Laurins Gürtel

Autor: Lutz Reiter
Verlag: Wörterschmiede Verlag Schönebeck
Druck und Bindung: Schaltungsdienst Lange o.H.G.
ISBN 978-3-9811632-0-9
Miriam, ein Mädchen aus dem 21. Jahrhundert, wird auf mysteriöse Weise ins frühe Mittelalter versetzt.Dabei gelangt sie in den Besitz eines magischen Gürtels.Sie trifft auf Dietrich von Bern und seine Ritter, die ausgezogen sind, Zwergenkönig Laurinfür seine Schandtaten zu bestrafen. Miriam schließt sich Dietrich an und wird dabeiin die Kämpfe mit Laurins Kreaturen verwickelt.
Mit der Magie des Gürtels, den sie trägt, versucht sie die Ritter, gegen Laurin, zu unterstützen. Doch der Gürtel ist nicht leicht zu beherrschen.
Wird am Ende Laurins Macht größer sein, ...?
Textauszug:
Die Höhle
Es war schon seltsam. Als sie den Stollen betraten, schien der alte Mann richtig aufzuleben. Je näher sie dem Höhleneingang kamen, desto lebendiger schien er zu werden. Miriam hatte Theo, wie er sich nannte, nicht zugetraut, dass er diese Strapazen aushielt. Schließlich war der Weg zur Höhle kein Pappenstiel. Teilweise mussten sie sich endlos erscheinende Meter kriechend fortbewegen, so eng wurde es. Ab und an ging es steil am Seil hinab. Miriam hatte Theo nur im Auge behalten, weil sie Angst hatte, dass der alte Mann ihnen noch aus den Socken fiel und sie hinterher den Ärger hätten, ihn wieder nach oben zu schleppen. Es war nicht das erste mal, dass ein Höhlentourist schlapp gemacht hatte. Deshalb hatte sie in letzter Zeit auch ständig Tom, ihren Partner klarmachen wollen, dass diese illegalen Höhlentouren auf Dauer nicht gut gehen konnten. Wenn sie das Geld nicht brauchen würde, hätte sie Tom schon längst "Adieu" gesagt. Tom wollte von all dem nichts wissen. Geld war seine oberste Devise. Je mehr davon und je schneller, desto besser. Diesmal jedoch hatte Miriam ein ungutes Gefühl. Die Höhle war selbst ihnen noch fremd, außerdem militärisches Sperrgebiet. Warum, wusste keiner zu sagen. Vor nicht all zu langer Zeit war sie entdeckt und sofort als Gefahrenzone deklariert worden. Doch trotz Sicherheitszaun und Kameras hatten sie wie immer einen Weg entdeckt, einen zweiten Stollen, den das Militär noch nicht gefunden hatte.
Tom, der voran kroch, hatte wieder mal den richtigen Riecher.
Nun waren sie mit dem alten Mann, der einen guten Packen "Kohle" auf den Tisch gelegt hatte, im Berg, um wieder einem "irren Tourie" das Adrenalin hochzuschaukeln.
Miriam, die als letzte hinterher kroch, behielt den alten Mann im Auge. Je näher sie der Höhle kamen, so schien ihr, wurde er agiler. Selbst als sie einige Kamine hinauf klettern mussten, gab es keine Klagen. Vielmehr schien ihr, dass seine Bewegungen sogar kraftvoller waren als die ihres Partners. Manchmal glaubte sie sogar, dass sich sein schlohweißes Haar in ein helles blond verfärbt hatte. Doch das musste wohl Einbildung sein. Das fade Licht ihrer Scheinwerfer konnte ganz gut dazu beitragen.
Endlich erweiterte sich der Stollengang und sie konnten wieder aufrecht gehen. Der Eingang zur Höhle tat sich ihnen auf. Wie beim letzten Mal, so schimmerte ihnen auch heute dieses seltsame rote Licht entgegen. Tom schob sich mit erhöhter Vorsicht an den Felswänden voran und deutete ihnen, das Gleiche zu tun.
Das letzte Mal mussten sie hier umkehren. Sie hatten Stimmen von irgendwelchen Leuten gehört und wollten es nicht darauf ankommen lassen, vom Militär erwischt zu werden.
Tom gab Entwarnung. Diesmal schien die Luft rein zu sein.
Staunend betraten sie ein gewaltiges Gewölbe, dessen riesige Ausmaße man schwer schätzen konnte. Schemenhaft nur konnte man in der Ferne Felswände erkennen, die im rötlichen Licht schwammen. Die Höhlendecke über ihnen war überhaupt nicht zu sehen. Seltsame bläuliche Wolkenformationen verhinderten die Sicht. Der Boden unter ihnen hatte nichts Natürliches an sich. Er sah aus, als hätte jemand unregelmäßig geformte, tellergroße Platten aus Schiefer verlegt. Seltsame Gewächse mit kristalliner Struktur wuchsen links und rechts und bildeten eine Art Wegbegrenzung. Je weiter sie vorankamen, desto größer wurden diese Gewächse und leuchtender in ihrer Farbe. Mit ihren fast durchsichtigen grünlichen Verästelungen, in deren Enden sich so etwas wie Blattwerk entwickelte sahen die Gebilde aus wie Pflanzen. Ab und zu wanden sich armdicke rötlich pulsierende Stränge hervor, die irgendwo im bläulichen Himmelsdunst verschwanden.
Die Gruppe lief stumm vor Staunen den sich willkürlich windenden Schieferweg entlang. Je weiter sie in die Höhle eindrangen, desto dichter und bizarrer wurde die Formenvielfalt der Gewächse. Irgendwann teilte sich der kristallene Dschungel und ein Garten tat sich ihnen auf. Anders konnte man es fast gar nicht beschreiben. In präzise angeordneten Abständen wuchsen hier unzählige rosenartige Gewächse. Pulsierendes goldenes Licht zog sich durch die zarten kristallinen Aststrukturen und Blätter hinauf, zu zahlreichen rubinroten Blüten. Der Ursprung des weithin zu sehenden roten Leuchtens.
Von der Schönheit dieses Anblicks überrascht wollte Miriam näher treten, um die zarten Gewächse zu berühren. Doch bevor sie dazu kam, wurde sie von Theo zurückgerissen.
"Nichts berühren, verdammt noch mal!", rief er zornig.
Erschrocken sah sie ihn an und erkannte ihn kaum wieder. Das faltige Gesicht war verschwunden. Sie sah in das Gesicht eines Mannes mittleren Alters mit strohblonden Haaren und stahlblauen Augen. Seine ganze Figur war stämmiger und hünenhafter geworden.
Nun hatte auch Tom Theos Veränderung bemerkt.
"He, he, " rief er staunend. "Was geht hier ab Alter, bist du auf Drogen oder so ‚nen anderen Powerzeugs?"
Er stellte sich provokatorisch zwischen Miriam und Theo.
Sicher wollte er ihr auch seinen Schutz vermitteln. Theo jedoch schob ihn achtlos beiseite, als wäre er nur Pappmaschee.
"So was brauch ich nicht mein Bester und ab sofort sage ich, wie es hier weiter geht."
Tom brauste auf vor Wut und Hilflosigkeit. So war noch keiner mit ihm umgesprungen.
"Was bildest du dir ein alter Mann!", dabei ignorierte er Theos Veränderung, "Schließlich haben wir dich hierher geführt."
"Dafür habe ich euch bezahlt", entgegnete Theo trocken. "Wenn ihr aber mit heiler Haut hier wieder rauskommen wollt, dann solltet ihr auf mich hören und möglichst schnell verschwinden."
Er riss dem verdutzten Tom das Messer aus der Hand, das dieser irgendwoher gezogen hatte, und warf es in Richtung der Rosen.
Ein leiser süßer säuselnder Ton war zu hören, bevor das Messer die Sträucher erreichte, zog ein silbrig flimmernder Wirbel von irgendwo heran und das Messer verschwand unter einem stillen blauen Blitz, noch bevor es die ersten Blüten erreichte.
Theo grinste breit und voller Genugtuung.
"Das geschieht mit Leuten, die sich für schlau genug halten in Laurins Reich einzudringen."
Erschrocken zogen sich Tom und Miriam einige Meter zurück.
"Was war das und wer sind sie?", rief Miriam ängstlich.
Theo winkte ab.
"Wer oder was ich bin, ist nicht wichtig. Aber das war eindeutig ein Schutzmechanismus, der Laurins Rosengarten vor Eindringlingen bewahren soll."
Tom schüttelte seinen Kopf.
"Der ganze Schwachsinn geht mir nicht in den Schädel. Was soll jetzt der Quatsch mit einem Zwerg, den es nur in der Sage gibt? Das ist hier auch kein Rosengarten, sondern nur ein wild gewachsener Scheiß von irgendwelchen Bergkristallen."
Miriam war anderer Meinung.
"Ich denke, dass wir auf Theo hören und zurückgehen sollten."
Sie machte eine ausschweifende Geste.
" Das hier alles Tom, " sie sah ihn eindringlich an, "ist weder wild gewachsen, noch natürlich."
Tom schüttelte stur seinen Kopf. Er wollte weiter in den Berg. Denn dahin, wo dieser verrückte Theo wollte, musste es irgendetwas geben. Etwas, was vielleicht zu Geld zu machen war.
"Ich mache da nicht mit."
Irgendwo her hatte er jetzt eine Pistole gezogen, die er auf Theo richtete.
"Wir gehen weiter", er drohte Theo unmissverständlich mit der Waffe.
"Aber jetzt so, wie ich das will."
Theo hob die Hände und nickte bereitwillig.
"Ich hoffe junger Mann, ihr werdet es nicht bereuen!"
Sie liefen weiter auf verschlungenen Wegen, zwischen kristallener Flora in die Höhle hinein. Theo ging voraus, gefolgt von Miriam, die Tom mit missbilligenden Blicken strafte.
Tom hielt mit der Waffe in der Hand Abstand von Beiden.
Seine Gedanken kreisten nur noch um den Namen Laurin.
Er kannte die Sage auch und wenn hier ein wenig von der Legende um Laurin wahr würde, so gab es mit Sicherheit nicht nur schnöde Kristalle zu erbeuten.
Vielleicht würde sich heute sein Traum von Reichtum erfüllen, denn Laurin soll nicht gerade mittellos gewesen sein.
Der bläulich schimmernde Himmel hatte seine Farbe in tiefes Violett getaucht. Der Weg, auf dem sie liefen, war auch nicht mehr so übersichtlich wie zuvor. Wildwuchs überall zeugte von Vernachlässigung.
Manchmal mussten sie über verwachsene teilweise marode Kristallstrukturen klettern, um wieder auf den Weg zu finden, dessen Platten ebenfalls morsch und brüchig wurden.
Theo gefielen die Veränderungen nicht.
"Irgend etwas stimmt hier nicht!", rief er Tom zu, der immer noch mit gezogener Waffe hinter ihnen lief.
Tom ließ sich nicht beirren und trieb sie weiter auf den Weg.
Seine Haltung mit der Pistole war eindeutig.
Sie gerieten in eine Art Tunnel, der von arkadenartig verwachsenen, türkisfarbenen Kristallen gebildet wurde.
Wenn die Situation nicht so vertrackt wäre, hätte sich Miriam die Gebilde gern etwas näher angesehen. Doch sie kannte Toms Starrsinn und wusste, dass er manchmal sehr unberechenbar war.
Noch im Gedanken schrak Miriam zusammen. Etwas hatte sie am Arm berührt.
Es war Theo, der sie zu sich zog.
"Jetzt müssen sie stark sein." Er deutete in den Tunnel hinein.
Anfangs sah sie nichts weiter als blaugrüne Kristalladern, doch je näher sie kamen, desto eindeutiger hoben sich andere Umrisse ab.
Miriams Mund entwisch ein grauenvoller Schrei und selbst Tom verlor seine Fassung und seine drohende Haltung.
Das, was sie zu Gesicht bekamen, war ein grauenvolles Kuriosum.
An den Wänden und selbst am Boden ragten menschliche Körperteile wie kunstvolle Reliefs hervor, die teilweise mumifiziert oder mit der kristallinen Struktur verwachsen den Weg säumten.
Zerschmetterte Torso, Hände und Füße sowie deformierte Schädel ragten aus der schimmernden Kristallflora.
Die Menschen schienen in ihrer Bewegung erstarrt und von etwas auseinander gerissen worden zu sein. Ihre seltsam verrenkten Körper waren in Uniformen der Gebirgsjäger gehüllt und manche abgerissene Hand hielt noch eine Waffe. Einige hatte es so auseinander getrieben, dass man ihre ehemals pochenden Herzen und den Inhalt ihrer Mägen sehen konnte, die jetzt an kristallisierten Skelettteilen klebten, wobei die Rippen wie Engelsflügel nach außen standen.
Miriam wand sich ab und musste sich übergeben.
Selbst Tom war es nicht ganz einerlei, was er da sah. Mit blassem Gesicht schritt er die Front der Gemarterten ab.
Diese Leute, vielmehr ihre Überreste gehörten der Armeeeinheit an, die hier die Höhle sichern sollte.
Etwas Grausames muss sich ereignet haben.
Von seinem ersten Schrecken erholt trat Tom näher, um sich einen der toten Schädel genauer anzusehen.
Die toten glasigen Augen waren wie Glasmurmeln in die Augenhöhle zurück gerutscht. Pergamentartig umspannte die Haut den Schädelknochen und verschmolz im Nacken mit der Wand. Es sah aus, als wolle der Schädel in die Kristallader hineinwachsen.
Seitlich hatte ein Geschoss, wahrscheinlich aus der Waffe eines seiner Kameraden, den Schädel durchstoßen und wollte gerade auf der anderen Seite wieder heraustreten. In diesem Moment, da die Spitze des Geschosses seinen Weg aus dem Schädel nahm und die Knochenwand barst um der Hirnmasse den Weg nach Außen zu ebnen, hatte "Etwas" die Zeit angehalten und das Fleisch erstarrte zu kristallinen Formen.
Angewidert sah Tom weg.
Er sah in Miriams Augen, die voller Angst waren. Er schaute Theo ins Gesicht und sah auch darin nur Fragen. Die Gedanken drehten sich weiter in seinem Kopf und selbst die Wände um in schienen sich zu drehen. Nie gekannte Panik erfasste ihn.
Nur weg von hier, war sein Gedanke. Das was diesen Leuten passiert war, sollte ihn nicht auch noch treffen.
Er fasste die Waffe wieder fester und floh in den Tunnel hinein.
"Nicht dahin!", rief Theo. "Du läufst in dein Verderben!"
"Woher wissen Sie das?", Miriam sah ihn fragend an.
"Dazu ist jetzt keine Zeit mehr", antwortete Theo. "Wir müssen ihn aufhalten."
So schnell sie konnten folgten sie ihm und gelangten am Ende des Tunnels in eine weitere kleinere Höhle.
Unzählige spiegelartige Flächen, in den verschiedensten Formen und Größen bedeckten den fast kreisrunden Raum. Sie reflektierten ein rotes Licht, das von der Mitte her erstrahlte. Dort strebte eine Lichtsäule zu einem nicht mehr sichtbaren Himmel. In ihrem Innern wanderten unentwegt faustgroße rubinfarbene Steine auf und ab. Fast schwerelos schwebten sie, wie von Geisterhand geführt und schickten ihr märchenhaft schönes Leuchten in die Höhle.
Tom wankte wie betrunken auf die Lichtsäule zu. Mit ausgebreiteten Armen, begann er sie wie von Sinnen zu umtanzen. Sein Gesicht war von gierigem Wahnsinn gezeichnet, während rote Lichter darin aufflammten.
"Alles meins!" rief er. " Der Schatz gehört mir, ich habe ihn zuerst gefunden."
Sein Tanz um die Säule wurde immer wilder und sein verrücktes Lachen hallte in der Höhle wider.
"Er ist wahnsinnig geworden", flüsterte Miriam Theo ängstlich zu.
"Ja das ist er", antwortete er trocken. "Er hat zu lange in das rote Licht gesehen. Bleib dicht hinter mir, dann wird dir nichts passieren."
Er streckte seinen rechten Arm aus und beschrieb mit seiner Handfläche einen großen Kreis in der Luft. Gerade so, als wolle er etwas abtasten. Eine durchsichtige, bläulich schirmende ovale Fläche entstand vor ihnen. So wie sie sich bewegten, schwebte sie vor ihnen her.
"Ein Schutzschild", erklärte Theo. "Es wird uns vor der Strahlung bewahren."
Miriam hatte schon eine Frage auf den Lippen doch Theo schien ihre Gedanken zu erraten. Er riss sich sein Hemd vom Leib. Jetzt sah sie seinen athletischen Oberkörper um dessen Bauchgegend sich, einem breiten Gürtel ähnlich, Wurzelgebilde wanden. Das Geflecht schimmerte rotgolden und verdichtete sich zum Nabel hin, wo es in einen faustgroßen rubinfarbenen leuchtenden Stein verwuchs.
"Ich besitze Laurins Gürtel, er gibt mir die Macht."
Er sah Miriam ernst an.
"Deswegen bin ich hier. Der Stein hat hier in der Höhle wieder neue Kraft bekommen. Doch das ist nicht von Dauer. Er muss durch einen Neuen ersetzt werden. Dann erst hat der Gürtel wieder seine volle Kraft. Praktisch wie eine Batterie."
Wie zum Beweiß begann der Rubin auf Theos Gürtel zu flackern, was sich sofort auf das Schutzschild übertrug.
Miriam hatte noch weitere Fragen doch Theo wand sich ab.
"Die Zeit drängt. Ich muss deinen wahnsinnigen Freund von der Säule wegholen."
Miriam wollte Theo klarmachen, dass Tom nur ihr Geschäftspartner ist, doch sie kam nicht dazu.
Mit schnellen Schritten, dehnen sie mithalten musste, stürmte Theo in die Höhle und auf Tom zu.
Tom sah sie kommen und verharrte in seinem Veitstanz. Grinsend schüttelte er seinen Kopf und richtete die Pistole auf sie.
"Nicht mit Tom!", rief er und drückte ab.
Das Geschoss prallte auf den Schutzschirm ab und landete irgendwo im Fels. Der Schirm flackerte nachhaltig und erlosch.
Theo zögerte nicht und seine Hand kreiste erneut, um den Schutzschild wieder herzustellen. Wieder und wieder drückte Tom ab und Theo ließ unentwegt seine Hände kreisen. Dann war das Magazin leer.
Enttäuscht schaute sich Tom die Pistole an und ließ sie schließlich grinsend fallen.
"Ihr kriegt meinen Schatz nicht!", keifte er.
Abrupt wand er sich um und griff in die Lichtsäule hinein. Triumphierend hielt er einen Rubin in seinen Händen.
Sein Lachen erstarb bevor es über seine Lippen kam.
Ein Zittern durchzog seinen Körper, wurde stärker und stärker. Schließlich wurde er so stark durchgerüttelt, dass man seine Konturen nur noch verschwommen sah. Schlagartig, so wie es begonnen hatte, hörte es auf und Tom erstarrte, mit dem Rubin in seiner Hand.
Er war auf seltsame Weise mumifiziert. Sein wahnsinniges Grinsen hielt sich noch für den Bruchteil von Sekunden, dann klappte Tom zusammen und wurde zu einem Häufchen Asche, auf dem zuoberst der Rubin friedlich leuchtete.
Geschockt starrte Miriam auf das darauf. Nach geraumer Zeit begriff sie erst, was mit Tom geschehen war. Langsam nahm sie wieder ihre Umgebung war, und sah Theo leise stöhnend am Boden knien.
"Er ist von Toms Schüssen getroffen worden", war ihr erster Gedanke, doch als sie ihn genauer betrachtete war ihr klar, dass weit mehr geschehen sein musste.
Theo war um viele Jahre gealtert. Er sah jetzt älter aus als zu Beginn der Höhlentour.
Kraftlos hing er am Boden und sah sie mit faltigem Gesicht und hilflosem Blick an.
"Dein Freund hat die Lichtsäule zerstört", keuchte er leise.
"…den Stein, hol mir den Stein, bevor es zu spät ist."
Sie sah zur Höhlenmitte und begriff was Theo meinte. Die leuchtende Säule mit den schwebenden Rubinen war verschwunden. Tom hatte sie wahrscheinlich durch seinen Eingriff zerstört und damit den Energiefluss zu Laurins Gürtel, der Theo am Leben hielt, unterbrochen. Geblieben war nur noch der Rubin auf Toms Asche, der still vor sich hin leuchtete.
Der Gedanke ihn holen zu müssen, in die Nähe von Toms Überresten zu kommen, schaffte ihr Unbehagen. Doch mit jeder Minute ging es Theo sichtlich schlechter.
Sie nahm allen Mut zusammen und schritt langsam auf den Stein zu.
Da warf sie eine Erschütterung zu Boden.
Die Höhle bebte. Die Wände verformten sich und schienen näher zu kommen. Hier und da flammten bläuliche Lichter auf und so, wie sie erloschen verschwanden an dieser Stelle die seltsamen Spiegel. Immer weniger wurden es und immer näher schoben sich ihr die Höhlenwände entgegen.
Erschrocken sah sie zu Theo.
Er hatte die Veränderung ebenfalls bemerkt und drängte sie mit schwach winkenden Händen zur Eile.
Sie wollte aufstehen und schnell den Stein holen, doch ein erneutes Beben warf sie abermals zu Boden. Die Höhle wurde von starken Erschütterungen erfasst. Wieder und wieder wurde sie zu Boden geworfen und kam nur langsam voran. Mit Grausen sah sie die blauen Flammen, in dehnen die Spiegel zerfielen und den Raum immer enger werden ließen. Kriechend erreichte sie schließlich den Stein und sah angewidert auf die verbrannten Knochenreste von Tom.
Mit spitzen Finger, um möglichst keinen Kontakt damit zu bekommen fasste sie zu.
Wieder erschütterte ein Beben die Höhle und ihre Hand tauchte unwillkürlich in den Knochenberg.
Ein Schrei entlud sich ihrem Mund als sie statt des Steines Toms Schädel in der Hand hielt. Angewidert schleuderte sie ihn davon. Der Rubin war zwischen die Knochen gerutscht. Widerwillig, mit einem würgenden Gefühl im Hals, wühlte sie diese auseinander und hielt ihn schließlich in der Hand.
Sie erwartete elektrische Schläge oder ähnliches, aber nichts dergleichen geschah.
Erleichtert schaute sie zu Theo, in dessen faltigen Mundwinkeln sie ein Lachen wahrnahm.
"Ja, ja, lach nur alter Mann", dachte sie. So etwas tu ich nie wieder.
Ihre Gedanken wurden von einer neuen Bebenswelle unterbrochen. Schleunigst kroch sie zurück und drückte Theo den Stein in die Hand.
Schon die Nähe zum Gürtel schien ihm wieder Kraft zu geben.
Mit sicheren Händen presse er ihn auf den Gürtel. Auf die Stelle wo der alte Stein erloschen war. Ein glutroter Strom ergoss sich über die feinen goldenen Adern des Gürtels in Theos Körper und der Stein verschmolz an seinem neuen Ort.
Theo ging es zusehends besser. Die faltige Haut straffte sich, Muskeln bildeten sich, und das schlohweiße Haar wallte wieder in blonder Fülle.
Er atmete tief und geräuschvoll durch und erhob sich mit den kraftvollen Bewegungen eines durchtrainierten Sportlers.
Fast einen Kopf größer als Miriam stand er vor ihr und sah sie lachend mit seinen stahlblauen Augen an.
"Du hast mir das Leben gerettet, kleines tapferes Mädchen."
Er fasste sie in die Taille, hob sie hoch und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Miriam war völlig überrascht, als er sie wieder auf den Boden stellte brachte sie vorerst kein Wort heraus.
Theo hatte im Moment auch keine Zeit für Gespräche.
Mit finsterer Miene besah er sich den Zustand der Höhle.
Die Beben hatten nachgelassen, doch die Wände verschoben sich unaufhörlich.
Wieder ließ er seine Hände kreisen und grelle weiße Strahlen schossen auf die kristallinen Wände. Viele Minuten verbrachte er so und schickte die Strahlen in alle Richtungen.
Anfangs sah es aus, als würde dies zu einem Ergebnis führen und die Wände stoppen. Doch der Aufschub währte nur kurz und wieder setzte das Beben ein und alles begann von vorn.
Wieder flammten die Lichter auf, Spiegel verbrannten und die Höhle wurde immer enger. Längst waren der Eingang und die Aussicht auf eine Flucht verschwunden.
"Werden wir sterben?"
Angstvoll sah Miriam an dem blonden Hünen hinauf.
Theo antwortete nicht. Dafür ließ er seine Hände wilder kreisen und dabei mehr Kraft in sie zu legen. Nach vielen, fast endlosen Minuten, senkte er sie und setzte sich auf einen Felsbrocken.
Zerknirscht sah er zu Miriam.
"Es ist schlimmer als ich erwartet hatte", stöhnte er. "Die Höhle wird sich endgültig schließen."
Er deutete Miriam, sich zu ihm zu setzen. Mit angstvollen Augen ließ sie sich auf den kalten Stein nieder.
Sein Arm legte sich um ihre Schulter und drückte sie sacht an sich.
"Keine Angst kleine tapfere Miriam. Für alles gibt es eine Lösung."
Er deutete auf seinen Gürtel.
"Einst gehörte er König Laurin. Im ehrenvollen Kampf habe ich ihn erworben und lange Zeit getragen, fast eine Ewigkeit. Nun sollst du ihn haben und er wird dich in die Freiheit bringen."
Seine Finger hantierten auf dem Wurzelgeflecht. Die Adern begannen zu schrumpfen und wanden sich wie goldenen Schlangen aus seinem Körper. Schließlich hielt er den Rubin, an den nur noch dünne Fäden hingen, in seiner Hand.
Bevor sich Miriam versah hatte er ihren Pulli hochgezogen und den Stein auf ihren Nabel gepresst.
Ein wohliger warmer Schmerz durchzog sie, als sich der Gürtel um sie schloss und sein Geflecht in ihr Bauchfleisch drang stürzte sie in eine Flut von fremden Gedanken, Erkenntnissen und Gefühlen.
Als sie ihre Umgebung wieder wahrnahm, lag ein alter Mann schwer atmend neben ihr.
"Theo!", rief sie entsetzt. "Was hast du getan?"
Er winkte abwehrend und seine Stimme war vor Schwäche kaum zu hören.
"Geh’ endlich. Die Zeit drängt. Steige in einen der Spiegel und stelle dir den Ort vor, wohin du gern möchtest. Dann wirst du die Freiheit erlangen."
Seine Worte gingen in einem Hüsteln unter.
Miriam sah mit Tränen, wie Theo immer schwächer wurde.
"Was wird aus dir, Dietrich? Der bist du doch?"
Auf seinen Lippen bildete sich ein Lächeln.
"Ja der bin ich, und wenn Gott es gewollt hätte, wäre ich dir gern etwas früher begegnet, tapfere Miriam. Doch nun geh’ endlich und gib Acht im Umgang mit dem Gürtel. Seine Macht ist groß."
Erneute Beben erinnerten Miriam an die Gefahr, die ihr drohte. Schnell gelangte sie an einen der Spiegel und als sie hinein stieg warf sie noch einen letzten Blick zurück - auf den sterbenden Dietrich, dem König der Goten.
Wolfhards Kampf mit dem Drachen
…Wolfhart ritt mit Walther und Ortwin als Vorhut um die Reisegesellschaft vor unerwarteten Gefahren zu sichern.
Sie waren auf dem Weg zu Herrn Dietrich und seinem Oheim Hildebrand, um mit ihnen nach Worms zu ziehen. Sie ritten zu dritt während der Rest der Ritter die Gruppe selbst schützend begleitete.
Kühnhild, Dietleibs Schwester war unter den Frauen der Gesellschaft und sie unterhielt alle so gut, dass sie alle in guter Laune waren. Jeder freute sich auf König Gunthers und Siegfrieds Hochzeit zu Worms und das Treffen mit Burgundern, die man lange nicht gesehen hatte.
Wolfhart mochte Kühnhild’s Gemüt und hörte den Klang ihres Lachens gern. Sein Herz sprang wenn er sie sah oder hörte. Doch selbst wagte er nicht seine Gefühle für sie zu offenbaren.
Da geschah das Unerwartete. Wolfhart, Walther und Ortwin hatten ihre Erkundung abgeschlossen und ritten zurück als ein unerklärliches Gekreisch sie aufschreckte. Es kam aus den Wolken und aus der Richtung der Reisegesellschaft. Sofort spornten sie ihre Pferde an, denn das verhieß nichts Gutes. Je näher sie kamen desto lauter wurde das Gekreische, vermischt mit dem Geschrei von Menschen die in Not waren.
Sie trieben ihre Pferde an so gut es ging, was in der bergigen Landschaft für die Tiere zusätzliche Anstrengung bedeutete.
Dann sahen sie schon von weitem das grausige Schauspiel. Ein riesiger Drache kreiste am Himmel über den Menschen. Immer wieder, wenn er herabstieß schossen Blitze aus seinem Rachen auf die Ritter herab, die sich ihm tapfer entgegenstellten. Doch all ihr Mut und Tapferkeit nützten nichts. Mit ihren Schwertern konnten sie nichts ausrichten, Lanzen und Pfeile vermochten den Panzer des Untieres nicht zu durchdringen.
Die Blitze des Drachen jedoch waren bei jedem Angriff tödlich. So lagen bald viele tapfere Krieger mit abgetrennten Gliedmaßen oder zerschnittenen Torso in ihrem Blute.
Die Frauen und das Gefolge hatten unter den Saumpferden oder hinter den wenigen Bäumen, die die Landschaft hier bot Schutz gesucht. Bisher, so schien es, wurden sie von der Gefahr aus der Luft verschont.
Wolfhart wies Walther und Ortwin an sie wegzuführen und in Sicherheit zu bringen. Dann rüstete er sich mit Schild und Lanze gegen den Drachen.
Schon der erste Angriff war ein Fiasko. Der Drache hatte ihn sofort als neuen Feind ausgemacht und stürzte vom Himmel herab auf ihn zu. Wolfhart hob sein Schild um den Blitz abzuwehren, doch dieser durchschlug es und streifte ihn an der Schulter. Ein brennend heißer Schmerz durchfuhr ihn, aber so leicht gab er nicht nach.
Kraftvoll warf er die Lanze in dem Moment da der Drache nah am Boden war. Sie traf Zielsicher wie immer, doch prallte sie nur mit einem metallischen Klang von der Schuppenhaut des Tieres ab und fiel weitab zu Boden. Wolfart war enttäuscht, gab aber dennoch nicht auf. Nicht weit von ihm sah er den Schaft einer Lanze neben einen toten Ritter aus dem Erdreich ragen. Er lenkte sein Pferd so, dass er sie, tief herab gebeugt, im Vorbeiritt zu fassen bekam. Voller Triumph drohte er damit dem Drachen, der bereits einen neuen Angriff wagte. Das schwarze Ungeheuer drehte weit oben am Himmel und stürzte sich erneut herab. Wolfhart hatte das Schild fallen gelassen und erwartete die Bestie mit erhobener Lanze. Er hatte keine Hoffnung mehr das Tier zu töten, aber zumindest konnte er es von den Reisenden und Kühnhild ablenken, während Diether und Ortwin sie in Sicherheit brachten.
Erneut stieß der schwarze Schatten mit kreischen herab und Wolfhart gab seinem Pferd die Sporen. Näher und näher kamen sich die Kontrahenten. Der Eine aus der Luft der Andere von der Erde her. Diesmal wollte Wolfhart den geöffneten Rachen treffen. Sein Wurf war gewaltiger denn je. Präzise zog seine Waffe ihre tödliche Bahn, doch wenige Ellen vorm Ziel prallte die Lanze wie an einer unsichtbaren Mauer ab. Betroffen sah Wolfhart sein Missgeschick. Da geschah es. Der Blitz des Drachen erreichte ihn bevor er sein Pferd wenden konnte und trennte dem Tier den Kopf ab. Blut schoss hoch und traf ihn in die Augen und noch ehe er reagieren konnte, wurde er unter dem stürzenden Pferd begraben.
Der Sturz nahm ihn den Atem und die Last des Pferdekadavers ließ ihn die Sinne schwinden. Sein letzter Blick galt der Reisegesellschaft in der er Kühnhild suchte. Seine Augen suchten Diether und Ortwin, die sie in Sicherheit bringen sollten. Was er sah, schien das Gespinst seiner nahen Ohnmacht zu sein.
Der Wald und seine Berge, hinter den Flüchtenden, begannen sich in einem Flimmern aufzulösen und zu verschwinden. Anfangs schemenhaft, dann immer deutlicher, zeigte sich eine fremdartige Landschaft. Seltsame kristallene Formen im leuchtenden Rot überzogen flache Hügel. Kein Baum oder Strauch war zu sehen. Der Himmel strahlte ein sanftes rosa Licht in dem die wenigen bläulichen Wolken die Unnatürlichkeit noch mehr hervorhoben. In diesem Himmel entdeckte Wolfhart einen Fleck der zusehends größer wurde. Schließlich erkannte er ein geflügeltes weißes Pferd auf dem ein Menschlein in seltsamer aber prachtvoller Rüstung saß. Der Pegasus flog einen weiten Bogen über die Köpfe der Schutz suchenden Menschen und verharrte schließlich in geringer Höhe. Wolfhart sah dieses zwergenhafte Wesen auf dem geflügelten Ross und sah Walther und Ortwin auf ihren Pferden, doch irgend etwas hielt sie auf, während die Frauen und Dienerschaft wie unter einem Zauber stehend in die seltsame Landschaft hineinwanderte. Kaum hatte der letzte seinen Fuß in diese fremde Welt gesetzt, begann sie sich wiederum flimmernd aufzulösen und verschwand mitsamt den Menschen und dem fliegenden Ritter.
Wolfhart wollte schreien doch er brachte nur ein heißes Röcheln heraus, dann wurde er bewusstlos…
… "Schau auf den Stein am Knauf meines Schwertes", flüsterte Hildebrand ihr verschwörerisch zu. "Einst war er blutrot und verlosch in den Jahren, wurde weiß wie Schnee. Jetzt hat er wieder sein rotes Leuchten." Hildebrand sah Miriam eindringlich an. "Es begann als wir dich im Wald fanden. Wie ich schon sagte. Glaube ist etwas anderes. Ich weiß welche Macht du hast, Miriam." Seine Augen funkelten wild und erwartungsvoll.
"Was macht dich so sicher, dass ich meine Macht nicht gegen Euch einsetze", flüsterte sie zurück.
"Menschenkenntnis", erwiderte er knapp und steckte das Schwert zurück. Sie sah es mit Erleichterung und sah den alten Mann lange Zeit nachdenklich an.
"Wie bist du zu dem Stein gekommen?" Hildebrand schien die Frage erwartet zu haben. "Das ist eine lange Geschichte, doch ich will sie dir in Kürze erzählen.
"Es war noch bevor ich in die Dienste König Dietmars, Dietrichs Vater, trat.
Ich war noch jung und zog von einem Abenteuer ins Andere. Ich kämpfte als Söldner für Rom in der ganzen Welt und habe dabei sehr viel Kriegserfahrung und Umgang mit den Waffen erworben. Irgendwann aber hatte ich es satt. Ich erkannte, dass ich als Söldner auf der falschen Seite stand und mein Schwert gegen Völker erhob, die nur ihr Recht auf den eigenen Herd und Hof verteidigten. Es war eine späte Erkenntnis, die mich dazu bewog Rom den Rücken zu kehren."
Hildebrand
Hildebrand hatte sich einem Tross angeschlossen, der aus Händlern und Glücksritter bestand. Einige unter ihnen konnten auch Gauner und Halsabschneider sein. Im Moment war ihm das egal. Er wollte zurück nach Garten an seines Vaters Hof und der Tross zog durch Süditalien gegen Norden. Für eine gewisse Zeit würde er nicht allein Reisen müssen. Selbst für ihn, als erfahrenen Kämpfer konnte dies gefährlich werden. In den Wäldern lauerte genug Gesindel, das einen einzelnen Reiter gern als leichte Beute in Empfang nahm. Nachdem er sein Schwert und Schild zum Schutz anbot, willigten die Kaufleute ein und ließen ihn mit Ihnen ziehen. Einige von den Glücksrittern grinsten hämisch und machten abfällige Bemerkungen, die Handelsreisenden ließ jedoch jedes Schwert mehr, beruhigter Reisen. Die Zeiten waren hart, und voller tödlicher Gefahren. Ihre Karren und Saumpferde waren mit feinen Gewürzen und edlen Tuch aus dem Orient beladen. Eine lohnenswerte Beute für Raubgesindel…
…Eines Abends, sie lagerten nahe bei einem Wald, den sie am Morgen darauf durchqueren wollten, wurden seine Befürchtungen bestätigt. Die Händler Ritter und Knechte hatten sich zur Ruhe begeben, die eingeteilten Wachen hielten das Feuer am Leben und drehten ab und zu eine Runde. Mehr oder weniger um sich die Füße zu vertreten als für Sicherheit zu sorgen. Die Zwei hatten schon einige Krüge Wein geleert und waren auch bald, neben dem Feuer, in tiefen Schlaf gefallen.
Hildebrand, der etwas abseits lag, hatte sich in ein dickes Fell gehüllt und konnte nicht schlafen. Er hatte die Augen geschlossen, doch eine innere Unruhe hielt ihn wach. Er döste vor sich hin und wäre schon fast dem Schlaf verfallen als ein Rascheln ihn wachrüttelte.
Durch seine Augenwinkel sah er wie sich ein Schatten vom Lager erhob und in geduckter Haltung im Wald verschwand. Es war aber nicht Bogdan, der schlief an anderer Stelle. Es musste aber einer der Glücksritter sein, denn die Händler und ihre Knechte schliefen bei ihren kostbaren Waren.
Hildebrand schälte sich lautlos aus seiner Vermummung und folgte dem Schatten. Weit konnte er ihm nicht folgen. Das Licht des Feuers verlor sich immer mehr und bald stand er völlig im Dunklen. Er blieb, an einen Baumstamm gelehnt stehen und lauschte in den finsteren Wald hinein. Nicht ein Sternenlichtdrang durch die Wipfel der Bäume. er hörte ein Käuzchen schreien und hier und da ein Rascheln, das auch von Kleingetier stammen konnte. Es war zwecklos und gefährlich obendrein weiter in den Wald vorzudringen. Hildebrand entschloss sich zur Rückkehr um wenigstens die Anderen zu warnen um entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Schon wand er sich vom Baum ab als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, so dass ihm vor Schreck fast das Herz stehen blieb.
"Es ist Ritter Vlad, der uns da verlassen hat", hörte er eine Stimme. Er hatte sie nicht oft gehört, doch sehr wohl eingeprägt. es war Bogdan der da zu ihm sprach.
"Er wird zurückkommen, doch mit Sicherheit nicht allein." Hildebrand drehte sich endgültig um und gewahrte Bogdans hünenhaften Schatten vor sich. Es ärgerte ihn dass er von Bogdan so überrumpelt worden war.
"Wir sollten das Lager wecken und alle warnen", antwortete Hildebrand mit gespielter Gelassenheit.
"Das sollten wir", stimmte Bogdan zu und machte kehrt. Hildebrand folgte ihm und bemerkte erstaunt wie sicher und leise der Hüne durch den dunklen Wald schritt. Er hatte ihn total unterschätzt. Bogdan schien offensichtlich weit aus mehr Erfahrung zu besitzen wie er bisher Preis gab.
Im Lager angekommen fand Hildebrand die angeblichen Glücksritter schon schwer bewaffnet am Feuer sitzend. Selbst die so betrunkene Nachtwache hatte sich seltsamer Weise schnell ernüchtert und ward wieder taufrisch. Die Kaufleute nebst Knechten wirkten sehr nervös und hatten sich mit dem bewaffnet, was ihnen zur Verfügung stand.
Hildebrand starrte Bogdan fragend an und ließ seinen Blick schweifen. "Was ist hier los rief er verwirrt", alle wissen schon Bescheid."
Bogdan grinste. "Wir mussten uns ein wenig verstellen. Wir sind schon seit langem hinter diesen Banditen her die unser Land unsicher machen". der Anführer der Kaufleute kam empört herangestürmt. "Und dazu benutzt ihr uns, harmlose Handelsreisende! Soll unser Blut Lockmittel sein?" Bogdan versuchte ihn zu beschwichtigen. "Auch ohne uns währet ihr in die Fänge der Banditen geraten. Seit froh das wir bei euch sind. Ihr habt gut ausgebildete Soldaten König Dietmars vor euch."
Der Kaufmann trat vor Bogdan einen Schritt zurück." Dann will ich hoffen, das des Königs Soldaten auch ihren Sold wert sind". Er begab sich wieder zu den Seinen zurück und es war ihm anzusehen, dass er trotz allem von der Situation nicht begeistert war...
…sie kamen genau aus der Richtung in die Vlad entschwunden war. Sie schienen sich auch sicher, denn sie machten sich kaum die Mühe ihre Geräusche zu verbergen. Allen voran stürmte Vlad selbst, gefolgt von mehr als ein duzend wilder Wegelagerer die man schlecht zuordnen konnte. Einige Awaren erkannte Hildebrand an ihren verformten Schädeln. Auch waren Wilzen und Wikinger darunter. Einer verwegener als der Andere. Alles in allem stürmte ihnen Mordgesindel entgegen, das sich wohl gesucht und gefunden hat.
Sie schienen im ersten Moment sehr überrascht als Bogdans Krieger in voller Rüstung von ihren Lagern aufsprangen und sich Ihnen entgegenstellten. Vlad, der wohl als ihr Hauptmann galt stürzte als Erster vor Wut brüllend heran und schwang eine mächtige Keule gegen Hildebrand. der Hieb war hart, doch Hildebrand wehrte ihn mit dem Schild ab und neigte es so, dass die Wucht gemildert wurde. Dann nutzte er diesen Schwung und ließ sein Schwert kreisen. Es traf Vlads Schädel oberhalb der Augenbrauen und trennte die Hirnschale mitsamt Helm vom Kopf. Hirnmasse quoll dem Angreifer über Augen und Gesicht und er sank mit einem letzten Seufzer zu Boden.
"Hebt mir seine Hirnschale auf rief Hildebrand", während schon der nächste Gegner von seinem Schwert getroffen ins Gras sank. "Daraus will ich noch heute den Siegeswein trinken."
Die Räuberbande hörte seine Worte mit schaudern. Doch ihr Mut war noch nicht gebrochen. Im Gegenteil, sie wurden noch wilder und Hildebrand ließ sein Schwert ebenso wild unter Ihnen tanzen und mancher merkte nicht wie ihm das Leben so schnell genommen wurde.
Auch Bogdan und seine Gefährten zeigten von welchem Schlag sie waren. Die wilde Horde musste blutige Hiebe einstecken und bald lag gut die Hälfte von Ihnen, grässlich zugerichtet, tot auf dem Waldboden.
Hildebrand sah mit Freuden wie Bogdan und seine Ritter wacker kämpften und ihre Waffen gekonnt handhabten. Er schalt sich einen Narr, dass selbst er auf Ihre List hereingefallen war.
Das Moos des Waldes, das einst grün war färbte sich rot vom Blut der gefallenen Banditen. Als die Händler, Kaufleute und Knechte sahen, dass der Vorteil auf ihrer Seite lag, kamen auch sie mit ihren Waffen herbeigeeilt.
Der Rest der Mordsbande geriet in Panik, dass mancher sein Heil in der Flucht versuchte. Doch vergebens. Keiner hatte Erbarmen und als es zu dämmern begann und der erste Morgennebel aufzog, lagen sie alle tot in ihrem Blut.
Der Jubel war groß als der Kampf vorbei war und sie sich umsahen. Einige hatten Blessuren davongetragen einem Kaufmann hatte ein Keulenhieb das halbe Gesicht weggerissen und er erlag bald seiner schweren Wunde, doch der Rest erfreute sich des Lebens. Dankbar ergriff der Anführer der Kaufleute Bogdans Hand.
"Habt dank für Eure Hilfe und die Rettung vor diesen Banditen. Wir wollen Euch noch tausend Solidi dafür zum Geschenk machen."
Bogdan wehrte ab. "Lasst Euer Geld stecken. Die Bande erwischt zu haben ist uns Lohn und Ruhm genug."
Er empfing von einem seiner Ritter einen Helm und ging damit auf Hildebrand zu. "Du ist ein wahrer Held und ich habe noch nie einen Menschen so kämpfen sehen. Ich wünschte König Dietmar hätte Euch in seinen Diensten", rief er aus und reichte ihm die Trophäe. Die abgetrennte Hirnschale im Helm war reichlich mit blutrotem Wein gefüllt.
Hildebrand nahm sie sichtlich erfreut, hob sie empor und neuer Jubel brach los. Mit einem Zug leerte er, so war es der Brauch, die Siegesschale.
Der Morgennebel hatte sich über Wald und Schlachtfeld wie ein graues Tuch gelegt. Die Sieger saßen am Feuer und feierten ohne Unterlass. Wein und Bier flossen in Strömen und von Becher zu Becher lobten sie Ihre Heldentaten in noch größeren Tönen. Da sah Bogdan, der gerade einen neuen Becher an seine Lippen setzte, einen Schatten im Nebel des Waldes. Eine kleine menschliche Gestalt, nur an den Nebelumwobenen Umrissen erkennbar, hantierte zwischen den toten Gegnern. Bogdan, den der Wein schon reichlich im Blute floss, wischte sich über die Augen. Doch der Schatten sprang weiterhin zwischen den Toten und zog und zerrte an Ihnen.
"Was sucht der Wicht da", murmelte Bogdan vor sich hin und taumelte mit dem Krug in der Hand auf die nebelhafte Gestalt zu. "He, du Wicht!" rief er mit schwerer Zunge. "Was hast du hier zu tun und störst die Ruhe der Toten?"
Bogdan vermochte keinen weiteren Schluck mehr aus einem Krug zu nehmen. Unversehens, noch eher er sch versah und reagieren konnte, segelte er durch die Luft zurück – zu seinen feiernden Mitstreitern.
Dietmars Ritter und die Kaufleute brachen anfangs in lautes Gelächter aus, als sie Bogdans Landung im Moos, nahe dem Lagerfeuer verfolgten. Sie verstummten aber bald, als er sich nicht mehr rührte. Ein Knecht fand den Mut und drehte ihn auf den Rücken. Ihr Lachen verhallte schnell als sie sahen wie er zugerichtet war.
Sein Harnisch war aufgerissen und wie Pfeilspitzen stachen die Rippen aus seinem zerrissenen Oberkörper, so das jeder Lunge und Herz in Fetzen sehen konnte. Langsam verdunkelte sich auch hier das Moos. Diesmal vom Blut Bogdans. Dietmars Ritter waren schnell ernüchtert und griffen erneut zu den Waffen, während die Kaufleute sich verängstigt zu ihren Pferden und Karren zurückzogen um Schutz zu suchen.
Wütend und vom Wein mit Mut versorgt, suchten die Helden nach dem neuen Feind, den sie bald im nebligen Wald entdeckten. Der Wein und die geringe Größe des Gegners ließen ihren Mut weiter wachsen. Mit Lanzen und Schwertern drangen sie gegen den Zwerg vor, um ihn zumindest gefangen zu nehmen.
Der Kampf währte nicht lange. Mit zunehmender Angst sahen Kauflaute und Händler wie nach und nach jeder der tapferen Ritter zu Boden ging und unter grausigem Geschrei im wallenden Nebel verschwand. Hektisch packten sie sie ihre Pferde und so mancher ließ auf der Flucht, aus Angst, sein teures hab und Gut liegen. Zurück blieb nur Hildebrand, der, noch reichlich nüchtern, hinter einem Baum lehnte und dies alles beobachtet hatte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, genauso zu enden wie die Ritter. Die Neugier hatte ihn jedoch gepackt. Hier ging etwas vor, was sich seiner Vorstellungskraft entzog. Wie konnte diese kleine schemenhafte Gestalt solche Kraft aufbringen und so gut kämpfen?, fragte er sich. Und scheinbar mühelos töten! Hildebrand entschloss sich, unter möglichst größter Vorsicht, dieses Rätsel zu lösen. Langsam glitt er am Stamm herab zu Boden und klemmte sich sein Schwert zwischen die Zähne, so dass es gut ausgewogen war. Vorsichtig, ohne auch nur den kleinsten Ast auf dem Waldboden zu brechen, kroch er im Schutze des Nebels zum Kampfort. Er selbst sah nicht viel, die feuchte Luft klebte am ganzen Körper und das was von seiner Stirn perlte, war mit Sicherheit auch Angstschweiß. Er richtete sich nach den Geräuschen die der Knirps unbekümmert verursachte. Es hörte sich an als ob er die toten Körper hin und her schleifte.
Hildebrands Herz raste verräterisch und er hoffte dass nur er das Herzklopfen vernahm. Immer weiter kroch er voran und hatte Mühe nicht aus dem Nebel aufzutauchen um für den Wicht sichtbar zu werden. Die Geräusche wurden lauter. Er musste schon fast am Ziel sein, da zerfetzte eine kurz aufkommende Windbö sein schützendes Versteck. Nun sah Hildebrand vor sich seinen Gegner hantieren. Er war näher als ihm lieb war. Ein Zwerg der kaum die Hälfte seiner Körpergröße erreichte. In seltsamer Kleidung, fast nackt wirtschaftete der Gnom unter den Toten. Hildebrand sah mit Grausen sein tun. Ihm wurde speiübel und ungewollt entfuhr ihm ein leiser Schrei des Entsetzens.
Der Zwerg hielt inne und wand sich blitzartig zu ihm um. Nur kurz, Bruchteile von Sekunden trafen sich ihre Augen. Hildebrands blaugraue Augen sahen in die des Zwerges, schwarze, insektenartige, voller tödlicher Feindlichkeit. Nur kurz trafen sich ihre Blicke und Bruchteile von Sekunden später durchschnitt ein leises Fauchen die Stille der feuchten Waldesluft. Hildebrands Schwert zog flimmernd seine Bahn und trennte dem grauen Winzling den Kopf vom Körper. Ein kurzes Kreischen zeugte davon, dann sank der Zwerg zu den anderen Toten.
Das Tor
…Dietrich rief Hildebrand und Miriam zu sich heran. "Wie nun weiter?", war seine Frage. "Wir haben diesen Drachen getötet, doch wissen wir immer noch nicht, wo Laurin steckt und unsere Freunde gefangen hält." Hildebrand nickte nachdenklich. "Es heißt, er hält sich in den tiefen Höhlen der Berge auf. Dort soll er unermesslich Schätze horten."
Dietrich sah enttäuscht auf die vielen Bergformationen im Umkreis. "Und wo fangen wir die Suche an? Das kann Jahre dauern."
Miriam wusste sich auch keinen Rat. Sie waren hier wohl in den Tiroler Alpen, auf der italienischen Seite. Irgendwo lag der Brennerpass, über den Dietrich ziehen wollte um nach Worms zu gelangen. So genau konnte sie sich hier auch nicht orientieren. Als sie damals in den Spiegel stieg hatte es wohl zur zeitlichen auch eine räumliche Verschiebung gegeben. Die Berge sahen jedenfalls sehr viel anders aus, als sie sie in Erinnerung hatte. Das konnte an der üppigen Vegetation liegen, aber auch an Gletscherformationen die es zu ihrer Zeit, durch die Abschmelzung, schon gar nicht mehr gab. Tom, ihr verblichener Partner, hätte sich wohl schon besser zurecht gefunden. Sein Orientierungsvermögen war schon immer besser als ihres.
Doch sie hatte eine Idee. Vielleicht fand sie Informationen im Gürtel. Sie nahm sich vor besonders intensiv zu suchen. Was sich ihr offenbarte, konnte sie nicht vorhersehen. Sie wurde von einer unvorstellbaren Flut von abstrusen Gefühlen, Informationen und Bilder überrascht, die ihr, in einem Schock, die fremde und feindliche Gesinnung Laurins übermittelte. Schlagartig wurde ihr die wahre Größe der Gefahr bewusst, in der sie sich alle befanden.
Mein Gott, dachte sie, werden wir damit fertig werden? So viel Hass, so viel abgrundtiefe Bosheit!
Miriam wurde übel. Sie suchte Halt, den sie nicht fand und stürzte auf ihre Knie. Ihre Hände ergriffen krampfartig die Grasballen und die Finger krallten sich tief in die Erde. Es wurde schlagartig um sie herum dunkel und aus dieser Dunkelheit heraus sah sie all die Entführten und Getöteten. Sie sah sie, sie hörte sie, ihre von Qualen gepeinigten Seelen. Sie schrieen sie an, flehten um Hilfe und ihre Hände griffen nach ihr. Hände die zu Schlangen wurden. Tausende Schlangen mit gierigen Mäulern, die sie zu erfassen versuchten. Miriam schrie auf.
Dieser Schrei brachte sie wieder zu sich. Dietrich war herbeigeeilt und hatte sie hochgezogen.
"Was ist mit dir?" Er sah besorgt aus. Miriam strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Ach nichts, mir ist etwas schlecht geworden." Sie sah seine Ungläubigkeit, seine blauen Augen und sein helles Haar. Und sie sah noch etwas mehr als Besorgnis.
"Lass mir etwas Ruhe", bat sie. "Ich will versuchen deine Freunde zu finden. Mir geht es gut." Sie versuchte beruhigt zu wirken.
"Na gut". Dietrich wand sich wieder seinen Mannen zu. Sein Blick war jedoch voller Zweifel.
Miriam ging etwas Abseits um erneut Kontakt aufzunehmen. Sie hatte wirklich Angst davor, denn der Gürtel beherbergte mehr Gefahren, als sie angenommen hatte um in seelische Abgründe abzudriften und für ewig darin gefangen zu werden. Wieder sammelte sie ihre Gedanken und versank in einen tiefen tranceartigen Zustand. Die Berge verschwammen vor ihren Augen und wurden zu bunten Lichtfetzen. Schemenhafte formlose Konturen zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Sie sah einen immer größer werdenden dunklen Schlund in dem unzählige Sterne wild rotierten. Sich immer schneller drehend und dichter wertend stoben sie plötzlich in einem grellen Blitz auseinander. Für kurze Zeit war Miriam wie geblendet. Es hatte nicht geklappt stellte sie fest. Wie auch, sie wusste ja nicht mal wie sie die Frage im Geist formulieren sollte. Es fehlte ihr immer noch an ausreichender Erfahrung im Umgang mit Laurins Gürtel. Vielleicht hatte sie die Frage auch zu allgemein gestellt und der Suchbegriff war für den Gürtel zu groß. Deshalb vielleicht auch diese Unmengen von Sterne und Galaxien, die sie zu sehen glaubte…
…Ihr fiel ihr Handy ein.
"Ist das dass kleine Kästchen, aus dem diese seltsame Melodie kam?", fragte Dietrich.
Miriam nickte. "Das war mein Klingelton und das Kästchen ist mein Handy."
"Sicher hast du diesen Zauberkasten aus deiner Heimat mitgebracht", schlussfolgerte Hildebrand. Miriam nickte abermals und rief die Anruflisten auf. Die Neugier der beiden wurde so groß, dass sie sich dicht über Miriam beugten und beinah mit den Köpfen zusammenstießen.
"Wozu ist so ein Heendie gut?", hörte sie wieder Dietrich fragen. Miriam seufzte. Sollte sie jetzt wieder eine Lüge brauchen? Sie entschied sich für die Wahrheit.
" Damit kann ich mich mit Menschen unterhalten die sehr weit weg sind. In anderen Städten oder Ländern."
Dietrich musste lachen. " Jetzt willst du uns aber einen Bären aufbinden. So laut kann kein Mensch schreien."
"Deswegen brauche ich ja das Handy erwiderte sie geduldig.
"Ach", mischte sich Hildebrand wieder ein, und dieser kleine Kasten kann so laut rufen?"
Miriam war am verzweifeln. "Bitte lasst mich in Ruhe. Ich will versuchen Laurin zu finden!"
Sie gaben nach und wanden sich miteinander tuschelnd ab.
Miriam hatte sich endlich durch das umständliche Menü ihres Handys gewühlt und den letzten Eintrag gefunden. Er hatte natürlich keine Kennung, dafür erschien im Display ein Wirrwarr an Zahlenkolonnen, Symbolen und Buchstaben in chaotischer Ordnung. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Sollte das die Signatur eines Funkspruches darstellen? War es denn überhaupt möglich, dass ein Handy dies aufzeichnen und speichern konnte.
Ich bin im Mittelalter gelandet, ging es ihr durch den Sinn. Warum soll das nicht auch möglich sein. Es kommt auf einen Versuch an.
Erneut konzentrierte sie sich, versuchte ihre Gedanken auf das Signal, Laurin und den Drachen zu Lenken. verbunden mit der Frage: Wo kamen sie her? Dann drückte sie auf ihrem Handy die Sendetaste.
Es geschah etwas. Da, wo der Gürtel sich in ihren Bauch eingegraben hatte, spürte sie ein ansteigendes Gribbeln. Eine Flut von Emotionen durchzog sie, gefolgt von anfangs wohliger Wärme, die bald in unerträglicher Hitze überging. Ihr Körper schien zu glühen. Sie stöhnte auf von der Belastung. Die Hitze steigerte sich und eine gewaltige Last nahm ihr den Atem. Sie sank auf die Knie und ihr wurde angst und bange. Sie sah wie Dietrich und Hildebrand mit besorgten Gesichtern herbeieilten und sie doch nicht erreichen konnten. Jeder Schritt von ihnen vergrößerte den Abstand zu ihr. Mit ausgestreckten Händen versuchten sie sie zu fassen und sie entfernten sich immer mehr. Miriam kniete im Gras und sah hilflos in ihre erschrockenen Gesichter. Dann plötzlich, so als hätte jemand einen schwarzen Vorhang zurückgezogen, wusste sie, was zu tun war. Die Hitze und der Druck schwanden und machten einer absoluten Klarheit Platz.
Miriam erhob sich und ein gewaltiger Sturm kam auf, riss an ihrer Kleidung und fegte durch ihr kurzes Haar. Die Pferde wurden scheu und bäumten sich verängstigt auf, so dass mancher Krieger unsanft im Gras landete.
Miriam streckte ihre Arme weit von sich und führte die Handflächen wie zum Gebet zusammen. Sie stand im Sturm wie ein Schwimmer auf dem Startblock, der nur noch auf den Schuss wartete. Schließlich richtete sie die Arme zum Himmel und zog sie, die Handflächen von sich gerichtet, weit auseinander.
In diesem Moment verebbte der Wind. Himmel und Berge teilten sich in einen wabernden Nebel nach rechts und links und machten einer neuen Landschaft platz, die wie in einer riesigen Pupille vor ihnen schwamm.
Ein gewaltiger Anblick, der faszinierte und gleichsam Furcht einflößend war. Miriam jubelte dennoch innerlich. Sie hatte unverhofft ein Tor geöffnet. Ein Tor in eine Gegend die ihr bekannt vorkam.
Sie war sich jetzt sicher, der Drachepilot hatte kein Gespräch mit Laurin geführt. Das Signal diente allein dazu ein Tor zu öffnen um dann auf sie, mit tödlicher Absicht, herabzustoßen.