Schwarzer Winter
Rezension © by Sascha Vennemann

Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe - 450 Seiten - Lübbe
Erscheinungsdatum: Oktober 2003
Auflage: 2. Aufl.
ISBN: 3404149726
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Inhalt:
Damit nicht genug: Die Quarantäne-Station des Krankenhauses ist nicht so sicher, wie man geglaubt hat. Als ein zweiter Pestkranker mit den selben Symptomen eingeliefert wird, kann dieser entkommen und schleppt sich durchs nächtliche Oxford. Inzwischen hat sich die Krankheit als die gefährliche Variante herausgestellt, welche auch die Lungen befällt. Diese ist über die Luft übertragbar und wird vor allem aber durch Tröpfcheninfektion beim blutigen Hust-Auswurf der Kranken übertragen. Es kommt, wie es kommen muss: Ein paar Menschen infizieren sich und der Stadtkern von Oxford wird durch die Armee hermetisch abgeriegelt, bis die Gefahr gebannt ist. Auch Therry erkrankt an dem Schwarzen Tod, erkennt dies aber erst, nachdem sie sich mit Daniel zurück in die Stadt geschlichen hat. Daniel sieht keine andere Möglichkeit als Dr. Redwhistle zu kontaktieren und als diese dann im College aufeinander treffen, wird der Hintergrund des Krankheitsausbruchs erläutert.
Bei der Pestvariante handelt es sich um eine biologische Waffe des ehemaligen Ostblocks, zwar erzeugt aus Pesterregern, doch zur Waffe hochgezüchtet. Das Macht-Vakuum nach dem Kalten Krieg erscheint den Amerikanern zu riskant, und so kauften sie die Erreger auf und wollten sie in England zwischenlagern. Die Sicherheitsfirma des Baufirmainhabers, welche die Arbeiten in Nether Ditchfort hatte den Auftrag, den Erreger sicher zu transportieren. Als die Geliebte des Baufirmainhabers, eine englische Ex-Minderjährigenprostituierte und jetzt von konstruiertem österreichischem Adelsgeschlecht, davon Wind bekommt, kocht sie ihr eigenes Süppchen und will die Waffe an die asiatische Aum-Sekte verkaufen. Der Erreger konnte in den Wirren des Transportes und der Intrigen aus seinem Gefäß entweichen und infizierte so die ersten beiden Männer. Was danach passierte, weiß man ja schon. Es kommt dann noch zum finalen Showdown mit dem Killer Harald Hammerstein (dessen Initialen seine Gegner zu völlig unangebrachten Späßen verleiten), der im Auftrag der Sekte versucht, die Erreger an sich zu bringen. Der Versuch scheitert spektakulär, als sich die geraubte Ampulle als Fälschung, gefüllt mir Nitroglycerin erweist und den Killer samt Fluchhubschrauber vom College-Dach fegt.
Ein kurzer Epilog in Form einer Email bildet das Ende des Romans: Therry schreibt Monate später an Daniel, dass der Pestausbruch vorüber sei, sie selbst wieder geheilt und die ganze Sache unter den Teppich gekehrt wurde. Daniel ist zurück in den Staaten und unterrichtet an einer Hochschule, und Therry hat zwar ihre Super-Story für die überregionale Presse nicht bringen können, aber so sei es vielleicht auch gar nicht so schlecht.
Kritik:
Denn atemberaubende Spannung, sei es nun durch einen mysteriösen Plot oder durch zahlreiche Szenen voller Tempo, sucht man bei Peter Millars „Schwarzer Winter“ vergebens. Vielmehr wird hier viel mit Atmosphäre gearbeitet, die auf verschiedene Art und Weise vom Autor kreiert wird. Da ist zum einen der Schauplatz an sich. Oxford, die Studentenstadt, mit dem mittelalterlichen Ambiente, den gotischen Sakralbauten und den alten College-Gebäuden, strahlt an sich schon etwas Düsteres und Bedrohliches aus. Millar spart nicht an Umgebungsbeschreibungen, fast naturalistisch wird die Architektur einzelner Gebäude beschrieben, die Umgebung skizziert, mit Straßennamen, Namen von Plätzen und Gebäuden, sowie ihrer historischen Herkunft und ihrem Werdegang, um sich geworfen. Teilweise hat man als Leser das Gefühl einen historischen Stadtführer zu lesen, in den nur ein Thriller eingebettet wurde, um historische Fakten ansprechend zu verpacken. Hier hat schon so mancher Leser, der eine temporeiche Geschichte erwartete, frustriert aufgegeben und sich von unerwünscht erzählten Fakten überfüttert gefühlt. Zugegeben: An einigen Stellen wünscht man sich, die Geschichte möge doch endlich weitergehen und der Autor hätte sich die Seite mit dem historischen Exkurs gespart. Doch gerade diese Passagen steigern die Atmosphäre des Romans, wo er sonst möglicherweise nicht in der Lage gewesen wäre, von selbst eine Stimmung aufzubauen. Das spricht zwar nicht gerade für den Autor, ist aber ein geschickter Trick.
Glanzlichter sind auch die Textteile, die sich mit der Pest im Mittelalter auseinander setzen. Die zeitgenössischen, wenn auch natürlich fiktiven, Aufzeichnungen des Geistlichen von Nether Ditchfort lassen den Leser doch erschaudern aufgrund der Unbarmherzigkeit einer derart todbringenden Krankheit. Der Mythos „Pest“ wird hier einmal von der menschlichen Seite beleuchtet, und dann aber auch mit wissenschaftlichen Fakten unterfüttert. Diese zweigleisige Herangehensweise ist eine der stärkeren Ideen in „Schwarzer Winter“.
Leider bleibt die Atmosphäre in der zweiten Hälfte des Romans deutlich auf der Strecke. Das hermetisch abgeriegelte Oxford wirkt seltsam nüchtern und unbedrohlich, die Situation ebenso mehr steril als bedrohlich. Hier hätten sich Szenen angeboten, die das verlassene ruhige Oxford mit der vom Pesthauch erfassten Stadt im Mittelalter vergleichen. Stattdessen wird die Odyssee der beiden Hauptcharaktere weiter vorangetrieben, die an einigen Stellen etwas zu ausführlich wirkt.
Apropos Charaktere: Als Protagonisten bleiben Daniel und Therry etwas farblos, auch die zahlreichen Nebencharaktere bleiben bis auf weniger Ausnahmen kaum mehr als Statisten. Glücklicherweise wirken die Personen keinesfalls unglaubhaft, doch ein bisschen mehr Tiefgang wäre wünschenswert gewesen. Ansätze dafür, z.B. als Daniel offenbart, dass seine Mutter, eine Homöopathin, an einer Pesterkrankung starb, und dort die Motivation für die Beschäftigung des Geschichtsstudenten mit dem Thema ihren Ursprung hat, sind aber durchaus vorhanden.
Die Auflösung des Ganzen zum Schluss ist nur bedingt befriedigend. Wie Daniel war man sich sicher, der Pestausbruch hätte etwas mit den Arbeiten an den Ruinen Nether Ditchforts zu tun. Die Verbindung zu den Bauarbeiten ist die faszinierende Grundannahme, auf der die Geschichte aufbaut, und sie wird letztendlich für nichtig erklärt: Es hat sich alles ganz anders zugetragen. Nicht nur Daniel und Therry, auch der Leser bleibt mit dieser Erklärung unbefriedigt zurück. Letztendlich erhalten aber die Passagen, die sich mit zwielichtigen Gestalten befassen, und immer wieder im Roman auftauchen, ihre Daseinsberechtigung. Fast bis zum Schluss bleibt unklar, was die seltsamen Personen in der Geschichte zu suchen haben. Die Undurchsichtigkeit der Intrige rund um den biologischen Kampfstoff versucht Peter Millar im Finale restlos aufzuklären, was ihm aber nur bedingt gelingt.
„Schwarzer Winter“ ist ein gemächlicher Thriller, der viel seiner erzählerischen Atmosphäre aus den Umgebungsbeschreibungen beziehen muss. Die Geschichte ist an sich gut durchdacht und sinnvoll, leider nur mäßig spannend umgesetzt und, außer dem Aspekt sich mit einer fast ausgerotteten Krankheit zu beschäftigen, fast alles von der faszinierenden Grundidee im Laufe des Romans selbst für nichtig erklärt. Das die Aufklärung des Ganzen dann eine vollkommen andere ist, sorgt zwar mehr für Verwunderung als für Verärgerung, trotzdem ist das Resultat nach knapp 450 Seiten Lektüre etwas dürftig. An und für sich ist der Roman unterhaltsam. Das liegt an dem sprachlich angenehmen Stil von Peter Millar und an der, wenn auch auf eine etwas seltsame Art und Weise entstehend, atmosphärisch dichten Geschichte und deren Schauplatz. Vielleicht kein großer Wurf für das Thriller-Genre, aber keinesfalls schlecht.
© Sascha Vennemann