Das Tagebuch der Eleanor Druse
Buchrezension von Gunther Barnewald für www.phantastik-news.de
Anmerkung der stephen-king.de Redaktion: Auch wenn es in der Rezension anders dargestellt wird; dieses Buch wurde nicht von Stephen King geschrieben. Es ist eine Auftragsarbeit, die der Schriftsteller Richard Dooling im Auftrag von Stephen King schrieb. Dies wurde allerdings erst einige Zeit nach erscheinen des Buchs (und nach schreiben der Rezension) bekannt.
Eleanor Druse ist eine 75jährige emeritierte Professorin für Esoterische
Psychologie und stammt aus Maine. Sie schickt im Jahre 2003 eine Art Tagebuch
an den Schriftsteller Stephen King, der ja auch aus Maine stammt, weil sie glaubt,
dass der berühmte Phantastikschriftsteller ihrer Erzählung glauben
schenken wird.
So erzählt sie vom Tod einer alten Bekannten, die nach einem missglückten
Selbstmordversuch ins alte Kingdom Hospital in Lewiston, Maine, eingeliefert
wird.
Als Eleanor Druse die alte Frau besuchen will, begegnet sie einem merkwürdigen
alten Mann, der ihr seltsam bekannt vorkommt. Als sie dann zusammen mit einer
Schwester das Krankenzimmer betritt, ist ihr alte Bekannte tot und Ameisen krabbeln
aus ihrem Körper.
Eleanor fällt in Ohnmacht und wacht erst Tage später in einer Klinik
in Boston wieder auf, wo sie den arroganten Chefarzt Dr. Stegman kennen und
hassen lernt. Dieser möchte Eleanor am liebsten gleich operieren, hält
ihre Beobachtungen für einen epileptischen Anfall.
Indem Eleanor brav bei einer medikamentösen Therapie mitwirkt, erreicht
sie ihre Rückverlegung nach Lewiston, wo sie den rätselhaften Geschehnissen
auf den Grund gehen will, was nicht ganz ungefährlich zu sein scheint,
denn die Schwester, die sie ins Krankenzimmer der alten Bekannten begleitet
hatte, ist inzwischen durch äußerst merkwürdige Umstände
ums Leben gekommen...
Stephen Kings neueste Schöpfung ist das Begleitbuch zu einer amerikanischen
TV-Serie, in dem der Autor zwar einerseits einige nette Seitenhiebe und Anspielungen
eingebaut hat, welches aber andererseits auch phasenweise sehr nervig wirkt
und vor allem zu Beginn (in den Sequenzen, die leider ziemlich ausgedehnt in
der Bostoner Klinik spielen) den Leser auf eine harte Probe stellt.
So wird die Geisterjagd im alten Kingdom Hospital erst einmal zurückgestellt
zugunsten der intensiven Vorstellung zweier Protagonisten, wie sie enervierender
kaum sein könnten.
Da ist zum einen der überaus arrogante, völlig von sich selbst überzeugte
Chefarzt der Klinik in Boston. Dr. Stegman, seines Zeichens Gott in Weiß,
dabei dermaßen überheblich, dass er reihenweise Patienten zu Tode
operiert, weil er aus Selbstüberschätzung mehrere Operationen quasi
gleichzeitig durchführt, hat schon viele Gehirntote auf dem Gewissen, ist
jedoch jedweder Selbstzweifel abhold. Die hier eingeführte Figur ist dermaßen
überzogen bösartig und arrogant, dass sie sogar in einem Comic lächerlich
wirken würde.
Dabei wird nicht klar, wer eigentlich widerwärtiger ist, der arrogante
Chefarzt oder die spleenige Protagonistin, die weitaus mehr als nur einen Sprung
in der Schüssel hat. Denn Eleanor Druse ist überzeugte Esoterikerin,
spricht regelmäßig in Gebeten und Meditationen mit dem kosmischen
Strom, hat sich selbst vom Krebs geheilt und formuliert angesichts einer gehirntoten
Mutter von drei Kindern auf der Intensivstation der Krankenschwester gegenüber
Sätze wie: "Wissen Sie, meine Liebe, mit solchen Tragödien können
wir nicht alleine fertig werden, die müssen wir in die Hand Gottes legen.
Sie glauben doch an Gott, nicht wahr?" (Seite 100).
Den arroganten Dr. Stegman erkennt sie in ihrer unendlichen religiösen
Weisheit schnell als das, was er ist, nämlich: "... dass der physische
Leib dieses Mannes nichts anderes als eine Hülle für einen abgrundtief
bösen Geist darstellt" (Seite 106). Da kann man ja wohl nur von einer
"Achse des Bösen" reden, oder doch vielleicht eher von der "Achse
der Blöden"? Wie gut, dass die Protagonistin nicht zu Dämonisierungen
und Schwarz-Weißer-Weltsicht neigt!
Während Frau Druse noch ihre Chakren sortiert und alles Böse an die
Wand betet, begeht Dr. Stegman eine Schurkerei nach der anderen und der verzweifelte
Leser fragt sich händeringend, wann die Handlung endlich wieder ins gespenstische
Kingdom Hospital zurückkehrt.
Erst auf Seite 129 wird der Leser erlöst, und hätte es King nicht
geschafft, zu Anfang der Geschichte ein gerüttelt Maß Spannung aufzubauen,
der Rezipient hätte das Werk wahrscheinlich längst frustriert in die
nächste Flohmarktkiste gedroschen.
Andererseits muss festgestellt werden, dass es King meisterhaft gelingt, die
primitive Sichtweise der Welt durch seine Protagonistin darzustellen. Die religiöse
Beschränktheit der Weltsicht vieler Menschen in den USA (vor allem im sogenannten
"Bible Belt") ist auch bei uns mittlerweile bekannt und Stephen King
selbst hat z. B. in seinen Werken Carrie und "Children of the Corn"
diesen Hintergrund immer wieder in genialer Weise als Nährboden für
unendliches Grauen genutzt. So weiß man als Leser nicht, ob man Kings
Ausarbeitung bewundern soll, oder der enervierenden Charaktere wegen die Lektüre
sofort beenden sollte.
Dass es dem Autor in der zweiten Hälfte der Geschichte gelingt, die Spannungsschraube
wieder anzuziehen, spricht ebenso für ihn, wie die ein oder andere köstliche
Anspielung. So heißt eine der Schwestern im bespukten Kingdom Hospital
z. B. Carrie von Trier (wobei Carrie Kings erster verkaufter Roman war, Lars
von Trier wiederum jener Regisseur ist, der bereits eine Fernsehserie über
ein gruseliges Krankenhaus gedreht hat, in dem übernatürliche Dinge
vor sich gehen).
Vollends bizarr wird es dann auf Seite 187, wo folgendes steht: "Später
erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren,
wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler - einer
der bedeutendsten Bürger Maines - war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington´s
Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert
worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein,
bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem
Magneten angezogene Eisenspäne."
Wer von Stephen Kings schwerem Unfall weiß, der wird unschwer erkennen,
wer da gerade eingeliefert worden ist. Während diese Stelle einerseits
eine makabere Art von Humor darstellt und zeigt, dass die vorliegende Geschichte
wohl auch eine Art Traumbewältigung für den Autor darstellt, so sprechen
die hier gewählten aufgesetzten und klischeehaften Metaphern ebenfalls
für sich. Sie machen das vorliegende Buch ebenfalls eher schwer zugänglich,
wobei andererseits der schlechte Stil der Erzählung eine gewisse Authentizität
verleiht, so als habe tatsächlich eine alte Dame mit erheblichem Dachschaden
den ganzen Unsinn verzapft, und dabei sprachlich immer wieder ganz tief in die
Klischeekiste gegriffen.
Genau dies macht die Beurteilung des vorliegenden Werkes so schwer: Ist es nun
einfach genial oder einfach nur genial daneben?
Wie dem auch sei, das unbefriedigende offene Ende lässt befürchten,
dass Fortsetzungen geplant sind. Wie auch nicht anders zu erwarten bei einem
Roman von Stephen King mit nur 287 Seiten, sind wir doch vom Meister sicherlich
ganz andere Seitenzahlen gewöhnt.
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