Billy Summers
Rezension © 2021 by Klaus Wellervon
eine Kritik aus der Sicht eines Dramaturgen

Originalverlag: Scribner
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
Hardcover, 720 Seiten
ISBN: 978-3-453-27359-7
€ 26,80 [A] | CHF 36,50 * (* empf. VK-Preis)
Kurzbeschreibung
Der Killer und das Mädchen – der neue große Roman von Stephen King um Wahrheit und Fiktion
Billy ist Kriegsveteran und verdingt sich als Auftragskiller. Sein neuester Job ist so lukrativ, dass es sein letzter sein soll. Danach will er ein neues Leben beginnen. Aber er hat sich mit mächtigen Hintermännern eingelassen und steht schließlich selbst im Fadenkreuz. Auf der Flucht rettet er die junge Alice, die Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Billy muss sich entscheiden. Geht er den Weg der Rache oder der Gerechtigkeit? Gibt es da einen Unterschied? So oder so, die Antwort liegt am Ende des Wegs.
Die Filmrechte hat sich übrigens die Produktionsfirma von Leonardo DiCaprio gesichert.
Meine Meinung:
5 Gründe, weshalb „Billy Summers“ ein hervorragender Roman ist:
1. Die Hauptfigur, der 44-jährige Auftragskiller Billy Summers, ist ein sehr interessanter und prägnanter Held. Beileibe kein Killer der gängigen Sorte. Ähnlich wie „Columbo“ gibt Billy sich etwas unterbelichtet. Tatsächlich ist er bauernschlau, raffiniert und liest Romane von Zola. Ihm folgt man gern durchs turbulente Geschehen, zumal er seinen Moralvorstellungen treu bleibt.
2. Die bedingungslose Konzentration auf den Helden. Es gibt keine Szene (bis auf den Schluss), in der Billy nicht auftaucht. Dadurch wird eine unglaubliche Nähe hergestellt, auch weil es mit seiner dramatischen Vorgeschichte viel zu erzählen gibt. Diese Tiefe und Komplexität wird eben durch die Konzentration auf die Hauptfigur hergestellt, und nicht durch Mehrfachperspektive.
3. Es geht um Beziehungen. Billy hält sich selbst für einen schlechten Menschen, spielt aber mit Kindern und kann Frauen nichts zuleide tun, was ihm am Ende zum Verhängnis wird. Sehr schön wird die Liebesbeziehung zu Alice beschrieben. Er rettet ihr das Leben, sie hilft ihm seine Vergangenheit zu verarbeiten und seine Gegenwart zu meistern. Null Punkte auf der Defätismusskala.
4. Suspense. Der Leser hat ständig mehr Informationen als Teile der handelnden Personen. Er „kontrolliert“ sozusagen das Geschehen. Das hat eine sogartige Wirkung und generiert gnadenlose Spannung. Mit diesem Helden kann der Leser mitfiebern. Meister Alfred Hitchcock hat es in dem Standardwerk „Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?“ (Francois Truffaut) auf den Punkt gebracht: Ein fachgerechter Spannungsaufbau wird mit Suspense (Thriller) erzielt, weniger mit Rätselspielen (Krimi).
5. Klassisches Erzählmotiv. Billy hat seinen Auftrag vereinbarungsgemäß ausgeführt und fühlt sich hintergangen, als er seine zweite Rate nicht bekommt. Dabei ist es unwichtig, ob es eine Vereinbarung unter Gangstern war oder nicht. Billy will sich an Nick Majarian rächen, der ihm nicht nur seinen restlichen Lohn vorenthalten hat, sondern ihn nach dem Auftrag auch noch beseitigen lassen wollte. Das Erzählmotiv - für die zweite Hälfte des Romans - ist also Rache. Auch die Bestrafung von Alices Vergewaltigern zeugt von Billys Moralkodex ebenso wie Erweiterung seines Rachefeldzugs auf den eigentlichen Auftraggeber: Klerke.
5 kleine Schwachpunkte:
1. Als Billy und Alice die Unterkunft in Red Bluff verlassen, nimmt Billy den Revolver seines Nachbarn Jensen mit und legt ihm dafür eine Anzahlung hin. Er hätte den Rest später begleichen müssen, sonst läuft er Gefahr, dass Jensen nach seiner Rückkehr den Revolver als gestohlen meldet. Damit wäre aber auch Billys Identität als Dalton Smith in Gefahr, die er ja bis zum Ende der Geschichte benutzt.
2. Als Billy sich in Las Vegas Zugang zur Villa von Nick Majarian verschafft, kommt es zum Showdown mit Dana Edison auf dem Klo. Nachdem Billy ihn erwischt hat, verpasst er Dana aus nächster Nähe den Gnadenschuss. Das hätte aber zur Folge haben müssen, dass er über und über mit Blut bespritzt ist, denn Dana ist ja noch nicht tot, sein Blut pulsiert also noch. Blutbespritzte Klamotten wären ein Problem für Billy gewesen, also dramaturgisch richtig.
3. Klerke hätte nach Billys angeblicher Ermordung durch Nick und seinen Leuten einen Beweis einfordern müssen. Nick hätte Klerke z.B. ein Foto des auf der Toilette erschossenen Dana Edison zukommen lassen und dessen blutüberströmte Leiche als die von Billy ausgeben können. Das hätte Klerke geschluckt, denn ein solches Foto wäre ganz offensichtlich keine Inszenierung gewesen. Diese Lösung hätte bei Billys abschließender Konfrontation mit Klerke zutage treten können.
4. Billy gibt sich zur Vorbereitung an den Racheakt an Klerke als Cousin eines ihm bekannten New Yorker Zuhälters aus. Wieso wird diese Angabe nicht von Klerkes Leuten überprüft? Hätte doch ein Anruf beim Zuhälter genügt, um zu wissen, dass Billy nicht der Cousin ist. Das hätte doch jede Menge Schwierigkeiten ergeben, wäre also dramaturgisch wiederum richtig gewesen.
5. Nach dem Racheakt an Klerke wartet Marge nachts vor der Einfahrt des Anwesens. Sie weiß doch gar nicht, an welchem Tag, um wie viel Uhr und ob er überhaupt kommt. Es ist November. Wie darf man sich das vorstellen? Sie wartet nächtelang in der Kälte, in der Hoffnung, dass Billy irgendwann dort erscheinen möge? Sehr merkwürdig und unglaubwürdig.
Fazit:
Ein absolut lohnenswerter Roman, rezensiert aus der Sicht eines Dramaturgen von der Filmpage die-besten-spielfilme.de.
Wertung:
5 von 5 Sternen