Der Anschlag
Rezension © 2012 by Gerald Schnellbach für BookOla.de

Originalverlag: Scribner
Übersetzung: Wulf Bergner
Hardcover, 1056 Seiten
ISBN: 978-3-453-26754-1
€ 26,99 [D] | € 27,80 [A] | CHF 36,90
Kurzbeschreibung
Wenn die Vergangenheit grausam zuschlägt – Stephen King schreibt die amerikanische Geschichte neu
Am 22. November 1963 fielen in Dallas, Texas, drei Schüsse. John F. Kennedy starb, und die Welt veränderte sich für immer. Wenn man das Geschehene ungeschehen machen könnte – wären die Folgen es wert? Jake Epping kann in die Vergangenheit zurückkehren und will den Anschlag verhindern. Aber je näher er seinem Ziel kommt, umso vehementer wehrt sich die Vergangenheit gegen jede Änderung. Stephen Kings neuer großer Roman ist eine Tour de Force, die ihresgleichen sucht – voller spannender Action, tiefer Einsichten und großer Gefühle.
Jake Epping lebt ein normales Leben, bis sein Freund Al ihm ein großes Geheimnis enthüllt: Er kennt ein Portal, das ins Jahr 1958 führt. Und Al gewinnt ihn für eine wahnsinnige Mission. Jake soll in die Vergangenheit zurückkehren und das Attentat auf John F. Kennedy vereiteln, um den Gang der Geschichte positiv zu korrigieren. Und so beginnt für Jake ein neues Leben in einer für ihn neuen Welt. Es ist die Welt von Elvis und JFK, von großen amerikanischen Autos und beschwingten Highschool-Tanzveranstaltungen. Es ist die Welt des gequälten Einzelgängers Lee Harvey Oswald, aber auch die der Bibliothekarin Sadie Dunhill, die Jakes große Liebe seines Lebens wird – eines Lebens, das gegen alle normalen Regeln der Zeit verstößt. Und je näher Jake seinem Ziel kommt, den Mord an Kennedy rückgängig zu machen, desto bizarrer wehrt sich die Vergangenheit dagegen – mit aller gnadenlosen Gewalt, die sich auch gegen Jakes neue Liebe richtet ...
Meine Meinung:
Dass Stephen King nur noch „lang“ kann, dem widersprechen ja eigentlich seine Kurzgeschichten- und Novellensammlungen. Nichtsdestotrotz ist „Der Anschlag“ Kings zweiter Roman in Folge, der im vierstelligen Seitenbereich liegt (zumindest was die deutschsprachige Übersetzung betrifft), und seine Romane davor waren auch nicht viel kürzer. Aber lang ist bei King nicht gleich langatmig. Mit „Der Anschlag“ zeigt Stephen King einmal mehr, dass er ein großartiger Erzähler ist, mit einer bildgewaltigen Sprache, die seinesgleichen sucht. Da braucht man eben ein paar Seiten mehr.
Jake Epping, ein bis dato einfacher Englischlehrer, wird von einem Bekannten auf eine lange Reise geschickt. Durch ein Zeitportal kann Epping ins Jahr 1958 reisen und soll sich dort darauf vorbereiten, im Jahr 1963 das Attentat auf John F. Kennedy zu verhindern. Die Geschichte soll nach Meinung der beiden zum Positiven beeinflusst bzw. umgeschrieben werden. Nach ein paar Testläufen, bei denen er sehen will, ob sich die Geschichte überhaupt verändern lässt (der Dauerleser wird hier übrigens wieder auf das eine oder andere Schmankerl stoßen), baut er sich in der texanischen Kleinstadt Jodie ein neues Leben auf und bereitet sich auf seinen eigentlichen Auftrag vor. Er fängt an, sich an die Fersen des Attentäters Lee Harvey Oswald zu heften und lernt ganz nebenbei die Liebe seines Lebens kennen. Aber so einfach ist das Ganze dann doch nicht. Je näher er seinem Ziel kommt, umso mehr muss Epping feststellen, dass die Vergangenheit etwas dagegen hat, verändert zu werden. Sie wehrt sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, wie Epping schnell erkennen muss.
„Der Anschlag“ ist eine Zeitreisegeschichte, ein Krimi, eine Politthriller und eine Liebesgeschichte. Aber zu allererst ist er wohl Kings Hommage an das Amerika der späten 50er und frühen 60er Jahre. Eine Zeit, in der King selbst groß geworden ist und die er bereits in seinem Roman „Atlantis“ und der Novelle „Die Leiche“ wunderbar beschrieben hat. Eine Zeit, in der laut King die Menschen noch mehr aufeinander zugingen, aber auch eine Zeit der Rassentrennung und Vorurteile. Hier läuft King zu Höchstform auf. Kaum ein Schriftsteller beherrscht es, seine Charaktere so eindringlich darzustellen, dass man sich mitten im Geschehen fühlt.
King vermag es, hier dem Leser nicht nur etwas über die Geschichte dieser Zeit sondern auch über die Gefühle der Menschen in Bezug auf Kennedy und Kubakrise und die Emotionen, die diese bei den Menschen dieser Zeit hervorriefen, glaubhaft zu vermitteln.
Für die Amerikaner ist das Kennedy-Attentat bis heute ein nationales Trauma. Als Europäer tut man sich sicher etwas schwerer mit diesem Stoff. Wenn man jedoch ein wenig politisches Interesse mitbringt, bekommt man eine interessante und kostenlose Geschichtsstunde geliefert. Obwohl Grundkenntnisse vorhanden sind, konnte ich selbst nicht widerstehen, während der Lektüre im Internet nach Fotos, Videos und Artikeln über Lee und Marina Oswald sowie über das Kennedy-Attentat zu suchen.
Stephen King hat in seiner Karriere so manchen Stilwechsel durchlaufen. Er ist schon lange kein einfacher Horrorschreiber mehr. Er ist ein aufmerksamer Beobachter und dadurch zu einem der ganz großen Erzähler unserer Zeit geworden. Ein Reifeprozess, der mit der „Der Anschlag“ sicher einen neuen Höhepunkt erreicht hat.