Wind
Rezension © 2012 by Gerald Schnellbach für BookOla.de

Originalverlag: Scribner
Übersetzung: Wulf Bergner
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten
ISBN: 978-3-453-26794-7
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50
Meine Meinung:
Über den Autor braucht man eigentlich nicht mehr viel sagen. Seit Kings erster Roman „Carrie“ 1974 erschien, hat er unzählige Romane, Novellen, und Kurzgeschichten veröffentlicht, die ihn mit einer Gesamtauflage von nahezu 500 Millionen Exemplaren zu einem der erfolgreichsten Autoren überhaupt werden ließen. Eines seiner Hauptwerke ist die „Dark Tower“ Reihe, eine bisher siebenbändige Fantasy Romanreihe. Mit „Wind“ kehrt King nun nach mehrjähriger Dark Tower Abstinenz noch einmal nach Mittwelt zurück.
Das Buch, für Kings Verhältnisse mit 415 Seiten eher kurz geraten, erzählt eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte, die zeitlich zwischen dem vierten Band (Glas) und dem fünften Band (Wolfsmond) einzugliedern ist. Laut King so etwas wie „Der Dunkle Turm 4,5“.
Roland und sein Ka-Tet sind auf dem Pfad des Balkens unterwegs nach Donnerschlag, als sie vor einem herannahenden Sturm Unterschlupf in einem verlassenen Haus suchen müssen. Um sich die Zeit des Wartens zu verkürzen, erzählt Roland seinen Gefährten eine Geschichte. Viele Fans die sich mehr von Roland und seinem Ka-Tet erhofft haben, dürften enttäuscht sein. Denn mit dieser ca. 40seitigen Kurzgeschichte war es das auch schon, was unser bekanntes Ka-Tet betrifft. Aber vielleicht ist die Geschichte um diese Gruppe wirklich zu Ende erzählt.
Roland erzählt, am Feuer sitzend, eine Geschichte aus seiner Jugend. Diese ca. 150seitige Novelle spielt zu der Zeit, kurz nachdem Roland seine Mutter tötete. Rolands Vater schickt ihn zusammen mit seinem Freund Jamie in eine abgelegene Gegend, wo diese eine Serie grausamer Morde aufklären sollen. Verantwortlich hierfür scheint ein Fellmann, eine Art Gestaltwandler zu sein. Doch bei seinem letzten Überfall gibt es einen Zeugen, einen kleinen Jungen, den Roland nun beschützen muss.
Diese Geschichte aus Rolands Jugend bietet nichts wirklich Neues, ist aber eine nette Anekdote aus Rolands Vergangenheit. Sie hat auf keinen Fall die Atmosphäre, wie dies noch bei „Glas“ der Fall war. Das ist bei der Kürze auch sicher schwer möglich. Trotzdem ist die Geschichte, wie nicht anders zu erwarten, von King mit all seiner Routine und seinem schriftstellerischen Können aufs Papier gebracht.
Dem kleinen Jungen, den Roland nun beschützen muss, erzählt er eine Geschichte.
Und hier beginnt das, was den Hauptteil des Buches ausmacht. Bei der, zumindest im englischsprachigen Original titelgebenden Geschichte, handelt es sich um ein ca. 200seitiges Märchen aus Mittwelt, das Roland schon in seiner Kindheit von seiner Mutter vorgelesen bekam. Sie erinnert vom Inhalt her an „Talisman“ und vom Erzählstil her an „Die Augen des Drachen“. Leser, denen diese Romane gefallen haben, dürften hierbei sicherlich auf ihre Kosten kommen.
Das Märchen handelt vom tapferen Tim, der ausziehen muss, um sich von einem bösen Menschen zu befreien und einen lieben Menschen zu retten. Dabei erlebt er einige Abenteuer und trifft absonderliche Gestalten. Eine Geschichte über Liebe, Mut und Tapferkeit, aber auch über Verzweiflung, Neid und Hass.
Dieses „Märchen“ wurde von King brillant geschrieben und hat alles, was man von einer guten Geschichte erwartet. „Der Wind durchs Schlüsselloch“ zeigt doch wieder einmal wie vielseitig er als Schriftsteller ist. Er könnte sogar ein Märchenbuch veröffentlichen. Vielleicht wäre sein veröffentlichter Einkaufzettel doch spannender als vermutet ;-)
Der Kurzgeschichte am Anfang von „Wind“ würde ich persönlich drei, der Novelle aus Rolands Jugend vier und dem Märchen fünf Sterne geben. Im Mittel also vier Sterne bzw. eine Note von 2 bis 3.
Als Manko, zumindest seitens der deutschen Veröffentlichung, ist die Umschlaggestaltung des Verlags zu erwähnen. Leider passt der Umschlag so gar nicht zu den bisherigen Bänden. Heyne versucht dies zwar mit einem doch durchaus gelungenen Trick zu kaschieren. Aber ohne viel vorweg zu nehmen, ein Schutzumschlag ist nicht dafür gedacht, dass man ihn in den Papierkorb wirft. Man kann nur um der Fans und Sammler Willen hoffen, dass wenigstes das Taschenbuch in der Metallic-Optik erscheint und sich nahtlos zwischen Band vier und fünf im Buchregal einreihen lässt.
Als weiteres Manko, zumindest für diejenigen, die außer den Büchern auch die nebenher erscheinende Comicreihe lesen, sei noch erwähnt, dass das Buch nicht 100 % kompatibel mit dieser ist. Zwar schreibt King die Comics nicht selbst, aber er ist in ihre Entstehung eingebunden und segnet jedes einzelne ab. Außerdem ist „Wind“ sogar „Robin Furth und der Clique bei Marvel Comics“ gewidmet. Robin Furth, Kings Rechercheassistentin und für die Comics verantwortlich, erklärte auf Anfragen, dass es sich hierbei einfach um eine andere Zeitebene handelt (Kenner der Reihe wissen, was damit gemeint ist). Aber damit macht man es sich vielleicht zu einfach. Bei dem einen oder anderen Leser, der auch die Comicreihe liest, wird sicher ein leicht fader Nachgeschmack haften bleiben.
Alles in allem ist „Wind“ aber ein gelungener Roman, sicher nicht der beste der Reihe. Aber wieder einmal kommt Kings großes, erzählerisches Talent eindrucksvoll zum Tragen. Es machte auch wieder Spaß eine Zeitlang in Mittwelt zu wandeln. Lange Tage und angenehme Nächte.