen Augenblick in seinen Adern und seine Muskeln verkrampften sich. "Ist er ihnen vielleicht aufgefallen?"

Aus den Augenwinkeln sah er den langen Kerl auf sich zukommen. Seine Gedanken überschlugen sich, während er den Schein in seiner Hand anstarrte.

Vier Tippreihen, mit Super6 und Spiel77, für zwei Wochen ab morgen, nicht mit Kundenkarte gespielt! So wie ich. Genau wie mein Schein aussieht! Und der is abgelaufen, dieser is neu!

Wenn der nich gleich aufs Datum guckt...

Während er sich umständlich aufrichtete, faltete er den gefundenen Zettel in der rechten Hand zusammen und presste sie an seine Brust. Mit der linken Hand, die dem Fremden abgewande Seite, griff er in seine Jackentasche, um seinen abgelaufenen Schein herauszuholen. Das Manöver gelang ohne entdeckt zu werden. Dann drehte er sich dem Mann zu, der ihn mit einem letzten Schritt erreicht hatte und fragend ansah.

"Oh ja. Er ist ihnen hier aus der Hand gefallen und vor meine Füße geflattert. Ich wollte gerade ihnen nachrufen." Ricky konnte überzeugend lügen wie wir wissen und lächelte sein gewinnendstes Lächeln. Er streckte seinem Gegenüber die Linke mit dem abgelaufenen Schein entgegen.

Hoffentlich is der nich zu zerknittert, verdammt, schoss ihm noch durch den Kopf. Aber an einen Rückzieher dachte Ricky niemals.

Der Mann griff nach dem Schein. "Ich danke ihnen. Es gibt leider nicht mehr sehr viele ehrliche Menschen. Und wir müssen ja alle versuchen, mit unseren spärlichen Kröten den Monat zu überstehen," sagte er dabei. Ricky fröstelte.

Guck ja nich jetzt nach! suggerierten seine Gedanken.

"Gar kein Problem," sagte er laut. "Könnten sie mir vielleicht die genaue Uhrzeit sagen?"

Der Mann zog den Ärmel von seiner Uhr zurück. "Oh! Es ist 17.43Uhr. Ich muss mich sputen." Mit diesen Worten steckte der Fremde den Schein in eine seiner Taschen. "Danke noch mal." Er gab Ricky die Hand und lief mit schnellen Schritten zur Straßenecke zurück.

Na also, war doch ganz einfach. 10 Euro gespart und trotzdem Lotto gespielt.

Ricky grinste, aber gar nicht mehr gewinnend.

Er stand noch da, als er den Geprellten in einem alten verrosteten Opel Kadett an der Seitenstraße vorbeifahren sah.

Die "gesparten" 10 Euro verlängerten seinen Spielhallenaufenthalt an diesem Abend um genau fünf Minuten.

Ohne Erfolg.

Der erschwindelte Lottoschein erwies sich in beiden Wochen als absolute Nullnummer. Und das wörtlich! Nicht mal ein Einer.

Dem Kerl hab ich einen Gefallen getan, dachte Ricky öfters sehr verärgert.

Sein sozialer Abstieg beschleunigte sich zusehends. Und immer mehr Abende beendete er mit dem Öffnen von zu vielen Bierflaschen.

Es lief nichts mehr. Seine "Geschäfte" holperten bestenfalls noch. Vier Wochen nach dem Zwischenfall mit dem "vertauschten" Lottoschein trug Ricky fast ständig eine Fahne vor sich her. Mittlerweile war sein Äußeres ihm nicht mehr wichtig. Unrasiert und mit zotteligem Haar lief er durch die Straßen, im Geiste bemüht, den Grund für seine Misere zu finden. Dachte er ansonsten stets an sich zuerst, vermied er es in dieser Situation konsequent. Seine Gedanken drehten sich nur noch um Geld, ohne genaue Anhaltspunkte zu finden und um die Welt, die so gemein zu ihm sein konnte. Er hatte das nicht verdient. Alle, doch nicht der smarte Ricky!

Mit hängenden Schultern, glasigen Blick, schmuddeligen Klamotten und ungewaschenem Haar gelangte er an einem Dienstag Mitte September an eine Kreuzung. Die Fußgängerampel leuchtete in ihrem unbestechlichen Rot. Die Straße war nicht sehr befahren. Die Rechtsabbiegerspur hatte grün. Ein silbergrauer Mercedes SLK, augenscheinlich brandneu, hielt genau vor Ricky auf dem Fußgängerüberweg. Die Scheibe der Beifahrertür senkte sich.

Ohne zu wissen was er tat, beugte sich Ricky nach vorn, um ins Wageninnere zu schauen. Der Mann auf dem Fahrersitz drehte sich in seine Blickrichtung und Ricky starrte in das Gesicht des langen hageren Kerls, dem er vor der Lottoannahmestelle begegnet war. Als das Erkennen in sein Hirn dämmerte, wurden seine Augen groß und weit. Der Fremde grinste über das ganze Gesicht und bewegte die Lippen.

"Schön, dass wir uns noch mal begegnen. Ohne ihre Ehrlichkeit wäre vieles nicht möglich geworden für mich."

Die Worte erreichten Ricky, als würde er kopfüber in einer Wanne mit Wasser stecken oder als hätte die Luft plötzlich die Konsistenz von Watte angenommen.

Dann ging die Scheibe wieder hoch und der Wagen fuhr weiter, bog ab und verschwand.

Da hat der im Lotto gewonnen oder wie? Aber ich hab ihm meinen Schein gegeben. Der war abgelaufen!

Oder nicht? Ach du Scheiße! Nein, da is was falsch gelaufen. Das kann nicht sein.

Ich hatte den neuen Schein. Ich müsste in dem Auto sitzen. Ich hätte gewinnen müssen! Ich... Ich...

Während sein Magen irgendwie zwischen seinen Knien baumelte, sein Herz ein paar Schläge ausließ und seine Lungen von unsichtbaren Stahlklammern gepresst wurden, torkelte Ricky benommen auf die Straße, den Blick auf die Kurve gerichtet, in der der Mercedes mit dem Kerl verschwunden war.

Er hörte das Dröhnen der Luftdruckhupe und das Kreischen starker Bremsen nicht. Seine Welt endete mit einem monströsen Aufprall in seinem Rücken, sein Umfeld wirbelte noch mehrfach um die eigene Achse, ehe er mit dem Kopf voran auf dem Asphalt aufschlug und ewige Schwärze in sich aufsog. Sein unversehrtes rechtes Auge starrte tot auf den LKW, der all seinen Problemen, oder den Problemen der Menschen die mit Ricky zu tun hatten, ein Ende machte.

Sechshundert Meter weiter fuhr ein Mercedes SLK auf einen Parkplatz. Der Mann, der aus dem schönen Auto ausstieg reichte einem anderen die Schlüssel und sagte:" Mike, danke für die Probefahrt. Aber so ein wunderbares Auto werde ich mir nie leisten können." Die Beiden verabschiedeten sich mit einem freundschaftlichen Händedruck. Danach stieg der lange hagere Mann in seinen alten Kadett.

 

ENDE

 

 

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