Cryptonomicon

Originaltitel: Cryptonomicon
Originalverlag: Avon Books
Übersetzung: Juliane Gräbener-Müller
und Nikolaus Stingl
Taschenbuch, 1.184 Seiten
ISBN: 978-3-442-45512-6
€ 10,00 [D] | € 10,30 [A] | CHF 14,90
Verlag: Goldmann
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Kurzbeschreibung:
Während des Zweiten Weltkriegs legt Japan mit Unterstützung von Nazi-Deutschland eine gigantische Goldreserve an. Die Alliierten werden zwar auf verschlüsselte Mitteilungen aufmerksam, aber selbst ihren besten Kryptographen gelingt es nicht, den Code zu knacken. Mehr als ein halbes Jahrhundert später stößt eine Gruppe junger amerikanischer Unternehmer im Wrack eines U-Boots auf die Anzeichen einer riesigen Verschwörung und auf das Rätsel um einen verborgenen Schatz.
Meine Meinung:
Historische Romane gibt es viele, gerade in den letzten Jahren hat sich deren Anzahl rapide erhöht. Die meisten dieser Romane spielen im Mittelalter oder in der Renaissance, aber auch das lange 19. Jahrhundert und auch das 20. Jahrhundert rücken hin und wieder in den Fokus unterschiedlicher Autoren. Wie bei historischen Romanen üblich, tauchen dann zwar historische Personen der jeweiligen Epoche auf, spielen aber eine deutlich weniger bedeutende Rolle als die Protagonisten und Antagonisten des Romanes. Einige wenige Bücher führen die Geschichte der Figuren dann bis in andere Epochen beziehungsweise bis in die heutige Zeit fort, davon gibt es aber schon deutlich weniger, schließlich muss man dafür mehrere Epochen recherchieren.
Neal Stephenson, der eigentlich als einer der bedeutenden Vertreter des Cyberpunk-Genres gilt, welches sich der Zukunft und der Technik, die in einer solchen Zukunft vorherrscht, beschäftigt und diese beschreibt, hat sich 1999 mit „Cryptonomicon“ historischen Sachverhalten angenommen. 2003 erschien die Übersetzung des preisgekrönten Buches bei Goldmann Manhattan und wurde auch im deutschsprachigen Raum mit Lob überhäuft.
„Cryptonomicon“ spielt, wie oben bereits angedeutet, in zwei Zeitsträngen. Der erste Zeitstrang spielt um den Zweiten Weltkrieg herum und der zweite Zeitstrang in den 90er Jahren zur Zeit des Internetbooms. Erster und zweiter Zeitstrang werden nicht nur durch die Geschichte selbst sondern auch durch ein Thema und insbesondere durch die Familien der Protagonisten und durch überlebende Personen aus dem ersten Zeitstrang miteinander verbunden.
Der erste fiktive Protagonist des ersten Zeitstrangs ist Lawrence Pritchard Waterhouse, ein genialer Mathematiker und Kryptograph, der in der normalen Welt oft einen verlorenen Eindruck macht und als verwirrt abgestempelt wird. Der zweite fiktive Protagonist dieses Zeitstrangs ist der US Marine Raider Sgt. Bobby Shaftoe, der nicht nur ein guter Soldat ist sondern auch noch verrückt genug selbstmörderische Aufträge auszuführen. Beide eint der Kampf gegen die Achsenmächte. Waterhouse entschlüsselt auf Seiten der Alliierten zusammen mit Alan Turing den Enigma-Code und auch einige japanische Codes und ergänzt das erfundene Buch „Cryptonomicon“ in dem alle Codes der Welt gesammelt werden. Shaftoe kommt die Rolle zu, die Achsenmächte zu narren und so lange wie möglich zu verhindern, dass das Knacken des Enigma-Codes auffällt. Waterhouse erlebt den Krieg also hinter Funkgeräten und Shaftoe hinter und an den Fronten der beiden Kriegsschauplätze Europa und Pazifik. Andere wichtige Protagonisten sind der Deutsche Rudolf von Hacklheber, auch ein Mathematiker und Kryptograph, der aber mit den Nazis nichts zu tun haben will, Enoch Root, eine mysteriöse Gestalt, die in beiden Zeitsträngen auftaucht und in beiden scheinbar gleich alt ist und für Frieden steht, und Goto Dongo, der ebenfalls in beiden Zeitsträngen auftaucht und ein japanischer Soldat und Bergbauingenieur ist. Darüber hinaus gibt es in diesem ersten Zeitstrang natürlich noch viele anderen fiktive Figuren und auch einige historische Personen, wie Ronald Reagan und natürlich die jeweiligen militärischen Befehlshaber, Douglas MacArthur, Dönitz und Yamamoto. Hauptbestandteil dieses Zeitstrangs ist aber ein nicht zu entschlüsselnder Code der Japaner und das Geheimnis, das durch diesen Code bewahrt bleibt.
In den 90er Jahren spielt Randal Lawrence Waterhouse, der Sohn des oben erwähnten Kryptographen, die Hauptrolle. Randy ist Hacker und Computerexperte und will mit seinem Freund aus Jugendtagen, Avi, einen sicheren Datenhafen in einem Sultanat irgendwo im Pazifik aufbauen und dadurch eine Menge Geld machen. Für diesen Datenhafen muss ein Kabel über den Grund des Meeres verlegt werden. Um den Grund des Meeres zu vermessen wird das Unternehmen der Familie Shaftoe angeheuert. Der Sohn des Soldaten aus dem ersten Zeitstrang und dessen Tochter Amy sind hierbei die wichtigsten Vertreter. Nach dem Fund eines U-Bootes, mit dessen Hilfe das Geheimnis des ersten Zeitstrangs gelöst werden kann, wird das sowieso schon komplizierte Leben Randys noch komplizierter, denn Feinde gibt es viele und andere Schatzsucher sowieso.
„Cryptonomicon“ ist dabei viel mehr als ein Buch, dass sich mit Codes und Schätzen beschäftigt, es ist ein Buch für Nerds. Linux, Rollenspiele, Fachsprache und jede Menge mathematische Formeln tauchen auf und werden gekonnt vorgestellt und erläutert. Nebenbei gibt es Liebesgeschichten, Kämpfe, Actionszenen, Rätsel, Verschwörungstheorien und und und, so dass die Spannungskurve immer weit oben ist und man doch auch nie auf lustiges verzichten muss, insbesondere der Mathematiker Lawrence Pritchard Waterhouse sorgt durch seine Art hier für einige Lacher.
Kurz, Neal Stephenson hat mit diesem Buch wirklich etwas außergewöhnliches geschaffen. Gekonnt verbindet er zwei Zeitstränge und mehrere Familiengeschichten ohne dabei zu früh zu viel zu verraten. Alle Protagonisten wachsen einem ans Herz und entwickeln sich prächtig, so runde Figuren findet man selten in historischen Romanen. Historische Fehler findet man keine, höchstens mal künstlerische Freiheiten, die aber so passend sind, dass alles wirklich so hätte passiert sein können. Die Einbindung der historischen Personen ist nahezu perfekt und nie hat man das Gefühl, dass ihre Rolle zu bedeutend für den Roman wäre. Perfekt recherchiert in allen Belangen, Geschichte des zweiten Weltkriegs, Geschichte der Codes, Geschichte des Computers, Geschichte des Internets und so weiter. Neal Stephenson hat sich mit „Cryptonomicon“selbst übertroffen.
Im Anhang findet sich schließlich noch der „Solitaire“-Verschlüsselungsalgorithmus von Bruce Schneuer,. Dieser basiert auf einem Kartenset und wird ausführlich erklärt und mit Beispielen versehen ist es ein Code, der, wenn man denn Geheimnisse hat, sicherlich bald häufiger zum Einsatz kommen wird. Ein gelungener Abschluss des Buches ist der Anhang auf jeden Fall, insbesondere, weil man noch Tipps zu weiterführender Literatur erhält.
Fazit:
„Cryptonomicon“ von Neal Stephenson ist ein Meilenstein der historischen Nerdliteratur. Der Zweite Weltkrieg und die verwendeten Codes werden mit tollen Geschichten und noch tolleren Protagonisten versehen vorgestellt und mit dem Internetzeitalter der 90er Jahre verknüpft. Geheimnisse werden langsam aufgedeckt und jeder Leser kann jede Menge lernen, sowohl mathematischen als auch historisches. Da das Buch auch noch unterhaltsam ist, ist natürlich auch für Leser mit anderen Interessen einiges geboten. Ein tolles Buch, das jeden Cent wert ist.