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Ohne Titel

©2004 by Andreas Neuhauser

 <>Idee und Text aus: Nick Cave and the Bad Seeds "From her to eternety" 1986

1

 

Ich stehe auf und strecke mich. Wieder ein Kapitel fertig. Langsam wird die Zeit knapp. Ich habe nur noch zwei Hunderter in meiner Schublade und auf dem Konto herrscht Ebbe.

Einen zweiten Vorschuss haben sie mir nicht gewährt. Sie haben gesagt, ich solle erst das Manuskript abliefern und anschließend würden sie mir schon das nötige Geld geben. Außerdem hätten sie Vertrauen in meine Kunst. Ich würde es ja schaffen die Erzählung fertig zu stellen und dann würden sie sie einem großen Verlag anbieten und die Kritiker würden Freudentränen weinen und die ganze Scheiße, die sie dir als aufstrebendem Jungautor erzählen, vor allem wenn du gerade mal völlig blank bist und dir nur noch Essen für nicht mal zwei Wochen leisten kannst. Wenn man mich fragt würden sie mir nicht mal, wenn ich halb verhungert vor ihrer Tür liegen würde, mit zerfetzten Kleidern und einen sich zusammenbrauenden Schneesturm im Rücken, ein paar Cent für was zu essen geben.

Ich bin im letzten Drittel meiner Erzählung angelangt und muss sie nun in diesen kurzen zwei Wochen fertig stellen. Hoffentlich tut das der Qualität auf die ich von Anfang an so aus war keinen Abbruch, andererseits ist es vielleicht von gewissem Vorteil etwas Druck im Rücken zu haben. Doch dies alles bereitet mir weniger Sorgen als die Frage ob sich die Geschichte zeitlich korrekt entfalten wird. Ich weiß es nicht und das macht mir wirklich Angst, die Frage ob die ungeschriebene Geschichte mich überleben sollte.

Ich meine ich habe schon ein paar Einfälle, doch was nützt mir das, wenn ich weder weiß wie sie sich in den Handlungsverlauf einflechten, noch wie die Geschichte ausgeht.

Ich stehe auf um mir die Beine zu vertreten, um eine Tasse Kaffee zu trinken, vielleicht um etwas zu essen, wenn es die Zeit zulässt. Ich überlege, ob das jetzt für mich bedeutet im Schichtbetrieb arbeiten zu müssen.

Ich gehe zum Kühlschrank um eine Milchflasche zu holen. Ich hole eine Tasse aus dem Ikea-Küchenbord und schenke mir Kaffe ein. Milch, drei Stück Zucker.

Danach öffne ich den Kühlschrank erneut und sehe nach ob noch irgendwas da ist, das entfernt essbar aussieht. Ich finde etwas Gurkensalat und Käse. Irgendwo muss außerdem noch Brot sein. Ich finde es und richte etwas her, gehe ins Wohnzimmer dieser 30 Quadratmeter Wohnung und setze mich auf das Sofa um zu essen. Schmeckt scheiße, aber was soll man machen. Das ist eben das Problem mit der brotlosen Kunst.

Nach fünf Minuten höre ich etwas. Ich weiß nicht was es sein soll, beziehungsweise was es sein könnte. Es klingt schrecklich traurig, unheimlich und trotzdem auf eine unerklärliche magische Art und Weise anziehend, geheimnisvoll anziehend. Ich schalte das Radio ab und versuche wieder zu hören, was es ist, das mich so pathologisch anzieht.

Dieses Geräusch kommt aus dem Zimmer über mir, Zimmer Nr. 29 soweit ich mich erinnern kann. Aber irgendetwas war doch in letzter Zeit mit Zimmer 29 los. Genau. Die alte Frau die bis vor zwei Monaten die Mieterin dieses Raumes gewesen war gestorben, erschossen worden und nun war eine neue Mieterin eingezogen. Ich habe sie nur einmal kurz gesehen. Sie wirkte damals ziemlich kalt und abweisend, doch auf ihre Art auch wunderschön und geheimnisvoll, genau so wie nun dieses Geräusch, welches sich schleifend über den Boden des Zimmers 29 bewegte und fast wie Seufzen klingt. Sie war mit ihrer blassen, eigentlich beinahe weißen, irgendwie geisterhaft transparenten Haut, ihrem kohlenschwarzen langen Haar und ihren vollen roten sinnlichen Lippen beinahe der Innbegriff der übernatürlichen, göttlichen Schönheit. Ich sah sie nur kurz im Treppenhaus und grüßte sie, was für mich eigentlich ungewöhnlich ist. Ich bin seit langem schon von der menschlichen Existenz angewidert, angewidert von ihrer Heuchlerei und ihrer Selbstliebe und Selbstbeweihräucherung, an der sie doch allesamt leiden wie ein einer Seuche, an einer Pest, gegen die es kein anderes gottverdammtes Heilmittel gibt, oder je geben wird als den Tod.

Doch schon an diesem Tag fühlte ich mich zu diesem Mädchen hingezogen, das mit ihren 21 Jahren nicht einmal 2 Jahre jünger zu sein schien als ich es an diesem Tage war. Ich hatte mir vorgenommen sie näher kennen zu lernen, allerdings verlor sich diese Idee im Wirbel der Ereignisse um die Fertigstellung meiner Erzählung und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Dieser Tag ist nun beinahe ein Monat her und irgendwie habe ich sie bis zum heutigen Tag irgendwie verdrängt, wenn nicht sogar vergessen. Auch wenn mir der Ausdruck nicht besonders gefällt, denn bestimmt spukte sie die ganze Zeit irgendwo in den Tiefen meines Hirns herum, doch nie trat sie irgendwie in den Vordergrund.

Nun ist plötzlich wieder alles da. Die Erinnerung an den Tag i m Treppenhaus des alten heruntergekommenen Mietshaus am Stadtrand in dem wir beide unseren Alltag und unser Leben fristen, die Erinnerung an dieses einmalige Mädchen, das mich verzaubert hatte, die Erinnerung an ihr Gesicht, ihre vollen roten Lippen und an ihre blassblauen Kanoniersaugen die sich mit ihren Lippen so exorbitant von der Schwärze ihrer Kleidung, ihres kurzärmeligen T-Shirt irgendeiner Gothic-Band deren Namen ich bereits vergaß, ihres kurzen schwarzen Rock und ihrer zerrissenen schwarzen Strümpfen abhoben und ein beinahe blendendes Gesamtbild ergaben, das heute wieder genauso vor mir steht wie vor einem Monat und nichts von seiner Perfektion eingebüßt hat.

Es ist seltsam dieses Geräusch in das sich nun ein anderes gemischt hat und eine betäubend melancholische Mischung erzeugt. Ich merke langsam was es ist und bin geschockt und berührt zugleich. Sie geht und weint. Sie geht und weint. Und wohin, das weiß ich nicht und werde es vermutlich nie wissen, sie geht von hier bis ans Ende der Welt, doch sie kommt nicht weiter als bis zur Wand es Zimmers 29, bis sie dort kehrtmacht und wieder zurückgeht und wieder nur bis zur Wand des Raums kommt. Sie geht barfuss auf und ab und weint und weint.

Ihre Tränen treffen den Boden, sie tropfen unaufhörlich auf den Fussboden und hallen an meiner Zimmerdecke wieder. Sie tropfen und tropfen und sie geht und geht und geht und weint und geht. Unaufhörlich bis in alle Ewigkeit.

Das Verlangen zu erfahren und sie zu besitzen raubt mir die Sinne und zum ersten Mal seit einer ganzen Eiszeit, seit einem ganzen Weltzeitalter denke ich weder an morgen, noch an die Tatsache, dass meine Erzählung immer noch nicht fertig ist und ich vielleicht verhungern werde, wenn ich sie nicht endlich fertig stelle. In diesem Moment ist mir das alles mehr als scheißegal und ich verschwende keinen verdammten Gedanken daran, wie das alles weitergehen soll. Wenn ich nur wüsste, wieso sie weint, wieso sie in ihrem Leerlauf, in ihrem göttlichen Lauf immerzu weint und schluchzt. Ich gäbe alles dafür zu wissen, was sie bedrückt. Ich gäbe alles um sie zu sehen, sie zu besitzen, sie zu trösten, oder mit ihr zu weinen.

Die Zimmerdecke wird nass, es bildet sich ein sich ausbreitender dunkler Fleck. Sie weint weiter. Der Fleck wird unaufhörlich größer und breiter und langsam sickern ihre Tränen durch die Decke und tropfen in meine Wohnung. Ich stehe auf und stelle mich unter das Zentrum des Fleckes und fange ihre heißen salzigen Tränen mit der Zunge auf und schlucke sie. Sie geht weiter und weint weiter. Unaufhörlich die ganze einsame Nacht durch und ich, ich stehe abhängig von ihren Tränen, süchtig nach der salzigen Schärfe, mit der sie meine Zunge umspielen unter ihr und warte mit geschlossenen Augen, alle meine Sinne im Mund gebündelt darauf, den nächsten Tropfen ihres Leids in mir aufzunehmen. mittlerweile weine auch ich bitterlich und auch meine Tränen tränken den Boden. In ihnen der Dreck des letzten Monats, ausgewaschen und rein. Es macht mich so unheimlich traurig sie gehen und weinen zu hören und doch erweckt es in mir dieses Urverlangen sie zu besitzen, das weit über die Angst vor dem nahenden Tod hinausgeht und mir das verdammte Bisschen Verstand, das ich noch besitze raubt und aus mir einen willenlosen Sklaven ihrer Schritte und ihrer Tränen macht.

So stehe ich die ganze silbern gestirnte Nacht am selben Flecken und strecke die vom Salz ihrer Tränen scharlachroten Augen weit aus den ihnen zugewiesenen Höhlen und funkeln grotesk im Licht der Lampe, die die Tränen und meine Augen, die diesen kranken, süchtigen Blick angenommen haben. Meine Augen sagen, komm mir nicht zu nahe. Versuche nicht mich von diesem Ort fort zu bringen, versuche nicht mich von ihr zu trennen. Ich kann für nichts garantieren. Fass mich einmal an und ich erschlage dich mit den bloßen Fäusten.

Ich stehe und sie geht. Doch wir beide weinen.

2

Ich weiß nicht mehr wie lange ich gestanden hatte um ihr zuzuhören und ihre Tränen zu schmecken. Wahrlich bin ich die ganze Nacht gestanden, gebannt von der Trauer meiner dunklen Göttin, nicht befähigt weiterzuarbeiten, zu essen, zu schlafen oder einfach zu leben ohne sie, ohne ihre mich zerreißenden Tränen, ohne die doch alles sinnlos geworden ist. Nun ist sie weg. Wahrscheinlich ist sie zur arbeit gefahren.

Doch an Arbeit ist in meiner Verfassung nicht zu denken. Arbeit ist lächerlich geworden, völlig nichtig im Vergleich mit ihr und ihren göttlichen goldenen Tränen. Ich verstehe nicht mehr wie ich sie auch nur einen Augenblick hatte vergessen können, wie mir auch nur einen kurzen Augenblick irgendetwas wichtiger sein als sie. Ich beschließe in ihre Wohnung zu gehen. Einzubrechen. Zu sehen ob ich herausfinden kann, was sie so traurig macht, was ihrer unendlichen Trauer und meiner Droge ihre Gestalt verleit. Ich klettere aus dem Fenster und hangle mich an der alten Weinrebe hoch, heraus aus meinem Albtraum und hinein in den ihren. Ich klettere, das Gesicht in den Weinblättern, auf der zum Hof gewandten Seite des Mietshauses hinauf und versuche ihr Fenster, das sie einen Spalt offen gelassen hatte zu öffnen, was mir nach einigem hin und her auch gelingt. Ich klettere hinein und rieche einen seltsamen Duft, den ich auch ansatzweise gestern bereits gerochen hatte. Anscheinend Rückstande ihres betörenden Parfüms.

Ich befinde mich in einem Zimmer, das wahrscheinlich ihr Schlafzimmer sein wird. Es riecht stark nach diesem Zeug, was es auch sein mag. Ein stickiges und düsteres Zimmer, das nur durch das Licht, welches es schafft die abgewetzten roten Samtvorhänge zu durchdringen. Ich sehe einzelne Staubpartikel in ihrem mystischen Tanz in den Lüften, die durch das eben von mir geöffnete Fenster hineinströmte.

Ich setzte mich auf das nicht gemachte Bett und wühlte mich in ihre weiße Daunenbettwäsche und sog ihren Geruch, ihren Schweiß und wieder ihre Tränen in mir auf und fühlte mich zum ersten Mal seit langem befreit und glücklich. Beinahe hätte ich den Auftrag, den ich mir selbst gegeben hatte, vernachlässigt und wäre liegen geblieben, bis sie mich gefunden hätte und mich rausgeworfen hätte, bis sie vielleicht die Polizei gerufen hätte.

Doch irgendwann, ich weiß nicht mehr wie lange ich dort gelegen hatte, gehe ich im Raum herum und suche etwas, das mir Auskunft darüber gibt, warum sie weint und geht und geht und weint.

Ich finde ihr Tagebuch und beginne zu lesen. Nichts wirklich Besonderes. Ein Mädchen, das ihr Leben beschreibt, das beschreibt, wie entsetzlich träge und langweilig es ist. Ein Mädchen, das ihren Freund und die schöne Zeit mit ihm beschreibt, die sie fast von der Einöde ihres Lebens abhebt und sie zum Fliegen bringt. Ein Mädchen, das die Trennung von ihrem Freund und die danach folgende Depression beschreibt, die sie durchläuft. Alles in allem sehr gewöhnlich.

Ich bin bei der letzten Seite angelangt, als sich plötzlich der Schlüssel im Schloss dreht und sie kurz davor steht einzutreten. Ich reiße die letzte Seite aus ihrem Tagebuch heraus und stopfe sie in mein Hemd. Danach versuche ich so schnell wie möglich aus dem Fenster zu kommen, das Fenster zu schließen und den Abstieg über die Weinrebe zu bewältigen. Heraus aus ihrem Albtraum und zurück in meinen.

Nun weiß ich endlich wieso sie weint. Ich weiß es und bin entsetzt. Es wäre mir lieber nie danach geforscht zu haben. Die letzte Zutat ihres Tagebuchs war erschreckend. Die letzte Schilderung, die eines Mädchens, das…..Sie ist wieder da. Sie weint wieder. Geht und weint, geht und weint. Wiederum stehe ich wie gebannt auf der Stelle und will sie, verlange sie. Ich wette sie trägt die blauen Socken, die auf ihrem Bett gelegen haben. Sie weint und schluchzt und geht und weint und schluchzt und geht quer durch den Raum, in alle Ewigkeit, von hier bis ans Ende der Welt.

Sie geht auf die südliche Wand zu und kniet sich nieder. Auch ich lege mein Ohr an dieselbe Wand um diesem melancholischsten Geräusch, das ich kenne zu lauschen. Um zu lauschen und zu vergessen, alle Probleme, Gedanken und Verwirrungen zu vergessen.

Wiederum sickern ihre heißen Tränen durch die Risse der Decke und nässen mein Gesicht spritzen hernieder auf die verzerrte Fratze des Verlangens, die mein Gesicht nun darstellt.

Wieder ertrinke ich in meinem Verlangen und in ihren Tränen, die alles andere überfluten und wie eine Sintflut alles hinwegspülen. Vor meinem übernächtigten Auge verwandelt sich alles. Die Umrisse des Interieurs werden zu wabernden und wallenden Schatten, die zu Schlangenkörpern werden.

Ich knie in mitten eines riesigen Schlangennestes am Boden vor der südlichen Wand und lecke ihre Tränen auf, die mir in ihrer Salzigkeit aufs Neue das Gesicht verätzen und auch ich weine. Ich weine aus Verzweiflung und aus Mitleid, aus Mitleid mit diesem armen Mädchen. Doch gleichzeitig nagt dieses Verlangen an mir stärker denn je. Ich muss sie haben. Die Stimme in meinem Kopf malträtiert mich wie ein altes Waschweib, das den ganzen langen Tag redet und kein Ende findet.

Die Stimme in meinem Kopf flüstert und flüstert unaufhörlich und wir beide, ich und das Mädchen, wir knien und weinen unaufhörlich.

Doch irgendwann weiß auch ich, um sie zu haben muss ich aufhören sie so sehr zu begehren und irgendwann weiß ich auch, dass dieser Moment nie kommen wird und irgendwann weiß ich auch, sie muss wohl gehen, ans Ende der Welt gehen, damit ich leben kann.

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