Das Tagebuch der Eleanor Druse
Rezension von Michael Drewniok
Eleanor Druse, eine 75-jährige Parapsychologin mit heftigen New-Age-Wallungen,
betreut ehrenamtlich sterbende und einsame Patienten im altehrwürdigen
Kingdom Hospital in Lewiston, US-Staat Maine. Dorthin wird sie auch von ihrem
Sohn Bobby gerufen, der im Krankenhaus als Krankenpfleger arbeitet, als Madeline
Kruger nach einem Selbstmordversuch eingeliefert wird. Eleanor, die ihre Freundin
aus Kindertagen seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat, eilt zu ihr – und findet
sie tot vor: Madeline hat offenbar mit einem eingeschmuggelten Eispickel vollendet,
was ihr daheim misslungen war.
Doch warum kriechen Heerscharen von Ameisen aus ihren Wunden? Eleanor wird durch
den Schrecken ohnmächtig und schlägt mit dem Schädel auf dem
Boden auf. Ein langer Krankenhausaufenthalt schließt sich an, denn Eleanor
hört seither Stimmen und hat Visionen: Ein kleines Mädchen geistert
weinend durch das Kingdom Hospital, ein gruselig anzuschauender Arzt tut es
ihm gleich. Das alte Haus wird von Erdbeben erschüttert. Im Keller fallen
Ratten über die Leichen her.
Eleanor beschließt, das Rätsel zu lösen. Sie beschafft sich
Informationen über das Kingdom Hospital und kommt einem alten Skandal auf
die Spur: Dr. Ebenezer Gottreich, ein fanatischer Anhänger der Gehirnchirurgie,
hat hier in den 1930er Jahren verbotene Menschenversuche durchgeführt –
und sie sowie Madeline Kruger gehören zu seinen Opfern! Das hatte sie bisher
verdrängt, nun kehren die Erinnerungen mit den Visionen zurück. Leider
scheint dies auch auf Dr. Gottreich zuzutreffen, dessen mörderischer Geist
durch das Krankenhaus irrt und weitere Gräueltaten verübt. Eleanor
selbst wird von den Ärzten des Kingdom Hospitals als psychisch derangierte
Querulantin abgestempelt und – da ansonsten völlig gesund – vor die Tür
gesetzt. Doch Eleanor lässt sich so einfach nicht ausschalten. Sie will
dem kleinen Mädchen helfen und verschafft sich heimlich Einlass in das
Krankenhaus. Die Ärzteschaft hart auf den Fersen, findet sie das Mädchen
– und die böse Macht, die es jagt und das Kingdom Hospital terrorisiert
…
Bücher zu Filmen sind seit jeher mit einiger Vorsicht zu betrachten. Sie
bilden eine Art Zusatzgeschäft und stehen ungefähr auf dem Niveau
von Kunststoffpüppchen der Darsteller, Tradingcards oder ähnlichem
überflüssigen Schnickschnack, mit dem den Fans noch ein bisschen Geld
mehr aus der Tasche gelockt werden soll. Mit entsprechender "Sorgfalt"
und Werktreue sind sie denn auch geschrieben - für den schnellen Verbrauch
bestimmt, flach, langweilig. Weil dies offenbar ein Gesetz ist, heuert man für
diesen Job bevorzugt zweit- und drittklassige Schreiberlinge oder richtige Autoren
in akuten Geldnöten an.
"Das Tagebuch der Eleanore Druse" entspricht vollständig dieser
ungünstigen Definition. Dies überrascht nicht, stellt doch schon die
US-amerikanische TV-Show das Surrogat einer skandinavischen Fernsehserie dar,
deren Originalität in keiner Sekunde auch nur annähernd erreicht wurde.
"Riget" (dt. "Geister") wurde 1994 vom dänischen Regisseur
Lars von Trier (mit Niels Vørsel) erfunden, (mit Morton Arnfred) in Szene
ge- und 1997 fortgesetzt: Ein modernes Krankenhaus wird mit parapsychologischen
bzw. mythischen Phänomenen aus der Vergangenheit kontrastiert. Die filmische
Umsetzung geschah durch Meisterhand, die Rollen waren brillant besetzt, die
Darsteller lieferten Höchstleistungen. "Geister" war spannend,
gruselig, witzig – eine Sternstunde nicht nur der skandinavischen Fernsehgeschichte.
Was auch in den USA nicht verborgen blieb. Zwar lockte "The Kingdom",
wie die Serie nun heiß, auch hier die Zuschauer, aber für die durchschnittliche
Couchkartoffel war sie doch zu komplex, zu frivol und vor allem zu europäisch.
Wie schon so oft wurde deshalb eine "amerikanisierte" Kopie in Auftrag
gegeben. Für das Drehbuch konnte man einen Vollprofi gewinnen: Stephen
King ist nicht nur ein berühmter Schriftsteller, sondern auch ein versierter
Drehbuchautor. Weil er nicht die gesamte, auf 13 Teile projektierte Serie "Kingdom
Hospital" stemmen konnte, gesellte sich ihm Richard Dooling hinzu. Auf
dem Regiestuhl nahm 2004 der auf King-Fernseh-Miniserien spezialisierte Craig
R. Baxley ("Storm of the Century", "Rose Red", "The
Diary of Ellen Rimbauer") Platz. Es entstand das übliche King-TV-Spektakel:
aufwändig und routiniert in Szene gesetzt und erfolgreich, aber auch hausbacken,
viel zu lang und enttäuschend eindimensional: "Riget" für
Anspruchslose.
"Das Tagebuch der Eleanor Druse" überträgt dies kongenial,
aber leider wohl unfreiwillig in Worte. Weder im Klappentext oder im "Vorwort"
der "Verfasserin" findet Erwähnung, dass dieses Buch nur den
Auftakt einer Serie von "Kingdom"-Romanen darstellt. So erklärt
sich das abrupte "Cliffhanger"-Finale, als noch gar nichts aufgeklärt
ist. Der Leser schaut in die Röhre und ärgert sich, bis hierher durchgehalten
zu haben, nachdem er – oder sie – so unverschämt vernachlässigt wurden.
Was ist von einem Roman zu halten, dessen erste Hälfte gar nicht im Titel
gebenden Kingdom Hospital, sondern in einem anderen Krankenhaus in Boston spielt?
Nachträglich begreifen wir dies als Einleitung zu einer sehr weit gespannten
Geschichte, um die wir indes in diesem Buch geprellt werden. Im Vergleich zum
verwünschten "Reichskrankenhaus" der Originalserie ist das Kingdom
Hospital zudem ein langweiliger Ort, an dem ziemlich kindische Geister umhertölpeln.
Von Gruselatmosphäre keine Spur, der Stätte entsprechend steril und
vordergründig schleppt sich das Geschehen dahin. Der abschweifig-geschwätzige
Tonfall des Verfassers, der ebenso mühsam wie zwecklos versucht, Stephen
Kings Geschick sowohl in der Darstellung US-amerikanischen Alltags als auch
in seinen Schilderungen jenseitiger Heimsuchungen zu imitieren, trägt zum
Misslingen des Werkes bei.
Den Gnadenstoß versetzt die Figurenzeichnung. Selten hat man sich über
unsympathische Hauptpersonen so offen ärgern müssen. Die Idee an sich,
weg von den üblichen TV-Klischeegestalten zu gehen, ist prinzipiell zu
begrüßen. "Riget" zeigt, wie erfrischend dies sein kann.
"Kingdom Hospital" wird indes von Karikaturen bevölkert, die
umzubringen Pflicht jedes anständigen Gespenstes sein sollte. Das trifft
ausgerechnet auf die Hauptfigur in ganz besonderem Maße zu.
Eleanor Druse war offenkundig geplant als "unwürdige Greisin",
die unkonventionell im Denken und Handeln trotz Alter und Eigensinn dem Grauen
die Stirn bieten kann. Tatsächlich ist Eleanor eine Heimsuchung als unsensible,
besserwisserische, eingebildete, frömmelnde New-Age-Hexe, deren sinnfreies
Geplapper beim Lesen zur Weißglut reizt und das Überspringen ganzer
Passagen erforderlich macht. Sohn Bobby, von der übermächtigen Mutter
gegängelt und unterdrückt und auch sonst keine Leuchte, dient der
Story als Wasserträger, der im rechten Augenblick verstaubte Akten heranschleppt
oder seine penetrante Erzeugerin in unzugängliche Krankenhaussektionen
einschmuggelt.
Die Ärzteschaft des Kingdom Hospitals: eine Horde völlig überzeichneter,
arroganter, unfähiger, korrupter, übergeschnappter Nullgestalten,
die anscheinend nur von Eleanor Druse durchschaut wird und mit Patienten, Behörden
und sonstigen Ordnungsmächten ihr lachhaftes Spiel treiben können.
Es fehlt völlig die Mischung aus überzeugender Bosheit und Irrwitz,
welche die "Riget"-Mediziner auszeichnete.
"Das Böse" des Kingdom Hospitals kommt sogar noch dümmlicher
daher. Dr. Gottreich ist ein "mad scientist", wie ihn heute höchstens
noch Vormittagssendungen für Kinder präsentieren. Die kleine Mary,
Gespenst Nr. 2, gehört zu den "Guten", aber sie spukt ausgesprochen
sinnfrei durch die Gänge, heult dabei zum Steinerweichen, und das wohl
bereits seit anderthalb Jahrhunderten. Genaues erfährt man (noch) nicht;
entsprechende Enthüllungen bleiben der Fortsetzung des "Tagebuches"
vorbehalten, auf die man problemlos verzichten kann.
Geschickt drückt sich der Heyne-Verlag um die Beantwortung der Frage, wer
"Das Tagebuch der Eleanor Druse" eigentlich geschrieben hat. Angeblich
Eleanor selbst, aber sogar der dümmste Leser wird ahnen, dass es sich hier
um eine fiktive Gestalt handelt. Also entspringt das "Tagebuch" womöglich
dem Hirn des großen Stephen King, unter dessen Namen die gleichnamige
TV-Serie vermarktet wird? Man findet seinen Namen nicht dort, wo Verfassernamen
zu stehen pflegen, sondern auf einem Button, der dem Cover aufgeprägt wurde
("Das Buch zur TV-Serie von Stephen King"). Ansonsten lässt man
eine Lücke dort, wo ansonsten nicht gerade verkaufsförderlich "Richard
Dooling" stehen müsste.
Dooling, geboren 1954 in Omaha, Nebraska, hat sich hier quasi als Ghostwriter
für ein reines Kommerzprodukt verpflichten lassen. Er ist eigentlich Anwalt
und hat diesen Job nicht aufgegeben, denn mit seinen eigenen Werken kann der
Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist seine Kritiker sowie Leser zwar
begeistern, erreicht aber ganz sicher kein Millionenpublikum. Werke wie "Critical
Care", "White Man’s Grave" und "Brain Storm" sind auch
in Deutschland (als "Bett Fünf", "Das Grab des weißen
Mannes" und "Watsons Brainstorm") erschienen. "Critical
Care" nutzt übrigens wie "The Journals of Eleanor Druse"
die Erinnerungen des ehemaligen Beatmungstechnikers Dooling, der einige Jahre
in einem Krankenhaus arbeitete und hinter die Kulissen blicken konnte.
Das Copyright © liegt beim jeweiligen Autor der Kritik. Ohne seine ausdrückliche Zustimmung darf seine Rezension nicht verwendet werden.