Stephen King
Das Mädchen
Rezension von Michael Matzer für buchwurm.info
Das göttliche Spiel
Dieses Buch gibt es in einem weißen und in einem schwarzen Umschlag – suchen Sie sich einen raus! So oder so treffen Sie eine gute Wahl – ein großartiges Leseerlebnis wartet auf Sie.
Handlung
Die neunjährige Patricia McFarland geht auf einer Wanderung durch die westlichen Wälder und Vorberge Maines verloren. Eigentlich wollte sie ihrer Mutter und ihrem Bruder Pete, die sie vor lauter Streit nicht mehr an Trishas Existenz zu erinnern schienen, nur eins auswischen: Schaut, ich bin weg – macht euch in die Hosen vor Angst um mich! Es ist wie ein kleiner Selbstmord.
Doch aus dem kleinen Abstecher wird bitterer Ernst, als sich Trisha immer weiter im undurchdringlichen Urwald verliert, aus dem kein Weg herauszuführen scheint. Bis zu ihrer Rettung 30 Meilen weiter im Westen verliert sie mehr als zehn Kilo von ihren mageren 44 Kilo! Mutterseelenallein kämpft sie sich durch eklige Sümpfe und Schwärme von Stechmücken. Und ein wildes Tier schleicht wie ein Gespenst um sie herum. Schließlich hat sie Visionen, so etwa vom Gott der Verirrten, der aus Wespen zu bestehen scheint.
Einzig und allein ihr Walkman-Radio bewahrt sie vor dem Durchdrehen aus völliger Verzweiflung. Sie hört die Reportagen von Baseballspielen in Maine. Zu den Red Sox gehört ihr verehrter Lieblingsspieler Tom "Flash" Gordon. Sie trägt eine von ihm signierte Baseballkappe. Nach mehr als einer Woche, völlig entkräftet, beginnt er sie zu begleiten. Er erklärt ihr, wann ihre letzte Chance, dieses Todesspiel für sich zu entscheiden, gekommen ist: "Gott erscheint immer erst in der zweiten Hälfte des neunten Durchgangs", also kurz vor Schluss. Und so kommt es, dass sich Trisha in einer schier übermenschlichen Anstrengung das Leben bewahren kann.
Fazit
Das Leben als tödliches Baseball-Match? Für die kleine Trisha schon. Und wie viele kleine Kinder reißen von zu Hause aus, weil ihre Eltern geschieden sind und sie die Trennung unerträglich finden, nur um dann in der Drogenszene oder Prostitution zu enden? Das Leben hat Zähne, und es beißt zu, wenn man es am wenigsten erwartet – diese Lektion bekommt Trisha am eigenen Leib zu spüren.
Hier nimmt sich Stephen King ohne allzu viel Spezialeffekte des Schicksals der Opfer von gescheiterten Beziehungen an. Die Kinder sind zudem die schwächsten Opfer. Geliebte Idole wie Tom Gordon helfen offenbar nach Kings Meinung, einiges zu überstehen. Tom erzählt Trisha nicht nur vom Leben, sondern auch von Gott. Der hilft dir nur, wenn du bereit bist, dich nicht selbst aufzugeben. Und das schafft das kleine Mädchen – mit knapper Not. Der Glaube an Gott steht ihrer Neigung entgegen, sich der Lockung des Gottes der Verirrten zu ergeben: der Verzweiflung durch das Aufgeben der letzten Hoffnung. So findet in ihr der ewige Kampf um das Festhalten an einem Sinn für das eigene Leben statt, den jeder ausfechten muss.
Trishas ist mit Sicherheit die glaubwürdigste weibliche Figur, die King je geschaffen hat. Seine Prosa war selten angemessen und wirkungsvoll, auch wenn ab und zu auktoriale Absätze mit Erklärungen eingeschoben sind. Er scheut sich nicht, die peinlichsten Situationen zu schildern und bricht (nur amerikanische?) Tabus, wenn er ein kleines weißes Mädchen Wörter wie "Sch.....", "Zum Teufel" und sogar "Fu.." sagen lässt. Die deutsche Übersetzung von Wulf Bergner (ausnahmsweise mal nicht Joachim Körber) nimmt ebenso kein Blatt vor den Mund. So geht nichts von der sprachlichen Wucht des Textes verloren, der sich kein Leser entziehen kann.
Eins steht für mich fest: Wer beim Lesen dieses Buches nicht ins Lachen, Zittern und Weinen kommt, dessen Herz steht unter Vollnarkose.
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Mit freundlicher Genehmigung des Autors