Ralf Ramge (www.retro-park.de)
Titel | The Shining |
aka Shining | |
Studio | Warner Bros. |
Produktion | Stanley Kubrick |
Jan Harlan | |
Regie | Stanley Kubrick |
Drehbuch | Stanley Kubrick |
Diane Johnson (nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King) | |
Kamera | John Alcott |
Musik | Wendy Carlos |
Rachel Elkind (mit Motiven von Béla Bartók, György Ligeti und Krzysztof Penderecki) | |
Laufzeit | 144/114 Minuten |
Bildformat | 1.66:1 (matted) |
Tonformat | Mono |
Der Inhalt
Jacks Frau Wendy (Shelley Duvall) und sein Sohn Danny (Danny
Lloyd) werden ihn begleiten. Danny ist ein besonderes Kind: Er
verfügt über das Shining, das zweite Gesicht. Dieses offenbart
sich ihm in der Form von Tony, Dannys imaginären Spielkameraden
und "Junge in seinem Mund".
In dem Augenblick, in welchem Jack die Zusage für den Job erhält,
weiß der weit entfernt lebende Danny über das Shining bereits
darüber Bescheid - und kurz darauf protestiert Tony gegen den
bevorstehenden Umzug. Beim Zähneputzen wird Danny von einer
heftigen Vision regelrecht überfallen - er sieht die Halle des
Overlook und eine Sturzflut aus Blut, die sich aus den
Fahrstuhlschächten in die Halle ergießt.
Am gleichen Tag hat Danny eine weitere Vision. Er sieht zwei
Mädchen im Raum stehen. Gradys ermordete Töchter.
Einen Monat später haben sich die Torrances bereits einigermaßen
eingelebt. Jack, dem das Hotel von Anfang an sehr vertraut
erschien, hat mit der Arbeit an seinem Buch begonnen und Wendy
erforscht zusammen mit ihrem Sohn das Heckenlabyrinth, welches
sich vor dem Hotel befindet. Doch der Schein trügt, das Overlook
zieht bereits die Fäden und Jack, der seinen Sohn schon einmal
versehentlich im Suff schwer verletzte, befindet sich
im Zentrum des Interesses des Hotels. Als Jack sich über ein
Modell des Heckenlabyrinthes beugt, kann er Wendy und Danny darin
herumlaufen sehen.
Eines Tages, es ist ein Dienstag, kündigt sich der erste
Schneesturm an. Wendy begibt sich zu Jack, um ihn davon zu
unterrichten, doch dieser macht ihr eine Szene, weil sie ihn in
seinen Denkprozessen gestört habe. Eigentlich ziemlich untypisch
für Jack.
Am Donnerstag sehen wir Jack wie paralysiert im Raum stehen. Ein
satanisches Grinsen dominiert sein Gesicht, während hinter ihm
das Kaminfeuer lodert.
Am Samstag provoziert das Hotel Danny wieder ein wenig. Dieser sieht sich plötzlich erneut mit den beiden Mädchen konfrontiert. "Komm' und spiel' mit uns, Danny", fordern sie ihn auf, bevor er ihre verstümmelten Leichen in dem blutbesudelten Gang liegen sieht. "Spiel' mit uns, Danny. Für immer, und immer, und immer". Tony meldet sich zu Wort und erinnert Danny an Halloranns Worte. Es sind nur Bilder, es ist nicht real. Zwei Tage darauf kommt es zu einem Gespräch zwischen Vater und Sohn, in welchem Jack versichert, er würde ihm auf gar keinen Fall etwas antun. Jack sagt auch, er würde gerne in diesem Hotel bleiben, "für immer, und immer, und immer".
Erneut zwei Tage darauf (Mittwoch), stößt Danny beim Spielen auf die Tür des Zimmers 237. Die Tür ist offen und Danny betritt das Zimmer. Wendy, die gerade im Keller beschäftigt ist, hört Jack plötzlich schreien und findet ihn unter Schock apathisch vor. Ebenso taucht der apathische Danny auf, mit Würgemalen an seinem Hals. Natürlich verdächtigt sie Jack, Danny erneut etwas angetan zu haben. Jack, nervlich ziemlich am Ende, stolpert auf der Suche nach einem Drink in die Hotelbar, wo sich das Hotel ihm gegenüber zum ersten Mal offenbart ...
Als kurz nach der Veröffentlichung von Stephen Kings drittem Roman ein Manuskript desselben auf den Schreibtisch Kubricks flatterte, war dieser spontan von ihm begeistert. Zusammen mit Diane Johnson, einer Autorin und Dozentin, machte er sich daran, ein entsprechendes Drehbuch auf die Beine zu stellen. Die beiden stießen hierbei jedoch auf Probleme, denn der Roman orientiert sich sehr an der Psyche der Hauptfiguren, ihren Empfindungen und ihren Gedanken. Da dies in den Augen Kubricks und Johnsons nicht auf die Leinwand gebracht werden kann, ohne den Zuschauer und seine Interessen zugunsten des zugrundeliegenden Romans zu vernachlässigen, schrieben sie Teile der Vorlage um. So fielen zum Beispiel die Heckentiere, deren Präsenz Danny ständig beunruhigt, unter den Hammer und wurden durch das Heckenlabyrinth ersetzt. Der Grund für die Beunruhigung wäre dem Zuschauer nicht ersichtlich und die Szene, in welcher sich die Heckentiere zu bewegen begännen, wäre nicht zu realisieren, ohne zu einem lächerlich anmutenden Blickfang abzugleiten. Der Schluß wurde völlig umgeschrieben; das Overlook am Ende nach einer langen alptraumhaften Verfolgungsjagd einfach urplötzlich explodieren zu lassen, ist für den Kinogänger zu unbefriedigend und wird von ihm in der Regel als dämliches Ende empfunden, ein Showdown-ähnliches Finale ist praktikabler. Derartige Änderungen ziehen sich durch das gesamte Werk, und auch wenn die Grundintention und grundliegenden Elemente des Romans im Film auch vorzufinden sind, sind Roman und Film hierdurch nicht vergleichbar und müssen als voneinander unabhängige Werke betrachtet werden.
Das wichtige Grundthema des Buches ist die Darstellung eines
Raumes (wie auch schon in Shirley Jacksons Roman The Sundial,
welcher Stephen King als Aufhänger zu The Shining diente). In
gewisser Weise musste Kubrick von dem Roman angezogen werden wie
eine Fliege vom Licht, benutzt er dieses Thema doch selbst sehr
oft in seinen Filmen. Wie schon die Astronauten in 2001 - A
Space Odyssey, Alex in A Clockwork Orange oder die jungen
Rekruten in Full Metal Jacket befinden sich Jack, Wendy und
Danny in einem geschlossenen Mikrokosmos, die Außenwelt ist für
sie nicht erreichbar (gibt es anfangs eine Möglichkeit, fällt
diese aus, wie z.B. HAL 9000 in 2001 - A Space Odyssey oder das Funkgerät in The
Shining). Die Zeit spielt keine Rolle mehr, denn Tage könnten
Wochen und Wochen könnten Tage sein. Diesen Aspekt des Romans
arbeiteten Kubrick und Johnson stärker heraus und machten ihn zum
Hauptthema des Films.
Vor Beginn der Dreharbeiten schickte Kubrick den künstlerischen
Leiter, Roy Walker, quer durch die USA mit dem Auftrag, Hotels
und ihr Interieur zu fotografieren, die für den Film in Frage
kämen. Das Anliegen war, ein möglichst realistisches Bild des
Overlook zu zeichnen und nicht jenes eines spinnwebenverhangenes
Spukschlosses oder ähnlichem. Aus den Fotos wurden Vorlagen für
die verschiedenen Räume des Overlook ausgewählt, die ausgewählten
Merkmale in gezeichnete Vorlagen für den späteren Set eingebracht
und anhand dieser Zeichnungen letztendlich Modelle gebaut, die
den Bühnenbildnern als Muster für die Innenräume des Overlook
dienten, welche ebenso wie das Heckenlabyrinth in den Londoner
Elstree Studios aufgebaut wurden. Die Außenaufnahmen zeigen das
real existierende Hotel mit dem Namen Timberline Lodge, am Mount
Hood in Oregon gelegen. Die Geschäftsleitung ist übrigens dafür
verantwortlich, daß das Zimmer 217 des Romans im Film die
Zimmernummer 237 erhielt - im Timberline Lodge gibt es ein Zimmer
mit der Nummer 217 und man wollte vermeiden, daß Besucher sich
nach dem Sehen des Films weigern, in diesem Zimmer einzuchecken.
Bei der Auswahl der Schauspieler gelang Kubrick eine der wohl
perfektesten Besetzungen seiner Karriere. Jack Nicholson war von
Anfang an Kubricks Wunschbesetzung. In Jack Torrance sah Kubrick
einen intelligenten und gebildeten Mann - Eigenschaften, die man
nach Kubricks Worten nicht schauspielern kann, sondern die der
Schauspieler selbst vorweisen muß. Neben seiner intellektuellen
Ausstrahlung ist Jack Torrance jedoch auch ein gescheitertes
Individuum, erfolglos im Beruf und Ex-Alkoholiker, der seinem
Sohn einen Arm brach. In Nicholson sah Kubrick den einzigen
Schauspieler, der in der Lage war, diesen Charakter derart
konsequent zu verkörpern, daß Jacks Erscheinung bereits im
Alleingang eine ansonsten zwangsläufig resultierende
erzählende Charakterisierung des Jack Torrance überflüssig macht.
Für die Rolle des Danny ließ Kubrick etwa 5000 Kinder casten. Die
Castings wurden von Leon Vitali durchgeführt (dem Darsteller des
älteren Lord Bullington in Barry Lyndon) und fanden in Chicago,
Denver und Cincinatti statt. Kubrick wählte diese Städte gezielt
aus, um dafür Sorge zu tragen, daß der Akzent des Jungen
klanglich etwa in der Mitte zwischen jenen von Jack Nicholson und
Shelley Duvall angesiedelt ist.
Doch nicht nur die pure Existenz von technischer und
schauspielerischer Brillianz macht einen Film aus. Und schon gar
keinen Horrorfilm des Jahres 1980. Wenn wir den Film heute sehen,
müssen wir bedenken, wie die Filmlandschaft zu diesem Zeitpunkt
aussah. Da ist erstmal ein Regisseur, der nach 2001 - A Space
Odyssey, A Clockwork Orange und Barry Lyndon einer immensen
Erwartungshaltung von seiten der Kritik ausgesetzt ist und sich
dann ausgerechnet nicht nur mal wieder an einem Genre versucht,
in welchem er bislang keine Erfahrungen sammelte, sondern auch
eines, welches damals einen irrsinnigen Hype durchlebte. Der
Gedanke an einen Versuch, durch das Aufspringen auf eine
Modewelle das schnelle Geld machen zu wollen, drängt sich leicht
auf. Eine kräftige Ladung künstlerischen Anspruchs käme daher
nicht ungelegen. Verkompliziert wurde die Sache noch dadurch, daß
das Horrorgenre damals nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch
sehr festgefahren war. Im Kielwasser von Dawn of the Dead und
I Spit On Your Grave randalierten die Medien förmlich und
hielten das Genre im Gespräch, diverse andere Filmemacher - allen
voran der Meister des Plagiats, Lucio Fulci - sprangen auf den
Zug auf und es musste immer doller und blutiger werden, das
Publikum dürstete zunehmend nach physischer Gewalt und Gore. The
Shining zu dieser Zeit verfilmen zu wollen, war gleichbedeutend
mit einem wahlweise kommerziellen oder künstlerischen
Drahtseilakt.
Doch was macht Kubrick stattdessen, was macht The Shining zu einem Horrorfilm?
Kubrick zieht an mehreren Fäden gleichzeitig, um uns zu
beeinflussen. Er geht hier sehr subtil vor, produziert sozusagen
"passives Grauen". Wir gruseln uns nicht wegen dem, was wir bei
dem Film erleben. Der Horror kommt stattdessen klammheimlich
und leise aus unserem Unterbewußtsein gekrochen. Diesem Horror
kann man nicht entgehen, indem man seine Augen bei einigen Szenen
hinter den Händen versteckt. Der Nachteil liegt jedoch auch klar
auf der Hand: Der Film ist davon abhängig, daß der Zuschauer sich
auf dieses Psychospiel einläßt. Im Popcornbecher kreisende
Krümel, eingestreute Kommentare oder Pinkelpausen zerstören den
Film ebenso wie ein klingelndes Telefon oder Nachbars kläffende
Töle. The Shining ist kein Film der Aktion, er ist ähnlich
Filmen wie Polanskis Repulsion ein Film der Stimmung und der
Hingabe des Zuschauers.
Da wir gerade von Metaphern sprechen - in gewisser Weise ist das
gesamte Overlook eine solche. Es wird uns als ein Ort
beschrieben, an welchem in der Vergangenheit schreckliche Dinge
geschahen. Die bösartige Seele des Overlook scheint eine
Personifizierung der Sünden vergangener Tage zu sein. Diese
unterschwellige Erkenntnis wird mit einem unscheinbaren, aber
dennoch kräftigen Touch Mystik versehen, der großen Brutstätte
des Grauens. Diese Mystik wird derart beiläufig eingestreut, daß
die Passagen während des Ansehens nahezu gar nicht auffallen. So
erfahren wir, daß das Overlook auf einer indianischen
Begräbnisstätte erbaut wurde. Doch die Anspielungen gehen noch
weiter. So ist die große Lounge mit indianischem Dekor
geschmückt, auf Basis von Motiven der Apachen und Navajo, wie
Ullman erklärt. Jack wird zu einem späteren Zeitpunkt einen
Tennisball wiederholt mit voller Wucht auf einen indianischen
Wandteppich werfen, ganz als ob das Hotel den Indianern erneut
Gewalt antun wollte. Eines der indianischen Motive auf einem
Teppich ist übrigens der Grundriß des Labyrinths, in welchem Jack
letztendlich stirbt. Und natürlich mussten während des Baus des
Hotels unzählige Angriffe von Indianern abgewehrt werden. Über
die Ähnlichkeiten von The Shining zur amerikanischen Geschichte
bis hin zur Lage der Nation wurden unzählige Essays und
Diplomarbeiten geschrieben, aber diese interessieren uns hier nur
am Rande. Wesentlich interessanter ist, daß schon alleine der
Plot des auf einem indianischen Friedhof stehenden Hauses
für genug unterschwelliges Gruseln sorgen kann, daß man daraus
einen eigenen Horrorfilm drehen könnte. Von Amityville Horror
bis Pet Sematary - die Liste der auf dieser Basis
funktionierenden Filme ist recht lang. Im Falle von The Shining
wird das Overlook hierdurch bereits zu einem "Spukhaus", bevor
überhaupt irgendwas konkret unheimliches passiert. Und wenn
während des Abspanns des Films die Geräusche der Gesellschaft aus
den Lautsprechern dringen, die am 4. Juli 1921 zusammen mit Jack
Torrance im Overlook feiert und die Partygeräusche mit jenen des
Kinopublikums verschmelzen, wird uns klar, daß in uns allen etwas
von Jack Torrance steckt. Übrigens, was vielleicht auch noch
nicht uninteressant sein dürfte: Die wohl bekannteste Szene des
Films, in welcher Jack mit der Axt die Badezimmertür zertrümmert,
hinter welcher sich Wendy versteckt hält, stammt eigentlich nicht
aus The Shining, sondern ist vielmehr ein bewußtes Zitat
Kubricks. Wer hier einmal die Originalsequenz sehen möchte,
sollte sich den 1970 entstandenen Film L'Uccello dalle Piume di
Cristallo von Dario Argento (dtsch. Das Geheimnis der
schwarzen Handschuhe, mit Mario Adorf in einer Nebenrolle und
Vittorio Storaro hinter der Kamera) ansehen. [Anm.: Und The Shining ist
bei weitem kein Einzelfall. Weitere Remakes dieser Szene gibt es wie Sand an Meer, z.B. lief sie mir gerade vorgestern
in William Lustigs Maniac Cop über den Weg.]
Die große Triebfeder des Horrors und eigentlich sowieso der
absolute Überhammer dieses Films ist die Tonkulisse. Wer hier
Nicholsons Originalstimme noch nicht genießen durfte, hat The
Shining letztendlich noch nicht gesehen. Jack Torrance wird
durch Nicholsons Stimmbänder ihn zum fleischgewordenen Schrecken.
Hier brennen sich durch Nicholsons geniale Vorstellung vor allem
zwei Szenen ins Gedächtnis, nämlich die komplette Treppenszene,
in welcher Jack die mit einem Baseballschläger bestückte Wendy
verbal fertigmacht, und die Szene, in welcher Jack sich daran
macht, die Badezimmertür mit der Axt einzuschlagen ("Little pigs,
little pigs, let me come in ... Not by the hair of your chinny,
chin-chin ... Then I'll huff, and I'll puff and I'll blow your
house in!"). Diese beiden Szenen dürften das Potential haben,
deutsche Kinogänger reihenweise zu Hassern von synchronisierten
Fassungen zu machen, denn was hier sowohl das Schauspiel
Nicholsons als auch der ganze Film an Wert verlieren, ist schon
nahezu unbeschreiblich. Und dabei habe ich noch gar nicht
erwähnt, daß weite Teile der Dialoge noch nicht mal sinngemäß ins
Deutsche übersetzt wurden, sondern vielmehr neue inhaltliche
Kreationen darstellen.
Die Tonkulisse ist hier jedoch noch nicht am Ende angelangt.
Kubrick arbeitet auch viel mit verstärkten Geräuschen, die
ihrerseits für eine sehr unheimliche Kulisse sorgen.
Paradebeispiel dürfte hier jene Szene sein, in welcher die Kamera
eingangs Jacks Schreibmaschine bildfüllend zeigt und aus den
Lautsprechern ein lautes Krachen in einem Takt von etwa 2
Sekunden Abstand wiederholt auf den Zuschauer einschlägt. Man hat
den Eindruck, als ob es sich hier um eine akustische Untermalung
der Szene handeln würde, die das Grauen ankündigt. Die Kamera
weicht langsam zurück und gibt letztendlich den Blick auf Jack
frei, und dem Zuschauer wird bewußt, daß jenes Krachen von dem
Tennisball stammt, den Jack wiederholt auf den weiter oben
bereits erwähnten Wandteppich schleudert. Was Kubrick in dieser
Szene treibt, ist nichts anderes als eine kalkulierte Irreführung
des Zuschauers in der Absicht, eine unheimliche Stimmung zu
erzeugen, was ihm auch bestens gelingt. Ein weiteres gutes
Beispiel für Kubricks Umgang mit dem Ton ist die lange Szene, in
welcher Danny mit seinem Tretauto durch die Gänge des Overlook
dübelt und abwechselnd über Teppich und den dröhnenden
Parkettboden fährt.
Die absolute akustische Quintessenz ist jedoch der Score von
Rachel Elkind und dem Synthesizerkünstler Wendy Carlos. Letzterer
wurde ab den frühen 70er Jahren durch seine Schallplatten
bekannt, auf welchen er klassische Musik auf seinen Synthesizern
neu interpetierte. Wendy Carlos war bereits für den Soundtrack zu
Kubricks A Clockwork Orange verantwortlich. Auch bei The
Shining benutzte er wieder massiv klassische Kompositionen und
schuf einen der unmelodiösesten und gruseligsten Soundtracks, die
mir bislang untergekommen sind. Jede einzelne Note scheint sich
mit den Bildern zu einer Einheit verschmelzen zu wollen und die
Musik verbleibt durch ihre Schlichtheit auch ständig im
Hintergrund - und das bei einer stellenweise überdurchschnittlich
hohen Lautstärke, vor allem im tieffrequenten Bereich. Die
gleichzeitig sphärischen und unheimlichen Klänge aus Carlos'
Synthesizerbänken lassen den Horror auch dann greifbar werden,
wenn die gezeigten Bilder eigentlich Freude vermitteln. Wie zum
Beispiel gleich am Anfang nach dem Beenden des
Vorstellungsgespräches, als Jack sich zu einem Telefon begibt und
Wendy anruft: Jack freut sich, Wendy freut sich und Carlos zeigt
uns anhand eines unterschwelligen, bedrohlichen Grummelns, daß
das Overlook auch an der allgemeinen Freude teilhat. Wer einmal
eine gelungene Verknüpfung zwischen Regie und musikalischer
Untermalung erleben möchte, kommt an The Shining nicht vorbei.
Falls sich jemand verwundert den Kopf kratzt: The Shining ist
in Europa in der Tat um eine knappe halbe Stunde kürzer, 114
Minuten Laufzeit anstelle 144. Mit 31 Millionen Dollar
US-Einspielergebnis wurde The Shining zwar zum kommerziell
erfolgreichsten Projekt Kubricks vor Full Metal Jacket - doch
diese 31 Millionen Dollar erreichte der Film erst 13 Jahre nach
seiner Erstaufführung. Bei seinem Kinostart blieb The Shining
zuerst einmal weit hinter den Erwartungen und seinen beiden
großen Horror-Konkurrenten des damaligen Kinojahres, Friday the
13th und Dressed to Kill, zurück. In den 4 Monaten bis zum
ersten europäischen Starttermin zückte Kubrick daraufhin die
Schere und straffte den Film, um ihn handlungsorientierter und
damit attraktiver für das Kinopublikum zu machen. Als Ergebnis
haben wir nun zwei verschiedene Fassungen des Films, zwischen
denen Welten liegen. Die europäische Kurzfassung erinnert eher an
einen Thriller als an einen stimmungsvollen Horrorfilm, der Film
stolpert viel zu eilig durch die Geschehnisse und wird zu
unausgewogen, um überhaupt noch ein eindringliches Stimmungsbild
zeichnen zu können. Auch wirkt der Film intellektueller, da große
Teile der Schilderungen des Lebens im Hotel, der
Charakterisierungen und Vorgeschichte der Schere zum Opfer fielen
und man leicht dem Eindruck erliegen kann, es handle sich um die
Geschichte eines Mannes, der eben duchdreht und seinen Sohnemann
schlachten will. In dieser Fassung ist der Film irgendwie ...
Blah. Wie ein Pullover, den man zu oft gewaschen hat. Er erinnert
mehr an eine Regiestudie als an eine erzählte Geschichte. Die in
den USA nach wie vor vermarktete Originalfassung des Films
hingegen hat zwar ein niedrigeres Verhältnis von Action
gegenüber der Gesamtlaufzeit, aber sie ist 144 Minuten Stimmung
pur. Wir lernen die Charaktere hier genauer kennen, die Stimmung
wird ebenso wie der Spannungsbogen homogen über den ganzen Film
verteilt langsam und linear aufgebaut, anstelle wie in der
Euro-Fassung notgedrungen ein sprunghaftes Verhalten an den Tag
zu legen. Und vor allem erhält die Handlung in sich mehr
Glaubwürdigkeit und wirkt nicht mehr so verkrampft konstruiert
wie in der kurzen Version des Filmes.
Wer die Gelegenheit hat, sich die US-Fassung einmal anzusehen, sollte diese warnehmen; der Vertrieb der Langfassung ist keineswegs auf die USA beschränkt. So lief beispielsweise im Jahr 1989 die US-Fassung in voller Länge mit Kubricks Segen im englischen Fernsehen. Das Warten auf Warner ist in diesem Fall jedoch wie so häufig wohl mit dem Warten auf ein Wunder gleichzusetzen, weshalb man bei Interesse vielleicht doch darüber nachdenken sollte, den Film ggf. in den USA zu ordern oder mal ein ernstes Wörtchen mit dem Videothekar des Vertrauens zu reden. Jedoch nicht vergessen, daß eine Videokassette dann im NTSC-Format vorliegt und nicht jeder Videorecorder damit klarkommt - vorher mal einen Blick in die technischen Daten in der Anleitung werfen.
Sämtliche außerhalb des Kinos verwerteten Fassungen liegen im Format 1.37:1 vor. Hierzu wurde die Matte geöffnet, es fehlen also keine Teile an den Seiten des Bildes. Im Kino lief der Film im Fomat 1.66:1, der Unterschied ist also vergleichsweise marginal (er wurde nicht im Format 2.35:1 gezeigt, wie beispielsweise der Ausschnitt in Twister suggeriert). Auffällig ist eigentlich nur, daß zwischen dem oberen Bildrand und den Köpfen der Schauspieler oft viel Luft zu finden ist, was damit zusammenhängt, daß lediglich der obere Teil des Bildes gematted wurde und nicht die obere und untere Kante gleichmäßig. Die Bildqualität der Releases sind in bester Tradition von Warner Home qualitativ so richtig scheiße - für VHS mag es noch reichen, die Laserdisc indes ist wie bei der Mehrzahl von Releases von älteren Filmen dieser Firma gnadenlos unterfordert und neben dem mal wieder nicht vorhandenen Trailer und den in keinster Weise neu gemasterten Bild und Ton kriegt man neben den üblichen Schwankungen in der Bildqualität sogar regenbogenähnliche Farbverfälschungen in spiegelnden Flächen zu sehen, die schon beinahe Absicht vermuten lassen. Die US-Fassungen zeigen übrigens nicht das komplette Bild, sondern es fehlen 4% an allen vier Seiten. Zum Glück ist der Film gut genug, um die technischen Mängel als weitestgehend irrelevant erscheinen zu lassen. Spielt ja auch eigentlich keine Rolle - wer die US-Fassung des Filmes sehen möchte, wäre wahrscheinlich auch mit einer vergrieselten VHS-Kopie glücklich.
Publikation durch Dritte, egal welcher Art, nur nach schriftlichem Einverständnis des Autors.